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Wie eine Maus - DER SPIEGEL
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GRÜNE Wie eine Maus

Westdeutsche Grüne und Alternative trafen sich mit Libyens Staatschef Gaddafi in Tripolis - Vorspiel für eine »Grüne Internationale?«
aus DER SPIEGEL 30/1982

An ihrem vierten Tag in Tripolis, es war schon kurz nach Mitternacht, kamen die 18 geladenen Gäste zum Höhepunkt: Muammar el-Gaddafi, Staatschef von Libyen und selbsternannter »Berater des Volkes«, gab den grünalternativen Europäern die Ehre.

»Ehrfürchtig betreten wir einer nach dem anderen das Zelt«, beschreibt ein S.31 mitgereister Mitarbeiter der alternativen »tageszeitung« ("taz") ironisch die Audienz, »schütteln ihm die Hand und harren seiner Rede.« Der »Beduinensohn mit den tollen braunen Augen«, so die »taz«, strahlt »eine zeremonielle Würde aus, bedächtig und hoheitsvoll sind seine Gebärden«.

Bei dem theaterreifen Treffen im Beduinenzelt suchten neben »einem zusammengewürfelten Haufen europäischer Bewegter« ("taz") auch ein gutes halbes Dutzend westdeutscher Grüner, Alternativer und Friedensinitiativler die Nähe zu einem Staatsmann, der sich gern grün gibt und in westlichen Ländern vornehmlich als Terroristen-Förderer beschrieben wird. Mit dabei: Friedensforscher Alfred Mechtersheimer, Rechtsanwalt Otto Schily, Grünen-Vorstand Roland Vogt und die hessische Grüne Gertrud Schilling. Vereinbart worden war die Zusammenkunft im März in Wien, so Gaddafi schon einmal Vertreter der europäischen Friedens- und Alternativbewegung, darunter auch Schily und Mechtersheimer, empfangen hatte.

Der alternative Afro-Euro-Kontakt nach Einzeleinladungen und auf Kosten des Libyers markiert einen weiteren merkwürdig anmutenden Versuch linker Gruppierungen, politische Freunde zu finden, wo immer die sich anbieten. Strebten im vergangenen Jahrzehnt K-Grüppler je nach Ausrichtung Bündnisse mit China, Nordkorea oder Albanien an, so wird nun eher von blockfreien Entwicklungsländern eine heile Welt erhofft.

Daß ausgerechnet der libysche Alleinherrscher Gaddafi, der in seinem Wüstenstaat keine Opposition duldet, für den »heiligen Krieg« gegen Israel agitiert und auch schon mit der westdeutschen Terroristengruppe RAF in Verbindung gebracht worden ist, ein passender Partner für Ökopaxe sein soll, beruht wohl auf einer farbigen Fehlkalkulation:

In Libyen gilt grün als Nationalfarbe - freilich nicht aus Umweltgründen, sondern weil es die Farbe des Islam ist. Und auch sein »Grünes Buch«, in dem Gaddafi seine Ideologie ex cathedra verkündet, handelt mehr von sozial-theologischen Lebenslehren denn von Frieden und Ökologie.

Womöglich ist es Gaddafis Antiparlamentarismus, der so manchen westdeutschen Alternativen lockt. »Ein Parlament ist eine Mißrepräsentation des Volkes«, lehrt der Wüstendenker beispielsweise in seinem »Grünen Buch«, und »parlamentarische Regierungen sind eine irreführende Lösung des Demokratieproblems«.

Ähnlich sagt es auch die Tripolis-Reisende Gertrud Schilling, die im September für die Grünen in den Hessischen Landtag gewählt werden möchte: »Die Grünen haben sich zum Ziel gesetzt, die Parlamente abzuschaffen, das heißt, direkte Demokratie zu praktizieren.«

Gaddafis Appell an die Gäste, »gemeinsam eine internationale grüne Bewegung« zu gründen, fand freilich nur höflichen Beifall. »Der Mensch ist ja wie eine Maus geworden«, klagte der Libyer, die »Alternativ-Bewegung« müsse das ändern. Angesagt sei das »Ende der Ausbeutung, der Reichtum wird gleich unter die Menschen verteilt«.

Mal riet der »Bruder« und »Führer« Gaddafi seinen Gästen zu massenhaften Protesten und Demonstrationen gegen die Stationierung von US-Waffen, vor allem auf den US-Basen; Wasser und Nachschub müßten dabei unterbunden werden. Mal nahm der Oberst Komplimente, Argumente und eine von den Grünen publizierte Karte mit Standorten von Atomanlagen in Westdeutschland entgegen. »Ihre Ideen«, lobte er, »sind die des Grünen Buches.«

Doch neben Lob für die europäischen »Propheten der grünen Idylle« ließ der Apostel der arabischen Einheit auch Kritisches über die Ökopaxe ab: »Die Menschen, die auf Demonstrationen organisiert werden, sollten vielleicht die grüne Farbe tragen. Wir sehen sehr viel rote Farben, auch Hammer und Sichel, so daß vielleicht der Eindruck entsteht, andere Kräfte oder sogar die UdSSR stecken dahinter ... Das sollten sie vielleicht mal beachten.«

Der Berliner Rechtsanwalt und Alternative Otto Schily wertet den deutscharabischen Plausch als eine »Mischung aus interessanten Eindrücken und Leerstellen«; eine »Grüne Internationale« werde es nicht geben, und auch die grüne Gaddafi-Bibel könnten die europäischen Alternativen getrost »vergessen": Die »Unterschiede sind klarer« geworden.

Gaddafi-Gast Alfred Mechtersheimer indes, unlängst noch Mitglied der CSU, fühlt sich »in einer Vorreiterposition, um Sensibilitäten zu wecken. Wir müssen mit den arabischen Kräften zusammenarbeiten«.

Eher pikiert reagierten die Grünen in Bonn, als sie von dem Gaddafi-Treffen ihres Vorstandsmitglieds Roland Vogt im nachhinein erfuhren. Das sei als »Privatbesuch von Herrn Vogt« zu sehen, meint Grünen-Bundesgeschäftsführer Lukas Beckmann, der Vorstand werde sich mit dieser gleichwohl »politischen Angelegenheit« befassen.

Zumindest Mechtersheimer ficht die grüne Reaktion auf den Zirkel im Zelt nicht an: »Es geht hier nicht um eine Partei oder die Grünen, sondern um das Denken, um eine Bewegung.«

Der Friedensforscher will »im nächsten Anlauf« gern China und Jugoslawien besuchen, denn »wir versuchen mit allem, was Dritte Welt ist, Kontakt zu halten«. Und: »Die Dritte Welt müßte man ja dann Erste Welt nennen.«

S.31Linkes Bild: Mechtersheimer (2. v. l.), Schily (3. v. l.); rechtesBild: Gaddafi beim Lesen der von den Grünen überreichtenAtomstandortkarte.*

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