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DIE WELT

"Der Islamismus ist ein totalitäres System"

Der amerikanische Publizist Paul Berman über den Terror, falsche westliche Strategien und die Gründe für Europas Schwäche

Der amerikanische Kulturkritiker Paul Berman stiftete mit seinem Buch "Terror and Liberalism" in den USA eine Kontroverse über die wahre Natur des Islamismus. Mit Berman sprach Uwe Schmitt.

DIE WELT : In Ihrem neuen Buch "Terror and Liberalism" haben Sie die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts im islamistischen Terrorismus wieder entdeckt. Wo trifft die Analogie und wo sind ihre Grenzen?

Paul Berman : Ich spreche nicht von Analogie: Der islamistische Terror ist nicht "wie" eine moderne totalitäre Bewegung, er ist eine solche Bewegung. Sie teilen dieselbe tiefe Mythologie, dieselbe paranoide Weltsicht, denselben verrückten Utopismus mit seiner Science-Fiction-Vision und dem Sprung zurück ins Mittelalter, und eingeschlossen ein Antisemitismus, der allen diesen Bewegungen eigen war, auch dem spätstalinistischen Kommunismus. Islamismus ist nur eine andere Ausprägung, aber mit allen nötigen Ingredienzen wie dem Versuch totaler Überwachung und dem Todeskult. Er hat Staaten kontrolliert, vor allen anderen den Iran, aber auch Afghanistan und den Sudan. Wie der Kommunismus hat der Islamismus seine internationale Komponente. Dies gilt auch, da im Iran eine Art "1989" oder "samtene Revolution" möglich erscheint. Es gibt Gründe zu hoffen, aber auch sich zu fürchten.

DIE WELT : Was fehlt im Islamismus, ist der Bürokratismus einer Massenpartei ...

Berman : Das macht ihn gefährlicher. Und noch gefährlicher ist am Islamismus die Anziehungskraft des Islam, verglichen mit, sagen wir, der Gewerkschaftsbewegung für einen Kommunisten. Er ist einerseits gefährlicher, weil der Todeskult offener praktiziert wird und weil eine Zelle Schreckliches anrichten kann. Er ist weniger gefährlich, weil die Anziehung außerhalb der muslimischen Welt per definitionem gering ist.

DIE WELT : Sie nennen sich selbst einen Sozialisten, nicht wahr?

Berman : In meinem Buch spreche ich von meinem "sozialdemokratischen Herzen". Aber nur, um die Hunde am Loshecheln zu hindern.

DIE WELT : Das hat kaum funktioniert. Sie loben sogar eine Rede von Präsident Bush vom 20. September 2001.

Berman : Das war der Tag, an dem ich meine erste Fassung des Essays fertig stellte, aus dem dann das Buch wurde. Bushs Rede war schon deshalb bewundernswert, weil er, glaube ich, Totalitarismus und den "Krieg der Ideen" erwähnte, also mein Thema. Ich habe keine Ahnung, welcher intelligente Redenschreiber das erdacht hat. Bush trug es jedenfalls brav vor. Seine Rhetorik changierte in jenen Wochen wild hin und her zwischen Cowboy-Sprüchen und Analyse. Das ist bis heute so geblieben. Warum? Weil die Regierung ideologisch unsicher und instabil ist. Es tobt ein Kampf zwischen dem gedankenvollen "sophisticated Washington" und einem primitiv-rechtsextremem, christlich-texanischen Mundartismus. Ich sehe dieses Hin- und Herpendeln als ein nationales Sicherheitsrisiko.

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DIE WELT : Als einer der wenigen linken Intellektuellen waren sie für den Krieg gegen Saddam.

Berman : Saddam war nicht nur eine Bedrohung seines Volkes. Von einem humanitären Standpunkt aus war es im Interesse fast der ganzen Welt, ihn zu beseitigen. Trotzdem hat es Bush geschafft, nur drei militärische Alliierte zu gewinnen und mit seiner Rhetorik, eben diese ganze Welt gegen sich aufzubringen.

DIE WELT : Aber wo sind die Massenvernichtungswaffen, und was soll man von antiamerikanischen Demonstrationen im Irak halten?

Berman : Die Sache mit den Waffen habe ich nie für die zentrale Frage gehalten. Mir ging es immer um die dynamische Ideologie eines größeren muslimischen Totalitarismus. Das ist das wirklich Furchteinflößende. Vergessen wir nicht, dass für die Anschläge am 11.September Teppichmesser als Waffen genügten. Und Saddams Unterstützung des Terrorismus war unbestreitbar; schließlich zahlte er palästinensischen Hinterbliebenen von Selbstmord-Attentätern eine Leibrente oder Prämie in Höhe von 25 000 Dollar. Diese Selbstmord-Ideologie ist prinzipiell islamistisch, aber in zweiter Linie säkularnationalistisch wie die Baath-Partei. Was soll man noch anführen: die Million Tote im irakisch-iranischen Krieg, die wahrscheinlich Hunderttausende von Ermordeten im eigenen Land, unter den Kurden, nach den Aufständen 1991? Es gab mehr als genug Gründe, Saddam endlich auszuschalten.

DIE WELT : Aber warum überwog unter den Menschen, wenn nicht Regierungen, die Ablehnung des Kriegs? Sie haben von einer linken Naivität gesprochen und von einer nicht minder naiven Variante auf der Rechten.

Berman : Ich glaube nicht, dass es sich um zwei Formen handelt. Die liberale, westliche Zivilisation trägt diese naive Idee in sich, die annimmt, dass rationales, interessegeleitetes Verhalten sich in der Gesellschaft durchsetzt. Das war ja auch so für eine lange Zeit. Aber wenn man so denkt, wird es sehr schwer, Irrationalität zu erkennen und ihre Macht über ganze Gemeinwesen. Es hat immer eine innere Rebellion gegen diesen Liberalismus gegeben, gegen seine Fehler und den naiven Rationalismus selbst. Hier wiederholt sich die Geschichte.

