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„Rahvarinne“ – Versionsunterschied – Wikipedia
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== Vorgeschichte ==
Mit dem Amtsantritt des neuen Generalsekretärs der [[Kommunistische Partei der Sowjetunion|KPdSU]], [[Michail Sergejewitsch Gorbatschow|Michail Gorbatschow]], im März 1985 setzten auch Reformkräfte im 1940 von der Sowjetunion besetzten und annektierten Estland Hoffnungen auf eine Lockerung des rigiden kommunistischen Systems.
 
Während die Spitze der [[Kommunistische Partei Estlands|Kommunistischen Partei Estlands]] (EKP) unter dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees, [[Karl Vaino]], die Reformbemühungen Gorbatschows weitgehend ablehnte, solidarisierten sich estnische Reformkreise mit der beginnenden Politik der [[Perestroika]] (''Umbau''). Anlass war in der [[Estnische SSR|Estnischen SSR]] die Kritik an den sowjetischen Plänen zum umweltgefährdenden [[Phosphorit]]-Abbau bei Kabala, [[Toolse]] und [[Rakvere]]. Eine unabhängige Umweltbewegung gründete sich Ende 1986. Sie wurde im Laufe des JahreJahres 1987 immer politischer und organisierter. Die sowjetischen Behörden gaben schließlich den Protesten aus der Bevölkerung nach und stoppten die Pläne für den Phosphorit-Abbau.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.einst.ee/factsheets/factsheets_uus_kuju/the_restoration_of_estonian_independence.htm |wayback=20070609214645 |text=Archivierte Kopie }}</ref>
 
== Erste Dissidentenbewegungen ==
Ermutigt durch diesen Erfolg der Bürgerbewegung gründeten politische Dissidenten Mitte August 1987 die „Estnische Gruppe zur Veröffentlichung des [[Molotow-Ribbentrop-Pakt]]s“ (''Molotov-Ribbentropi Pakti Avalikustamise Eesti Grupp - MRP-AEG''). Sie wandten sich gegen die sowjetische Leugnung des geheimen Zusatzprotokolls des [[Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt|Deutschdeutsch-Sowjetischensowjetischen Nichtangriffspakts]] vom 23. August 19401939, forderte dessen Veröffentlichung sowie die „Beseitigung seiner Folgen“. Mit dem geheimen Zusatzprotokoll waren die deutsch-sowjetischen Interessensphären in Ostmitteleuropa abgegrenzt worden: Finnland, Estland, Lettland sowie Polen östlich der Flüsse [[Narew]], [[Weichsel]] und [[San (Fluss)|San]] fielen in das sowjetische Interessengebiet. Das Abkommen hatte die Besetzung Estlands durch die Sowjetunion im Juni 1940 vorbereitet, war aber auch nach der [[Entstalinisierung]] von der Sowjetunion geleugnet worden. Moskau bestand auf seinem Standpunkt, dass sich Estland, [[Lettland]] und [[Litauen]] im Sommer 1940 freiwillig der Sowjetunion angeschlossen hätten. Der oppositionellen ''MRP-AEG'' gelang es, am 23. August 1987 ein öffentliches politisches Treffen im Hirvepark (''Hirvepargi miiting'') in [[Tallinn]] abzuhalten, ohne dass die Staatsmacht direkt eingriff. Dies ermutigte die estnische Bevölkerung, die sowjetische Staatsmacht weiter herauszufordern.
 
