Die internationale Konferenz-Reihe „Ausbreitung in Natur, Technik und Gesellschaft“, die sich mit dem Phänomen der Diffusion beschäftigt, fand dieses Jahr bereits zum 10. Mal statt – im September 2023 erstmals in Taschkent, Usbekistan. Damit erfreut sie sich selbst zunehmender Verbreitung – und positioniert den Freistaat Sachsen als attraktiven Wissenschaftsstandort nun auch in der zentral-asiatischen Region.
Die Federführung der Reihe liegt bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, gemeinsam mit der Universität Leipzig. Jörg Kärger, Initiator der Reihe, gibt einen Überblick über die Geschichte des interdisziplinären wissenschaftlichen Erfolgsformats, das vor allem unter dem Titel Diffusion Fundamentals bekannt ist.
von Jörg Kärger,
Professor i.R. für Experimentalphysik an der Universität Leipzig und Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Das Phänomen Diffusion
Ausbreitung ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Es kann im mikroskopisch Kleinen (zum Beispiel beim Auflösen des Zuckers im Morgenkaffee) wie auch über makroskopische Entfernungen hin (wie beim Gebrauch bestimmter Wörter) beobachtet werden und betrifft gleichermaßen materielle (wie Moleküle oder Menschen) und immaterielle Objekte (wie Wörter oder Sprachen). Synonym – und zudem einheitlich in allen Sprachen – spricht man auch von Diffusion.
Auftakt in Leipzig
Meilensteine in der physikalischen Diffusionsforschung waren die Formulierung der Fick’schen Diffusionsgesetze im Jahre 1855 und deren Zurückführung auf ihre mikroskopischen Ursachen, nämlich die Brownsche Molekularbewegung, durch Albert Einstein in seinem „annus mirabilis“ 1905. Beide Arbeiten waren in Leipzig publiziert worden. Damit wurde 2005 zu einem Jubiläumsjahr in der Diffusionsforschung und es bot sich an, aus diesem Anlass zu einer Tagung nach Leipzig einzuladen. Die Organisation dieser Tagung übernahmen die beiden Physiker Jörg Kärger von der Universität Leipzig und Paul Heitjans von der Universität Hannover, in enger Kooperation mit der Universität Leipzig und mit Forschenden im In- und Ausland. Ziel war es, sich der Beobachtung von Ausbreitungserscheinungen, deren Klassifizierung und deren Aufklärung nicht nur in der Physik zu widmen, sondern fächerübergreifend.
Diffusion Fundamentals: alle zwei Jahre in Europa und darüber hinaus
Der große Erfolg dieser ersten Tagung (mit über 150 Teilnehmenden) legte nahe, weitere folgen zu lassen – dann mit dem Namen Diffusion-Fundamentals. Eine Dokumentation über die bisherigen, aller zwei Jahre stattgefundenen Tagungen findet man unter diffusion-fundamentals.org | conferences page. Begleitet werden die Konferenzen von einem gleichnamigen Online-Journal unter diffusion-fundamentals.org | journal page. Zusätzlich zu den Konferenzbeiträgen erscheinen hier auch weitere Arbeiten, die sich mit Phänomenen der Ausbreitung beschäftigen, wobei die Herausgeber eine Begutachtung und Veröffentlichung innerhalb eines Monats zusichern.
Nach L’Aquila (2007), Athen (2009), Troy, N.Y. (2011) und wieder Leipzig (2013) wurde die 6. Diffusion-Fundamentals-Konferenz 2015 in Dresden unter der gemeinsamen Leitung von Hans Wiesmeth und Jürgen Caro erstmals unter der Federführung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig organisiert. Mit ihren drei Klassen, nämlich der Mathematisch-naturwissenschaftlichen, der Philologisch-historischen und der Technikwissenschaftlichen Klasse, ist sie in idealer Weise interdisziplinär aufgestellt und damit bestens zur Unterstützung des Anliegens zur fächerübergreifenden Betrachtung von Ausbreitungsphänomenen geeignet. Einen ersten Beleg hierfür erbrachte die Auszeichnung des im Ergebnis der Dresdner Tagung entstandenen Buchs „Diffusive Spreading in Nature, Technology and Society“ mit dem renommierten Literaturpreis des Fonds der Chemischen Industrie.
Bisheriger Höhepunkt: 10. Tagung in Taschkent
Das 10. Treffen in Taschkent, Usbekistan, war ein besonderer Höhepunkt der Konferenzreihe, die damit nach Europa und Amerika zum ersten Mal auch in Asien stattfand. Geleitet wurde diese von Shlomo Weber. Der Angehörige der Universität Taschkent ist Korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und damit eine zentrale Verbindung nach Taschkent.
