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Monteverdis "L'Orfeo": So begann vor 400 Jahren das Zeitalter der Oper - WELT
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Kultur Monteverdis "L'Orfeo"

So begann vor 400 Jahren das Zeitalter der Oper

Der Erfolg war bescheiden. In Mantua hörten Mitglieder der Akademie am 24. Februar 1607 erstmals Claudio Monteverdis Oper "L'Orfeo". Heute wird das Werk mythisch als "erste Oper" verehrt - ein Schlüsselwerk der abendländischen Musikgeschichte.

In der letzten Abendröte der italienischen Renaissance um 1580 traf sich in Florenz ein Kreis hochrangiger Gelehrter, Dichter und Musiker, um das vorerst letzte Kunstprojekt, das sich auf die Antike beziehen sollte, zu entwerfen. In der Camerata, wie sich der Kreis nannte, wurde über das Drama der Griechen gesprochen.

Der Philologe Girolamo Mei behauptete, damals wären Dramen vollständig gesungen worden. Der Musiktheoretiker Vincenzo Galilei, Vater des Astronomen Galileo, forderte gegen die herrschende mehrstimmige Kompositionsart einen einstimmigen, sparsam begleiteten Textvortrag, die Monodie. Der Komponist Giulio Caccini hatte eine derartige Begleitung bereits erfunden, den sogenannten Generalbass, der die Akkorde, die sonst von vielen Stimmen gesungen wurden, in einem Instrument, der Orgel, dem Cembalo oder der Laute zusammenfasste. Caccinis Kollege Giacopo Peri machte sich Gedanken über den Gesangsstil der Antike und erfand die Regeln des „recitar cantando“, des späteren Rezitativs, das „sich über das gewöhnliche Sprechen erhob und dabei doch unterhalb der Gesangsmelodik blieb“.

„Dafne“ von 1598 ist nicht erhalten

Alle diese Überlegungen über die Antike sollten sich nachträglich als spekulativ oder falsch erweisen – aber es war ein folgenreiches Missverständnis: 1598 entstand „Dafne“, die erste Oper überhaupt, komponiert von Peri und Giacopo Corsi auf einen Text des Camerata-Mitglieds Ottavio Rinuccini. Sie ist bis auf wenige Fragmente leider nicht erhalten. Es folgten noch zwei Opern mit dem Titel „Euridice“, eine von Peri, eine von Caccini.

Und doch wäre die Oper in dieser schlichten Form vielleicht bald wieder als gar zu trockenes Produkt eines akademischen Zirkels in der Versenkung verschwunden, hätte nicht ungefähr 150 Kilometer nördlich von Florenz ein Komponist die Ideen der Camerata in fruchtbarer Weise aufgenommen.

Dort, in Mantua, war um die Jahrhundertwende der Violist der Hofkapelle Claudio Monteverdi (1567-1643) damit beschäftigt, Festmusiken für seinen Herrn, den Herzog Vincenzo Gonzaga, zu komponieren, Untermalungen für Bälle, Turniere und Einlagemusiken für szenische Darbietungen, darunter kaum etwas, das er der Aufbewahrung für wert erachtet hätte.

Monteverdis Karriere war ins Stocken geraten. Mit 15 Jahren bereits hatte er einige Motetten zum Druck befördern können, sein erstes Buch Madrigale hatte er mit 20 veröffentlicht. Mit der freien Dissonanzbehandlung in einigen seiner Madrigale hatte er in der Fachwelt Aufsehen, aber auch Unwillen erregen können. Nun war er Mitte 30 und kam nicht aus dem wenig bedeutenden Ort und von seinem der Musik zwar leidenschaftlich ergebenen, aber auch undankbaren Herzog weg. Immerhin ernannte der ihn 1601 zum Kapellmeister, nachdem er ihn schon einmal bei der Besetzung übergangen hatte.