Ende 1987 gründete sich unter dem Namen „Estnischer Denkmalschutzverein“ (''Eesti Muinsuskaitse Selts'' - EMS'') eine größere Vereinigung, die sich mit Kritik an der Diktatur in Estland und der Forderung nach demokratischen Rechten und nationaler Selbstbestimmung an die Öffentlichkeit wandte. Eine Demonstration im Februar 1988 in Tartu wurde gewaltsam von der Polizei aufgelöst. {{anker|Eesti Rahvusliku Sõltumatuse Partei}}Anfang 1988 wurden Forderungen nach Gründung einer oppositionellen demokratischen Partei, der „Partei der nationalen Unabhängigkeit Estlands“ (''Eesti Rahvusliku Sõltumatuse Partei – ERSP'') immer lauter. Ihre Gründung gelang im August 1988.
Ermutigt durch diesen Erfolg der Bürgerbewegung gründeten politische Dissidenten Mitte August 1987 die „Estnische Gruppe zur Veröffentlichung des [[Molotow-Ribbentrop-Pakt]]s“ (''Molotov-Ribbentropi Pakti Avalikustamise Eesti Grupp - MRP-AEG''). Sie wandten sich gegen die sowjetische Leugnung des geheimen Zusatzprotokolls des [[Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt|Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts]] vom 23. August 1940, forderte dessen Veröffentlichung sowie die „Beseitigung seiner Folgen“. Mit dem geheimen Zusatzprotokoll waren die deutsch-sowjetischen Interessensphären in Ostmitteleuropa abgegrenzt worden: Finnland, Estland, Lettland sowie Polen östlich der Flüsse [[Narew]], [[Weichsel]] und [[San (Fluss)|San]] fielen in das sowjetische Interessengebiet. Das Abkommen hatte die Besetzung Estlands durch die Sowjetunion im Juni 1940 vorbereitet, war aber auch nach der [[Entstalinisierung]] von der Sowjetunion geleugnet worden. Moskau bestand auf seinem Standpunkt, dass sich Estland, [[Lettland]] und [[Litauen]] im Sommer 1940 freiwillig der Sowjetunion angeschlossen hätten. Der oppositionellen MRP-AEG gelang es, am 23. August 1987 ein öffentliches politisches Treffen im Hirvepark in [[Tallinn]] abzuhalten, ohne dass die Staatsmacht direkt eingriff. Dies ermutigte die estnische Bevölkerung, die sowjetische Staatsmacht weiter herauszufordern.
 
Beide Gruppierungen nutzten nationale estnische Gedenktage, um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen: den [[Frieden von Dorpat|estnischenestnisch-sowjetrussischen Friedensvertrag von Tartu]] (2. Februar 1920), die Ausrufung der staatlichen estnischen Unabhängigkeit (24. Februar 1918) und den [[Deportation aus Estland|stalinistischen Deportationsterror]] vom März 1949.
Ende 1987 gründete sich unter dem Namen „Estnischer Denkmalschutzverein“ (''Eesti Muinsuskaitse Selts'' - EMS) eine größere Vereinigung, die sich mit Kritik an der Diktatur in Estland und der Forderung nach demokratischen Rechten und nationaler Selbstbestimmung an die Öffentlichkeit wandte. Eine Demonstration im Februar 1988 in Tartu wurde gewaltsam von der Polizei aufgelöst. {{anker|Eesti Rahvusliku Sõltumatuse Partei}}Anfang 1988 wurden Forderungen nach Gründung einer oppositionellen demokratischen Partei, der „Partei der nationalen Unabhängigkeit Estlands“ (''Eesti Rahvusliku Sõltumatuse Partei'') immer lauter. Ihre Gründung gelang im August 1988.
 
Beide Gruppierungen nutzten nationale estnische Gedenktage, um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen: den [[Frieden von Dorpat|estnischen-sowjetrussischen Friedensvertrag von Tartu]] (2. Februar 1920), die Ausrufung der staatlichen estnischen Unabhängigkeit (24. Februar 1918) und den [[Deportation aus Estland|stalinistischen Deportationsterror]] vom März 1949.
 
Am 1./2. April 1988 forderten estnische Intellektuelle öffentlich einen demokratischen Wandel in der Gesellschaft und den Rücktritt der reformunwilligen kommunistischen Staatsführer [[Karl Vaino]] und [[Bruno Saul]]. Die Macht der kommunistischen Partei begann zu bröckeln.
 
== Bildung der ''Rahvarinne'' ==
[[Datei:Edgar Savisaar 2005.jpg|thumbmini|Edgar Savisaar (Aufnahme von 2005)]]
Mitte April forderte der Oppositionelle [[Edgar Savisaar]] in einer Live-Sendung des [[Eesti Televisioon|estnischen Fernsehens]] die Bildung einer legalen, demokratischen Opposition, der „Estländischen Volksfront zur Unterstützung der Perestroika“ (''Eestimaa Rahvarinne Perestroika Toetuseks - ERR''), kurz ''Rahvarinne''. Sie wurde rasch von einem eher losen Netzwerk Gleichgesinnter zu einer estnischen Massenbewegung, die demokratische Reformen und eine weitgehende Loslösung Estlands von der Sowjetunion forderte. Die offizielle Gründung der ''Rahvarinne'' fand am 1./2. Oktober 1988 in der Tallinner [[Linnahall]] statt.<ref>Die Protokolle sind veröffentlicht unter J. Nõmm, A. Ottenson (Hrsg.): ''Rahvakongress. Eestimaa Rahvarinde kongress 1.–2. X 1988. Materjalide kogumik.'' Tallinn 1988.</ref> Die ''Rahvarinne'' arbeitete eng mit gleichgelagerten Oppositionsbewegungen in [[Lettland]] (''[[Latvijas Tautas Fronte]]'') und [[Litauen]] (''[[Sąjūdis]]'') zusammen. Führungspersönlichkeiten der ''Rahvarinne'' waren vor allem [[Edgar Savisaar]], [[Viktor Palm]] und [[Marju Lauristin]].
 
