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Vanessa Petruo von No Angels studiert in Dresden - DER SPIEGEL
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Studentin Vanessa Petruo: Kein Engel im Hörsaal

Foto: Vanessa Petruo

Ex-Popstar Petruo Und alljährlich fragt das Dschungelcamp

Sie war ein Popstar, jetzt ist sie raus: In ihrem zweiten Leben ist No-Angels-Gründungsmitglied Vanessa Petruo, 35, an der Uni angekommen. In Dresden studiert sie Psychologie. Ihr Ziel: Frau Doktor werden.

Semesterbeginn, ein neues Seminar. Der Dozent hakt die Teilnehmerliste ab. "Vanessa Petruo?" Er lässt den Blick durch den Raum schweifen. Sie meldet sich, der Dozent wirkt überrascht: "Ach, Sie sind das?" Solche Situationen erlebt Petruo öfter, seit sie studiert. "Keine Ahnung, was der erwartet hat", sagt sie schulterzuckend.

Rund fünf Millionen Platten verkaufte die Castingband No Angels ab 2000 bis zu ihrer ersten Auflösung drei Jahre später. Mit den No Angels tourte auch die damals 21-jährige Vanessa "Vany" Petruo. Das Tourleben bekam ihr schlecht, sagt sie heute. "Ich wusste teilweise nicht mal mehr, welchen Tag wir haben." Noch heute fiele es ihr schwer, ihre Termine selbst zu planen. "Eine kleine Verplanerin", sagt sie über sich. Wie passend, dass sie den ersten Interviewtermin versehentlich auf ihren 35. Geburtstag gelegt hat.

Die ständigen Reize, der Stress in der Band verstärkten damals ihre Depressionen, erzählt Petruo. Auch darum sei sie ausgestiegen. Sie habe nicht mehr schlafen können, sei manchmal nachts im Bademantel durch Hotelflure gestreift, habe an Türen geklopft und sei weggerannt, weil ihr so langweilig war. Oder sie spielte anderen Hotelgästen kleine Streiche. "Einmal habe ich in grottenschlechtem Englisch 40 Cookies und alles Mögliche auf Robbie Williams' Zimmer bestellt. Keine Ahnung, ob sie das wirklich gebracht haben."

"Keine Feinheiten mehr mitbekommen"

In der Band war Petruo wegen solcher Faxen immer nur das Küken. Heute, im Studium, sind die meisten von Petruos Kommilitonen zehn Jahre jünger. Sie beteuert, alt fühle sie sich nicht, eher wie 30. "Ich komme jetzt an." Die Jahre in der Öffentlichkeit habe sie gefühlstechnisch übersprungen. "Meine Freunde hatten Konflikte und haben sie gelöst, ich habe Feinheiten einfach nicht mehr mitbekommen." Nach ihrem Ausstieg 2003 habe sie manchmal gar nicht gewusst, wie sie sich ihrem damaligen Alter angemessen verhalten soll.

Ihre musikalische Karriere geriet ins Schlingern. Dank eines Übernahmevertrags nahm Petruo nach den Angels ein Soloalbum auf. "Ich wusste: Das ist mein Freischuss." Von kommerziellem Songwriting, von Intro und Hook, hatte sie wenig Ahnung. Einmal präsentiert sie ein Stück, bei dem sie in der Bridge den Rhythmus wechselt. Die Plattenfirma fragte entsetzt, ob das ihr Ernst sei? "Als hätte ich deren Mutter beleidigt."

Immer seltener wird sie von der Plattenfirma jetzt besucht und merkt: Ich habe keine Priorität mehr. Die werden sich von mir trennen. Damals sei ihr das ganz recht gewesen, sagt Petruo heute. "Ich wollte keine Aufmerksamkeit mehr. In der Öffentlichkeit braucht man immer eine Rechtfertigung." Ihr Album "Mama Lilla Would" erscheint 2005 und floppt.

