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Artikel 13 / 94

Bitte keinen Friedensvertrag!

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 10/1990

Von allen Ländern, die Hitler überfallen hat, wurde Polen am fürchterlichsten behandelt. Die Ermordung von drei Millionen polnischen Juden wie von drei Millionen polnischen Nichtjuden steht beispiellos da. Aber, so der spätere Attentäter Stauffenberg noch 1940 nach Dünkirchen anerkennend: »Der Vater dieses Mannes (Hitler) war kein Kleinbürger. Der Vater dieses Mannes ist der Krieg.« So sahen es seinerzeit tapfere Leute.

Ungeachtet der damaligen polnischen Führungsclique mit ihrem recht unmenschlichen Antlitz, ihrem Halb-Faschismus und Antisemitismus, ihrem Größenwahn und ihrer aktiven Mithilfe bei der Ausplünderung der Tschechoslowakei nach dem Münchener Abkommen von 1938, steht doch eisern fest, daß Polen das Deutsche Reich 1939 nicht bedroht hat. Polen ist überfallen worden, weil es sich aus recht vernünftigen Gründen weigerte, als Trabant bei Hitlers Raubkrieg gegen die Sowjetunion mitzuwirken.

So hätte denn das heutige, vielfach geläuterte Polen seinen angestammten Platz in jedem Friedenskongreß zur formellen Beendigung des 1945 durch die Kapitulation des Deutschen Reiches abgeschlossenen Krieges - einem Kongreß etwa, wie er in Wien 1814/15 zwecks Beendigung der Napoleonischen Kriege tanzte und tänzelte. Nur kann mangels Verhandlungsmasse und infolge der seit 1945 geschaffenen Tatsachen eine solche Friedenskonferenz nicht mehr stattfinden; sie wäre heuchlerisch und sinnlos.

Sinnvoll ist, und sie wird ja wohl auch stattfinden, eine Konferenz mit den vier Siegermächten und den beiden in der Uno vertretenen deutschen Staaten ("4 plus 2"). Sie hätte sich auf die abschließende Regelung deutscher Fragen zu beschränken.

Polen gehört so wenig an diesen Tisch wie die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg; so wenig wie die skandinavischen Staaten Dänemark und Norwegen, wie Kanada oder Brasilien, das ja auch am Krieg gegen Hitler beteiligt war. So wenig wie das damalige Franco-Spanien, wie Schweden und die Schweiz, die alle drei neutral waren.

Was gäbe es mit Polen extra zu regeln? Die Grenzfrage? Gewiß nicht. Sie ist, was die beiden deutschen Staaten angeht, geregelt, sie wäre ohne den Riesenstaatsmann Kohl und seine Teltschiks längst vom Tisch.

Die allgemeine Sicherheitsfrage? Darüber wird im Rahmen der Nato und des Warschauer Paktes in Wien bereits verhandelt, jedes neue Forum würde nur stören. Besonders merkwürdig nimmt sich die Stellungnahme des sowjetischen Außenministers Schewardnadse aus, der über den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Polen mit Polen allein, über Polens Sicherheit aber im Rahmen von »4 plus 2« verhandeln will. Oder will er die Sicherheit Litauens, Kaliningrads und die polnischsowjetische Grenze zur Sprache bringen?

Im deutschen Bereich gibt es keine Grenzprobleme mehr, wohl aber anderswo, etwa in Moldawien. Rumänien müßte einem solchen Friedenskongreß zugehören, und das mit ihm in Grenzfragen zerstrittene Ungarn auch. Warum, übrigens, sollte Österreich, das unstreitig am Zweiten Weltkrieg beteiligt war, nicht mit Südtirol beschenkt werden, das ihm 1919 von Italien entrissen wurde?

Polens Außenminister Skubiszewski begibt sich in Treibsand, wenn er plötzlich das »Diktat von Jalta« abgelehnt wissen will, dem Polen seine jetzige Westgrenze verdankt. Was ist dann mit dem Diktat von Teheran?

Es stimmt, wie Skubiszewski vermutet, daß die Deutschen, und zwar die in der Bundesrepublik und die in der DDR, angesichts derart ungleicher Verhandlungspositionen »kein Interesse mehr an einem Friedensvertrag haben«, und zwar nicht nur wegen des Sacro egoismo. Uns genügen »friedensvertragliche Regelungen« rundum.

Wir fürchten die unendliche Dauer der Konferenz, die zu einem Friedensvertrag hinführen soll. De facto würde sie ja dazu dienen, uns allein - ohne Italien, Japan, Österreich, Ungarn und Rumänien - auf die Anklagebank zu setzen, und zwar so lange, bis wir den von allen Seiten gewünschten Geldpressungen zustimmen würden. Was fürchten wir? Die nationalistischen Aufwallungen in unserem Parteiensystem, gegen die wir so machtlos wären wie etablierte Nationen auch. Wir wollen regierbar bleiben.

Was wir Älteren Polen angetan, was wir allesamt Polen derzeit zu verdanken haben, ist nahezu Gemeingut in der Bundesrepublik und hoffentlich demnächst auch in der DDR. Aber bitte 45 Jahre nach Kriegsende keinen Friedenskongreß mehr, keinen zwielichtigen Friedensvertrag! Was immer zwischen Polen und Deutschen ansteht, auch finanzielle Probleme, kann bilateral oder im Rahmen der EG ausgehandelt werden.

Bitte keinen neuen Kongreß in Europa mehr, auf dem nur Diktate abgesegnet würden. Bitte kein neues Brest-Litowsk, kein neues Versailles. Überhaupt keine Diktate mehr, und als Diktat würde ein »Friedensvertrag« in Deutschland heute empfunden.

Geld gehört am dringendsten dahin, wo es am wirkungsvollsten heckt, zuerst also in die DDR, dann entweder in die EG oder nach Osteuropa, dann in die zwar bedürftigste, aber auch unfähigste Dritte Welt. Deutschland ist mehr Katalysator als Zahlmeister und hilft den anderen noch am ehesten, indem es sich selbst hilft.

Schlußlichter sind nicht nur die afrikanischen Staaten, sondern auch das von den Gringos abhängige Amerika. Moralisten, so es sie denn gäbe, reisten besser auf einen anderen Stern.

Dringendstes Anliegen der Ethik ist es, das Moralisieren abzuschaffen. Mit welchem Recht kann eine Völkergemeinschaft noch Moral predigen, die den Holocaust-Mörder Pol Pot unterstützt, wenn denn Südafrika eine Atempause haben soll? Wo ist die westliche Hoffart gegenüber der Sowjetunion geblieben, wo die Empörung gegen China?

Hat irgendwer etwas anderes im Sinn als Kattun, als Gloire, als »Stolz auf unser Land«? Wer mag diese christlich verheuchelte Welt denn noch beim Namen nennen? Angst haben wir ja möglicherweise alle, aber wir kehren sie doch alsogleich in Aggression um, in Selbstgefälligkeit.

Wer würde, außer dem immer zuhandenen sprichwörtlichen »Heiligen Rest« der Bibel, nicht selig dem Untergang der Menschheit zurollen, wenn der Preis für das Überleben die Abschaffung des Autos wäre. Wie ungleich lieber spricht der Papst mit den Tibetanern und den Mullahs als mit seinen christlichen Glaubensbrüdern?

Als »Kinder dieser Welt« wollen wir keinen so gearteten »Friedensvertrag«, wo uns eher die Rolle des Dukatenesels zugedacht wäre als die der Heiligen Drei Könige.

Wenn schon, dann soll die Welt nobel zugrunde gehen.

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