== Singende Revolution ==
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== Kommunistische Gegenbewegung ==
Im Sommer 1988 bündelte sich eine kommunistische Gegenbewegung zur ''Rahvarinne''. Sie verlangte die Integrität der Sowjetunion und wandte sich gegen nationale estnische Bestrebungen. Die ''Interliikumine'' (offiziell „Internationale Bewegung der Arbeiter der Estnischen SSR“ - ''Eesti NSV Töötajate Internatsionaale Liikumine'') und der im Herbst 1988 gegründete TKÜN („Gemeinsamer Sowjet der Arbeitskollektive“ - ''Töökollektiivide Ühendnõukogu'') wollten am Status quo festhalten.
 
Die EKP spaltete sich immer mehr über das weitere Vorgehen. Sie schlug mehrheitlich ein „Föderationsvertrag“ Estlands mit der Sowjetunion vor. Am 16. November 1988 nahm der Oberste Sowjet der Estnischen SSR eine Erklärung über die Souveränität Estlands an und führte weitreichende Änderungen in der [[Estnische Verfassung von 1978|Verfassung]] ein. Gesetze der Estnischen SSR sollten Vorrang vor den Unionsgesetzen erhalten. Die Beziehungen zwischen Estland und der Sowjetunion sollten auf Grundlage eines internationalen Vertrags definiert werden. Diese Idee scheiterte aber am Widerstand aus [[Moskau]]. Forderungen der gemäßigten ''Rahvarinne'' nach Ausrufung einer „Dritten estnischen Republik“ (nach 1918-19401918–1940 und 1940 bis 1988) durch alle Einwohner Estlands (einschl. der [[Russen in Estland|Russen]], die erst nach der sowjetischen Besetzung Estlands 1940 ins Land kamen) fand keine Mehrheit unter den estnischen Nationalisten, die die Anerkennung der Kontinuität der Republik Estland seit 1918 forderten.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.einst.ee/factsheets/factsheets_uus_kuju/the_restoration_of_estonian_independence.htm |wayback=20070609214645 |text=Archivierte Kopie }}</ref>
 
== Demokratische Wahlen ==
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Am 23. August 1989, dem Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts organisierte die ''Rahvarinne'' den sog. [[Baltischer Weg|Baltischen Weg]] (''Balti kett''), an dem sich über zwei Millionen [[Esten]], [[Letten]] und [[Litauer]] über eine Strecke von 600&nbsp;km von Tallinn bis [[Vilnius]] in einer Menschenkette verbanden.
 
Am 24. Februar 1990 fanden Wahlen zu einem oppositionellen Estnischen Kongress (''Eesti Kongress'') statt. Ihm gehörten alle politischen Oppositionskräfte des Landes und Exilesten an. Exekutivorgan des Estnischen Kongresses war ein 78-köpfiges Estnisches Komitee (''Eesti Komitee'') unter Vorsitz von [[Tunne Kelam]]. Gleichzeitig spaltete sich auf dem 20. Parteitag der EKP im März die Kommunistische Partei in zwei Lager: national gesinnte Reformkommunisten und Moskau-treuemoskautreue Anhänger.
 
Im selben Monat, am 18. März 1990, fanden die ersten halbwegs freien Wahlen zum estnischen Parlament seit den 1930er Jahren statt. Die Kandidaten der ''Rahvarinne'' errangen mit 24 % und 45 Abgeordneten eine relative Mehrheit der 105 Sitze. Der starke Mann der ''Rahvarinne'', [[Edgar Savisaar]], wurde vom neuen Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt.
 