Nach dem Solo-Versuch konzentriert sie sich aufs Songwriting - und beginnt nebenbei, Psychologie an der Fernuniversität Hagen zu studieren. Wenn sie Freunden davon erzählte, bekam sie zu hören, sie wolle sich wohl selbst therapieren. Petruo sagt, das habe sie angestachelt. Als Songschreiberin sei sie zwar viel unterwegs gewesen und halbwegs erfolgreich, aber eben nicht ausgelastet.

Immerhin, beim Geld war sie keine Verplanerin. Ihre Einnahmen aus den No-Angels-Jahren hat sie in Immobilien angelegt. Sie sagt, sie müsse keine große Karriere mehr machen und auch nicht mehr unbedingt arbeiten. Was ihr gefehlt habe, sei intellektueller Input. Das Studieren beginnt, ihr Spaß zu machen.

Als Hilfskraft arbeitet sie bis zu ihrer Bachelorarbeit am Max-Planck-Institut in Berlin. Dann zieht sie für das Master-Studium "Kognitive Neurowissenschaften" nach Dresden. Die Masterstudenten werden für die Forschung ausgebildet, nicht für die klinische Psychologie. Ihr neues Ziel heißt: Promotion. Doch sie beschleichen Zweifel: Kann ich das? Als ehemaliger Popstar und über 30?

Jetzt, im zweiten Masterjahr, sagt Petruo, verfestige sich ihr Wissen. Bei ihrem ersten Referat zu einem Hirnareal sei sich noch sehr aufgeregt gewesen, an der Fernuni gab es ja keine Auftritte im Seminarraum. "Damit musste ich erst mal klarkommen." Als Popstar trat sie vor Zehntausenden auf, jetzt hatte sie Lampenfieber vor ihrem Kurs.

Niemand fragt nach Autogrammen

In Dresden habe sie ihren festen Platz gefunden, sagt Petruo. Mit einem Professor und Kommilitonen spielt sie in einer Band. Ihr Vorleben als Popstar sei nur in der ersten Woche Thema gewesen. Auch wenn sie mit ihrer Fan-Generation studiert, nach Autogrammen hat sie noch niemand gefragt. "Da käme ich mir auch komisch vor. Ich bin ja genauso Studentin wie alle anderen."

Bei Blaubeerschmarrn in einer Dresdner Mensa diskutiert Petruo mit Freunden über die Proposals, die sie gemeinsam für Studien schreiben müssen und mit denen sie sich später für Forschungsgelder bewerben können. Ein bisschen sei das wie Songschreiben: "Du hast das Gerüst, baust erst die Eckpfeiler und dann drumherum."

Dass sie jetzt ernsthaft studiert, zumindest RTL will ihr das nicht glauben. Das Dschungelcamp rufe jedes Jahr an, erzählt Petruo. Sie sei froh, den Popzirkus hinter sich zu haben, etwas ganz anderes zu machen. Auch für die No Angels, die sich schon mehrfach wieder vereinten, will sie nicht mehr zur Verfügung stehen, sei es "bei was Cleverem".

Zu ihren ehemaligen Bandkolleginnen ist der Kontakt fast ganz abgerissen. "Wir wurden ja nicht als Freundinnen gecastet, sondern als Musikgruppe." Und wenn Manager oder Produzenten anfragen, sei das meistens stichelnd. "Immer so vortastend: Wie geht's ihr? Hat sie Geld? Ist sie zufrieden?"

Gerade habe sie ein Angebot für eine Solo-Platte vorliegen. Sie sagt, sie spiele mit dem Gedanken. "Ich hätte aber eher Lust, was für einen kleinen Kreis zu machen. Für meine Freunde oder auf Facebook." Ob sie nicht auch Angst hätte, dass es wieder scheitert? Ach, sagt sie. Sie sei schon so oft gescheitert. "Eine schlechte Klausurnote würde mich gerade viel mehr belasten."

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