Monteverdis fünftes Madrigalbuch

Mantua war nicht Florenz, weder wirtschaftlich noch geistig. Dennoch hatte Monteverdi durch die Komposition von Intermedien, den musikalischen Einlageszenen für die Theateraufführungen, schon einige Erfahrung mit dem wirksamen Einsatz von Musik auf der Bühne sammeln können. 1605 veröffentlichte er das Fünfte Madrigalbuch, dessen Texte fast vollständig der Hirtendichtung „Il pastor fido“ von Battista Guarini entnommen sind. In Mantua hat man Versuche unternommen, diese „Tragicommedia pastorale“ als sogenannte Madrigalkomödie aufzuführen, Monteverdis Vorgänger, der 1596 gestorbene Giaches de Wert, hat einige Strophen daraus vertont.

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Auf seinen Spuren suchte auch Monteverdi in der Gattung des Madrigals nach dramatischen Formulierungen. So reduzierte er immer mehr das polyphone Moment zugunsten einer homorhythmischen Deklamation, einfacher gesagt: Statt durcheinander zu singen, tragen alle Stimmen ihren Text im gleichen Rhythmus vor. Er löste solistische Stimmen aus dem meist fünfstimmigen Verband heraus und machte so schlicht wie radikal ernst mit jenem „Ich“, das in den Madrigale immerzu sein Liebesleid klagt, am radikalsten im letzten Madrigal „Questi vaghi concenti“, indem die Solostimme gegen ein achtstimmiges Gesangsensemble gesetzt wird, das in vielerlei Echo-Bildungen einen Naturraum herqaufbeschwört, in dem der Liebende allein ist.

Wenn sich Monteverdis dramatische Interessen sogar in einer Gattung durchsetzen, die bis dahin ein Experimentierfeld für die ausdrucksvolle Textausdeutung war, ist sein Interesse an dem, was in Florenz geschah, nur verständlich. Nach dem Vorbild der Camerata hatte sich in Mantua die „Accademia degli Invaghiti“, die „Akademie der Vernarrten“ gebildet, in der man Peris kurz nach der Uraufführung 1600 auch gedruckte „Euridice“ studierte.

Die Hirten singen Lieder und Hymnen

Monteverdi und sein Textdichter, das Akademie-Mitglied Alessandro Striggio kritisierten diese Oper und ihre gar zu strenge Monodie in produktiver Weise: Indem sie sie verbesserten. Striggio lehnte sich durchaus an Rinuccinis Libretto an, wenn er der Heimat des Orpheus, dem rauen Thrakien, arkadisch-liebliche Züge verlieh, damit auch ein paar Hirten auf der Bühne stehen konnten: Dieses Milieu war damals sehr beliebt und überdies seit Guarinis Zeiten musikerprobt. Monteverdi nutzte die Gelegenheit, um im ersten Akt ein wahres Feuerwerk an unterschiedlichen Formen aufzubieten: Die Hirten singen Lieder und Hymnen, sie singen einzeln oder im Chor und tanzen zu Instrumentalmusik.

Monteverdi hat diese Auflockerung der strengen Monodie der ersten Opern nicht erfunden, schon in Peris „Euridice“ gibt es auch Chöre. Aber er hat als erster einen Weg gefunden, mit diesen Elementen auch eine Form zu bauen. Die Chöre und Tänze gruppieren sich nahezu symmetrisch um den zentralen Gesang des Orpheus, seinen Sonnengesang „Rosa del ciel“. Und noch schöner: Diese Form ist in ihrer Symmetrie auch Ausdruck, eines des vollkommenen, zeitenthobenen Glückes.

Der zweite Akt, der ebenfalls mit Liedern Tänzen beginnt, scheint sich zu ähnlich symmetrischer Gestalt runden zu wollen, da wird er plötzlich unterbrochen vom Klageruf der Botin, die vom Tod Eurydikes berichtet. Ihr „Ahi, casa acerbo!“ („O grausames Verhängnis!“) zertrümmert eine Form und bezieht daher auch seine Gewalt. Monteverdi nimmt diesen Ruf wie ein Leitmotiv auf, die Hirten übernehmen ihn, bis er schließlich als Bass eines mehrfach wiederholten Chores dient.