DIE WELT : Aber der Westen hat Saddam gegen die Mullahs im Iran aufgerüstet und unterstützt.

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Berman : Natürlich, das beweist es ja gerade. Der naive Versuch, sich davon zu überzeugen, dass (Saddams) Irrationalismus beherrscht, gekauft oder

sonstwie unschädlich gehalten werden könne. Natürlich ist das auch Teil der Story, wie Hitler an die Macht kam. Dass nämlich die Nicht-Nazis und Anti-Nazis sich irgendwie überredeten, dass so etwas Verrücktes wie der Nazismus es nicht weit bringen könne. Im Rückblick sehen wir die Warner wie Winston Churchill als ungewöhnlich hellsichtig. Alle anderen erlagen ihrer Selbsttäuschung, und so geschah es auch in den USA während der 80er Jahre mit Saddam und den Islamisten in Afghanistan. Fatal ist jedoch, aus der Analyse dieser Fehler den Schluss zu ziehen, das wir kein Recht hätten, diese Leute zu bekämpfen.

DIE WELT : Einige Ihrer linksliberalen Freunde haben Ihnen vorgeworfen, der US-Regierung eine totalitarismus-theoretische Rechtfertigung für eine imperialistische Politik zu liefern.

Berman : Die Frage hat einen schwerwiegenden Makel. Hinter ihr steht nämlich die Annahme, dass es da draußen eigentlich keine Gefahr gibt, und dass man deshalb den USA andere Motive unterstellen muss. Öl, was immer. Die Frage hat dennoch ihren Wert: Denn in wohl zu begründender Notwehr zu handeln und, wie ich hoffe, auch aus humanitären Erwägungen und in demokratischer Solidarität schützt die USA nicht davor, zurück zu fallen in wirtschaftliche Ausbeutung. Es gibt in der Tat eine solche "Tradition" in der US-Außenpolitik etwa in Mittelamerika. Diese Interventionen begannen oft mit den besten Absichten, nur um in die Hände einer Fruit Company oder einer Bank zu fallen. Und es gibt legitime Gründe, so etwas auch für den Irak zu befürchten. Wenn man an die Wiederaufbau-Aufträge an Bechtel denkt, zum Beispiel.

DIE WELT : Wie erklären Sie sich, dass so wenige Intellektuelle und noch weniger Linke in Europa Ihnen da folgen können?

Berman : Ich schreibe vieles Bush zu. Auch wenn in dem Argument etwas Dummes, Unreifes liegt, so als gebe es niemanden über Siebzehn, der sich seine eigene Meinung, unabhängig vom Präsidenten, bilden könnte. Es ist sicher richtig: Hätte Bush seine Gründe klarer und beständiger dargelegt, und auf die religiöse Sprache und die Cowboy-Sprüche verzichtet, wären weniger Leute abgeschreckt worden. Wenn man sich Clinton anstelle von Bush vorstellt, könnte man sich auch andere Mehrheiten vorstellen.

DIE WELT : Geht es am Ende darum, wer der bessere Verkäufer eines Krieges ist?

Berman : Nein. Es geht um Bushs ideologische Inkohärenz. Wenn er sich auf seine eloquenten, humanitär argumentierenden Reden beschränkt hätte, hätte er mehr Leute überzeugt. Aber die Regierung ist eben selbst gespalten.

DIE WELT : In ihrer Sicht auf das alte Europa ist sich die Regierung aber ziemlich ein einig.

Berman : Ich glaube nicht, dass das Bonmont von den martialischen Amerikanern und den zarten Europäern von der Venus die Sache trifft. Das "alte Europa" könnte mächtig sein, auch militärisch mächtig genug, um etwa im Kosovo zu intervenieren und dann auch die USA als Verbündete zu gewinnen, statt umgekehrt geworben zu werden.

DIE WELT : Was ist es dann?

Berman : Darüber zerbreche mir selbst den Kopf. Das alte Europa ist im Übergang begriffen zwischen den alten Nationalstaaten und dem transnationalen Gebilde und ist wohl noch nicht in einem Zustand angekommen, in dem es Macht ausüben kann. Und lassen wir die Briten einmal beiseite, dann spielt gewiss auch eine Rolle, dass das alte Europa in einer eher passiven Haltung an die liberale Demokratie gekommen ist. Statt nach einem Ideal zu streben, fügte man sich in einen Kompromiss. Die wirklichen Ideale waren eben kommunistisch oder faschistisch (und kompromittiert), und für Kompromisse zieht man nicht in den Krieg. Rumsfelds Invektive gegen das alte Europa hat vergessen lassen, dass es sich umgekehrt verhält, wenn es um liberale Demokratie geht. Da sind wir in den USA die altehrwürdigen. Und uns, anders als den Franzosen, gelang es auch, im Bürgerkrieg die liberale Demokratie zu verteidigen. Daher ist Europa heute in einem frühen Stand seiner Demokratie, so früh, dass man noch nicht dafür zu kämpfen bereit ist. Und erst recht nicht in der Fremde.

DIE WELT : Frankreich und Deutschland sind also nicht nur blind für die Gefahr, sondern auch feige.

Berman : Das ist um so bedauerlicher, als Frankreich bessere Islam-Kenner hat als die USA. Und sich fraglos die Deutschen besser auf eine "Ent-Totalitarisierung" verstehen müssten als irgendwer. Beide Nationen hätten der arabischen Welt viel zu sagen.

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