Einige islamische Länder, allen voran Saudi-Arabien, Indonesien, Ägypten und der Jemen, haben vor einigen Jahren Aussteigerprogramme ins Leben gerufen, die reuigen militanten Islamisten die Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft ermöglichen sollen. Durch intensiven Koranunterricht – viele Islamisten haben den Koran weder gelesen noch verstanden – und über Gespräche mit geläuterten Ex-Terroristen sind bereits Erfolge erzielt worden.
Auch in Europa gibt es diesbezüglich einige Initiativen.
Großbritannien investiert 79 Mio. Euro in Programme, die Muslime, welche die „rote Linie“ zum Extremismus überschritten, aber noch keine Straftaten begangen haben, zurückholen sollen. Außerdem wird versucht, durch gezielte Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit – es gibt ein eigenes Referat im Innenministerium dafür - die islamistische Ideologie zu entzaubern. Flankiert wird das Ganze durch konkrete Kooperationen von Sicherheitsbehörden mit muslimischen Organisationen auf lokaler Ebene.
Auch die Niederlande unternehmen gezielte Anstrengungen, sich aktiv mit dem Islamismus auseinanderzusetzen. Insbesondere die Aktivitäten der „Hofstad“-Gruppe, deren Anführer 2004 den Filmemacher Theo van Gogh brutal ermordete, haben dazu geführt, dass eine breite Palette von Entradikalisierungsprogrammen aufgelegt wurde. Zielgruppe sind junge Muslime, die sich in einer Art Identitätskrise befinden. Auf lokaler Ebene werden Angebote zur Fort- und Weiterbildung in Kombination mit politischer Bildung und konkreter Unterstützung gemacht. Jede größere Stadt in den Niederlanden hat ihr eigenes Programm; Amsterdam hat im vergangenen Jahr sieben Millionen Euro in ein solches investiert.
Und auch in Deutschland radikalisieren sich insbesondere junge Muslime. Einer wissenschaftlichen Studie der Universität Hamburg vom Dezember 2007 zufolge lehnen ca. 14 Prozent der muslimischen Bevölkerung die deutsche Demokratie ab und bevorzugen islamisches Scharia-Recht. Diese Gruppe hält auch politisch-religiös motivierte Gewalt für legitim. Bei muslimischen Schülerinnen und Schülern steigt die Rate auf 29,2 Prozent, bei den Studierenden sind es – unter Einbeziehung von antisemitischen oder antichristlichen Vorurteilen – 16,4 Prozent.
Zwar sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Bisher gibt es kaum weitere wissenschaftliche Untersuchungen zum Grad der Radikalisierung von Muslimen in Deutschland. Trotzdem ist klar, dass ein Problem vorhanden ist, mit dem sich die Politik aktiv auseinandersetzen muss.
Wie bisher auf die Selbstheilungskräfte der muslimischen Communities und medienwirksame Konferenzen zu vertrauen, verspricht keinen Erfolg. Richtig ist, dass moderate Muslime das Gegengift gegen die totalitäre Ideologie des Islamismus sind. Um den durch die Gemeinden ziehenden geschulten Rädelsführern entgegentreten zu können, müssen moderate Muslime, die sich für Demokratie, Pluralismus und Freiheit einsetzen wollen und es zum Teil bereits tatkräftig tun, gezielt gefördert und unterstützt werden. Dazu wären konkrete Initiativen ähnlich der „gegen-Rechts“ Programme denkbar, wobei die richtige Auswahl der Partner und der zu Fördernden von entscheidender Bedeutung ist.
Oder muss erst ein Anschlag in Deutschland passieren, bis die Politik wirklich tätig wird? Und was wäre dann zu erwarten: vernünftige und zielführende Programme gegen Radikalisierung wohl nicht.
Alexander Ritzmann ist Politischer Analyst und Senior Fellow bei der European Foundation for Democracy in Brüssel. Seine An- und Einsichten zum Islamismus erscheinen wöchentlich in der Kolumne "Dschihad auf Deutsch“ .