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Vorsichtig in die Unabhängigkeit

Gastbeitrag - Zukunft des Kosovo

Das Kosovo steht seit 1999 unter der Verwaltungshoheit der Vereinten Nationen. Nach den Unruhen in der Region im März 2004 herrscht eine gespannte Ruhe. Experten sehen unter der Oberfläche angesichts der ungewissen politischen Zukunft und der miserablen wirtschaftlichen Lage weiterhin erhebliche Konfliktpotentiale brodeln. Die Europäische Union wäre von einem Wiederaufflammen der regionalen Konflikte unmittelbar betroffen. Die Lösung der Statusfrage wird mittlerweile auch in der sogenannten Balkan-Kontaktgruppe als dringlich angesehen.

Der UN-Sondergesandte Kai Eide hat nun seinen Bericht zur Lage im Kosovo vorgelegt. Er gibt Auskunft über Fortschritte bei der Implementierung demokratischer Standards durch die provisorische Selbstregierung im Kosovo. Sind hinreichende Fortschritte bei der Erfüllung der wichtigsten Standards wie insbesondere Sicherheit, Minderheitenschutz, Flüchtlingsrückkehr, Dezentralisierung und Bewegungsfreiheit erkennbar, wird UN-Generalsekretär Annan den Beginn von Statusverhandlungen empfehlen können.

Allerdings: Von welchen Zielvorstellungen sollte die internationale Gemeinschaft bei der Frage des zukünftigen Status des Kosovo dann ausgehen? Zunächst muß Pristina verdeutlicht werden, daß die Erfüllung der Standards auch nach einer Verhandlungsaufnahme Bestandteil des Statusprozesses bleibt. Bei andauernden Defiziten muß die Option eröffnet werden, daß die Gespräche ausgesetzt werden können. Als Verhandlungsergebnis ist darüber hinaus eine sofortige und unkonditionierte Unabhängigkeit des Kosovo ebenso auszuschließen wie die Rückkehr zur Ausgangslage vor 1999, also zu einer autonomen Region Serbiens. Außerdem darf eine Änderung des Status nicht die Stabilität der gesamten Region gefährden.

Deshalb ist eine "konditionierte Unabhängigkeit" die vielversprechendste Option. In einem Prozeß der Übertragung von Verantwortlichkeiten der UN-Vertretung im Kosovo (Unmik) würde im Zuge der weiteren Erfüllung von Standards die provisorische Selbstregierung weitere Rechte und Pflichten erhalten; gewisse Schlüsselbereiche wie etwa die Außen- und Verteidigungspolitik blieben aber ausgenommen. Überlegungen innerhalb der Kontaktgruppe, bestimmte Souveränitätsrechte - wie dies in Bosnien-Herzegowina seit Jahren der Fall ist - von einem Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft ausüben zu lassen, sind an der Alternative zu messen, diese auf die Europäische Union zu übertragen.

In Pristina strebt man indes offiziell eine rasche und unkonditionierte Unabhängigkeit an. Die politische Führung in Belgrad hat demgegenüber ihre Vorstellung vom künftigen Status des Kosovo mit der Formel "mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit" umschrieben und in der vergangenen Woche erste konkrete Vorschläge dazu vorgelegt. Wie können angesichts dieser Positionen beide Seiten an eine "konditionierte Unabhängigkeit" herangeführt werden?

Der Europäischen Union fällt aufgrund der Integrationsanreize, die sie während eines Verhandlungsprozesses anbieten kann, entscheidendes Gewicht für eine derart gestaltete Lösung der Statusfrage zu. Die Aussicht auf Abschluß eines Stabilitäts- und Assoziierungsabkommens mit der EU sollte Belgrad zu entsprechendem Entgegenkommen bewegen. Die von der EU aufgestellten Konditionalitäten müssen allerdings strikt eingehalten werden.

Für die weitere Standardimplementierung im Kosovo, die vor einer endgültigen Statuslösung zunächst erfolgreich abgeschlossen sein muß, ist auch die europäische Perspektive von Bedeutung. Es wäre allerdings verfrüht, diese schon während der Statusverhandlungen Pristina in Aussicht zu stellen.

Deutschland kommt in diesem Prozeß eine zentrale Rolle zu. Derzeit flankieren rund 2700 Bundeswehrsoldaten die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Kosovo vor Ort. Nicht zuletzt ihnen muß eine klare politische Perspektive für ihren Auftrag gegeben werden. Zudem ist Deutschland für Serbien-Montenegro der wichtigste Partner innerhalb der EU. Und gerade wenn es um die Klärung der Zukunft des Kosovo geht, könnten internationale und damit auch deutsche Erfahrungen mit eingeschränkten Formen der Souveränität in möglichen Statusverhandlungen wichtige Denkanstöße geben.

Der Verfasser ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Daneben leitet er den Fachausschuss Außenpolitik der CSU.

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