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{{Dieser Artikel|behandelt Abstraktion im Allgemeinen. Zum Begriff in der Informatik siehe [[Abstraktion (Informatik)]].}}
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Das Wort '''Abstraktion''' ({{laS|abstractus}} ‚abgezogen‘, Partizip Perfekt Passiv von {{lang|la|''abs-trahere''}} ‚abziehen‘, ‚entfernen‘, ‚trennen‘) bezeichnet meist den [[Induktion (Philosophie)|induktiven]] Denkprozess des erforderlichen Weglassens von Einzelheiten und des Überführens auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres. Daneben gibt es spezifische sowie unspezifische Verwendungen des Begriffes in bestimmten Einzelwissenschaften und einzelnen [[Theorie]]n, Thesen sowie Behauptungen verschiedener Oktasen.
 
Das Wort '''Abstraktion''' ({{laS|abstractus}} ‚abgezogen‘, Partizip Perfekt Passiv von {{lang|la|''abs-trahere''}} ‚abziehen‘, ‚entfernen‘, ‚trennen‘) bezeichnet meist den [[Induktion (Philosophie)|induktiven]] Denkprozess des erforderlichen Weglassens von Einzelheiten und des Überführens auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres. Daneben gibt es spezifische sowie unspezifische Verwendungen des Begriffes in bestimmten Einzelwissenschaften und einzelnen [[Theorie]]n, Thesen sowie Behauptungen.
== Philosophie ==
In der Philosophie bezeichnet ''Abstraktion'' ein [[Gedanke|gedankliches]] Verfahren, durch das von bestimmten gegebenen, jedoch als ''unwesentlich erachteten Merkmalen'' eines Gegenstandes abgesehen wird. Auf diese Weise soll sich das Augenmerk auf das Wesentliche konzentrieren, d.&nbsp;h. auf eine ganz bestimmte [[Begriff (Philosophie)|begriffliche]] [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]] der so erfassten ''speziellen Merkmale''.<ref name="MLP">[[Peter Prechtl]], [[Franz-Peter Burkard]] (Begr.): ''Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen.'' 3., erw. und aktual. Auflage. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-476-02187-8, S. 6.</ref> Dabei stellt sich die Frage, ob Abstraktionen als gleichwertig zu bezeichnen sind, wenn sie sowohl interindividuell – zwischen verschiedenen Menschen – als auch [[Kategorie (Philosophie)|kategorisch]] – zur Erfassung und Unterscheidung bestimmter Begriffe – verwendet werden. Infolge dieser begrifflichen [[Unschärfe (Sprache)|Unschärfe]] werden unterschiedliche Verfahren der Abstraktion angenommen wie etwa das Verfahren der ''isolierenden Abstraktion''.<ref name="MLP" /> Hierbei werden von einer gegebenen Anzahl von Merkmalen die für einen ganz bestimmten Gegenstand wesentlichen Eigenschaften herausgestellt etwa nach Art eines Gesellschaftsspiels, bei dem der zu erratende Begriff durch Ja-/Nein-Antworten aus einem immer engeren [[Extension und Intension|Begriffsumfang]] herauskristallisiert werden muss.<ref name="MAL">[[Fritz Mauthner]]: ''Wörterbuch der Philosophie.'' Diogenes-Verlag, Zürich 1980, {{falsche ISBN|3-257-20828-7}}, S. 9–11.</ref>
 
Abstraktion ist ein grundlegendes Konzept, das in verschiedenen Disziplinen eine Rolle spielt. In der Linguistik beispielsweise bezieht sich Abstraktion auf den Prozess, bei dem bestimmte Eigenschaften oder Merkmale von Wörtern oder Sätzen allgemeiner gemacht werden, um sprachliche Regelmäßigkeiten zu erkennen. Dies ermöglicht eine effiziente Kommunikation und die Bildung von abstrakten Konzepten.
Abstraktion bezeichnet oft eine Operation des [[Denken]]s, welche von konkreten Objekten der Wirklichkeit (etwa dieser Baum hier, jener Baum dort usw.) allgemeine Eigenschaften „abzieht“ und daraus beispielsweise allgemeine Begriffe formt (etwa: die Gattung ''Baum''). Dazu muss von bestimmten individuellen Eigenschaften der konkreten Objekte abgesehen werden, sodass die abstrahierten Merkmale auf mehrere andere Objekte auch zutreffen. Solchen allgemeinen Begriffen sprechen einige Philosophen (sogenannte [[Universalienrealismus|Universalienrealisten]]) unabhängige Realität zu (es gibt den Begriff Baum auch dann, wenn es keine Bäume in der wirklichen Welt gibt oder keine Worte in irgendeiner natürlichen Sprache gibt, welche den Gehalt des Baum-Begriffs ausdrücken). Solche Begriffe haben, meinen einige Theoretiker, eben weil sie ''Abstraktionen'' sind, einen spezifischen Eigenstatus, wie er informationellen Gehalten überhaupt zukommt: nämlich seien diese Gehalte nicht raumzeitlich lokalisiert und seien nur solchen Bewusstseinen zugänglich, welche Abstraktionsleistungen des entsprechenden Typs überhaupt vollziehen können. Letzteres nähert sich sogenannten [[Idealismus|idealistischen]] oder [[Konstruktivismus (Philosophie)|konstruktivistischen]] Positionen bezüglich abstrakter Begriffe. Dies sind Gegenpositionen zum Universalienrealismus, welche behaupten, dass Allgemeinbegriffe und dergleichen bloße [[Konstrukt]]e sind und kein Sein unabhängig von Denk- bzw. genauer Abstraktionsoperationen haben. (Außerdem nennt man diejenigen extremen Positionen, welche lehren, dass es überhaupt nur einen Typ von Seiendem gebe, nämlich eben mentales, als Gedachtes, meist ebenfalls ''idealistisch''.) Debatten über derartige [[Ontologie|ontologische]] und [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] Themen werden seit Jahrhunderten geführt und haben in den letzten Jahrzehnten an Komplexität nochmals zugenommen. So wurden beispielsweise unterschiedliche realistische Theorien bezüglich natürlicher Arten (Objekten wie ''Wasserstoff'', ''Bäume'' etc.) ausgearbeitet; es gibt sog. trope-Theorien, welche Universalien als nur, aber vollständig in Individuen existent beschreiben. Erstere Art von Theorien verneint, dass über korrekte Abstraktionleistungen gewonnene Artbegriffe ''bloße'' Abstraktionen sind.
 
In der Psychologie spielt die Abstraktion eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Denkmustern und Konzeptbildung. Durch Abstraktion sind wir in der Lage, komplexe Informationen zu vereinfachen und [[Kategorisierung (Kognitionswissenschaft)|allgemeine Kategorien oder Regeln zu bilden]]. Dies ermöglicht uns, die Welt um uns herum besser zu verstehen und uns auf Wesentliches zu konzentrieren.
Auch um die intuitiv plausible, aber schwer exakt zu explizierende Unterscheidung von abstrakten und konkreten Objekten einzufangen, wurden komplizierte Theorien ausgearbeitet, etwa von [[Crispin Wright]] und [[Bob Hale]] oder von [[Edward N. Zalta]]. Während Theoretiker wie [[George Bealer]] die notwendige Existenz abstrakter Objekte [[a priori]] und [[Hilary Putnam]] auf wissenschaftstheoretischer Basis zu zeigen versuchen, will etwa [[Hartry Field]] das Gegenteil beweisen, insbesondere für die Philosophie der Mathematik.
 
Abstraktion findet auch Anwendung in der Informatik und im Bereich der Datenverarbeitung. Hier bezieht sich Abstraktion auf die Entwicklung von Modellen und Konzepten, die komplexe Systeme oder Daten repräsentieren. Abstraktion hilft dabei, die Komplexität zu reduzieren und Probleme in überschaubare Teile aufzuteilen, was wiederum zu effizienteren Lösungen führt.
=== Ausgewählte Positionen der Philosophiegeschichte ===
Schon die Vorsokratiker suchten nach einem Urstoff oder mehreren, um die Realität durch Rückführung auf abstrakte Objekte oder Prinzipien zu erklären. [[Heraklit]] beispielsweise hat in allem ''Seienden'' nach dem ''Gemeinsamen'' gesucht.
 