Am 30. März 1990 rief das Parlament eine „Phase des Übergangs“ aus, die mit Wiederherstellung der Unabhängigkeit enden sollte.<ref>[http://www.verfassungen.eu/ee/statuserklaerung1990.htm Text] in deutscher Übersetzung</ref> Im Mai wurde die Estnische SSR offiziell in Republik Estland umbenannt und die Verwendung der Staatssymbole der Estnischen SSR verboten.<ref>[http://www.verfassungen.eu/ee/symbolikgesetz1990.htm Text] in deutscher Übersetzung</ref> Unionsgesetze besaßen keine Gültigkeit mehr. Spannungen zwischen dem neugewählten Parlament und dem Estnischen Kongress behinderten allerdings die Arbeit der Reformkräfte.
 
== Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit ==
Am 15. Mai 1990 kam es zu Demonstrationen der kommunistischen Kräfte in Tallinn. Moskau drohte Estland mit einer Wirtschaftsblockade und der Ausrufung des Notstands. Allunionsbetriebe riefen zu Streiks auf. Von parallelen sowjetischen Gewaltaktionen in Riga und Vilnius gegen zivile Ziele blieb Estland jedoch verschont.
 
Die ''Rahvarinne'' wurde inzwischen auch von anti-kommunistischen russischen Reformkräften unterstützt. Im März 1991 organisierte die estnische Regierung ein „antizipatorisches„antizipatorisches“ “ReferendumReferendum über die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Republik Estland. 77,8 % der abgegebenen Stimmen lauteten auf Ja, darunter ein Drittel der russischsprachigen Bevölkerung Estlands.
 
Als im August 1991 sowjetische MilitärMilitärs in Moskau einen [[Augustputsch in Moskau|Staatsstreich]] unternahmen und Gorbatschow stürzen wollten, nahm das estnische Parlament am 20. August 1991 mit Unterstützung der ''Rahvarinne'' eine Erklärung zur Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit an. Es rief gleichzeitig alle Staaten zur völkerrechtlichen Anerkennung auf. [[Island]] machte am 22. August den Anfang, gefolgt von Russland und [[Ungarn]]. Damit war die endgültige Loslösung von der Sowjetunion vollzogen. Sie wurde nach dem Scheitern des Putsches am 6. September 1991 auch von der Sowjetunion völkerrechtlich anerkennt. Am 17. September 1991 wurden Estland, Lettland und Litauen in die [[Vereinte Nationen|Vereinten Nationen]] aufgenommen.
 
== Auflösung ==
Die ''Rahvarinne'' löste sich mit der Erfüllung ihres Zwecks, der Erringung von Demokratie und Rechtsstaat in Estland und der Loslösung von der Sowjetunion, nach der Wende auf. Sie beendete offiziell am 13. November 1993 ihre Tätigkeit.<ref>http://www.nlib.ee/88397</ref> Die Volksbewegung ging in dem sich etablierenden neuen estnischen Parteienspektrum auf. Am 12. Oktober 1991 gründete sich auf Grundlage der ''Rahvarinne'' die ''Rahva-Keskerakond'' („Volkszentrumspartei“), die später zur [[Estnische Zentrumspartei|Estnischen Zentrumspartei]] (''Eesti Keskerakond'') unter ihrem Vorsitzenden Edgar Savisaar wurde.
 
Eine verfassungsgebende Versammlung, der zu gleichen Teilen Vertreter des Parlaments und des Estnischen Kongresses angehörten, arbeitete eine [[Estnische Verfassung von 1992|neue Verfassung]] aus.
 
== Literatur ==
* Mati Laur et. al.: ''History of Estonia.'' Tallinn ²2002 (ISBN 9985-2-0606-1), S. 307-315307–315.
 
== Weblinks ==
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[[Kategorie:Politik (Estland)]]
[[Kategorie:EstnischeUnabhängigkeitsbewegung Geschichte(Estland)]]
[[Kategorie:Sezessionistische Organisation]]
 
[[Kategorie:Gegründet 1988]]
[[ca:Front Popular d'Estònia]]
[[Kategorie:Aufgelöst 1991]]
[[en:Rahvarinne]]
[[eo:Popola Fronto de Estonio]]
[[et:Rahvarinne]]
[[fi:Rahvarinne]]
[[fr:Front populaire (Estonie)]]
[[it:Fronte Popolare Estone]]
[[nl:Rahvarinne]]
[[no:Rahvarinne]]
[[ru:Народный фронт Эстонии]]