Chipkrise bezeichnet den weltweiten Mangel an Halbleiterprodukten (z. B. Mikroprozessoren) im Zuge der COVID-19-Pandemie, des Taiwan-Konflikts und des Ukraine-Konflikts.
Zu Beginn der Wirtschaftskrise 2020–2021 befand sich die Halbleiterindustrie am Ende eines langanhaltenden konjunkturellen Abschwungs und hoffte auf einen baldigen kräftigen Aufschwung. Stattdessen kam es im Frühjahr 2020, kurz nach dem Ausbruch der Pandemie, zu einem kurzzeitigen Einbruch der Nachfrage nach Halbleiterprodukten, woraufhin Aufträge an Chiphersteller in größerem Umfang storniert wurden. Als wenig später der Bedarf unerwartet stark wieder anstieg, konnte die Nachfrage nach Halbleiterprodukten nicht mehr ausreichend bedient werden. Die harte COVID-19-Politik der Regierung der Volksrepublik China[1] sorgte vor allem 2022 dafür, dass die Produktion weiterhin stagnierte. Darüber hinaus gelten die Lieferketten als unterbrochen[2].
Der am 24. Februar 2022 begonnene Ukraine-Krieg trägt in der Folge ebenfalls dazu bei, dass es weiterhin in vielen Bereichen zu Lieferengpässen kommt[3].
Folgen für die Wirtschaft
Laut Goldman Sachs leiden seither 169 Branchen unter dem bis heute (Stand: Mai 2022) anhaltenden Chipmangel, darunter Hersteller von Autos, Smartphones, Computern, WLAN-Routern, Messtechnik und medizinischen Geräten.[4] Aufgrund der Chipkrise können Hersteller von darauf angewiesenen Produkten weltweit teilweise gar nicht oder nur unter Einschränkungen produzieren. So hat sich beispielsweise der deutsche Automobilbauer Mercedes dazu entschlossen, seinen Kunden Fahrzeuge mit eingeschränkter Funktionalität auszuliefern. Die fehlenden Features sollen später dann kostenlos nachgerüstet werden können[5]. Andere Produkte sind seit dem Eintritt der Krise entweder nur mit sehr langen Lieferzeiten oder zu stark überhöhten Preisen erhältlich. Erst für das Jahr 2023 wird mit einer leichten Besserung der Situation gerechnet[6].
Abgrenzung Taiwan-Konflikt
Taiwan gilt mit seinen Unternehmen (Foundries) wie TSMC, UMC usw. als führend in der produzierenden Halbleiter- und Mikroelektronikindustrie.[7] Mittels der erfolgreichen Fabless-[8] und Dedicated IC Foundry[9] Geschäftsmodelle konnte sich beispielsweise TSMC mit mehr als 500 Kunden, darunter Apple, Qualcomm usw. behaupten und etablieren.[10] In den USA sind dagegen seit 1990 die Halbleiterfertigungskapazitäten von 37 % auf 12 % zurückgegangen.[11]
Aufgrund der geopolitischen Spannungen des Konflikts wurde von TSMC im Mai 2020 angekündigt, eine Fabrik in Arizona (USA), zu bauen.[12] Politisch bildet der amerikanische CHIPS and Science Act eine Ausgangsgrundlage für die Neugründung von Fabriken außerhalb Taiwans mit Ziel USA.[13][11] In Europa wurde von der Europäischen Kommission das Europäische Chip-Gesetz basierend auf einer ähnlichen Grundlage (Fertigungskapazitäten in Europa bei ca. 10 %[14] und Umsatzanteil der europäischen Hersteller am weltweiten Chipmarkt bei 7 %[15]) ins Leben gerufen.[16]
Die Krise in diesem Zusammenhang hat daher ihre Gründe in Lieferengpässen bei den globalen Halbleiterausrüstern für die in Taiwan produzierenden Unternehmen,[17] wie von ASML eingeräumt.[18] Weitere namhafte Zulieferer der Halbleiterindustrie sind von der angespannten Situation um Taiwan betroffen.[19]
Weiterhin räumt TSMC Lieferengpässen bei Grund- und Prozessmaterialien, wie Edelgasen (Neon), ein.[20] Unternehmen aus der Ukraine (Ingas, Cryoin) gelten als Großlieferanten für Neon.[21]
Aufgrund der geopolitischen Spannungen hat das Handelsministerium der Vereinigten Staaten (darunter das Bureau of Industry and Security) im August 2022 verschärfte Regeln für den Export für hoch entwickelte Halbleiter und Gasturbinen erlassen.[22] Die Effektivität dieser Maßnahmen wird von Experten als kontrovers diskutiert.[23]
Abgrenzung COVID-19-Pandemie
Die COVID-19-Pandemie und speziell die in China umgesetzten Maßnahmen („Null-Covid-Politik“) bewirken nebst dem geopolitischen Taiwan-Konflikt eine Vielzahl von Änderungen und Neuausrichtungen bei Fertigungsstandorten außerhalb Chinas.[24] Weiterhin bewirken die Maßnahmen Störungen und Konflikte in der Produktion, so z. B. bei Foxconn, einem der weltweit größten Auftragsfertiger u. a. für Apple.[25][26]