Die gastgebende New Uzbekistan University (Universität Taschkent) gestaltete diese Jubiläumsveranstaltung zu einem festlichen Ereignis. Ansprachen während der Begrüßungszeremonie hielten Khilola Umarova, Usbekistans Ministerin für Vorschul- und Schulbildung, und Odil Abdurakhmanov, Leiter des Ressorts Soziale Entwicklung sowie Präsidialberater für Jugend, Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport. Ebenfalls zur Verabschiedung sprach Bakhtiyor Yuldashev, erster Prorektor und Vizepräsident für Innovation und Forschung der Universität. In ihren Gruß- und Dankesworten am Ende der Tagung betonten Akademie-Präsident Hans Wiesmeth und Shlomo Weber den Erfolg der Konferenz, ein großer Dank galt der gastgebenden Universität. Mit der Konferenz nahmen zugleich auch intensivere wissenschaftliche Beziehungen zum Wissenschaftsland Sachsen ihren Beginn. Das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus hat inzwischen in Usbekistan ein Büro für die Studierendengewinnung eröffnet.
Die gastgebende Universität sorgte zudem für eine beeindruckende, umfängliche Bild- und Video-Dokumentation der Tagung, die unter diffusion-fundamentals.org | conference page 10 zugänglich ist.
Vorträge der Diffusion Fundamentals in Taschkent
In ihrem Vortrag über „Routes of trade and more: about the diffusion of Western art and Indian tales“ nahm Monika Zin von der Sächsischen Akademie zu Leipzig direkten Bezug auf die durch Taschkent hindurchführende Seidenstraße. Dieser Umstand motivierte die Organisatoren zusätzlich, die diesjährige Konferenz insbesondere den Ausbreitungsphänomenen zu widmen, die in der Gesellschaft zu beobachten sind.
Weitere Vorträge waren: „Diffusion of information in social networks“ von Larry Blume, Cornell University, „Diffusion of socioeconomic influences across generations“ von Steven Durlauf, University of Chicago, „Diffusion and acquisition of languages” von Shlomo Weber, „Movement of artifacts, people, and ideas in antiquity“ von Aren M. Maeir, Bar-Ilan University, „Circular economy“ von Hans Wiesmeth sowie ein Workshop über „Diffusion of and in language“ unter Leitung von Uwe Junghanns, Universität Göttingen, und Gero Vogl, Universität Wien – beide sind auch Mitglieder der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
Dem Thema Ausbreitung in der Gesellschaft widmete sich auch Felix Hagemeyer von der Universität Leipzig in seinem Vortrag „Interaction and exchange processes as driving forces in social development in ancient Palestine“. Er erhielt die Einladung nach Taschkent in Anerkennung für seine Nominierung für den Nachwuchsförderpreis 2023 der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
Bucheditionen und Veröffentlichungen
Die Diffusion-Fundamentals-Jubiläumskonferenz gab Anlass zu zwei Bucheditionen, die in engem Kontext mit der Konferenzreihe entstanden sind.
Dies ist zum einen die nunmehr vierte Auflage von „Leipzig, Einstein, Diffusion“ beim Leipziger Universitätsverlag, einem „Stadtführer der besonderen Art“, wie Wolfgang Tiefensee im Grußwort zur zweiten Auflage schrieb (damals Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung). Der Band macht mit der Stadt selbst bekannt wie auch mit dem Forschungsgebiet, in welchem in Leipzig große Erfolge erzielt wurden. Eingeleitet wird das – zweisprachig in Deutsch und Englisch verfasste – Buch mit Grußworten von Sebastian Gemkow, Wissenschaftsminister des Freistaates Sachsen, Uni-Rektorin Eva Inés Obergfell und Akademie-Präsidenten Hans Wiesmeth.
Gleichfalls anlässlich der Jubiläumskonferenz erschien eine Neuauflage des aus der Dresdner Konferenz 2015 hervorgegangene Buchs über „Diffusive Spreading in Nature, Technology and Society“, nun insbesondere auch mit drei Kapiteln zur Corona-Pandemie. Entsprechend bemerkt Gerhard Ertl, Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2007, in seinem Grußwort: „The importance of this field has been underlined ... by the current worldwide pandemic spreading which affected seriously the life of all of us”. Eine informative Einführung zum Buch gibt Zach Evenson, Senior-Editor im Springerverlag, in seinem Beitrag „Behind the Book“ in Research Communities.
Ausblick auf 2025
Die 11. Diffusion-Fundamentals-Konferenz wird 2025 an der Northwestern University in Evanston, IL, einer der renommiertesten Universitäten der USA, stattfinden. Konferenzleiter ist Randall Q. Snurr. Er ist Korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Unmittelbar im Anschluss an seine Promotion an der University of California in Berkeley war er in den Jahren 1994 und 1995 als Humboldtstipendiat und im Jahre 2009 als Leibniz-Professor an der Universität Leipzig.
Weitere Bilder:
Alle Bilder der Tagung: New Uzbekistan University (Universität Taschkent)