Tadej Pogacar steht vor dem Gesamtsieg bei der 111. Tour de France. Nach dem Alpen-Showdown in Isola 2000 ist das erste Giro-Tour-Double seit Marco Pantani 1998 nur noch Formsache. Vor allem die Art und Weise, wie der Slowene erneut die Konkurrenten distanzierte, verzückt die internationale Presse.
Eine Demütigung mit Folgen
Die italienische Zeitung Gazzetta dello Sport schreibt etwa: „Pogacar, so bist du wirklich gruselig.“ Auch der deutliche Leistungsunterschied zu seinem Verfolger wird aufgegriffen: „Pogacar demütigt Vingegaard“ heißt es in der Mundo Deportivo aus Spanien.
Mittlerweile sind sich die Medienvertreter sicher: Der Gesamtsieg wird Pogagcar wohl nicht mehr genommen. „Tadej Pogacar sichert sich seine dritte Tour de France, sofern es nicht zu einer Katastrophe kommt“, schreibt etwa L‘Équipe. Das französische Medium RMC Sport meint ebenfalls: „Tadej Pogacar hinterlässt seinen Gegnern einen unmöglichen Rückstand, den sie aufholen müssen.“
Vingegaard richtet den Blick nach hinten
Auf der brutalen 19. Etappe über drei Zweitausender triumphierte Pogacar am Freitag als Solist, es war bereits sein vierter Tageserfolg bei der 111. Frankreich-Rundfahrt. Titelverteidiger Vingegaard und Evenepoel erreichten das Ziel mit 1:42 Minuten Rückstand. „Ich bin sehr glücklich, dass ich gute Beine hatte. Ich kannte die Anstiege sehr gut, wir haben hier viel trainiert und es genauso gemacht wie geplant“, sagte Pogacar.
Auch Vingegaard selbst macht sich keine Illusionen mehr. Nachdem die Tränen der Enttäuschung getrocknet waren, gab sich der zweimalige Tour-Champion geschlagen. „Ich glaube, der Sieg ist vergeben. Ich kann trotzdem stolz auf mich sein“, sagte Vingegaard und kündigte an, den zweiten Platz vor Evenepoel (+7:01) verteidigen zu wollen: „Ich werde an seinem Hinterrad kleben.“
Unmittelbar nach dem Rennen konnte man innerhalber weniger Meter die zwei völlig unterschiedlichen Gefühlswelten direkt sehen: Während Pogacar umringt von Alpenriesen im Gelben Trikot die Siegerfaust in die dünne Höhenluft reckte und sich von Freundin Urska feiern ließ, fand der erschöpfte Jonas Vingegaard Trost in den Armen seiner Frau.
Den Traum von der Titelverteidigung, für den der Däne nach seinem schweren Unfall im April so gelitten hatte, hatte Pogacar in einer denkwürdigen Lehrstunde auf dem Weg nach Isola 2000 endgültig zerstört. Auf 5:03 Minuten vergrößerte Pogacar nach einer Attacke für die Geschichtsbücher seinen Vorsprung in der Gesamtwertung. „Es sieht besser aus denn je. Der Vorsprung ist jetzt relativ groß, morgen können wir den Tag ein bisschen genießen. Diese Tour war herausragend“, sagte Pogacar.
Biniam Girmay sichert sich das Grüne Trikot
Eine historische Entscheidung fiel auch im Kampf um das Grüne Trikot. Der dreifache Etappensieger Biniam Girmay wird seine herausragende Tour als Gewinner der Punktewertung abschließen, sollte er am Sonntag das Ziel in Nizza erreichen. Der Sprinter aus Eritrea kann von seinem belgischen Verfolger Jasper Philipsen nicht mehr eingeholt werden und als erster afrikanischer Radprofi die Große Schleife in Grün beenden. Der Vorsprung von 33 Punkten ist auf der kommenden Alpen-Etappe und dem abschließenden Einzelzeitfahren nicht aufzuholen.
Dabei sammelte Girmay am Freitag keine weiteren Zähler. Eine Fluchtgruppe machte die frühe Sprintwertung unter sich aus, im Hauptfeld kontrollierte Pogacars UAE-Team die Verfolgung. Vor der entscheidenden Attacke neun Kilometer vor dem Ziel konnte sich Pogacar auf seine Helfer verlassen.
Deutscher hilft Pogacar bei der Berganfahrt
An der Cime de la Bonette, dem brutalen 22,9 km langen zweiten Anstieg auf das 2802 m hohe Dach der Tour, schuftete Pogacars deutscher Teamkollege Nils Politt mehr als die Hälfte des Weges an der Spitze. Bis zum Gipfel übernahmen die Kollegen, Pogacar und seine Rivalen hielten sich noch zurück.
Im finalen Anstieg nach Isola 2000 übernahm Pogacar die Initiative. Pogacar trat an und flog förmlich davon. Der Vorsprung auf das Duo Vingegaard/Evenepoel wuchs stetig, die verbliebenen Ausreißer ließ Pogacar stehen. „Du schaffst es“, funkte ihm die Sportliche Leitung ins Ohr. Pogacar schaffte es. Zwei Kilometer vor dem Ziel stellte er in Matteo Jorgenson den letzten Ausreißer und machte alles klar.
Eine letzte Bergprüfung muss Pogacar am Samstag bestehen. Von Nizza aus geht es in die steilen Anstiege des Hinterlandes der Côte d‘Azur und zu einer schweren Bergankunft auf dem Col de la Couillole. Mit 132,8 km ist der Tagesabschnitt vergleichsweise kurz.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)