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DIE WELT

Privilegierte Partnerschaft

Jenseits von Entweder-oder: Eine Alternative zum EU-Beitritt der Türkei - Debatte

Vollmitgliedschaft oder verschlossene Tore? In der Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei dominieren vornehmlich die Extreme. Zwischentöne bilden die Ausnahme und erschöpfen sich überwiegend in Phrasen. Die CDU/CSU hat für die Türkei die Option einer "privilegierten Partnerschaft" mit der EU empfohlen.

Es liegt im Interesse aller Beteiligten, die besondere Beziehung zwischen der EU und der Türkei zu erhalten sowie konsequent auszubauen. Allerdings würde Europa durch eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei überfordert. Die stets paradox anmutenden Waagschalen Erweiterung und Vertiefung sind längst aus der Balance geraten. Das zeigt das Scheitern des Verfassungsvertrags.

Zu den für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen maßgeblichen "Kopenhagener Kriterien" zählt auch, dass die Aufnahme neuer Mitglieder die "Stoßkraft der europäischen Integration erhalten" muss. Die EU hat es bisher versäumt zu klären, für welche Länder diese Maxime Geltungskraft beansprucht. Europa bedarf deshalb einer grundsätzlichen Erweiterungsdoktrin.

Die Grenzen der Union sollen Europa mit seinen Nachbarn umfassend und eng verbinden. Das kann an der Grenze zur Türkei gelingen - aber nicht an den Grenzen der Türkei. Gleichzeitig kann sich die EU aber den sicherheitspolitischen Herausforderungen im Nahen und Mittleren Osten nicht entziehen. Die Notwendigkeit einer engen Verbindung mit der Türkei wird hierbei ebenso evident wie deren grundsätzliche Westorientierung. Eine "privilegierte Partnerschaft" müsste drei Kernelemente umfassen:

1. Zunächst ist die institutionelle Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei zu verbessern. Hierzu müssten die bestehenden Strukturen ausgeweitet beziehungsweise neue geschaffen werden. Eine Aufnahme in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ist nicht nur im Hinblick auf die "vier Grundfreiheiten" (freier Verkehr von Waren und Personen, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, freier Zahlungs- und Kapitalverkehr) problematisch. Sinnvoll erscheint es jedoch, die Strukturen und Organe des EWR als Modell heranzuziehen und die Zusammenarbeit im Assoziationsrat auszubauen. Für die laufende Verwaltung im Hinblick auf die Aufnahme und die Überwachung der Umsetzung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften der "privilegierten Partnerschaft" kann ein "gemeinsamer Ausschuss EU/Türkei" verantwortlich sein, der sich aus Vertretern der Kommission und der EU-Mitgliedsstaaten sowie dem Botschafter der Türkei zusammensetzt. Die Etablierung eines "Rates EU/Türkei", der sich aus den Außenministern zusammensetzt, würde der Festlegung allgemeiner Leitlinien und politischer Impulse dienen. Schließlich sollte ein "gemeinsamer parlamentarischer Ausschuss" mit Mitgliedern des türkischen Parlaments und des Europäischen Parlaments eingerichtet werden. Bedenkenswert wäre auch eine beratende Teilnahme der Türkei an der Entscheidungsvorbereitung in den Komitees und Binnenmarktagenturen der Kommission.

2. In zahlreichen Politikfeldern ist neben einer Intensivierung der Kooperation die Lockerung von Beschränkungen in Betracht zu ziehen. So sollten Ausnahmen von der bestehenden Zollunion aufgehoben werden. Innerhalb der vier Grundfreiheiten sieht bereits die Kommission etwa für den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs Erleichterungen als kurzfristige Priorität vor. Unterhalb der Schwelle einer vollständigen Freizügigkeit für Arbeitnehmer wäre an erleichterte Visa für Anwohner des Grenzgebiets mit regelmäßigem Grenzübertritt und Ausdehnung von visumfreien Regelungen zu denken. Darüber hinaus erscheint in zahlreichen Politikfeldern eine weiter gehende Übernahme des EU-Besitzstandes unproblematisch.

3. Schließlich sollte der Türkei auf dem Feld der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik die glaubwürdige Perspektive einer gleichberechtigten Mitgliedschaft in den europäischen Strukturen geboten werden. Die bisherige Einbeziehung der Türkei in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) kann auch angesichts der weiterhin notwendigen Abstimmung mit der Nato bereits als privilegiert bezeichnet werden. Im Rahmen des zu schaffenden Rates EU/Türkei könnte die Etablierung eines regelmäßigen sicherheitspolitischen Dialoges auch auf Ministerebene stehen. Vor einer umfassenden Einbindung wäre eine "Assoziierung" mit Konsultationen vor jedem Treffen der Außenminister und des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees vorstellbar. Insgesamt sollte Ankara eine Übernahme der Instrumente der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (Gasp) sowie eine Abstimmung vor Gremiensitzungen internationaler Organisationen (zum Beispiel OSZE, UNO) angeboten werden. Allerdings: Bevor der Türkei weiter gehende Mitbestimmungsrechte in der ESVP eingeräumt werden, muss die EU ihre strategischen Interessen für den Nahen und Mittleren Osten verbindlich benannt und die strategische Bedeutung der Türkei für die EU eindeutig definiert haben.

Der Autor ist CSU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines umfassenden Positionspapiers.

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