Es ist wichtig anzumerken, dass Abstraktion nicht nur eine intellektuelle Übung ist, sondern auch eine praktische Bedeutung hat. Sie ermöglicht es uns, Zusammenhänge zu erkennen, Muster zu identifizieren und effektive Lösungsstrategien zu entwickeln. Abstraktion ist somit ein grundlegender Mechanismus, der uns dabei hilft, die Welt um uns herum zu verstehen und mit ihr zu interagieren.
[[Platon]] legt jedem Ding eine vollkommene [[Idee]] des Gegenstandes zugrunde: dieser Baum ist deswegen ein Baum, weil er teilhat an der Idee des Baumes, welche selbst nicht raumzeitlich lokalisiert ist und auch nicht einfach nur durch Abstraktion, sondern durch Wiedererinnerung an die Idee des Baumes erkannt wird. Die mit einem solchen Ideenrealismus verbundenen Probleme wurden teilweise auch von Platon selbst schon diskutiert.
 
== Alltagssprache ==
[[Aristoteles]] hat die als ''unwesentlich erachteten Merkmale'' eines Gegenstandes als [[Akzidenz (Philosophie)|Akzidenz]] bezeichnet. In seiner Lehre stellte er drei Stufen der Abstraktion auf. Diese haben erheblichen Einfluss auf die Metaphysik ausgeübt. Wenn man nämlich die höchste Abstraktionsstufe als höchste Allgemeinheit dem sogenannten [[Sein]] zuordnet, so wird dieser Begriff zwar sehr umfassend, aber doch auch so inhaltsleer, dass man den Ast absägt, auf dem man sitzt oder zu sitzen glaubt, vgl. → [[Extension und Intension]], [[Arbor porphyriana]].<ref>[[Jean-Marie Zemb]]: ''Aristoteles. mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.'' (= ''Rowohlts Monographien.'' 63). 13. Auflage. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1995, ISBN 3-499-50063-9, S. 59.</ref><ref>I. J. M. Van den Berg: ''L’abstraction et ses degrés chez Aristote.'' In: ''Actes du X<sup>e</sup> Congr. int. philos.'' 3, Brüssel/ Amsterdam 1951, S. 109, 113.</ref> Aristoteles diskutiert die platonische Ideenlehre wesentlich kritischer. Er selbst arbeitet mit dem Begriff ''eidos''. Dabei handelt es sich um eine Art Strukturprinzip von Objekten eines je bestimmten Typs. Dieses aber ist selbst ''im'' Seienden lokalisiert und metaphysisch nicht von ihm separierbar (es gibt ''keine'' Röte, wenn es keine roten Objekte gibt). Aristoteles lehrt allerdings auch eine Vierheit von Ursachen. Besonders die Form-Ursache ist hier einschlägig. Durch Rückführung auf ''grundlegendere'', abstraktere Ursachen werden ebenfalls Objekte und ihre So-Beschaffenheit erklärt. Da diese Rückführung nicht unendlich weitergehen soll, setzt Aristoteles einen selbst „unbewegten Beweger“ an. Alle „Bewegung“, was insbesondere jede Veränderung in Lage ''und Beschaffenheit'' meint, hat in ihm ihre erste Ursache.
Als abstrakt gilt in der Alltagssprache das, was der anschaulichen Wirklichkeit entrückt ist, was nur dem Verstand oder in der Einbildungskraft zugänglich ist. Als das Gegenteil gelten [[Konkretisierung|konkrete]] Sinneseindrücke oder -vorstellungen. In der Zukunft liegende Absichten werden als abstrakt bezeichnet, wenn ihre Realisierung unklar ist. Konkrete Pläne beruhen auf einer hohen Wahrscheinlichkeit ihrer Durchführung. Das Abstrakte ist im Gegensatz zum [[Das Absolute|Absoluten]] immer bezogen auf etwas, es besteht eine [[Relation (Philosophie)|Relation]] auf etwas Konkretes.
 
[[Mathematik]], [[Logik]] und große Teile der Philosophie gelten traditionell als rein abstrakte Wissenschaften, heute auch die [[Systemtheorie]] und die [[Informatik]]. In der Kunst bezeichnet man Werke als [[Abstrakte Kunst|abstrakt]], die sich von der gegenständlichen Sichtweise entfernen und nichts leicht erkennbar abbilden.
Von dem spätantiken Philosophen [[Boëthius]] stammt die Gegenüberstellung von ''abstrakt'' und ''konkret''.
 
== Sprachwissenschaft ==
Der sogenannte [[Universalienstreit]] darüber, ob die abstrakten Begriffe „vor“ oder „nach den Dingen“ vorhanden seien bzw. gebildet würden, hielt die Denker der [[Scholastik]] bzw. des Mittelalters in Atem.
Eine ''sprachliche'' Abstraktion ist die Bildung von Kategorien ([[Taxonomie]]), die nicht die Einzelobjekte beschreiben. Es wird dabei eine abstrakte [[Kategorie (Philosophie)|Kategorie]] gebildet, die Eigenschaften der Einzelobjekte integriert, diese aber nicht genau benennt. Die Kategorie „Einrichtungsgegenstände“ ist eine Abstraktion der konkreten Begrifflichkeiten „Sofa“, „Tisch“, „Schrank“, „Lampe“ usw. die von der Kategorie „Einrichtungsgegenstände“ umfasst werden.
{{Siehe auch|Superierung}}
 
Die Abstraktion in [[Grammatik|grammatische]] Kategorien wie Adverbien, Adjektive, Substantive, Prädikat, Kopula, ist eine erweiterte Denkleistung, die Kleinkindern nicht zugänglich ist. Im Alltag vollzieht sich dieser Abstraktionsprozess unwillkürlich und unbemerkt. Die Menschwerdung hing entscheidend mit der Entwicklung der Fähigkeit zur gedanklichen Abstraktion zusammen. Darüber jedoch, was genau unter Abstraktion zu verstehen ist, waren und sind sich Denker und Wissenschaftler nicht immer einig.
[[Johannes Duns Scotus]] beispielsweise ging bei seiner „abstraktiven“ Erkenntnislehre davon aus, dass ein Gegenstand nur durch die Sinne erfahrbar ist und im Verstand ein Bild erzeugt. Durch die unabhängige, aktive Tätigkeit des Verstandes wird diese noch ungeordnete [[Vorstellung]] als das Universelle im [[Abbild]] bestimmt. Das heißt, das im Bild enthaltene Allgemeine wird von den speziellen und stofflichen Bedingungen des individuellen Gegenstandes abstrahiert. Es entsteht die deutlich abgegrenzte Erkenntnis, die den Gegenstand begrifflich in allen seinen Facetten erfasst. Die Erkenntnis wird erst abgeschlossen, wenn sie im [[Gedächtnis]] verankert ist. Erst durch die (passive) Verinnerlichung wird ein Gegenstand [[intelligibel]] und kann als Möglichkeit in der Vergegenwärtigung aufleuchten, das heißt wieder in das Bewusstsein gerufen werden. Der einmal gewonnene Begriff eines Gegenstandes kann durch einen anderen Begriff ersetzt werden, wie auch Vorstellungen durch Kombination verändert oder neu erzeugt werden können.
 
== Philosophie ==
Auch einige englische Philosophen der frühen Neuzeit, z.&nbsp;B. [[John Locke]] und [[George Berkeley]] (letzterer trieb die Abstraktion bis zum nicht mehr hintergehbaren „something“) sowie [[Gottfried Wilhelm Leibniz]], [[Baruch Spinoza]] und [[René Descartes]] waren mit der Thematik befasst und stritten u.&nbsp;a. darum, ob unsere Begriffe von Essentien (das, was etwa Wasser als solches ausmacht bzw. zu Wasser macht) angeboren oder erworben sind.
In der Philosophie bezeichnet ''Abstraktion'' ein [[Gedanke|gedankliches]] Verfahren, durch das ein Merkmal eines Gegenstandes hervorgehoben wird, um das Markante oder in einem bestimmten Zusammenhang Wesentliche hervorzuheben (Akt der positiven Bestimmung), und durch das zugleich von allen anderen Merkmalen abgesehen wird (Akt der Negation). Das Resultat ist ein abstrakter [[Begriff (Philosophie)|Begriff]], dessen [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]] einerseits durch die Klasse der Gegenstände gegeben ist, die das hervorgehobene Merkmal aufweisen, und andererseits durch das erfasste speziellen Merkmal, das den Begriffsinhalt bildet.<ref name="MLP">[[Peter Prechtl]], [[Franz-Peter Burkard]] (Begr.): ''Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen.'' 3., erw. und aktual. Auflage. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-476-02187-8, S. 6.</ref><ref name="MAL">[[Fritz Mauthner]]: ''Wörterbuch der Philosophie.'' Diogenes-Verlag, Zürich 1980, {{falsche ISBN|3-257-20828-7}}, S. 9–11.</ref>
 
Nach John Locke ist die Abstraktion eine geistige Operation, die von den Wahrnehmungen und Vorstellungen wirklicher Dinge eine allgemeine Vorstellung des zugrunde liegenden Musters abtrennt, indem sie von Nebenumständen wie Zeit, Ort oder anderen begleitenden Vorstellungen absieht und die resultierende allgemeine Vorstellung mit einem Wort verbindet. Der Verstand häufe diese mit Worten verbundene allgemeinen Vorstellungen auf, um mit ihnen die konkreten Dinge zu benennen und nach Arten zu ordnen.<ref>John Locke’s Versuch über den menschlichen Verstand. Erster Band. Hrsg. von J. H. von Kirchmann. Heidelberg 1882, 162 f.</ref>
An diesem Streit beteiligte sich auch [[David Hume]], der einen empiristischen Ansatz vertrat; Ursache und Wirkung beispielsweise wären lediglich aus der ''Erfahrung'' einer Folge von etwas auf etwas gebildet, jedoch wüssten wir niemals mit Sicherheit, ob morgen die Sonne wieder aufgehen werde. Hume wurde wiederum von [[Immanuel Kant]] kritisiert, der das Gegenkonzept der (vorauszusetzenden) „''Bedingungen der Möglichkeit'' einer jeden Erfahrung“ entwickelte: die reinen Formen der Anschauung, die Kategorien des Verstandes, die Regulative der Vernunft.
 
Abstraktion bezeichnet demnach eine Operation des [[Denken]]s, welche von den Vorstellungen konkreter Objekte der Wirklichkeit (etwa der Wahrnehmung des Baumes hier, jenes Baumes dort usw.) allgemeine Eigenschaften „abtrennt“ (Muster hervorhebt) und daraus beispielsweise allgemeine Begriffe (Vorstellungen plus sprachliche Bezeichnung) formt (etwa: die Gattung ''Baum''). Dazu wird von bestimmten individuellen Eigenschaften der konkreten Objekte abgesehen, sodass die abstrahierten Merkmale auf mehrere andere Objekte auch zutreffen.
Die philosophische Bewegung des sogenannten [[Deutscher Idealismus|deutschen Idealismus]] um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (z.&nbsp;B. [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]], [[Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling]]) bestimmte als Gegenbegriff zur Abstraktion den sehr voraussetzungsreichen Begriff der Konkretion. Diese Theorien sind sehr kompliziert. Die [[Idealismus|Idealisten]] verstanden unter Konkretion nicht den Vorgang, das (landläufige) Konkrete zu denken oder einen (landläufigen) Allgemeinbegriff auf etwas Konkretes anzuwenden, sondern die „[[dialektische Aufhebung]]“ des Unterschiedes von Abstraktem und Konkretem in einer höheren Einheit, die nach ihren Angaben erst ermöglichen sollte, die Wirklichkeit angemessen zu erfassen.
 
Die Auffassung, dass das Abstrakte das Wesentliche sei, wird bereits von Hegel kritisiert: {{" |Dies heißt abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm [zu] vertilgen.}}<ref>Georg Wilhelm Friedrich Hegel: ''Wer denkt abstrakt?'' In: G. W. F. Hegel: ''Werke.'' Band 2, Frankfurt am Main 1979.</ref>
[[Martin Heidegger]], der in ''[[Sein und Zeit]]'' (1927) der gesamten Denktradition und insbesondere den Idealisten vorwarf, die „Alltäglichkeit“ übersprungen zu haben, bildete ein anderes Gegensatzpaar, das Abstraktion und Konkretion der „Alltäglichkeit“ fassen sollte: „Zuhandenheit“ und „Vorhandenheit“.
 
Die Hervorhebung des abstrahierten (abgetrennten) Merkmals wird durch aristotelisch-thomistische Tradition betont, die dazu einen aktiven Verstand (''intellectus agens'') voraussetzt. Die mit jeder Abstraktion verbundene Negation von Merkmalen wird durch die Interpretation Kants betont: „Man abstrahiert nicht einen Begriff als gemeinsames Merkmal, sondern man abstrahiert in dem Gebrauche eines Begriffs von der Verschiedenheit desjenigen, was unter ihm enthalten ist.“<ref>Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, Bd. VIII, S. 199 Anm.</ref> Kant folgt damit dem empiristischen Verständnis, das aber auch einen spontan (auch unbewusst) tätigen Verstand voraussetzt.<ref>{{Literatur |Autor=Rudolf Malter |Hrsg=H. Krings u.&nbsp;a. |Titel=Abstrakt |Sammelwerk=Handbuch philosophischer Grundbegriffe |Band=1 |Verlag=Kösel |Datum=1973 |ISBN=3-466-40055-4 |Seiten=22}}</ref>
Im ''Philosophischen Wörterbuch'' (Apel/Ludz, 1958) wird Abstraktion als Gegensatz zur [[Determination (Logik)|Determination]] gesehen, also ganz anders als z.&nbsp;B. bei den Idealisten, und eine Reihe verschiedener Abstraktionsmethoden aufgezählt: isolierende oder generalisierende (verallgemeinernde), quantitative oder qualitative, negative oder positive Abstraktion.
 
Dabei stellt sich die Frage, ob Abstraktionen als gleichwertig zu bezeichnen sind, wenn sie sowohl interindividuell – zwischen verschiedenen Menschen – als auch [[Kategorie (Philosophie)|kategorisch]] – zur Erfassung und Unterscheidung bestimmter Begriffe – verwendet werden. Infolge dieser begrifflichen [[Unschärfe (Sprache)|Unschärfe]] werden unterschiedliche Verfahren der Abstraktion angenommen wie etwa das Verfahren der ''isolierenden Abstraktion''.<ref name="MLP" /> Hierbei werden von einer gegebenen Anzahl von Merkmalen die für einen ganz bestimmten Gegenstand wesentlichen Eigenschaften herausgestellt etwa nach Art eines Gesellschaftsspiels, bei dem der zu erratende Begriff durch Ja-/Nein-Antworten aus einem immer engeren [[Extension und Intension|Begriffsumfang]] herauskristallisiert werden muss.
Die verschiedenen Auffassungen der [[Erkenntnistheorie]] ergeben unterschiedliche Definitionsansätze von Abstraktion. Auch die Vertreter moderner [[Wissenschaftstheorie]] und [[Analytische Philosophie|analytischer Philosophie]] beteiligten sich an diesem Disput.
 
