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SPD-Chef Lars Klingbeil: „Gefahr einer De-Industrialisierung ist real“ - WELT
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Deutschland SPD-Chef Lars Klingbeil

„Gefahr einer De-Industrialisierung in Deutschland ist real“

SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil, 44 SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil, 44
SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil, 44
Quelle: Marlene Gawrisch/WELT/MARLENE GAWRISCH
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Ausgerechnet die USA richteten ihre Wirtschaftspolitik mit strengem Protektionismus „gegen uns“ aus, rügt Lars Klingbeil. Präsident Joe Biden unterscheide dabei nicht zwischen Europa und China. Der SPD-Chef sieht die Gefahr, dass Unternehmen von Deutschland nach Amerika abwanderten.

WELT: Herr Klingbeil, Sie haben drei Tage lang politische Gespräche in Washington und New York geführt. Was ist Ihr Fazit?

Lars Klingbeil: Mir ging es um drei Themen. Erstens: Analyse der Zwischenwahlen, verbunden mit der Frage, wie sich die Ergebnisse auf die US-Ukraine-Politik auswirken. Zweitens: Unsere transatlantischen Beziehungen, natürlich nun auch geprägt von Russlands Krieg.

Drittens: Joe Bidens Industriepolitik, basierend auf dem Inflation Reduction Act. Hier habe ich unsere Sorgen geschildert. Die USA müssen wissen, dass ihre Industriepolitik zu einer neuen Konkurrenz mit Deutschland und Europa führen kann.

WELT: Zur Industriepolitik kommen wir später noch. Deutsche Politiker verweisen gern darauf, dass Washington Berlins „Zeitenwende“ preise. Interessanter aber ist ja: Welche kritischen Fragen sind Ihnen dazu begegnet?

Klingbeil: Regierungsvertreter haben mir gesagt, wie froh sie über die Zusammenarbeit zwischen den beiden Regierungen sind. Der Westen ist mit dem Krieg in der Ukraine zusammengerückt. Joe Biden hat ähnliche Gespräche mit dem chinesischen Staatspräsidenten geführt wie zuvor Olaf Scholz. Wir beide wollen, dass China sich zu Russlands Krieg klar positioniert.

Kritische Fragen hörte ich eher bei den Thinktanks, etwa: Wie nachhaltig ist die Zeitenwende? Wie dauerhaft ist das außen- und sicherheitspolitische Engagement Deutschlands? Wie viel Geld gibt es für Verteidigung?

Vor dem Kapitol
Vor dem Kapitol
Quelle: Daniel Friedrich Sturm/WELT
Diskussion beim Thinktank Atlantic Council
Diskussion beim Thinktank Atlantic Council
Quelle: Daniel Friedrich Sturm/WELT

WELT: Und?

Klingbeil: Niemand weiß, wie die US-Präsidentschaftswahlen 2024 ausgehen werden. Auch deswegen muss Europa eigenständiger, erwachsener werden. Da kommt auf Deutschland eine entscheidende Führungsrolle zu.

WELT: Die USA geben seit vielen Jahren mehr als drei Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung aus. Sind Ihnen schon Rufe begegnet, dasselbe zu tun?

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Klingbeil: Natürlich würden sich die Amerikaner freuen, investierten wir noch mehr als geplant in die Verteidigung. Aber sie sehen sehr wohl, welch großen Schritt wir bereits mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr gehen und indem wir künftig das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen.

WELT: Der Richtwert von zwei Prozent sei nur das, „was wir von Verbündeten erwarten würden“, sagt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. „Wir ermutigen, über diese zwei Prozent hinauszugehen.“

Klingbeil: Wir erreichen die zwei Prozent, wir geben 100 Milliarden Euro aus, wir ordnen das Beschaffungswesen neu. So stärken wir die Bundeswehr. Wir leisten deutlich mehr als früher. Wo noch Luft nach oben ist: Europa muss enger zusammenarbeiten. Es kann nicht sein, dass 27 EU-Staaten jeweils eine eigene Sicherheitspolitik betreiben und sich nicht ausreichend koordinieren.

Die Zeitenwende hat aber mehr als nur eine militärische Komponente. Olaf Scholz arbeitet Tag und Nacht an internationalen Bündnissen. Beim G-20-Gipfel gab es eine eindrucksvolle Allianz gegen Russland.

WELT: Die Regierung Biden ist Europa und Nato wohlgesonnen. Ist Deutschland für einen Europa- und Nato-kritischen US-Präsidenten ab 2025 gewappnet?

Klingbeil: Wir sind jeden Tag für Joe Bidens Präsenz im Weißen Haus dankbar. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass es anders werden könnte. Europa muss sich auf dieses Szenario vorbereiten. Wir haben noch zwei Jahre Zeit.

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WELT: Was sind für Sie die „wahren Werte“, die Deutschland und die USA verbinden?

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Klingbeil: Wir haben den Amerikanern viel zu verdanken. Denken Sie an die Befreiung 1945, den Wiederaufbau, die uns ermöglichte Rückkehr in die internationale Gemeinschaft. Unsere Kultur verbindet uns, vor allem aber Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit.

WELT: Was spüren Sie, wenn Sie in New York oder Washington durch die Straßen gehen?

Klingbeil: Ich habe in New York gelebt, dort die Anschläge vom 11. September 2001 erlebt. Das hat mich als jungen Studenten damals geprägt. In Washington lebte ich auch einmal. Ich mag dieses Land, auch wenn es anders tickt als Deutschland. Die politische Kultur unterscheidet sich doch schon deutlich von unserer.

