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Ukraine: Angela Merkel gleicht der Psychologin in einem Geiseldrama - WELT
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Meinung Angela Merkel

Wie die Psychologin in einem Geiseldrama

Hoffnung und Skepsis nach Einigung in Minsk

Im Ukraine-Konflikt haben die Konfliktparteien in Minsk einen Waffenstillstand vereinbart. Kurz nach den Verhandlungen wurde bekannt, dass russische Panzer die Grenze zur Ukraine überquert haben.

Quelle: N24

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Die Minsker Gespräche zeigen es erneut: Angela Merkel schafft es, mit allen Partnern und Gegner ernsthaft zu sprechen. Ob sie bei den Russen Erfolg haben wird? Wenigstens hat sie es versucht.

Es gibt Situationen in der Politik, in denen das Spitzenpersonal mit Opponenten verhandeln muss wie mit Geiselnehmern. Angela Merkel ist eine solche Verhandlungspsychologin. Es gilt zu reden, immer weiter zu reden, mit immer neuen Ideen, auch wenn die Gegenseite alle Trümpfe zu besitzen glaubt. Mit Wladimir Putin, der einen verdeckten Krieg führt, die Ukraine zur Geisel nimmt und dann in Minsk darüber verhandelt, ob eine Minsker Übereinkunft vom September in Kraft treten darf.

Mit Alexis Tsipras, der die EU zu erpressen versucht und darüber verhandeln will, ob die bisherigen Übereinkünfte Athens gültig bleiben sollen. Und ja, auch mit Barack Obama, der bei Waffenlieferungen an die Ukraine selber von seinem Parlament in die Mangel genommen wird.

Die Opponenten hegen dabei keineswegs stets bösartige Absichten. In der Regierungswirklichkeit besteht die große Mehrzahl solcher Kreise aus Personen, die entweder moralisch und politisch schlichtweg recht zu haben glauben. Oder die bei dem einen Thema einen taktischen Sieg brauchen, weil sie ahnen, dass sie bei einem anderen Thema demnächst nachgeben müssen.

Dialog auf Augenhöhe?

Oder es sind Personenkreise, die sich politisch oder wirtschaftlich verhoben haben, manchmal aus ideologischer Überzeugung, manchmal aus Blindheit für die Folgen ihres Tuns, manchmal auch deshalb, weil neue unvorhersehbare Entwicklungen das ursprüngliche Kalkül zerstört haben. Solche Akteure spüren die nahende Sackgasse. Sie versteifen sich aus Überforderung auf eine bestimmte Sichtweise, sie suchen einen Ausweg, ohne alles zu verlieren, und werden nicht selten zu Geiselnehmern wider Willen – Akteure, die gleichzeitig so wichtig sind, dass sie als „systemrelevant“ eingestuft werden.

So vollkommen unterschiedlich die Entscheidungslagen und Motive bei der Bankenkrise, der Euro-Verschuldungskrise, der Ukraine oder auch manchmal bei Koalitionskrisen sind, so sehr ähnelt sich jedes Mal diese Verhandlungslage, in der Merkel sich scheinbar mit dem Rücken zur Wand wiederfindet. In derartigen Spitz-auf-Knopf-Lagen spielt sie ihre Stärken mit voller Kraft aus – und lässt zugleich eine Schwäche erkennen.

Die Stärken bestehen in einer geradezu unglaublichen Fähigkeit, eigene Emotionen zurückzustellen und auf die Gegenseite einzugehen. Wer Merkel als Opponent gegenübersitzt, kann sicher sein, dass die Bundeskanzlerin seine psychologische Entscheidungslage, alle seine politischen oder wirtschaftlichen Zwänge und die ihnen zugrunde liegende Kennziffern bis ins letzte Detail kennt. Merkel gibt ihnen das Gefühl, sie sprächen mit ihresgleichen – nicht im Sinne einer Verbrüderung, sondern im Sinne eines Dialogs auf echter Augenhöhe, mit demselben Faktenbild.

Gefrorene Konflikte

Das ist unschätzbar viel wert, sei es gegenüber Diktatoren oder Demokraten, sei es gegenüber Parteivorsitzenden oder Vorstandschefs. Die Grünen haben das in den gescheiterten Koalitionsgesprächen 2013 genauso erlebt wie die EU-Partner während der Finanzkrise oder Bankenchefs bei der Bankenkrise. Die Grünen haben schwer damit gerungen, einer derart einfühlsamen CDU-Chefin einen Korb gegeben zu haben. Und jemand wie Wladimir Putin redet mit Merkel, weil er spürt, dass mit ihr die Optionen vielfältiger werden – gleichgültig, wie unterschiedlich die Ziele sind, die beide verfolgen.