Abgrenzung Automobilindustrie
Ein Unterscheidungsmerkmal von der weltweiten Chipkrise sind die Hauptabnehmer (Kunden) für die Hochtechnologie (5 nm und 7 nm Strukturgrößen) von TSMC.[27] Darunter sind die Großkunden Apple, Qualcomm, AMD, Nvidia, MediaTek usw.[28] Hingegen bedienen sich Fahrzeughersteller (und deren Zulieferer wie Bosch, Continental etc.) vornehmlich an Bauteilen (Halbleiterprodukten wie Mikrocontrollern) größerer Strukturgrößen (z. B. 65 nm).[29] Namhafte Hersteller und Lieferanten für die Automobilindustrie sind Infineon, NXP, STMicro, Renesas etc.[30] Aufgrund der weiterhin zunehmenden „Digitalisierung von Fahrzeugen“ (Multimedia, Autonomes Fahren, Fahrerassistenzsysteme, Vernetzung etc.)[31] sowie Elektrifizierung (Leistungshalbleiter) entstehen weitere Abhängigkeiten, die von Lieferengpässen in diesem Zusammenhang betroffen sein können.
Abgrenzung Übernahmen und ausländische Investitionen
Seit mehr als einer Dekade (Stand 2022) erfolgen vermehrt Versuche von kritischen Firmenübernahmen und -beteiligungen in Europa und Deutschland, speziell auch durch chinesische Investoren.[32][33] Dabei werden gezielt Technologie-starke Unternehmen anvisiert, sodass die Politik aufgrund sicherheitstechnischer und wirtschaftlicher Bedenken zu Gegenmaßnahmen bzw. zur Mitentscheidung einbezogen wird oder interveniert.
Einige Beispiele an Übernahmen oder Übernahmegesuche der letzten Jahre:
- 2016: Verkaufstopp des Halbleiterausrüster Aixtron an den Investor Fujian Grand Chip Investment Fund[34][35]
- Im Falle Aixtron hegte die US-Regierung damals unter Barack Obama (durch die US-Behörde CFIUS) Sicherheitsbedenken[36]
- Ab 2016 der Verkauf des deutschen Roboterherstellers Kuka durch die chinesische Midea Gruppe[37][38]
- Übernahmegesuch und Stopp der Übernahme der amerikanischen Qualcomm von NXP[39]
- Übernahmegesuch der britischen ARM durch die amerikanische Nvidia und Softbank[40] mit Überprüfung der Vorgänge durch die Europäische Kommission[41][42]
- 2022: Verkaufstopp des deutschen Halbleiterherstellers Elmos[43]
- 2022: Verkaufsdrängen der britischen Regierung der Newport-Wafer-Fab durch die niederländische Nexperia, welche (die Fab) 2016 an ein chinesisches Konsortium verkauft wurde und damit eine Tochtergesellschaft des in Shanghai börsennotierten Halbleiterherstellers Wingtech ist[44][45]
- 2022: Verkaufsstopp des deutschen Wafer-Herstellers Siltronic an die taiwanesische Globalwafers[46]
Laut der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, welche die „Chinesischen Unternehmenseinkäufe in Europa“ analysiert, ist die Zahl der Übernahmen oder Beteiligungen jedoch stark gesunken (Achtjahrestief). Nach EY ging das Transaktionsvolumen von 17,2 auf 1,5 Milliarden US-Dollar zurück.[47]
Gegenmaßnahmen
Der US-amerikanische Branchenverband Semiconductor Industry Association zeichnet die folgenden Szenarien als Auswege aus der Krise auf:[48]
Kurzfristig konnte seit dem 1. Quartal 2019 bei vielen bestehenden Fabs die monatliche Auslastung auf über 80 % gesteigert werden.[48]
Mittelfristig werden neue Halbleiterfabriken angekündigt oder wurden bereits eröffnet.[49] Infineon kündigt ein neues Werk in Dresden an.[50] Auch Intel kündigt in Magdeburg eine geplante Fabrik an.[51] Technologisch erfolgt dabei u. a. der Ausbau von Fertigungskapazitäten durch Einführung von 300 mm Wafern und entsprechender Herstellungsprozessen.[52]
Langfristig zeigen die Investitionsausgabe in Fertigungskapazitäten neue Rekordwerte auf. Eine jährliche Ausgabenrate von 156 Milliarden US-Dollar zwischen 2021 und 2025 im Vergleich zu 97 Milliarden US-Dollar zwischen 2016 und 2020 ist projektiert. Dies wäre eine Änderung (Zuwachs) von 61 %.[48]
Zu den politischen Instrumenten und Rahmenprogrammen, um der Krise entgegenzusteuern zählen
- das geplante Europäische Chip-Gesetz und
- der amerikanische CHIPS and Science Act.