=== Moderne Positionen der Philosophie ===
Auch der Terminus [[Konkretisierung]] wird der Abstraktion gegenübergestellt.
Abstrakten Begriffen sprechen einige Philosophen (sogenannte [[Universalienrealismus|Universalienrealisten]]) eine unabhängige Realität zu. (Es gibt den Begriff Baum auch dann, wenn es keine Bäume in der wirklichen Welt oder keine Worte in irgendeiner natürlichen Sprache gibt, welche den Gehalt des Baum-Begriffs ausdrücken.) In der [[Analytische Philosophie|Analytischen Philosophie]] sind die Positionen des mittelalterlichen [[Universalienproblem|Universalienstreits]] zurückgekehrt. Einige Theoretiker meinen, dass Begriffe, eben weil sie ''Abstraktionen'' sind, einen spezifischen Eigenstatus haben, wie er informationellen Gehalten überhaupt zukommt: Diese Gehalte seien nicht raumzeitlich lokalisiert und nur einem Bewusstsein zugänglich, das Abstraktionsleistungen des entsprechenden Typs vollziehen könne. Letzteres nähert sich sogenannten [[Idealismus|idealistischen]] oder [[Konstruktivismus (Philosophie)|konstruktivistischen]] Positionen für abstrakte Begriffe an. Dies sind Gegenpositionen zum Universalienrealismus, welche behaupten, dass Allgemeinbegriffe und dergleichen bloße [[Konstrukt]]e seien und kein Sein unabhängig von Denk- bzw. genauer Abstraktionsoperationen hätten. (Unabhängig davon nennt man diejenigen extremen Positionen, dass es überhaupt nur mentales, gedachtes Seiendes gebe, ebenfalls ''idealistisch''.) Debatten über derartige [[Ontologie|ontologische]] und [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] Themen werden seit Jahrhunderten geführt und haben in den letzten Jahrzehnten an Komplexität nochmals zugenommen. So wurden beispielsweise unterschiedliche realistische Theorien bezüglich natürlicher Arten (Objekten wie ''Wasserstoff'', ''Bäume'' etc.) ausgearbeitet; es gibt sog. Trope-Theorien, welche Universalien als nur, aber vollständig in Individuen existent beschreiben. Erstere Art von Theorien verneint, dass über korrekte Abstraktionsleistungen gewonnene Artbegriffe ''bloße'' Abstraktionen sind.
 
Auch um die intuitiv plausible, aber schwer exakt zu explizierende Unterscheidung von abstrakten und konkreten Objekten zu erfassen, wurden komplizierte Theorien ausgearbeitet, etwa von [[Crispin Wright]] und [[Bob Hale]] oder von [[Edward N. Zalta]]. Während Theoretiker wie [[George Bealer]] die notwendige Existenz abstrakter Objekte [[a priori]] und [[Hilary Putnam]] auf wissenschaftstheoretischer Basis zu zeigen versuchen, will etwa [[Hartry Field]] das Gegenteil beweisen, insbesondere für die Philosophie der Mathematik.
Einmütigkeit der Auffassungen ist nicht erreicht worden. Lediglich darüber herrscht seit alters Einigkeit, auch unter den Philosophen, dass [[Mathematik]] und [[Logik]] rein abstrakte Wissenschaften seien. Heute gilt auch die [[Systemtheorie]] der Informatik als rein abstrakte Wissenschaft.
 
Im ''Philosophischen Wörterbuch'' ([[Max Apel]]/[[Peter Christian Ludz|Peter Ludz]], Göschen 1958) wird Abstraktion als Gegensatz zur [[Determination (Logik)|Determination]] gesehen, also ganz anders als z.&nbsp;B. bei den Idealisten, und eine Reihe verschiedener Abstraktionsmethoden aufgezählt: isolierende oder generalisierende (verallgemeinernde), quantitative oder qualitative, negative oder positive Abstraktion.
Andere Wissenschaften lassen sich unter anderem aus abstrakter Sicht betrachten. In der Kunst bezeichnet man Werke als [[Abstrakte Kunst|abstrakt]], die sich von der gegenständlichen Sichtweise entfernen.
 
=== Ausgewählte Positionen der Philosophiegeschichte ===
== Kunst ==
Schon die Vorsokratiker suchten nach einem Urstoff oder mehreren, um die Realität durch Rückführung auf abstrakte Objekte oder Prinzipien zu erklären. [[Heraklit]] beispielsweise hat in allem ''Seienden'' nach dem ''Gemeinsamen'' gesucht.
Die Darstellung eines Schweines oder eines Büffels auf einer zweidimensionalen Ebene einer Höhlenwand ([[Höhlenmalerei]]) in einem verkleinerten Maßstab dürfte mit der Sprache zu den fortgeschrittensten Anfängen menschlicher Abstraktionsleistungen gehören. Fußabdrücke im Sand, Schnee oder Lehm sind eine Selbstabbildung im Maßstab 1:1 und sind die ersten abstrakten Abbildungen von Menschen und Tieren, die von Menschen richtig interpretiert werden konnten. Der Abdruck eines liegenden Menschen am Strand im nassen Sand, der Abdruck seines Gesichtes eines Muschelgehäuses oder seines Speeres darin und das Nachzeichnen seiner äußeren Körperkonturen wie der Finger seiner Hand mit einem dünnen Schilfrohr waren die Anfänge des Zeichnens und der von Menschen auch in verkleinerter Darstellung verstandenen abstrakten Zeichen.
 
[[Platon]] legt jedem Ding eine vollkommene [[Idee]] des Gegenstandes zugrunde: dieser Baum ist deswegen ein Baum, weil er teilhat an der Idee des Baumes, welche selbst nicht raumzeitlich lokalisiert ist und auch nicht einfach nur durch Abstraktion, sondern durch Wiedererinnerung an die Idee des Baumes erkannt wird. Die mit einem solchen Ideenrealismus verbundenen Probleme wurden teilweise auch von Platon selbst schon diskutiert.
In der [[Bildende Kunst|Bildenden Kunst]] bezeichnet ''Abstraktion'' einerseits die mehr oder weniger ausgeprägte stilistische Reduzierung der dargestellten Dinge auf wesentliche oder bestimmte Aspekte. In diesem Fall spricht man davon, dass ''vom Allgemeinen auf das Wesentliche abstrahiert'' wird. Was als ''wesentlich'' gilt, bestimmt einerseits die Kreativität des Künstlers, andererseits die Wahrnehmung des Betrachters.
 
[[Aristoteles]] hat die als ''unwesentlich erachteten Merkmale'' eines Gegenstandes als [[Akzidenz (Philosophie)|Akzidenz]] bezeichnet. In seiner Lehre stellte er drei Stufen der Abstraktion auf. Diese haben erheblichen Einfluss auf die Logik und Metaphysik ausgeübt. Wenn man nämlich die höchste Abstraktionsstufe als höchste Allgemeinheit dem sogenannten [[Sein]] zuordnet, so wird dieser Begriff zwar sehr umfassend, aber doch auch so inhaltsleer, dass man den Ast absägt, auf dem man sitzt oder zu sitzen glaubt, vgl. → [[Extension und Intension]], [[Arbor porphyriana]].<ref>[[Jean-Marie Zemb]]: ''Aristoteles. mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.'' (= ''Rowohlts Monographien.'' 63). 13. Auflage. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1995, ISBN 3-499-50063-9, S. 59.</ref><ref>I. J. M. Van den Berg: ''L’abstraction et ses degrés chez Aristote.'' In: ''Actes du X<sup>e</sup> Congr. int. philos.'' 3, Brüssel/Amsterdam 1951, S. 109, 113.</ref> Aristoteles diskutiert die platonische Ideenlehre sehr kritisch. Er selbst arbeitet mit dem Begriff ''eidos''. Dabei handelt es sich um eine Art Strukturprinzip von Objekten eines je bestimmten Typs. Dieses aber ist selbst ''im'' Seienden lokalisiert und metaphysisch nicht von ihm separierbar (es gibt ''keine'' Röte, wenn es keine roten Objekte gibt). Aristoteles lehrt allerdings auch eine Vierheit von Ursachen. Besonders die Form-Ursache ist hier einschlägig. Durch Rückführung auf ''grundlegendere'', abstraktere Ursachen werden ebenfalls Objekte und ihre So-Beschaffenheit erklärt. Da diese Rückführung nicht unendlich weitergehen soll, setzt Aristoteles einen selbst „unbewegten Beweger“ an. Alle „Bewegung“, was insbesondere jede Veränderung in Lage ''und Beschaffenheit'' meint, hat in ihm ihre erste Ursache.
Die Zeichnungen von Steffen Flossmann stellen einen [[Hirschkäfer]] in unterschiedlichen Abstraktionsgraden dar. Durch Abstraktion können Veränderungen zum Beispiel in Perspektive, Farbgebung, Struktur oder Stil entstehen. Besonders auffällig sind oft Merkmalsveränderungen, das heißt Dinge, die wie die gelbe Fläche im Beispiel ''F'' nicht zum Objekt gehören oder wie die zusätzlichen Beinglieder im Beispiel ''D'' ein Merkmal betonen.
 
Von dem spätantiken Philosophen [[Boëthius]] (480–524) stammt die Gegenüberstellung von ''abstrakt'' und ''konkret''. ''Über die Trinität'' (Kp. 3) behandelt die Unterschiede zwischen den drei spekulativen Wissenschaften: Naturwissenschaft (= ''Physik''). Mathematik und Theologie (= ''Metaphysik''). Während erstere bewegte Gegenstände in Verbindung mit der Materie behandelt (inabstracta) und die Mathematik nur über dem Sein nach materiell gegebene Formen (inabstracta) ohne Bewegung lehrt, spricht allein die Theologie abstrakt über Gott, dessen Sein losgelöst von Bewegung und Materie ist. Diese spezielle Bedeutung, die Thomas in einem Kommentar wieder aufgegriffen hat, konnte sich nicht halten.<ref>[http://www.hoye.de/saekular/lieferung6.pdf Hilfsgerüst zum Thema: Die Begriffe ‚abstrakt‘ und ‚konkret‘] (PDF), auf hoye.de</ref>
<gallery class="center" caption="realistischere Zeichnungen">
19900611 Hirschkäfer 05.png|'''A''' Form, Perspektive und Merkmale sind erhalten aber Farbe verändert
19900611 Hirschkäfer 03.png|'''B''' Konturen betont, Merkmale sind erhalten
19900611 Hirschkäfer 04.png|'''C''' Licht und Schatten betont, Merkmale sind erhalten
</gallery>
<gallery class="center" caption="abstraktere Zeichnungen">
 
Der sogenannte [[Universalienstreit]] darüber, ob die abstrakten Begriffe „vor“ oder „nach den Dingen“ vorhanden seien bzw. gebildet würden, beschäftigte die Denker der [[Scholastik]] bzw. des Mittelalters.
19900611 Hirschkäfer 16.png|'''E''' Form, Farbe und Perspektive sind verändert
 
[[Johannes Duns Scotus]] ging bei seiner „abstraktiven“ Erkenntnislehre davon aus, dass ein Gegenstand nur durch die Sinne erfahrbar ist und im Verstand ein Bild erzeugt. Durch die unabhängige, aktive Tätigkeit des Verstandes wird diese noch ungeordnete [[Vorstellung]] als das Universelle im [[Abbild]] bestimmt. Das heißt, das im Bild enthaltene Allgemeine wird von den speziellen und stofflichen Bedingungen des individuellen Gegenstandes abstrahiert. Es entsteht die deutlich abgegrenzte Erkenntnis, die den Gegenstand begrifflich in allen seinen Facetten erfasst. Die Erkenntnis wird erst abgeschlossen, wenn sie im [[Gedächtnis]] verankert ist. Erst durch die (passive) Verinnerlichung wird ein Gegenstand [[intelligibel]] und kann als Möglichkeit in der Vergegenwärtigung aufleuchten, das heißt wieder in das Bewusstsein gerufen werden. Der einmal gewonnene Begriff eines Gegenstandes kann durch einen anderen Begriff ersetzt werden, wie auch Vorstellungen durch Kombination verändert oder neu erzeugt werden können. Das ist in der [[Kognitionspsychologie]] noch immer eine aktuelle Position.
</gallery><gallery widths="180" heights="180">
Datei:Abstraktion in der Fotografie Ausgangsbild Fernmeldeturm und Raffinerie sind fokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Ausgangsbild Fernmeldeturm und Raffinerie sind fokussiert
Datei:Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind defokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind defokussiert
Datei:Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind stark defokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind stark defokussiert
</gallery>
 
Auch einige englische Philosophen der frühen Neuzeit, z.&nbsp;B. [[John Locke]] und [[George Berkeley]] (letzterer trieb die Abstraktion bis zum nicht mehr hintergehbaren „something“) sowie [[Gottfried Wilhelm Leibniz]], [[Baruch Spinoza]] und [[René Descartes]] waren mit der Thematik befasst. Die [[Rationalismus|Rationalisten]] und die [[Empirismus|Empiristen]] stritten u.&nbsp;a. darum, ob unsere Begriffe von Essentien (das, was etwa Wasser als solches ausmacht bzw. zu Wasser macht) angeboren oder erworben sind. Beim Empiristen Locke werden aus einfachen, passiv von den Sinnen gewonnenen Wahrnehmungen mit Hilfe der aktiven Verstandestätigkeit komplexe Ideen. Die Arten der Verstandestätigkeit unterscheidet er in Verbindung, Relation und Abstraktion. Die „komplexen“ Ideen unterteilt Locke in Modi, Substanzen und Relationen (Essay II, k. 12, 164).
Andererseits bezeichnet der Begriff in der Kunst verschiedene Strömungen der [[Moderne]] oder der [[Zeitgenössische Kunst|zeitgenössischen Kunst]], deren Merkmal sogar die völlige ''Abwesenheit'' eines konkreten Gegenstandsbezuges ist. ([[Abstrakte Kunst]], insbesondere [[Abstrakte Malerei]]) Hierbei muss der Betrachter seine individuelle Fähigkeit zur Abstraktion zunehmend erweitern, um die vom Künstler gemachten Veränderungen noch nachvollziehen zu können. Werke dieser Strömungen thematisieren beispielsweise die formalen Gestaltungsprinzipien selbst ([[Geometrische Abstraktion]] in der gestaltenden Kunst), die Gebärdensprache des Künstlers ([[Action Painting]]) oder auch die farblichen Veränderungen ([[Informel]], [[Tachismus]], [[Drip Painting]]). Auch in der [[Darstellende Kunst|darstellenden Kunst]] kann die Abstraktion so weit gehen, dass die ursprünglichen Merkmale (z.&nbsp;B. eines Gesprächs oder einer Handlung) vom Betrachter nur dann verstanden werden, wenn er das Wesentliche darin erkennt. Alle Strömungen der abstrakten Kunst erfordern Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeiten.
[[Datei:Abstraktion mit einem Schreibprogramm Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.jpg|mini|182x182px|Abstraktion mit einem Schreibprogramm. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht]]
Die Beschreibung der Kunst, die sich nicht einem mimetischen Gegenstandsbezug unterwirft – einer historisch insbesondere für bildende und darstellende Kunst formulierten Norm, die sich nur sehr eingeschränkt auch auf Musik, Architektur oder Literatur beziehen lässt –, ist als Abstraktion jedoch nur eine mögliche Perspektive, was auch dem Selbstverständnis verschiedener Strömungen der Kunstgeschichte widerspricht. So grenzen sich etwa der [[Suprematismus]] [[Kasimir Malewitsch]]s und der [[Konstruktivismus (Kunst)|Konstruktivismus]] explizit von anderer abstrakter Kunst ab, wie beispielsweise von den Bildern [[Wassily Kandinsky]]s. Danach ist das Ziel die [[illusionismus]]freie Schaffung neuer konkreter Wirklichkeit in Kunstwerken (Suprematismus) bzw. die schöpferische Gestaltung materiellen Lebens in den [[Abstraktum|Abstrakta]] des künstlerischen Konstruktivismus.<ref>Andrei B. Nakov, Michel Pétris: ''Avertissement des traducteurs.'' In: Nikolaj Tarabukin: ''Le dernier tableau.'' Éditions Champ Libre, Paris 1972, S. 21–23.</ref>
 
