(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Libysche Juden: Als Gaddafi eine Partei in Israel gründen wollte - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Libysche Juden: Als Gaddafi eine Partei in Israel gründen wollte

Kultur Libysche Juden

Als Gaddafi eine Partei in Israel gründen wollte

200.000 Israelis sind Juden libyscher Herkunft. Noch heute fühlen sie sich dem Land ihrer Großeltern verbunden. Gaddafi erwidert das Gefühl – auf seine Weise.

Der kürzeste Weg von Tel Aviv in das 2000 Kilometer Tripolis führt über Or Jehuda. Die Kleinstadt, eine halbe Autostunde östlich von Tel Aviv, steht in keinem Reiseführer; auch Israelis verirren sich nur selten hierher, es sei denn, sie haben die Abfahrt zum nahe gelegenen Flughafen verpasst. Die einzige Attraktion, die Or Jehuda zu bieten hat, ist ein großer gelber Kasten im Zentrum der Stadt, das “Museum Of Libyan Jews” (Museum der libyschen Juden), auf Italienisch “Museo Degli Ebrei Di Libya”.

Im ethnischen Gefüge der israelischen Gesellschaft nehmen “die Libyer” eine Sonderstellung ein. Sie gehören weder eindeutig zu den sephardischen Juden aus dem Orient, noch zu den Aschkenasen, die aus Europa eingewandert sind.

Ihr Migrationshintergrund ist ein Mix aus jüdischer Religiosität, arabischer Kultur und italienischer Lebensart. Mehr als 30 Jahre, von 1911 bis 1943, hatten die Italiener in Libyen das Sagen. Als Kolonialherren waren sie brutal; aber mit den Militärs kamen auch Architekten, Künstler und Konfektionäre ins Land, und mit ihnen die italienische Grandezza.

“Bon Giorno, Marhaba, Schalom!” werden wir von Meir Kachalon begrüßt. Der Vorsitzende der Union libyscher Juden legt auch in der Mittagshitze die Krawatte nicht ab.

1938 in Tripolis als Sohn eines Schreiners geboren, kam er Ende 1949 als Elfjähriger mit seinem Vater und seinem Onkel in das soeben gegründete Israel. Mit einem regulären Linienschiff von Tripolis nach Haifa, das unter einer israelischen Flagge fuhr. Damals lebten etwa 38.000 Juden in Libyen, fast alle in Tripolis und Bengasi.

Juden libyscher Herkunft sind stolz auf ihr Erbe

Viele waren, sagt Meir Kachalon, “Herzelianer der ersten Stunde”, Anhänger von Theodor Herzl, der 1896 seine Schrift “Der Judenstaat - Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage” veröffentlicht und damit den Weg in die staatliche Unabhängigkeit des jüdischen Volkes vorgezeichnet hatte. Schon am ersten zionistischen Kongress in Basel, 1897, nahm ein Vertreter der libyschen Juden teil.

Heute leben etwa 200.000 Juden libyscher Herkunft in Israel. Sie bilden, ebenso wie die deutschen, die polnischen, die marokkanischen, die russischen Juden, eine “Landsmannschaft”, die auf ihr kulturelles Erbe stolz ist.

Dazu gehört auch die Pflege der Beziehungen zur alten Heimat, wo 2004 die letzte jüdische Libyerin hochbetagt verstarb. Kachalon kann über Satellit das libysche Fernsehen empfangen. Und seit in Libyen die Kämpfe ausgebrochen sind, telefoniert er beinah täglich mit Vertretern der einen und der anderen Seite. Die Kontakte wurden mit Hilfe von Exil-Libyern in Rom und London hergestellt. Hinter Gaddafis Rücken, aber vermutlich mit seiner unausgesprochenen Zustimmung.

Denn seit etwa 2005, sagt Kachalon, bemühe sich der oberste libysche Revolutionär, seiner eigenen antizionistischen Propaganda zum Trotz, mit Israel ins Gespräch zu kommen. Die erste inoffizielle Begegnung mit einem libyschen Diplomaten fand mit Hilfe eines arabischen Knesset-Abgeordneten statt, den die Libyer “gezielt angesprochen” hatten. Man traf sich mehrfach in einem Hotel in Ammann.

Libysche Offiziere als Pilger verkleidet

Anzeige

Wenig später kamen 200 libysche “Pilger” nach Israel, um die Heiligen Stätten des Islam im Heiligen Land zu besuchen. In den schlichten weißen Gewändern steckten “Offiziere der Armee und des Geheimdienstes”. Zugleich machte Gaddafi “die merkwürdigsten Vorschläge”. Einen gemeinsamen Staat für Israelis und Palästinenser, der “Isratin” heißen sollte. Oder die Gründung einer Partei der libyschen Einwanderer in Israel. “Er bot uns jede beliebige Summe an, das war vollkommen abwegig, wir sind längst in die israelische Gesellschaft integriert und haben keine ‘libysche’ Agenda.”

Aber das war nicht alles, was der Gaddafi-Clan wollte. Saif al-Salam, der zweitälteste Sohn des Revolutionsführers, wünschte sich eine CD der israelischen Sängerin Sahava Benn, die klassische arabische Lieber im Stil von Umm Kulthum singt.

Kachalon besorgte die Platte und schickte sie über Rom nach Tripolis. Er legte der Sendung auch ein Buch über die Geschichte der libyschen Juden und ihre Vertreibung bei. Es soll, sagt Kachalon, inzwischen ins Arabische übersetzt worden sein und im Geschichtsunterricht benutzt werden.

Meir Kachalon kann die Geschichte seiner Vorfahren bis zum Jahr 1492 verfolgen, als die spanischen Juden im Zuge der Rekonquista fliehen mussten; viele retteten sich nach Nordafrika, das damals zum Osmanischen Reich gehörte.

Italiens Faschisten führten Rassengesetze ein

Das relativ friedliche Zusammenleben mit den Arabern und Berbern der Region hörte erst auf, als das Osmanische Reich zerschlagen wurde und die italienischen Faschisten unter Mussolini ihre Rassengesetze auch in Libyen einführten.

Tausende Juden wurden in Libyen interniert, mehr als 800 nach Europa in Konzentrationslager verschleppt. Mit dem Ende des Krieges hörten die Leiden nicht auf. Noch unter den Augen der britischen Besatzer kam es zwischen 1945 und 1947 zu Pogromen mit etwa 200 Toten.

Alles was die Juden Libyens nach Israel mitnehmen konnten, waren Erinnerungen und “Souvenirs”, die nun in den Vitrinen des Museums von Or Jehuda zu sehen sind. Dokumente, die ein buntes Bild vom Alltag der Juden in Libyen vermitteln, von der Herrschaft des türkischen Sultans bis zum Ende des Kolonialregimes unter Italienern und Briten. Verrostetes und Vergilbtes, Zeugnisse, Schmuck und Fotos aus Familienalben.

Rommel war der Vorbote des Unheils

Anzeige

Selbstbewusst schauen sie in die Kamera, einige in libyscher Tracht, andere rausgeputzt nach italienischer Mode. „Unsere Gemeinde war klein, aber fein“, betont Meir Kachalon, „wohlhabend und wohltätig. Es gab auch ärmere Familien, doch die Gemeinde sorgte für sie.“ Jungen und Mädchen gingen zur Schule, lernten Arabisch, Italienisch und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Neuhebräisch.

Im innersten Bereich des Museums liegt der Holocaust-Gedenkraum. An der Wand das bekannte Bild Erwin Rommels mit der Motorrad-Brille über der Schirmmütze. Für die Juden war der Generalfeldmarschall nicht der Wüstenfuchs und Blitzkrieg-Held, sondern der Vorbote des Unheils.

Seinen Jagdpanzern folgten die Judenjäger. Bei einer der Judenrazzien erlitt Kachalons Mutter einen Schlaganfall, als sie ihre drei jüngsten Kinder im Versteck umklammerte. „Sie starb, nicht in den Armen ihrer Kinder, sondern mit den Kindern in ihren Armen.“

Kachalons Vater kam in das Lager Sidi Asis, aus dem er „wegen Überfüllung“ nur Wochen später wieder entlassen wurde. Er hatte Glück. Mehr als 700 Juden verloren in der Wüste beim Straßenbau für das Afrika-Korps ihr Leben.

Emigration nach Israel startete in den 20er-Jahren

Einige Stufen führen im symbolischen Aufstieg zum letzten Raum, dem der Einwanderung. Die ersten libyschen Juden ließen sich schon in den 20-Jahren in Tel Aviv nieder. Anfang der 30er-Jahre folgte die zweite Einwanderungswelle.

Als Meir Kachalon mit seinem Vater in Israel ankam, lebte dort bereits ein älterer Bruder, der die Familie aufnahm. Der junge Kachalon lernte Landwirtschaft, war bei der Gründung zweier Bauerndörfer dabei, heiratete eine griechische Jüdin, studierte Betriebswirtschaft und machte als Funktionär Karriere in der Arbeiterpartei. Auf einem Bild hinter seinem Schreibtisch sitzt er Schulter an Schulter mit Staatsgründer David Ben Gurion. „Da war ich noch jung und schön.“

Zum Abschied vertraut uns Meir Kachalon noch ein Geheimnis an. “Gaddafi soll eine jüdische Großmutter gehabt haben.” Das sei zwar nur ein Gerücht, betont Kachalon, aber sollte etwas dran sein, könnte Gaddafi unter für ihn ungünstigen Umständen der allerletzte Jude sein, der seiner libyschen Heimat den Rücken kehren muss.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema