(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Martin Weidauer: Aufschwung Ost: Connewitz calling | TITANIC – Das endgültige Satiremagazin

Artikel

Aufschwung Ost: Connewitz calling

ZEIT im Osten, "Wir sind der Osten", COMPACT-Magazin – Das Erzählen ostdeutscher Erfolgsgeschichten hat Konjunktur im bundesdeutschen Gesamtgebiet. Klar, dass auch TITANIC die neuen Bundesländer melken will, solange sie Milch geben (Kühe, Brandenburg, haha). Diesmal begleite ich einen professionellen Graffiti-Entferner durch den Leipziger Extremismushort Connewitz.  

Knuthilf Goboldin wohnt in Wurzen und pendelt werktags nach Leipzig. "Wir sind ein Ein-Mann-Unternehmen, welches exklusiv im Szeneviertel operiert." "Operieren" – so nennt er die sensible Tätigkeit an den mannigfaltig verzierten Altbaufassaden. Behutsam wird der "entarteten Kunst" (Sachsens Ministerpräsident Kretschmer) mithilfe von Sand- oder Partikelstrahlern zu Leibe gerückt. Überstreichen bringe nichts, Graffiti könne "durchbluten". Es ist die Art Erfolgsgeschichte, welche man in Filmen so gern sieht: Vom Tellerwäscher zum Graffitivernichter. Obschon dieser von seiner Zeit als Spülhilfe im "Gasthof Rommelssruh Brandis" nichts erzählen möchte.  

Unter den gestrengen Augen einer Antifagruppe beginnt Goboldin sein Tagewerk: "Gut gemaltes Piece, na ja." Mit den Spezialwerkzeugen legt er los. Es ist so unspektakulär, wie man es sich vorstellt. "Lass Dich von der Kiezmiliz nicht ärgern, die sind alle vernünftig!" sagt er, als ein sportlicher junger Mann (der sich als "M5Tk89_StYlEzZz" vorstellt) auf uns zukommt. Der fetzig in "The North Face" gekleidete Graffitiartist spricht Knuthilf Goboldin höflich an: "Wir haben gestern Nacht gemalt, Auerbachstraße 2. Könnten Sie das noch bis Mittag lassen? Wir brauchen gutes Licht für Insta!" Wie in Trance wirft er dabei einen Farbbeutel auf die Polizeiwache. Ich wundere mich: Stehen sich hier nicht natürliche Feinde gegenüber? Das frage ich hernach meinen Begleiter. "Wir leben in Symbiose. Die Künstler machen ihre Arbeit, ich mache meine. Und die schönsten Werke fotografiere ich mit der Leica. Im Keller habe ich eine Männerhöhle: Von mir kuratierte Streetart in Petersburger Hängung. Da tanke ich Kraft!" Rückschläge gibt es: Neulich hielt er eine an ein Gebäude geklebte Aktivistin von "Letzte Generation" für Sprühkunst. Nach Anwendung der üblichen Chemikalien landete die junge Frau im Krankenhaus und er beim Optiker.  

Goboldin entfernt nicht nur Sachbeschädigungen, sondern auch Vorurteile. Er berichtet sichtlich stolz von seinem sozialen Engagement: "Als Social Entrepreneur gebe ich dem Viertel, das meinen Wohlstand sichert, etwas zurück." Er habe schon drei Bauprojekte mit Luxuseigentumswohnungen realisiert, so habe jeder etwas vom Aufschwung. Dieser sei ein sehr persönlicher, da "Kollegen wie Dietmar Manson und Josh Hagebutt an oder mit Corona starben. Dem Herrn hat es gefallen, meine Konkurrenz zu sich zu holen!" Einfach da sein als Unique Selling Point – im Osten geht das noch! Knuthilf Goboldin versprüht Optimismus, als er von der Übersterblichkeit infolge der niedrigen Impfquote in Sachsen rapportiert. Die Sprayer seien "Gott sei Dank" im Durchschnitt jung und kaum gestorben, das helfe der Auftragslage und "somit der gesamten ehemaligen DDR." Der Handwerker duckt sich routiniert vor ein paar fliegenden Pflastersteinen weg.  

Von den Crews mag niemand mit mir reden. Um meine Recherche voranzutreiben, bleiben mir nur zwei Optionen: Wikipedia und die Polizei. Der freien Internet-Enzyklopädie entnehme ich, dass "Graffiti" der Plural von "Graffito" ist. Erstaunlich! Dann landet schon einer der immerzu über Connewitz kreisenden Hubschrauber auf dem Gelände des "Conne Island". Dort bin ich mit Hauptkommissar Korbinian Knoten-Plötz zum Interview verabredet. "Das Island, wie man hier sagt, wurde nach Conny Island benannt, einer Leipziger Kommunistin!" teilt er mir ungefragt mit. Ich lasse mich nicht beirren und lenke das Gespräch auf das Thema Graffiti. Knoten-Plötz hebt an: "Wir heben ab! Unsere Taskforce 'SoKo Pix' verfügt über acht Helikopter, von denen zu jeder Tages- und Nachtzeit vier in der Luft sind." Die Überwachung des "Vandalismus-Brennpunkts" koste Leipzig und Sachsen circa 250 Millionen Euro pro Monat. An Erfolgen mangele es bis dato, "da man aus der enormen Flughöhe kaum erkennen kann, was am Boden passiert. Die Bürger sehen von da oben aus wie Ameisen!" Der Ermittler zeigt sich dennoch siegesgewiss: "Das Beschaffungsamt hat Ferngläser bestellt. Wegen der unsicheren Wirtschaftslage werden diese allerdings erst im Haushaltsplan 2023 veranschlagt und eingekauft."  

Dass es kreativere Wege gibt, sich der Problematik zu nähern, beweist der "Verband westdeutscher Hauseigentümer und Investoren Ostdeutschland". Der gemeinnützige Verein lancierte kürzlich die Kampagne "Wholetrain for Future". Im Flyer postuliert Schirmherr Dr. h. c. Hademar Baron von Klumppen: "Du bist Aerosol-Junkie und malst gern? Fett! Aber warum sprayst Du stationäre Gebäude voll? Versuch Dich lieber im Plane- und Trainbombing. So sehen Deine Werke die Welt und viel wichtiger: Die Welt sieht Deine Werke!"  

Gegen Ende des Tages treffe ich Knuthilf Goboldin wieder. Wir trinken ein Pils in  der "Kult-Kneipe Betten Költzsch" (Stadtteilmarketing). Der Leipziger Süden sei für seine Branche einer der Hotspots in der D-A-CH-Region. "Apropos: Schau mal da oben!" Goboldin zeigt hinauf zu den bunten Schiefern, welche das Jungendstilgebäude gegenüber bedecken. Die Sonne steht schon tief, als wir uns nach neun Bieren vom Fass verabschieden: "Tschüss Fass!" Dann sagen wir uns Lebewohl. Fürderhin verspricht mir der gebürtige Österreicher, mich bei Gelegenheit in seinen Keller einzuladen.

Martin Weidauer 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt