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„Wadʿ“ – Versionsunterschied – Wikipedia
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'''Wadʿ''' ({{arS|وضع|d=waḍʿ|b=Setzung, Aufstellung, Prägung}}) ist ein Begriff der [[Arabische Sprache|arabisch]]-[[Islam|islamischen]] [[Sprachphilosophie]], der große Bedeutung auch innerhalb der islamischen Rechtstheorie (''[[Usul al-fiqh|uṣūl al-fiqh]]'') erlangt hat. Er bezeichnet den Akt, durch den eine Lautgruppe (''lafzlafẓ'') zum [[Zeichen]] (''dalīl'') für eine bestimmte [[Bedeutung]] (''maʿnā'') gemacht wird. Damit entspricht Wadʿ ungefähr der [[Scholastik|scholastischen]] ''Impositio nominis ad significandum''.<ref>Vgl. Haarmann 152.</ref> Sprache wird im Rahmen der Wadʿ-Lehre als ein System von Einzel-Wadʿs verstanden.<ref>Vgl. Ali 7.</ref>
 
== Begrifflichkeit ==
Durch den Wadʿ wird zwischen Lautgruppe und Bedeutung eine Zeichenbeziehung (''dalāla'') hergestellt, innerhalb derer die Lautgruppe als das [[Signifikant|Bezeichnende]] (''dāll'') und die Bedeutung als das [[Signifikat|Bezeichnete]] (''madlūl'') fungiert. Eine Lautgruppe, der eine bestimmte Bedeutung zugewiesen worden ist, wird ''mauḍūʿ'' ("aufgestellt, geprägt") genannt, die Bedeutung, der die Lautgruppe zugewiesen wurde, als ''mauḍūʿ la-hū'' ("Gegenstand der Aufstellung, Prägung").<ref>Vgl. Haarmann 153.</ref> Eine Lautgruppe, der keine Bedeutung zugeordnet ist, wird als ''muhmal'' ("vernachlässigt, ungenutzt") bezeichnet.<ref>Vgl. Fleischer 488.</ref>
 
== Die arabischen Theorien über den Ursprung der Sprache ==
Die Vorstellung vom Wadʿ als einer primären Setzung von Sprache hat sich erst im Laufe der Zeit gegenüber anderen Theorien durchgesetzt. Bis zum frühen 10. Jahrhundert war die "naturalistische" Theorie vorherrschend, wonach die Zeichenbeziehungen zwischen Lautgruppen und Bedeutungen durch natürliche Affinität (''munāsaba ṭābiʿīya'') entstehen.<ref>Vgl. Weiss 1974, 37.</ref> Als Hauptvertreter dieser naturalistischen Theorie gilt der [[Muʿtazila|Muʿtazilit]] ʿAbbād ibn Sulaimān (stgest. ca. 864).<ref>Vgl. Weiss 1974, 34f.</ref> Demgegenüber vertrat der Muʿtazilit Abū Hāschim (stgest. 933) die Theorie, dass Sprache durch reine Übereinkunft und Konvention (''istilāh'') zustandekommtzustande kommt, wobei die Namen, die den Dingen zugeordnet werden, [[Arbitrarität|arbiträr]] sind. Der Gegensatz zwischen der naturalistischen Sicht ʿAbbāds und der konventionalistischen Sicht Abū Hāschims entspricht in etwa der [[Physis]]-[[Thesis]]-Debatte der griechischen Sprachphilosophie,<ref>Vgl. dazu L. Deitz: Art. "Physis/Thesis" in [[Historisches Wörterbuch der Philosophie]] Bd. VII, S. 968f.</ref> wie sie sich in [[Platon]]s [[Platonischer Dialog|Dialog]] ''[[Kratylos]]'' spiegelt. Wadʿ entspricht dabei dem Wort ''thesis'', der arabische Begriff ''tabʿ'' dem Wort ''physis''.<ref>Vgl. Fleischer 488.</ref>
 
Neben der naturalistischen und der konventionalistischen gab es noch eine revelationistische Theorie über den Ursprung von Sprache, die sich an der [[koran]]ischen Aussage in Sure 2:31, wonach Gott [[Adam im Islam|Adam]] die Namen aller Dinge gelehrt hat, orientierte. Hauptverfechter dieser Theorie, nach der Gott selbst für die Herstellung der Zeichenbeziehungen zwischen Lautgruppen und Bedeutungen verantwortlich ist, war der Muʿtazilit al-Dschubbāʾī (stgest. 915/6).<ref>Vgl. Weiss 1974, 36f.</ref><ref>Die revelationistische Theorie erachtet auch nach der Definition von Anke von Kügelgen die Sprache als ursprünglich dem Menschen durch Gott geoffenbart und betrachtet Gott und nicht den Menschen als Namensgeber der Dinge. Quelle: Anke von Kügelgen: ''Menschliche Konvention und göttliche Setzung''. In: ''Logik und Theologie: Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter.'' Hrsg.: Dominik Perler, Ulrich Rudolph. Brill Academic Pub, 2005, ISBN 978-9-00411-118-9, S. 200.</ref>
 