An diesem Streit beteiligte sich auch der radikale Empirist [[David Hume]]; Ursache und Wirkung beispielsweise seien lediglich aus der ''Erfahrung'' einer Folge von etwas auf etwas gebildet, jedoch wüssten wir niemals mit Sicherheit, ob morgen die Sonne wieder aufgehen werde.
== Mathematik ==
In der [[Mathematik]] und der neueren [[Philosophie]] werden Abstrakta meist mit [[Äquivalenzklasse]]n identifiziert. Ausgehend von einer gegebenen Menge K von [[Konkretum|Konkreta]] definiert man auf K eine [[Äquivalenzrelation]] ~ und ordnet die Konkreta einem [[Abstraktum]] (wird auch '[[Äquivalenzrelation#Äquivalenzklassen|Klasse]]' genannt) zu.
 
Die philosophische Bewegung des [[Deutscher Idealismus|deutschen Idealismus]] um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (z.&nbsp;B. [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]], [[Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling]]) bestimmte als Gegenbegriff zur Abstraktion den sehr voraussetzungsreichen Begriff der Konkretion. Diese Kategorien sind sehr kompliziert. Die [[Idealismus|Idealisten]] verstanden unter Konkretion nicht den Vorgang, das (landläufige) Konkrete zu denken oder einen (landläufigen) Allgemeinbegriff auf etwas Konkretes anzuwenden, sondern die „[[dialektische Aufhebung]]“ des Unterschiedes von Abstraktem und Konkretem in einer erkenntnistheoretisch höheren Einheit, die nach ihren Angaben erst ermöglichen sollte, die Wirklichkeit angemessen zu erfassen. Aber auch [[Materialismus|Materialisten]] nutzen ''Abstraktionen'' zur Analyse und erkenntnistheoretischen Herleitung materialistischen Grundlagenwissens. Für das Buch „Die Dialektik des Abstrakten und Konkreten“<ref>[[Ewald Wassiljewitsch Iljenkow]]: Диалектика абстрактного и конкретного в „Капитале“ Маркса. (Dialektik des Abstrakten und Konkreten in ''Das Kapital'' von Marx, herausgegeben in Russisch); Moskau 1960.</ref> war die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise durch [[Karl Marx]] grundlegend, indem letzterer die [[tauschwert]]bildende [[Abstrakte Arbeit|Arbeit]] von der [[gebrauchswert]]bildenden [[Arbeit (Philosophie)#Konkrete Arbeit|konkreten Arbeit]] abstrahierte.
Allen Varianten der modernen Abstraktionstheorie ist gemeinsam der Grundgedanke, dass von den Konkreta und ihrer bestehenden Äquivalenzrelation ~ zu der Identität der jeweiligen Abstrakta übergegangen werden soll. Anhand einer Liste von Beispielen wird dies klarer:
* gleichschwere Körper haben dasselbe Gewicht;
* gleichmächtige Mengen haben dieselbe Kardinalzahl;
* [[Kongruenz (Zahlentheorie)|kongruente]] Zahlen lassen bei Division durch eine feste Zahl den gleichen Rest;
* parallele Geraden haben dieselbe Richtung;
* synonyme Prädikate drücken denselben Begriff aus.
Körper, Mengen, Gerade und Prädikate sind in dieser Liste die Konkreta K; Gewichte, Kardinalzahlen, Richtungen und Begriffe sind die aus ihnen gewonnenen Abstrakta; „gleichschwer“, „gleichmächtig“, „parallel“, „synonym“ drücken die Äquivalenzrelation ~ aus. Für den Fall der Anzahlen ist dies bereits von [[David Hume]] in seinem ''Treatise of Human Nature'' formuliert worden, man spricht deshalb auch von ''Hume’s principle''.
 
[[Martin Heidegger]], der in ''[[Sein und Zeit]]'' (1927) der gesamten Denktradition und insbesondere den Idealisten vorwarf, die „Alltäglichkeit“ übersprungen zu haben, bildete ein anderes Gegensatzpaar, das Abstraktion und Konkretion der „Alltäglichkeit“ fassen sollte: „Zuhandenheit“ und „Vorhandenheit“.
Aus dieser Liste lässt sich ein allgemeines Schema gewinnen:
<math>\forall x \forall y\ (K(x) \land K(y) \rightarrow (a(x) = a(y) \leftrightarrow x \thicksim y))</math>; lies: Für alle Konkreta x und y ist das Abstraktum ''a'' zu x identisch mit dem Abstraktum ''a'' zu y genau dann, wenn x in ~ zu y steht. [[Gottlob Frege]] hat dies in seinen [[Die Grundlagen der Arithmetik#Freges eigene Analyse|''Grundlagen der Arithmetik'']] als eine Umverteilung beschrieben: Der Inhalt von z.&nbsp;B. „parallel“ wandert z.&nbsp;T. in das allgemeine „=“, z. T. in den abstraktiven [[Funktor (Logik)|Funktor]] ''a''.<ref>Gottlob Frege: ''Die Grundlagen der Arithmetik.'' Breslau 1884, § 64; Vgl. Geo Siegwart: ''Abstraktion unter einer Gleichheit.'' In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Meiner, Hamburg 1999.</ref>
 
Zur philosophischen [[Tiefenpsychologie]] siehe unten.
Dies taugt jedoch nicht als Definition des Funktors ''a''. Freges origineller Vorschlag aus den ''Grundlagen der Arithmetik'' besteht deshalb darin, als das Abstraktum zu einer gegebenen Äquivalenzrelation einfach die zugehörige Äquivalenzklasse anzusehen. Für den Fall der Anzahlen gibt er die berühmte Definition:
 
: Die Anzahl, welche dem Begriffe F zukommt, ist der Umfang des Begriffes „gleichzahlig dem Begriffe F“.<ref>G. Frege: ''Grundlagen der Arithmetik.'' Breslau 1884, S. 79f.</ref>
Die verschiedenen Auffassungen der [[Erkenntnistheorie]], der modernen [[Wissenschaftstheorie]] und die [[Analytische Philosophie]] zeigen immer noch unterschiedliche Definitionen und Erklärungen von Abstraktion.
Verallgemeinert und in moderne Notation überführt, lässt sich festhalten: <math>\forall x \ (a(x) = \{y | y \thicksim x\})</math>. In Worten: Das Abstraktum zu x unter einer gegebenen Äquivalenzrelation ~ ist die Menge derjenigen y, die in der Äquivalenzrelation ~ zu x stehen.
 
== Psychologie ==
In der [[Psychologie]] bezeichnet man als '''Abstraktion''' jenen mentalen Prozess, der Informationen so weit auf ihre wesentlichen Eigenschaften herabsetzt, dass sie psychisch nach anderen Methoden verarbeitet werden können, als die originäre Information. Beispiele sind [[Bild (Psychologie)|Bilder]], [[Vorstellung]]en, [[Modell]]e, [[Symbol]]e, Transformationen und [[Idee|Konzepte]]. So wird etwa im Alltag jede Form eines [[Stuhl (Möbel)|Stuhls]] als Sitzgelegenheit in jeder Situation völlig anders wahrgenommen hinsichtlich der Ansicht, [[Gestalt]] usw., aber sprachlich auf ihre dem Menschen dienliche Eigenschaft zur Benutzung reduziert (Sitzgegenstand mit nur schemenhaft locker umrissener Formgebung). Erst so kann die Aufforderung „Gib mir bitte einen Stuhl!“ verstanden werden, weil der Auffordernde und der Empfänger eine gemeinsame, abstrakte Vorstellung darüber haben, was für den jeweiligen Zweck benötigt wird.
 
=== Merkmale der Abstraktionsfähigkeit ===
Abstraktionsfähigkeit ist in der Psychologie die Voraussetzung für die Bildung von [[Begriff (Philosophie)|Begriffen]] und Regeln und damit die Voraussetzung für [[Kognition|kognitive]] Fähigkeiten wie [[Denken]], [[Lernen]], [[Perzeption]] oder [[Gedächtnis]]. Zur Vereinfachung werden deshalb Begriffe oft in [[Enzyklopädie]]n oder Wörterbüchern gesammelt und definiert. Die größere Menge aller Begriffe wird jedoch individuell erzeugt, sie sind nur situativ bedeutsam.
 
Die Begriffsbildung durch Abstraktion wird als wesentliche individuelle und kulturelle Fähigkeit beschrieben. Ein Mensch wie [[Jorge Luis Borges|Borges]]’ [[fiktion]]aler Charakter Funes, der jede Sekunde seines Lebens als neu und einzigartig erlebt, wäre nicht überlebensfähig.<ref>Jorge Luis Borges: ''Funes el memorioso'' (1942, dt. ''Das unerbittliche Gedächtnis'').</ref>
 
Die ''Abstraktionsstufe'' von Begriffen (im bildlichen Bereich [[Ikon]] genannt) kann unterschiedlich hoch sein. Das menschliche [[Gehirn]]Bewusstsein arbeitet optimal mit Begriffen auf einer mittleren Abstraktionsstufe, die weder zu allgemein, also wenig informativ (Beispiel: „Gib mir mal das Ding!“), noch zu speziell, also mit unwichtigen Details belastet ist (Beispiel: „Gib mir mal den Franzosen aus dem Werkzeugkasten!“).<ref>C. M. Zeitz: ''Some concrete advantages of abstraction.'' In: P. J. Feltovich u. a. (Hrsg.): ''Expertise in context.'' MIT Press, Cambridge (Mass.) 1997.</ref> Vorteile dieser ''moderately abstract conceptual representations'' (Zeitz) sind:
# Sie sind im [[Gedächtnis#Langzeitgedächtnis|Langzeitgedächtnis]] stabil, werden also durch neue Detailinformationen nicht gleich ungültig.
# Sie sind fruchtbar, weil sie weder von jedem noch ausschließlich von ganz speziellen Hinweisreizen aktiviert werden.
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Die Abstraktionsfähigkeit als psychische Leistung kann auch [[Psychische Störung|gestört]] sein: So können Personen mit verschiedenen Formen der [[Schizophrenie]], mit schweren [[Neurose]]n oder mit einer [[Intelligenz]]&shy;minderung Probleme haben, Begriffe zu verstehen oder auseinanderzuhalten. Sie haben oft Defizite in [[Soziales Handeln|sozialen Interaktionen]]. Bei einer Intelligenzminderung können beispielsweise Begriffe wie „Leiter“ und „Treppe“ nicht mehr abstrakt voneinander unterschieden werden. Menschen mit Abstraktionsdefiziten beschreiben beispielsweise diese Gegenstände oft mit „da kann man hoch steigen“, statt Unterschiede zu erkennen (hier z.&nbsp;B. Transportabilität oder Steigungswinkel). Typisch für eine mangelnde Abstraktionsfähigkeit ist das Unvermögen, einen konkreten Gegenstand, z.&nbsp;B. „Treppe in meinem Haus in der Musterstraße 3“ als funktionsgleich mit allen anderen „Treppen“ zu erkennen.
 
=== Abstraktion in der Tiefenpsychologie ===
[[Carl Gustav Jung]] definiert Abstraktion als eine Geistestätigkeit, die einmalige, unvergleichliche oder individuelle Inhalte aus einer Verknüpfung wegzieht, differenziert. Wenn man zum Objekt abstrahierend eingestellt ist, wird versucht, sich des Objekts als einzigartigen Ganzen zu entledigen und das Interesse vom Objekt abzuziehen und auf das Subjekt zurückfließen zu lassen. Laut Jung ist Abstraktion eine Zurückziehung der [[Libido]] (= ''Energie'') vom Objekt zum subjektiven abstrakten Inhalt, was einer Objektentwertung gleichkommt. Anders gesagt ist Abstraktion eine [[Introversion und Extraversion|introvertierte]] Libidobewegung. Das Gegenteil zur Abstraktion ist nach Jung die Einstellung des [[Konkretismus (Psychologie)|Konkretismus]].
 
== SprachwissenschaftKunst ==
Die Darstellung eines Schweines oder eines Büffels auf einer zweidimensionalen Ebene einer Höhlenwand ([[Höhlenmalerei]]) in einem verkleinerten Maßstab dürfte mit der Sprache zu den fortgeschrittensten Anfängen menschlicher Abstraktionsleistungen gehören. Fußabdrücke im Sand, Schnee oder Lehm sind eine Selbstabbildung im Maßstab 1:1 und sind die ersten abstrakten Abbildungen von Menschen und Tieren, die von Menschen richtig interpretiert werden konnten. Der Abdruck eines liegenden Menschen am Strand im nassen Sand, der Abdruck seines Gesichtes, eines Muschelgehäuses oder seines Speeres darin und das Nachzeichnen seiner äußeren Körperkonturen wie der Finger seiner Hand mit einem dünnen Schilfrohr waren die Anfänge des Zeichnens und der von Menschen auch in verkleinerter Darstellung verstandenen abstrakten Zeichen.
Eine ''sprachliche'' Abstraktion ist die Bildung von Kategorien ([[Taxonomie]]), die nicht die Einzelobjekte beschreiben. Es wird dabei eine abstrakte [[Kategorie (Philosophie)|Kategorie]] gebildet, die Eigenschaften der Einzelobjekte integriert, diese aber nicht genau benennt. Die Kategorie „Einrichtungsgegenstände“ ist eine Abstraktion der konkreten Begrifflichkeiten „Sofa“, „Tisch“, „Schrank“, „Lampe“ usw. die von der Kategorie „Einrichtungsgegenstände“ umfasst werden.
{{Siehe auch|Superierung}}
 
In der [[Bildende Kunst|Bildenden Kunst]] bezeichnet ''Abstraktion'' einerseits die mehr oder weniger ausgeprägte stilistische Reduzierung der dargestellten Dinge auf wesentliche oder bestimmte Aspekte. In diesem Fall spricht man davon, dass ''vom Allgemeinen auf das Wesentliche abstrahiert'' wird. Was als ''wesentlich'' gilt, bestimmt einerseits die Kreativität des Künstlers, andererseits die Wahrnehmung des Betrachters.
Die Abstraktion in [[Grammatik|grammatische]] Kategorien wie Adverbien, Adjektive, Substantive, Prädikat, Kopula, ist eine erweiterte Denkleistung, die Kleinkindern nicht zugänglich ist. Im Alltag vollzieht sich dieser Abstraktionsprozess unwillkürlich und unbemerkt. Die Menschwerdung hing entscheidend mit der Entwicklung der Fähigkeit zur gedanklichen Abstraktion zusammen. Darüber jedoch, was genau unter Abstraktion zu verstehen ist, waren und sind sich Denker und Wissenschaftler nicht immer einig.
 
