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DIE WELT Jan Assmann im Gespräch

Ist eine "Spiegel"-Titelgeschichte massiv antisemitisch?

Freier Korrespondent
Vor Weihnachten brachte das Hamburger Nachrichtenmagazin den Titel "Gott kam aus Ägypten" heraus. Es geht um den Monotheismus, den die Juden aus Ägypten übernommen hätten. Als Autorität wird der Ägyptologe Jan Assmann genannt. Der verwahrt sich gegen seine Vereinnahmung - und den Ton des "Spiegel"-Artikels.

In seiner Weihnachtsausgabe, die am 22. Dezember 2006 erschien, überraschte der „Spiegel“ seine Leser mit einer ganz besonderen Enthüllung: „Die Juden kupferten ab. Ihre Idee vom einen Gott stammt in Wahrheit aus – Ägypten“, hieß es in der Titelgeschichte. Der Gründervater des Monotheismus sei eigentlich der Pharao Echnaton gewesen. Durch ihre Übernahme des Monotheismus hätten die Juden mit dem friedvoll-toleranten Nebeneinander der heidnischen Antike gebrochen. „Wie alle Revolutionäre griffen die Jahwe-Anhänger zu Zwangsmitteln, um die alten Bräuche zu tilgen. Ständig führten sie Wörter wie ,ausrotten’, ,töten’, ,ausmerzen’ im Munde.“ Als wissenschaftliche Autorität, die solche Behauptungen beglaubigen soll, wird vom „Spiegel“ vor allem der Ägyptologe Jan Assmann benannt. Hannes Stein hat mit ihm gesprochen.

WELT.de: Herr Assmann, was dachten Sie, als Sie zu Weihnachten den „Spiegel“ aufschlugen?

Jan Assmann: Ich hätte den „Spiegel“ nie aufgeschlagen, wenn Micha Brumlik mir nicht eine E-Mail geschickt hätte, um mich darauf aufmerksam zu machen. Und zwar eine flammend empörte E-Mail! Als ich mir den „Spiegel“ kaufte, war ich dann auch entsprechend entsetzt.

WELT.de: Wie ist es denn nun: Haben die Juden ihren Monotheismus wirklich von Echnaton „abgekupfert“?

Assmann: Völliger Unsinn. Erstens einmal: Was heißt hier Juden? Wir bewegen uns in der Spätbronzezeit, wo soll es denn da Juden gegeben haben? Im Pentateuch heißt der betroffene Personenkreis ja nie „Juden“ ¿

WELT.de: ¿ sondern „b’nei Jisrael“, „Söhne Israels“.

Assmann: So ist es. Die Bezeichnung „Juden“, „Jehudim“, kommt zum ersten Mal im biblischen Buch Esther vor. Da sind wir in einer ganz anderen Welt und Epoche. Zweitens: Ich habe mich als Ägyptologe viel mit Echnaton und seiner Amarna-Religion beschäftigt, und ich sehe überhaupt keine Verbindung zwischen dieser Amarna-Religion und dem biblischen Monotheismus. Da geht es um grundverschiedene Dinge.

WELT.de: Aber haben Sie nicht von einer „Gedächtnisspur“ geschrieben, die den biblischen Monotheismus mit der Amarna-Religion verbinde?

Assmann: Gewiss. Diese Gedächtnisspur sehe ich aber darin, dass die Ägypter aus der Erfahrung der Amarna-Religion eine Art Trauma entwickelt haben. Ihnen steckte die Angst in den Knochen, man könnte ihnen ihre Götterwelt kaputt machen. Deswegen reagierten sie mit Aversionen auf den jüdischen Monotheismus, wie er ihnen in Elefantine und in den jüdischen Kolonien begegnete.

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WELT.de: Das war aber lange nach Echnaton.

Assmann: Lange danach: Ich rede vom Hellenismus, also dem dritten, zweiten, ersten vorchristlichen Jahrhundert. Da entwickelte sich in Ägypten eine Art Judenhass. Aber um Himmels willen: keine Kausalbeziehung zwischen Amarna und der Moses-Religion!

WELT.de: Die Juden haben also nicht abgekupfert. Doch wie steht es mit dem zweiten Vorwurf? Hat der Monotheismus sich mit ungeheuerlichen Blutbädern gegen eine friedvolle heidnische Umwelt durchgesetzt?

Assmann: Das ist natürlich alles Unsinn. Wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass Hunderte Baalspriester abgeschlachtet wurden – oder von den Säuberungen nach dem Tanz um das goldene Kalb –, dann ist das in meinen Augen Literatur. Ich bin ja kein sehr gläubiger Mensch.

WELT.de: Was wollen Sie damit sagen?

Assmann: Ich lese diese Texte weder als Wiedergabe historischer Fakten noch als normative Modelle („so müsst ihr gegen Heiden und Ketzer vorgehen“), sondern als Literatur, das heißt fiktionalen Ausdruck historischer Erfahrungen und Konzeptionen. Es geht darum, wie man mit diesen Texten umgeht. Und da können wir gerade vom Judentum sehr viel lernen.

WELT.de: Was denn?

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Assmann: In der jüdischen Tradition sind die Passagen der Bibel, die von Gewalt handeln, mit großer Vorsicht behandelt worden. Die frühen Rabbinen haben zum Beispiel alles darangesetzt, die Martyriumsbereitschaft – also das Interesse, für die Sache Gottes zu sterben, eine Art von passiver Gewalt – in den Griff zu bekommen, den Radikalismus abzukühlen. Im Christentum dagegen haben die in den Texten steckenden Gewaltpotenziale sich aufs unheilvollste ausgewirkt. Ich sehe die Aufgabe unserer philologischen Beschäftigung mit den biblischen Texten darin, sie zu historisieren, also zu sagen: Das hatte seinen Ort in einer bestimmten Zeit. Aus dieser Zeit heraus versteht man die Sprache.