Die Schwäche der Bundeskanzlerin liegt darin, dass sie aus solcher Weltsicht aus nüchternem Kalkül dazu neigt, Konflikte einzufrieren, die heilende Wirkung der Zeit überzubewerten, oder Opponenten das Gesicht auch dann wahren zu lassen, wenn es von der Sache her problematisch ist. Im Wahlkampf 2013 sagte sie, es sei gefährlich, dass Europa nur sieben Prozent der Weltbevölkerung stelle, aber 50 Prozent der weltweit gewährten Sozialleistungen – nur um dann die Mütterrente draufzusatteln, den Mindestlohn und den Wiedereinstieg in die Rente mit 63.

Es sei eben koalitionstaktisch nicht anders gegangen; die SPD musste im Kabinett glücklich sein, nicht nur zufrieden, denn Merkel braucht sie, um die EU zusammenzuhalten und um die Freihandelszone mit Amerika durchzusetzen. Mit Blick auf die Weltpolitik will Merkel den systemrelevanten Geiselnehmer Russland nicht in die Ecke treiben und zugleich verhindern, dass das Verhältnis zu den USA in die Krise gerät.

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Dafür akzeptiert sie nun vorerst, dass die Ukraine vorläufig de facto ein Staat minderen Rechts in einer Moskauer Einflusszone ist, obwohl genau solche Zonen der Vergangenheit angehören sollten. Solche Beispiele ermuntern manche, Konflikte loszutreten oder anzuheizen, um sie auf einem für sie vorteilhaften Niveau wieder einzufrieren.

Putin sagt, es sei gefährlich, Russland in die Enge zu treiben. Merkel in die Enge zu treiben, ist es auch

Angela Merkel hat allerdings auch bewiesen, dass niemand sich auf ihre Einfühlung in politische Zwänge und Ziele dauerhaft verlassen darf. Schon mit ihrem beinharten Vorpreschen gegen Helmut Kohl in der Parteispendenaffäre hatte sie Ende 1999 gezeigt, dass sie beileibe nicht jeden Konflikt einzufrieren gedenkt. Mit der Blitzwende nach Fukushima hat sie das ebenso unterstrichen wie mit ihrem Widerstand gegen Eurobonds oder auch der Entlassung des Bundesumweltministers Norbert Röttgen nach der verlorenen NRW-Landtagswahl 2012. Jedes Mal stand dahinter eine Abwägung der künftigen Kosten verschleppter Entscheidungen und bequemer Auswege.

Auf einen solchen Ausweg sollten die Geiselnehmer in der Ukraine nicht hoffen. Der Frieden in Europa, die Einheit der EU und das transatlantische Verhältnis sind Merkel jeden, auch den letzten Versuch wert, die Konfliktparteien an den Tisch zu holen. Denn nur, wenn diese Gespräche restlos scheitern, würden die Mehrheit der Deutschen und die EU-Partner drastische Maßnahmen mittragen, zum Beispiel den Ausschluss Moskaus vom Weltfinanzmarkt.

Das Bestreben, die Gegenseite auf Augenhöhe auszumessen, endet an dem Punkt, an dem Merkel glaubt, ihre eigene Position als CDU-Vorsitzende, als Bundeskanzlerin und als Wahrerin der weltpolitischen EU-Handlungsfähigkeit werde unterminiert. Trifft das bei Griechenland und Russland zu? Das zu entscheiden ist eine Gratwanderung, bei der Angela Merkel vermutlich selber noch nicht sagen kann, ob und wann das Vorantasten endet. Eines allerdings hat sie oft genug bewiesen. Wladimir Putin sagt, es sei gefährlich, Russland in die Enge zu treiben. Merkel in die Enge zu treiben, ist es auch.

Merkel sieht einen „Hoffnungsschimmer“

Angela Merkel sieht in den Vereinbarungen von Minsk einen Hoffnungsschimmer für eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise. Zudem bedankt sich die Bundeskanzlerin bei François Hollande für die Unterstützung.

Quelle: N24

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