[[Datei:Jan im Discofieber.jpg|zentriert|mini|Jan im Discofieber, abstrakte Darstellung des Bildtitels durch Fingermalerei der Buchstaben auf einem Tablet-Computer, die durch Manipulationen mit einer Bildbearbeitungssoftware zu einem Graffitientwurf werden]]
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Abstraktion in der Fotografie Ausgangsbild Fernmeldeturm und Raffinerie sind fokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Ausgangsbild Fernmeldeturm und Raffinerie sind fokussiert.
Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind defokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind defokussiert.
Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind stark defokussiert.jpg|Abstraktion in der Fotografie Fernmeldeturm und Raffinerie sind stark defokussiert.
</gallery>
 
Andererseits bezeichnet der Begriff in der Kunst verschiedene Strömungen der [[Moderne]] oder der [[Zeitgenössische Kunst|zeitgenössischen Kunst]], deren Merkmal sogar die völlige ''Abwesenheit'' eines konkreten Gegenstandsbezuges ist. ([[Abstrakte Kunst]], insbesondere [[Abstrakte Malerei]]) Hierbei muss der Betrachter seine individuelle Fähigkeit zur Abstraktion zunehmend erweitern, um die vom Künstler gemachten Veränderungen noch nachvollziehen zu können. Werke dieser Strömungen thematisieren beispielsweise die formalen Gestaltungsprinzipien selbst ([[Geometrische Abstraktion]] in der gestaltenden Kunst), die Gebärdensprache des Künstlers ([[Action Painting]]) oder auch die farblichen Veränderungen ([[Informel]], [[Tachismus]], [[Drip Painting]]). Auch in der [[Darstellende Kunst|darstellenden Kunst]] kann die Abstraktion so weit gehen, dass die ursprünglichen Merkmale (z.&nbsp;B. eines Gesprächs oder einer Handlung) vom Betrachter nur dann verstanden werden, wenn er das Wesentliche darin erkennt. Alle Strömungen der abstrakten Kunst erfordern Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeiten.
[[Datei:Abstraktion mit einem Schreibprogramm Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht.jpg|mini|182x182px|Abstraktion mit einem Schreibprogramm. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht]]
Die Beschreibung der Kunst, die sich nicht einem mimetischen Gegenstandsbezug unterwirft – einer historisch insbesondere für bildende und darstellende Kunst formulierten Norm, die sich nur sehr eingeschränkt auch auf Musik, Architektur oder Literatur beziehen lässt –, ist als Abstraktion jedoch nur eine mögliche Perspektive, was auch dem Selbstverständnis verschiedener Strömungen der Kunstgeschichte widerspricht. So grenzen sich etwa der [[Suprematismus]] [[Kasimir Malewitsch]]s und der [[Konstruktivismus (Kunst)|Konstruktivismus]] explizit von anderer abstrakter Kunst ab, wie beispielsweise von den Bildern [[Wassily Kandinsky]]s. Danach ist das Ziel die [[illusionismus]]freie Schaffung neuer konkreter Wirklichkeit in Kunstwerken (Suprematismus) bzw. die schöpferische Gestaltung materiellen Lebens in den [[Abstraktum|Abstrakta]] des künstlerischen Konstruktivismus.<ref>Andrei B. Nakov, Michel Pétris: ''Avertissement des traducteurs.'' In: Nikolaj Tarabukin: ''Le dernier tableau.'' Éditions Champ Libre, Paris 1972, S. 21–23.</ref>
 
== Mathematik ==
In der [[Mathematik]] und der neueren [[Philosophie]] werden Abstrakta meist mit [[Äquivalenzklasse]]n identifiziert. Ausgehend von einer gegebenen Menge K von [[Konkretum|Konkreta]] definiert man auf K eine [[Äquivalenzrelation]] ~ und ordnet die Konkreta einem [[Abstraktum]] (wird auch '[[Äquivalenzrelation#Äquivalenzklassen|Klasse]]' genannt) zu.
 
Allen Varianten der modernen Abstraktionstheorie ist gemeinsam der Grundgedanke, dass von den Konkreta und ihrer bestehenden Äquivalenzrelation ~ zu der Identität der jeweiligen Abstrakta übergegangen werden soll. Anhand einer Liste von Beispielen wird dies klarer:
* gleichschwere Körper haben dasselbe Gewicht;
* gleichmächtige Mengen haben dieselbe Kardinalzahl;
* [[Kongruenz (Zahlentheorie)|kongruente]] Zahlen lassen bei Division durch eine feste Zahl den gleichen Rest;
* parallele Geraden haben dieselbe Richtung;
* synonyme Prädikate drücken denselben Begriff aus.
Körper, Mengen, Gerade und Prädikate sind in dieser Liste die Konkreta K; Gewichte, Kardinalzahlen, Richtungen und Begriffe sind die aus ihnen gewonnenen Abstrakta; „gleichschwer“, „gleichmächtig“, „parallel“, „synonym“ drücken die Äquivalenzrelation ~ aus. Für den Fall der Anzahlen ist dies bereits von [[David Hume]] in seinem ''Treatise of Human Nature'' formuliert worden, man spricht deshalb auch von ''Hume’s principle'' ([[Humes Prinzip]])''.''
 
Aus dieser Liste lässt sich ein allgemeines Schema gewinnen:
<math>\forall x \forall y\ (K(x) \land K(y) \rightarrow (a(x) = a(y) \leftrightarrow x \thicksim y))</math>; lies: Für alle Konkreta x und y ist das Abstraktum ''a'' zu x identisch mit dem Abstraktum ''a'' zu y genau dann, wenn x in ~ zu y steht. [[Gottlob Frege]] hat dies in seinen [[Die Grundlagen der Arithmetik#Freges eigene Analyse|''Grundlagen der Arithmetik'']] als eine Umverteilung beschrieben: Der Inhalt von z.&nbsp;B. „parallel“ wandert z.&nbsp;T. in das allgemeine „=“, z. T. in den abstraktiven [[Funktor (Logik)|Funktor]] ''a''.<ref>Gottlob Frege: ''Die Grundlagen der Arithmetik.'' Breslau 1884, § 64; Vgl. Geo Siegwart: ''Abstraktion unter einer Gleichheit.'' In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Meiner, Hamburg 1999.</ref>
 
Dies taugt jedoch nicht als Definition des Funktors ''a''. Freges origineller Vorschlag aus den ''Grundlagen der Arithmetik'' besteht deshalb darin, als das Abstraktum zu einer gegebenen Äquivalenzrelation einfach die zugehörige Äquivalenzklasse anzusehen. Für den Fall der Anzahlen gibt er die berühmte Definition:
: Die Anzahl, welche dem Begriffe F zukommt, ist der Umfang des Begriffes „gleichzahlig dem Begriffe F“.<ref>G. Frege: ''Grundlagen der Arithmetik.'' Breslau 1884, S. 79 f.</ref>
Verallgemeinert und in moderne Notation überführt, lässt sich festhalten: <math>\forall x \ (a(x) = \{y | y \thicksim x\})</math>. In Worten: Das Abstraktum zu x unter einer gegebenen Äquivalenzrelation ~ ist die Menge derjenigen y, die in der Äquivalenzrelation ~ zu x stehen.
 
== Siehe auch ==
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== Literatur ==
* G.[[Gottlob Frege]]: ''Die Grundlagen der Arithmetik.'' Breslau 1884.
* Christoph Metzger: ''John Cage - Abstract Music, 12 Vorlesungen'', Verlag Pfau, Saarbrücken 2011, ISBN 978-3-89727-421-1
*Chr. Metzger: Theorie der Abstraktion, Passagen, Wien, 2020.
** Chr. Thiel: ''Gottlob Frege: Die Abstraktion.'' In: J. Speck (Hrsg.): ''Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Gegenwart I''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1972, S. 9–44.
* G. Siegwart: ''Abstraktion unter einer Gleichheit.'' In: H. J. Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Hamburg 1999.
* [[Christoph Metzger]]: ''Theorie der Abstraktion.'' Passagen, Wien 2020, ISBN 978-3-7092-0430-6.
* Chr. Thiel: ''Gottlob Frege: Die Abstraktion.'' In: J. Speck (Hrsg.): ''Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Gegenwart I.'' Göttingen 1972, S. 9–44.
* G. Siegwart: ''Abstraktion unter einer Gleichheit.'' In: H. J. Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie.'' Meiner, Hamburg 1999, ISBN 3-7873-1714-7.
 
== Weblinks ==