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Nachruf auf Michael Jürgs: Er konnte so frech sein, dass selbst Nannen staunte | STERN.de
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Zum Tod von Michael Jürgs Er konnte so frech sein, dass selbst Nannen staunte

Michael Jürgs
Der Journalist und Buchautor Michael Jürgs ist im Alter von 74 Jahren in Hamburg gestorben. Er war Chefredakteur beim stern und der Zeitschrift "Tempo" und wurde für viele junge Reporter zu einem journalistischen Vorbild 
© Public Address / Action Press
Noch vor wenigen Tagen schrieb er: "Ja, ich sehe den Tod vor mir- und er blinzelt schon." Michael Jürgs war stern-Chef, als Artikel noch von Boten durch die Gänge getragen wurden. Sein Journalismus war Vorbild für viele Kollegen. Ein Nachruf.
Von Claus Lutterbeck

Michael Jürgs, den wir Freunde Michi nannten, kam 1976 zum stern, als die Hefte noch so dick waren, dass man sie kaum heften konnte. Sein Anfangsgehalt machte ihn fast sprachlos: Henri Nannen bot ihm 7500 Mark an, damals eine irre Summe, und einen Dienstwagen, Jürgs wählte einen Mini, seine Kollegen fuhren BMW und Mercedes. Jürgs war 31 Jahre alt und Leiter des Ressorts Unterhaltung. Klingt gewaltig, aber es bestand im Jahr 1976 nur aus Jürgs.

Selbstbewusstsein und große Klappe

Der stern wurde damals von einem Mann allein beherrscht, Henri Nannen. Er war laut und ein Hüne, Michi war klein und halb so alt. Aber gefallen lassen hat er sich von dem großen Zampano nichts. Die "Unterhaltung saß damals in der Todeszone", wie Jürgs sie nannte, das heißt: weit weg vom Chef, am anderen Ende des Konferenztisches. Jürgs saß freilich nicht, er lümmelte halb liegend in seinem Stuhl und rief laut dazwischen, wenn ihm etwas nicht passte. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, brauchte es damals eine richtig große Klappe und viel Selbstbewusstsein.

Michi hatte beides, er konnte so frech sein, dass selbst Nannen staunte. "Das drucke ich nicht", sagte er seinem fassungslosen Chef, als dieser ihm eine Lobhudelei über Leni Riefenstahl auf den Schreibtisch packen ließ (damals wurden Artikel mit Schreibmaschinen auf Papier geschrieben und in grünen Umschlägen von Boten durch die Gänge getragen). Die von Hitler faszinierte Regisseurin des Olympiafilms von 1936 war seit diesen Tagen eine Freundin von Nannen.

Jürgs bewunderte Nannen, er hat, wie er sagte, "alles von ihm gelernt, was ich brauchte, um später selbst in die Rolle zu schlüpfen." 1986 wurde er, zusammen mit Heiner Bremer und Klaus Liedtke, plötzlich selber Chefredakteur: "Was wir bei Nannen vor allem gelernt hatten, war dem Verlag deutlich zu sagen, dass er dankbar sein musste, dass es uns Redakteure gibt. Denn ohne uns hätte er Nähmaschinen verkaufen müssen."

Als Chef war er ein Arbeitstier, morgens "war er der erste am Schreibtisch", wie sich seine Sekretärin Regina Guldé erinnert, "und abends der letzte." Seine Tür stand immer offen, wer zu ihm wollte, hatte nur ein Hindernis zu überwinden: Vor seiner Tür lag Kimble, ein zotteliger Mischling, der aus einem Labor abgehauen und im Tierheim gelandet war. Als Jürgs die Geschichte hörte, holte er ihn sofort zu sich.

Am Dienstag schrieb er mir noch: "Ja, ich sehe den Tod vor mir. Und er blinzelt schon. Wir telefonieren aber noch, bevor es so weit ist." Das hat leider nicht mehr geklappt, am Freitag ist Jürgs an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, er wurde nur 74 Jahre alt.

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