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Die Jäger des verlorenen Wissens: So arbeiten Münchner Wikipedia-Autoren
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Die Jäger des verlorenen Wissens - So arbeiten Münchner Wikipedia-Autoren und -Fotografen

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Die Münchner Wikipedianer bei der Recherche im Münchner Stadtarchiv
Die Münchner Wikipedianer bei der Recherche im Münchner Stadtarchiv © Markus Götzfried

Sie verdienen kein Geld, ihr Name steht nicht unter ihrem Artikel - trotzdem investieren sie einen Teil ihrer Freizeit in das Schreiben von Texten. Das ist die Motivation der Wikipedianer.

Sie fotografieren jeden Brief und all die alten Schriften, saugen jedes Wort auf. Dabei besteht die wissbegierige Gruppe, die hier das Münchner Stadtarchiv besucht, nicht aus Historikern. Die Fotos sind auch nicht fürs Album daheim. All die Informationen, die die Besucher hier aufsagen, geben sie hernach an uns ab. Ja wirklich: Denn bei diesen Männern und Frauen handelt es ich um Münchner Autoren von Wikipedia. Sie schreiben und fotografieren für das größte Lexikon der Welt.

Rund 800 Münchner arbeiten an Wikipedia-Beiträgen mit, schätzt Burkhard Mücke (76). Er ist einer der Organisatoren solcher Wikipedia-Stammtischtouren in der Landeshauptstadt. Das sind Recherche-Veranstaltungen für Wikipedianer, wie sich die Autoren selber nennen. „In der Stadt gibt es etwa 50 aktive Stammtischler, der Großteil der Aktiven bleibt aber gerne anonym.“ Alle Altersgruppen seien vertreten – „aber wir haben zu wenig Frauen, die machen nur etwa 20 Prozent aus.“

Die deutschen Autoren und Fotografen seien besonders aktiv, sagt Wikipedianer Thomas Karcher (42): Mit über 2,6 Millionen deutschsprachigen Beiträgen seit 2001 lägen sie unter den Top 5 weltweit. Karcher ist auch Mentor für Neulinge und erklärt: „Jeder kann Wikipedianer werden“ – ob als anonymer Schreiber oder als angemeldeter Autor. „Wikipedia ist ein großes Gemeinschaftsprojekt, in dem Entscheidungen im Konsens zwischen den Autoren getroffen werden.“ Jeder dürfe Artikel beobachten und verbessern oder ändern. Wichtig sei nur: Der Beitrag muss sowohl relevant als auch neutral sein und mit Quellen belegt werden. Sonst wird der von einem anderen Wikipedianer wieder gelöscht. „Wir haben eine flache Hierarchie. Aber es gibt 188 Administratoren für die deutschsprachige Wikipedia, die auch ganze Artikel sperren oder löschen können.“ Wir stellen vier der Wikipedianer vor.

Der Fitte

Wikipedianer Burkhard Mütze fotografiert im Stadtarchiv
Wikipedianer Burkhard Mütze fotografiert im Stadtarchiv © Markus Götzfried

Als der ehemalige BR-Journalist Burkhard Mücke (76) aus der Au nach fünf Jahren in Pension feststellte, dass er zunehmen denk- und schreibfauler wurde, kam ihm ein zufälliges Treffen mit Wikipedianern im Hauptquartier in San Francisco gerade recht. „Ich wusste, das ist das richtige, damit meine grauen Hirnzellen auch nach der Pension lebendig bleiben.“ Knapp 40 Artikel hat er seit 2014 erstellt, zahlreiche weitere überarbeitet und verbessert und rund 12 000 Fotos zugeliefert. Auf seiner Beobachtungsliste stehen derzeit 250 Artikel, bei denen er Änderungen sichtet und redigiert. Seine Themen: unter anderem Botanik, Philosophie, der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder die Alpen. „Dank Wikipedia, Chorsingen und viel Sport bin ich heute körperlich und geistig fitter als noch vor zehn Jahren.“

Das Urgestein

Thomas Karcher im Stadtarchiv
Thomas Karcher im Stadtarchiv © Markus Götzfried

Zwei Jahre, nachdem die deutschsprachige Fassung 2001 online ging, stieß der Sendlinger Thomas Karcher (42) dazu. „Damals war noch gar nicht klar, ob das überhaupt funktionieren kann, wenn Laien Brockhaus machen – das hat mich fasziniert.“ Bis heute hat er 8000 Artikel bearbeitet und 40 komplett neu erstellt. Seine Motivation, trotz dreier Kinder und Vollzeitjob als Kaufmann, noch täglich aktiv zu sein: „Ich profitiere ja auch davon, da möchte ich etwas zurückgeben. Außerdem habe ich eine Art Sammeltrieb: Wenn ich feststelle, dass wir Artikel zu 200 Alpenhütten verfasst haben und drei noch fehlen – dann kann ich das so nicht stehen lassen…“

Der Neuling

Der Neuling Konrad Springer
Der Neuling Konrad Springer © Markus Götzfried

Youtube, Musik, Prominente – auch Jugendthemen werden bei Wikipedia gelesen. Und da der Vater des 16-jährigen Gymnasiast Konrad Springer schon lange für Wikipedia aktiv ist, war der Schritt naheliegend, auch einmal selbst etwas in dem Onlinelexikon zu veröffentlichen. „Warum auch nicht? Es kostet mich nicht viel Zeit und es werden weniger falsche Informationen verbreitet“, erklärt der Zehntklässler, der seit einem Jahr registriert ist. „Ich freue mich schon noch jedes Mal, wenn ein Artikel freigegeben wird.“ Um einen erfahrenen Wikipedianer zu finden, der seinen Beitrag noch einmal überprüft, muss Konrad schließlich auch nur einen Stock tiefer gehen. Wie sein Vater findet er es aber auch interessant, wie sich jeder Artikel durch andere Autoren weiterentwickelt. Denn ein Wikipedia-Eintrag ist nie komplett vollendet.

Die Denkmalexpertin

Ricarda Starke
Ricarda Starke © Markus Götzfried

Tagsüber fährt Ricarda Starke (53) die Post in Neuperlach aus, in ihrer Freizeit dreht sich bei ihr hingegen alles um Architektur und Kunst aus der Barock- und Renaissancezeit. Die Hadernerin wandert und reist sehr gerne und hat mit dem Fotografieren von beispielsweise Baudenkmälern für Wikipedia ihr perfektes Hobby gefunden. Bei dem Tochterportal Wikimedia Commons für Bilder, Videos und Audiodateien hat die fleißige Wikipedianerin bereits 23 000 Fotos hochgeladen – aus München, aber etwa auch aus Prag, Venedig oder Rom. Zusätzlich schreibt sie noch ganze Artikel: Für einen über die Wallfahrtskirche St. Ottilien hat sie eine ganze Woche gebraucht.

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