Anders als die in sich selbst kreisende Symmetrie des ersten Aktes betont die Wiederholung eines Elementes den linearen Zeitablauf: Statt eines zeitlosen Glücks spricht die musikalische Form nun von Sterblichkeit und von jener Wanderschaft, auf die sich Orpheus nun begibt. Später, im vierten Akt, wenn Orpheus Eurydike aus der Unterwelt wieder ans Licht führt, erklingt eine Musik, deren regelmäßige Bassschritte dieses Gehen abbilden. Im Moment des Zweifels, ob Eurydike auch wirklich folgt, bricht dieser Schritt ab.

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Am Ende steht ein wilder Tanz

Nach dieser glücklich aufbrechenden, von zwei Violinen lebhaft umspielten Musik wirkt in unfehlbar kalkuliertem Kontrast die folgende Monodie um so verlassener. Anders als die „Euridice“ Rinuccinis endet „L‘Orfeo“ nicht mit der Wiedervereinigung von Orpheus und Eurydike. Den Schluss der Sage jedoch, derzufolge der allen Frauen entsagende Orpheus von den Mänaden zerrissen wird, wagte man in dieser Drastik auch nicht auf die Bühne zu bringen. So entschied man sich für eine Apotheose: Apollo steigt aus dem Himmel herab und belehrt Orpheus darüber, sich weder der Freude noch dem Schmerz hinzugeben – deutlicher konnte man sich kaum gegen das Gebaren der Mänaden erklären. Das Ende der Oper mit einem wilden Tanz, der Moresca, erinnert dennoch an den dionysischen Ausgang der Mythe.

Am 24. Februar 1607 wurde „L‘Orfeo“ in Mantua vor den Mitgliedern der Akademie uraufgeführt, ohne großen szenischen Aufwand, aber mit intellektuellem Anspruch, das Libretto wurde gedruckt und verteilt. Der Herzog war dennoch begierig, die Oper gleich noch einmal zu sehen und setzte eine Woche später eine weitere Aufführung „im Beisein aller Damen der Stadt“ an.

Richtig bekannt aber wurde Monteverdi erst ein Jahr später, als er zur Hochzeit des Thronfolgers Francesco in großer Eile „L‘Arianna“ komponieren musste. Von dieser Oper ist nichts erhalten als das berühmte „Lamento d‘Arianna“, aber das entwickelte sich geradezu zum Schlager und machte Monteverdi mit einem Schlag in Italien berühmt. Die Wirkung des „Orfeo“ dagegen blieb eine beschränkte. „Entscheidend war erst, was in Venedig, nicht was in Mantua geschah“, hat der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus lakonisch bemerkt und damit jene Opern gemeint, die Monteverdi gegen Ende seines Lebens für das öffentliche Opernhaus in Venedig komponierte und von denen „Il Ritorno d‘Ulisse in Patria“ und „L‘incoronazione di Poppea“ erhalten sind: Sie haben die Oper auf den Weg in die bürgerliche Gesellschaft gebracht und mit ihrer Virtuosität, ihrem spektakulären Bühnenzauber und ihrer die Monodie zurückdrängenden Melodik ihr Bild als das einer bürgerlichen Gattung nachhaltig geprägt.

Monteverdis später Opern sind verloren

Der idealtypisch entworfene, nur dem Kunstsinn des Komponisten verpflichtete und für die Ohren gelehrter Männer geschriebene „Orfeo“ wurde zwar bald nach seiner Entstehung gedruckt, aber nicht mehr gespielt, jedenfalls nicht in Venedig.