WELT.de: Wie meinen Sie das?

Assmann: Ich lese etwa das fünfte Buch Moses so, dass mit „Kanaan“ eigentlich die eigene heidnische Vergangenheit gemeint ist. Und der glühende Hass auf die Kanaanäer, der sich in diesen Texten ausdrückt, ist in Wahrheit ein retrospektiver Selbsthass, ein Hass auf die Vergangenheit, von der man sich befreien möchte. Dahinter steckt in meinen Augen die Erfahrung einer Art von Konversion.

WELT.de: Reden wir nun über die Sprache des „Spiegel“-Artikels.

Assmann: Sie erinnert mich an die sehr grobschlächtige Religionskritik des 18. Jahrhunderts. Voltaire und seine Freunde gingen auch mit sehr scharfem Geschütz vor, führten also einen erbitterten Kampf gegen die Religion, die katholische Kirche usw. Aber die hatten ja auch einen sehr mächtigen Gegner! Sie kämpften für die Freiheit des Denkens, gegen Bevormundung, gegen die Zensur. Diese scharfen Waffen heute – im 21. Jahrhundert – gegen eine Kirche einzusetzen, die doch längst unter Denkmalschutz gestellt werden sollte, kommt mir wie reine Donquichotterie vor.

WELT.de: Ist es nicht ein wenig mehr? In dem bewussten „Spiegel“-Artikel wird der Tempel in Jerusalem als „dunkler Kultbau auf dem Zionsberg“ bezeichnet, in dem „alle Fäden zusammengelaufen“ seien.

Assmann: Das klingt nach Weltverschwörung, absolut. Schon merkwürdig, dass der Autor nicht merkt, was für Töne er da anschlägt. Für mich ist es sehr peinlich, in diesem Kontext zu erscheinen.

WELT.de: Micha Brumlik meinte: „Im Wesentlichen wird hier wiederholt, was nationalsozialistische Wissenschaftler propagiert haben, nämlich die Unwahrheit des Judentums nachzuweisen.“ Besonders empört sich Brumlik darüber, dass ein „bislang angesehenes Magazin“ uns zu Weihnachten „die bislang antisemitischste Titelgeschichte beschert hat“.

Assmann: Ich verstehe diesen Artikel als antireligiös – und weil in diesem Zusammenhang ständig von Juden die Rede ist, klingt er antisemitisch. In der nationalsozialistischen Literatur, an die Micha Brumlik sich erinnert fühlt, kenne ich mich nicht so gut aus.

WELT.de: Die Nazis haben gern Rachepsalmen zitiert, um zu beweisen, wie grausam die Juden seien (etwa den berühmten 137. Psalm). Auch den aufklärerischen Topos vom Priestertrug haben die Nazis bereitwillig aufgegriffen.

Assmann: Dann gibt es eine Linie, die von Voltaire ins Dritte Reich führt. Das ist bestürzend. Aber ich sehe in diesem Artikel doch eher eine Verwandtschaft zu der „Idomeneo“-Inszenierung von Neuenfels, wo am Schluss die Köpfe von Poseidon, Jesus und Mohammed rollen – nicht aber der Kopf von Moses. Den hat Neuenfels durch Buddha ersetzt, wohl um es sich nicht mit der jüdischen Gemeinde zu verderben. Das Ganze ist eine schreckliche Mischung aus grobschlächtiger Religionskritik und politischer Korrektheit. Im „Spiegel“ fällt die politische Korrektheit weg. Dadurch klingt das Ganze nun auch noch massiv antisemitisch.

WELT.de: Wie beurteilen Sie aber jene Passagen in dem „Spiegel“-Artikel, wo von der Beschneidung die Rede ist? Der Mohel, also der rituelle jüdische Beschneider, so heißt es da, „nahm das Baby, ritzte mit dem Fingernagel dessen Vorhaut ein und riss sie ab – ein blutiges Attentat, das sich wie ein Mal in den Körper brannte“. Später heißt es, „jenes blutige Werk“ präge „die jüdische Seele bis heute“.

Assmann: Das beruht auf einer These von Franz Maciejewski, einem eigentlich von mir sehr geschätzten Soziologen und Psychoanalytiker. Er glaubt, dass es da im Werk von Sigmund Freud ein Tabu gebe: Freud habe sich mit der Beschneidung nicht so beschäftigt, wie er es hätte tun müssen – und weitet das dann ungeheuer aus. Ich habe ihm immer gesagt, dass ich ihm in diese Bereiche nicht folgen kann. Ich halte für Unsinn, dass die Säuglingsbeschneidung eine lebensbestimmende Traumatisierung darstellt. Kulturelle Elemente wie Riten können gar nicht traumatisieren. Die Kultur führt solche Riten nämlich nicht gewaltsam – und das heißt für mich immer: sprachlos – durch, sondern doch in einem Diskurs, der ihre Bedeutung einbettet.

WELT.de: Halten Sie Maciejewski für latent judenfeindlich?

Assmann: Überhaupt nicht! Aber dieser Artikel verrührt seine These in einer ungenießbaren und antisemitischen Suppe – das ist schlimm. Sie können sich vorstellen, wie ich mich fühle, in solch einer Suppe mitzuschwimmen.

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