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Vor Gaddafi ist niemand sicher

Libyens Revolutionsführer empfängt im Pariser Palais Gabriel Hunderte hochgestellte Afrikanerinnen

Paris - Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi scheint seine Rückkehr aufs internationale diplomatische Parkett in vollen Zügen zu genießen. Vier Tage schon weilt er in Paris, der Metropole des Landes der Menschenrechte, wie sich Frankreich zu bezeichnen pflegt. Und keine Minute kann sein Gastgeber, Präsident Nicolas Sarkozy, vor dessen Provokationen sicher sein.

"Sehr glücklich" sei er, Gaddafi in Paris empfangen zu können, hatte Sarkozy noch vor einer Woche auf dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon getönt. Inzwischen dürfte er die Stunden bis zur Abreise seines Gastes zählen. Dies tun auch die Bürger von Paris, die den täglichen Verkehrsinfarkt in der Innenstadt mit stoischer Geduld hinzunehmen pflegen. Doch als der Revolutionsführer sich plötzlich entschloss, mit seinen schwer bewaffneten, in Khaki-Uniformen gekleideten Leibwächterinnen eine Kreuzfahrt auf der Seine zu unternehmen, platzte vielen doch der Kragen. Denn aus Sorge um die Sicherheit des Staatsgastes ließ das Innenministerium alle Seine-Brücken sperren - auch für Fußgänger. Das daraus resultierende Verkehrschaos war immens. Schwer zu begreifen sei der Aufwand, den die Republik für einen Mann betreibe, der sich gerade erdreistet habe, ihr in Sachen Menschenrechte Lektionen zu erteilen, schimpfte der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe.

Angriff ist die beste Verteidigung, schien sich Gaddafi gedacht zu haben, als er bei einem Besuch der Unesco seinen Gastgebern die Leviten las: "Bevor man über die Menschenrechte spricht", sagte er, "muss man sicherstellen, dass die Einwanderer in Frankreich von diesen Werten profitieren."

In einem Interview, das der Revolutionsführer dem öffentlichen Fernsehsender France 2 in seinem beheizten Beduinenzelt gleich neben dem Elyséepalast gewährte, setzte er noch eins drauf. Kalt lächelnd bestritt er die Darstellung seines Gastgebers Sarkozy, dieser habe bei ihrem ersten Tête-à-tête Fragen der Menschenrechte angesprochen. Das sei ja auch völlig überflüssig, fügte er hinzu, da es in Libyen "keinen einzigen" politischen Gefangenen gebe und sein Land "niemals" Terroranschläge verübt habe. Libyen sei eben ein Land mit großer politischer Stabilität, weil sich das Volk selbst regiere und keinen Staatschef brauche.

Es sei "erbärmlich", wenn der Führer eines früheren Terrorstaates hierzulande über die Menschenrechte rede, räumte Außenminister Bernard Kouchner in der Fragestunde der Nationalversammlung zerknirscht ein. Doch verteidigte er den Besuch, weil Libyen in den vergangenen Jahren eine Entwicklung durchgemacht habe. Ganz anders hatte es seine Staatssekretärin Rama Yade gesehen. Frankreich sei "kein Fußabtreter", auf dem man "seine Füße vom Blut seiner Verbrechen reinigen" könne, hatte sie erklärt.

Nicolas Sarkozy sei Gaddafi, der "keinerlei Skrupel" habe und den Präsidenten sogar der Lüge bezichtige, "in die Falle getappt", meinte die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, die an einem Protestmarsch gegen den Besuch des libyschen Herrschers teilnahm.

Wie viele andere Genossen, die sich darüber aufregen, dass Sarkozy vor dem Libyer den roten Teppich ausgerollt hat, scheint auch sie verdrängt zu haben, dass unter dem sozialistischen Präsidenten Fran*ois Mitterrand (1981-95) ein nicht weniger umstrittener Besuch wochenlang für Schlagzeilen gesorgt hat. Mit ausdrücklicher Billigung des französischen Außenministeriums war Ende Januar 1992 der radikale Palästinenserführer Georges Habasch, der als "Erfinder" der Flugzeugentführungen gilt und dem damals noch weltweit gesuchten Terroristen "Carlos" Aufträge erteilt hat, nach Paris gereist, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Fünf leitende Mitarbeiter des Außenministeriums mussten daraufhin ihren Hut nehmen.

Ex-Außenminister Roland Dumas behauptete damals, er und Mitterrand hätten nichts davon gewusst. Im gediegenen Hotel Crillon, wo sonst die deutschen Bundeskanzler abzusteigen pflegen, gab der 85-Jährige einen Empfang für seinen "ami Gaddafi", der sich anschließend damit brüstete, mit "Intellektuellen" geplaudert zu haben. Ihnen habe er anvertraut, dass nicht Jesus, sondern ein Doppelgänger ans Kreuz geschlagen worden sei.

Keine Hand vor den Mund nimmt Gaddafi, als der in der Luxusherberge Ritz an der Place Vendome die dort versammelten Unternehmenschefs des französischen Arbeitgeberverbandes Medef darüber aufklärt, dass er als Gegenleistung für die Normalisierung der politischen Beziehungen mit Frankreich seine Unterschrift unter diverse Geschäftsabschlüsse setzen werde. Eine klarere Bestätigung für die "Scheckbuch-Diplomatie von Nicolas Sarkozy" hätte er nicht geben können, schrieb die linke Tageszeitung "Libération".

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Frauen und Gaddafi sind ein besonderes Kapitel, wie seine Vorliebe für Leibwächterinnen zeigt. Im Palais Gabriel versprühte der 65-Jährige seinen Charme vor mehreren hundert hochgestellten afrikanischen Frauen. Nicht immer weiß er gegenüber dem weiblichen Geschlecht die Formen zu wahren, wie Memona Hintermann, die Chefreporterin des öffentlichen Fernsehsenders France 3, anlässlich seines Besuchs erstmals enthüllte. Unter dem Vorwand, ihr ein Interview zu gewähren, habe Gaddafi sie 1984 in eine Militärbaracke bringen lassen, um sie dort zu vergewaltigen. Nur mit großem Glück sei sie diesem "Verbrecher" entkommen.

Am heutigen Freitagvormittag wird Gaddafi dem Schloss von Versailles seine Aufwartung machen, die königlichen Gemächer und auch den kürzlich renovierten Spiegelsaal besichtigen. Aber was treibt er wohl danach, fragt man sich im Elyséepalast etwas verunsichert. Eigentlich sollte der Revolutionsführer am Samstag nach Spanien abreisen. Aber dort wird er erst am Montag erwartet. Und ursprünglich wollte Gaddafi zehn Tage im schönen Frankreich verbringen.

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