WELT: Was halten Sie von Bidens streng protektionistischer Politik? Subventionen für E-Autos gibt es in den USA nur, wenn sie komplett in den USA hergestellt worden sind …

Klingbeil: In den USA macht der Staat nun massiv Industriepolitik. Dabei gibt es in der Tat auch protektionistische Tendenzen. Am Ende sollte nicht stehen, dass die USA eine Wirtschaftspolitik gegen uns Europäer machen, obwohl sie eigentlich China treffen wollen. Wir sollten selbstbewusst unsere Bedenken vorbringen. Deutschland nabelt sich von Russland ab, wir wollen den Einfluss Chinas reduzieren, unsere Energiepreise sind hoch.

All das wird unsere Industrie enorm herausfordern. Da ist es nicht gut, wenn unser größter Verbündeter zusätzlich noch seine Wirtschaftspolitik gegen uns ausrichtet.

WELT: Was meinen Sie mit einer „Wirtschaftspolitik gegen uns“?

Klingbeil: Die Schlagworte in den USA lauten „Buy American“ und „Made in America“. Die USA unterscheiden nicht, ob sie Jobs aus China oder aus Europa zurück in ihr Land holen. Das geht so nicht. Ich hoffe, der Inflation Reduction Act wird in seiner Ausgestaltung noch verändert.

WELT: Die Energiepreise in den USA sind niedrig, außerdem winken Subventionen. Fürchten Sie, dass die deutsche Industrie in die USA abwandert?

Klingbeil: Es gibt diese Signale aus der deutschen Industrie. Machen wir uns nichts vor: Die Gefahr einer De-Industrialisierung in Deutschland ist real. Die Lieferketten sind stellenweise gebrochen, wir haben Fachkräftemangel und hohe Energiepreise. Deswegen treffen manche Unternehmen Investitionsentscheidungen gegen Deutschland.

Wenn jetzt sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie nach einem starken Staat und Investitionen ruft, dann zeigt das, Markt und Staat müssen eng kooperieren. In den USA passiert das bereits.

WELT: Frankreich spricht von einem „Handelskrieg“ mit den USA. Ziehen die Europäer an einem Strang?

Klingbeil: Diesen Begriff werde ich mir nicht zu eigen machen. Und was eine europäische Wirtschaftspolitik angeht, geht sicher noch mehr. Nur ein Beispiel: Wir brauchen einen Kapitalmarkt in Europa, nicht 27 verschiedene.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt

WELT: Wer hätte das gedacht? Der SPD-Chef ist enttäuscht, dass die kapitalistischen USA eine Industriepolitik betreiben, staatliche Eingriffe verordnen.

Klingbeil: (lächelt) Ich bin immer froh, wenn sich kluge sozialdemokratische Gedanken durchsetzen – und wünsche mir, dass sie das in Europa ebenfalls tun.

WELT: Wann gibt es einen neuen Anlauf für ein transatlantisches Handelsabkommen? Den letzten Versuch hat Ihre Partei ja kräftig bekämpft.

Klingbeil: Ich habe in den USA mehrfach gesagt, dass wir dazu bereit sind. Meinem Eindruck nach ist das Interesse in den USA allerdings geringer als in Europa. Es wird kein TTIP 2.0 geben. Aber wir sollten über neue Handelsvereinbarungen sprechen.

WELT: China ist seit sechs Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die Regierung Biden agiert erheblich Peking-kritischer als Kanzler Scholz. Wurden Sie dafür kritisiert?

Klingbeil: Für die China-Reise von Olaf Scholz habe ich Lob gehört. Vor allem mit Blick auf das Treffen von Präsident Biden mit Xi. Beide haben Chinas Staatschef kurz nacheinander dazu bewegt, den Einsatz von Atomwaffen zu verurteilen. Diese Gespräche sind wichtig. Wir müssen auch mit Staaten wie China reden. Außenpolitik ist eben mehr als nur Empörung.

Für unsere künftige China-Politik habe ich die klare Prämisse, dass wir China aus sicherheitsrelevanten Bereichen heraushalten. Wir dürfen keine einseitige Abhängigkeit wie mit Russland zulassen. Wir müssen jederzeit den Schalter umlegen können. Wenn China Taiwan attackieren sollte, müssen wir in kürzester Zeit ohne China können.

Scholz zu seinem China-Besuch

WELT: Aber es kostet China doch nichts, wenn es nun vor Atomwaffen warnt.

Klingbeil: Für Russland ist das eine klare Ansage. Putin dachte doch, er vereint viele Länder hinter sich.

WELT: Warum schweigt die Bundesregierung weitgehend zu den Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren?

Klingbeil: Olaf Scholz hat das Thema in Peking angesprochen. Der Kanzler ist da klar.

WELT: Warum liefert Deutschland keine Kampfpanzer an die Ukraine?

Klingbeil: Weil wir bewusst sagen, dass wir keine Alleingänge machen. Kein westliches Land liefert Kampfpanzer. Wir liefern Panzer sowjetischer Bauart, über den Ringtausch. Wir sind der drittgrößte Waffenlieferant an die Ukraine.

WELT: Was ist Ihr Lieblingsort in den USA, und welchen Ort würden Sie gern erstmals besuchen?

Klingbeil: Ganz klar New York. Alles, was ich in den Tagen nach „9/11“ hier erlebt habe, hat mich tief an diese Stadt gebunden. Ansonsten wäre ich gern mal ein paar Tage abseits der großen Städte unterwegs. Ich glaube, wenn man dort mit den Menschen ins Gespräch kommt, lernt man viel über das Land.

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