In späterer Zeit gab es viele Versuche, die konventionalistische und die revelationistische Sicht zum Ausgleich zu bringen. So meinte zum Beispiel der Gelehrte al-Mutahhar ibn Tāhir al-Maqdisī (stgest. 966), der am Hof der [[Samaniden]] tätig war, dass der Wadʿ aufgrund der Übereinkunft der Menschen erfolge, aber nur aufgrund einer vorausgehenden Rede (''kalām sābiq'') Gottes.<ref>Vgl. Cornelia Schöck: ''Adam im Islam. Ein Beitrag zur Geschichte der Sunna''. Berlin 1993. S. 196f.</ref>
 
== Wadʿ in der islamischen Rechtstheorie ==
Innerhalb der islamischen Rechtstheorie erhielt das Wadʿ-Konzept deshalb eine wichtige Bedeutung, weil hier der Grundsatz entwickelt wurde, dass bei der Interpretation von Koran und [[Sunna]] zunächst die durch Wadʿ begründete eigentliche Bedeutung (''haqīqa'') der Wörter zugrundegelegtzugrunde gelegt werden musste.<ref>Vgl. Ali 70f.</ref> Nur wenn der Kontext (''qarīna'') darauf hinwies, dass das Wort an der betreffenden Stelle in übertragener Bedeutung ([[Madschāz]]) verwendet wurde, durfte man sich bei der Interpretation auf diese sekundäre Bedeutung stützen.<ref>Vgl. Ali 73-75.</ref> Die Frage, welche Bedeutungen der Wörter durch Wadʿ begründet waren, erhielt somit Relevanz für die Normenfindung. Der Wadʿ-Begriff verlor allerdings im Laufe der Zeit dadurch seinen restriktiven Charakter, dass seine Bedeutung auf alle Formen der Begriffsbildung ausgeweitet wurde. Als Wadʿ galt somit nicht mehr nur eine primäre Bedeutungszuweisung im Rahmen der Bildung einer Sprache, sondern es wurden jetzt auch andere Bedeutungzuweisungen darunter gefasst. Zu den Wadʿ-Arten, die diskutiert wurden, gehören durch die [[Scharia]] erfolgter Wadʿ (''waḍʿ šarʿī''), durch lokalen Brauch erfolgter Wadʿ (''waḍʿ ʿurfī ʿāmm''), fachsprachlicher Wadʿ (''waḍʿ ʿurfī ḫāṣṣ'') und persönlicher Wadʿ (''waḍʿ šaḫṣī'').<ref>Vgl. Ali 16, 23.</ref> Einige Gelehrte, die der [[Salafismus|salafitischen]] Richtung angehörten, stellten das Konzept einer primären, allgültigen Bedeutungszuweisung auch vollständig in Frage. So meinte [[Ibn Qayyim al-Dschauziya]], dass ein Wadʿ nie absolut (''muṭlaq''), sondern immer nur an einen Kontext gebunden (''muqayyad'') erfolgen könne.<ref>Vgl. Ali 100f.</ref>
 
== ʿIlm al-wadʿ als eigene Disziplin ==
Ab dem 14. Jahrhundert entwickelte sich die Reflexion über Wadʿ zu einer eigenen sprachwissenschaftlichen Disziplin, die als ''ʿilm al-wadʿ'' bezeichnet wurde. Als das grundlegende Werk gilt ein kurzer Traktat mit dem Titel ''ar-Risāla al-wadʿīya'' von [[ʿAdud ad-Dīn al-Īdschī]] (stgest. 1355), zu dem in der Folgezeit zahlreiche muslimische Gelehrte Kommentare und Glossen abfassten.<ref>Vgl. [[Carl Brockelmann]]: ''Geschichte der arabischen Literatur''. 2. Band. 2. Aufl. Leiden 1949. S. 268f.</ref>
 
== Literatur ==
* M. Mohamed Yunis Ali: ''Medieval Islamic Pragmatics. Sunni Legal Theorists' Models of Textual Communication.'' Richmond, Surrey 2000.
* [[Heinrich Leberecht Fleischer]]: "Bemerkungen zur arabischen Grammatik" in ''Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft'' 30 (1876) 487-513487–513. Hier online abrufbar: httphttps://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/dmg/periodical/pageview/47815
* Ulrich Haarmann: "Religiöses Recht und Grammatik im klassischen Islam" in Wolfgang Voigt (Hrsg.): ''Vorträge / Deutscher Orientalistentag: vom 1. bis 5. Oktober 1972 in Lübeck.'' Wiesbaden: Steiner, 1974, (Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft / Supplement ; 2), S. 149-169149–169. Hier abrufbar: httphttps://www.freidok.uni-freiburg.de/volltextedata/4643/pdf/Haarmann_Religioeses_Recht_und_Grammatik_im_klassischen_Isl.pdf
* Bernard G. Weiss: ''Language in orthodox Muslim thought: a study of "waḍ' al-lughah" and its development''. Dissertation, Princeton 1966.
* Bernard G. Weiss: "Medieval Muslim Discussions of the Origin of Language" in ''Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft'' 124 (1974) 33-4133–41. Hier online abrufbar:httphttps://menadoc.bibliothek.uni-halle.de/dmg/periodical/titleinfo/96002
* Bernard G. Weiss: "ʿIlm al-waḍʿ. An introductory account of a later Muslim philological science" in ''Arabica'' 34 (1987) 339-56.
* Bernard G. Weiss: Art. "Waḍʿ al-Lu<u>gh</u>a" in [[The Encyclopaedia of Islam. New Edition]] Bd. XI, S. 7.