Sind Monteverdis spätere Opern im Strom der Gattungsgeschichte verloren gegangen, so wurde „L‘Orfeo“ schlicht vergessen. Erst als der Komponist und Musikwissenschaftler Gian Francesco Malipiero Monteverdis Werke in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in moderner Notation herausbrachte, begann man sich für ihn wieder zu interessieren. Dabei spielte der Mythos der „ersten Oper“ eine größere Rolle als die tatsächliche Wirkungsgeschichte, von der man ohnehin 300 Jahre entfernt war.

Die späteren Opern waren ohne Hinweise zur Instrumentation überliefert, entsprachen in ihrer lässigeren Form nicht dem Anspruch, den man im 20. Jahrhundert an die Werkhaftigkeit einer Oper stellte und warfen überdies sogar Fragen der Authentizität auf.

Dennoch kommt die Musik des „Orfeo“ aus weiter Ferne, sollte schon ihr anders geartetes Konzept von Ausdruck beachtet werden. Anders als die Komponisten des 19. Jahrhunderts charakterisiert Monteverdi seine Personen von einem Standpunkt aus, der von Psychologie buchstäblich nicht einmal eine Ahnung hat. Diese Musik will nichts aufdecken oder den Hörer zur Identifikation mit den Personen treiben. Im Gegenteil: Der ästhetische Leitbegriff der Zeit ist „imitare“: nachahmen. Schon die Madrigale gefielen sich in der Nachahmung von Wellen, Wind und Vogelgesang, der Welt um sie herum.

Der Hörer muss der Musik entgegen kommen

Für die Erfinder der Oper wurde es daher zum Problem, dass Menschen eigentlich nicht singen, wenn sie miteinander sprechen. Sie verstanden den Gesang nicht im Sinne des 19. Jahrhunderts als unmittelbare Sprache des Gefühls, sondern als Verstoß gegen den Grundsatz der „Verosimilianza“, der Wahrscheinlichkeit des Bühnengeschehens.

Daher ist die ganze Theorie der Monodie, wie sie Peri entwarf und Monteverdi zum künstlerischen Höhepunkt führte, eine Theorie der Nachahmung menschlichen Sprechens. In der Monodie kristallisiert sich, anders als in der Arie, keine Melodie heraus, die als expressives Konzentrat einer psychischen Situation angesehen werden könnte. Nachgeahmt wird das Auf und Ab der Rede nach, die Gestik des Redenden, das Bild seiner Erregung und Traurigkeit.

Wir erhalten eine Außenansicht des Ausdrucks: Darin ist „L‘Orfeo“ wahrhaftiger als alle späteren Opern, die das Innere ihrer Personen dem Publikum in einer Weise offenbaren, wie es in der Wirklichkeit nie geschieht. Obwohl wir die Freuden und Leiden des Orpheus sehen und hören, sind wir nicht aufgefordert, wie er zu fühlen. Die Musik reißt den Passiven nicht mit, sie schwappt nicht in ihn hinein, sondern der Hörer muss ihr aktiv entgegenkommen.

Erst so wird er zum mitfühlenden Gegenüber der Personen. In derart aktiver Wahrnehmung wird der Hörer seiner Distanz zum Fühlen des anderen gewahr, er annektiert es nicht. Die emotionale Freiheit, die die Musik dem Hörer lässt, ist, neben der Aura der Frühe, ein Grund für die unerschöpfliche Frische, die große geistige Offenheit, die „L‘Orfeo“ ausstrahlt.

„Orfeo“-Aufnahmen fürs Archiv

Die DVD: In Zürich dirigiert Nikolaus Harnoncourt das Monteverdi-Ensemble, Jean-Pierre Ponnelle inszeniert routiniert mit prächtigen Kostümen (1978/DG)

Die Referenz-CD: René Jacobs (1993/HM)

Bemerkenswert: Emmanuelle Haim (2004/EMI)

Preiswert: Jürgen Jürgens (2006/DG)

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