Der Politiker Robert Habeck möchte die Chipindustrie in Deutschland und Europa durch Investitionen im Rahmen des Important Project of Common European Interest (kurz IPCEI-Projekts) „zurückholen“.[53]
Kritik
Kritik gegenüber den Wünschen und politischen Entscheidungen nach mehr nationaler Fertigung äußern verschiedene Fachexperten, darunter der TSMC-Gründer Morris Chang. Als Begründung werden die erheblichen Aufwände (Kosten), stagnierende Innovationskraft usw. aufgezählt mit ungewissem Ausgang der Maßnahmen.[54][23][55][56] Des Weiteren warnen Fachleute vor Überkapazitäten nach der Investitions- bzw. Expansions-Rallye bei den Fertigungskapazitäten.[57]
Weblinks
- Jan-Peter Kleinhans, Julia Hess: Understanding the global chip shortages. Studie der Stiftung Neue Verantwortung von November 2021.
- Alan Patterson: CHIPS For America Act: Everything You Need to Know. In: EE Times. 8. Dezember 2021, abgerufen am 19. November 2022 (englisch).
- Fabian Pertschy: Alle Infos zur Halbleiterkrise in der Autoindustrie. In: Automobil Produktion Online. Media-Manufaktur, 2022, abgerufen am 17. November 2022.
- Semiconductor Industry Association: INCREASING CHIP PRODUCTION. 2022 (semiconductors.org [PDF]).
Einzelnachweise
- ↑ Dana Heide, Julian Olk: Konjunktur: „Gravierendes Problem für globale Lieferketten“ – Chinas rigide Coronapolitik gefährdet den Welthandel. Handelsblatt, 18. Januar 2022, abgerufen am 25. Mai 2022.
- ↑ Coronavirus unterbricht globale Lieferketten. Abgerufen am 25. Mai 2022.
- ↑ Hendrik Ankenbrand, Christoph Hein, Svea Junge, Julia Löhr: Krieg und Lockdown: Die Lieferketten stehen vor der nächsten Zerreißprobe. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 25. Mai 2022]).
- ↑ Fehleinschätzung der Autobauer: Wie die Lieferkette für Mikrochips ins Chaos stürzte. N-tv.de vom 13. Dezember 2021, abgerufen am 18. Dezember 2021.
- ↑ Chipmangel zwingt Mercedes zu drastischem Schritt. Abgerufen am 25. Mai 2022.
- ↑ Chipkrise könnte Autoindustrie bis 2023 belasten. In: Der Spiegel. 6. September 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 25. Mai 2022]).
- ↑ David Hao, Nailin Bu: The Broad and Pivotal Roles of Taiwanese Electronics Industry in the Global Electronics Supply Chain: A Case Study of Foxconn and TSMC. In: International Business in the New Asia-Pacific: Strategies, Opportunities and Threats. Springer International Publishing, Cham 2022, ISBN 978-3-03087621-0, S. 161–196, doi:10.1007/978-3-030-87621-0_6 (10.1007/978-3-030-87621-0_6 [abgerufen am 17. November 2022]).
- ↑ Sumita Sarma, Sunny Li Sun: The genesis of fabless business model: Institutional entrepreneurs in an adaptive ecosystem. In: Asia Pacific Journal of Management. Band 34, Nr. 3, September 2017, ISSN 0217-4561, S. 587–617, doi:10.1007/s10490-016-9488-6 (springer.com [abgerufen am 17. November 2022]).
- ↑ Everything to Know about Dedicated Foundries. Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ About TSMC. Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
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- ↑ Alan Patterson: TSMC to Build 5 nm Fab in Arizona. In: EE Times. 15. Mai 2020, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ H.R.4346 – Supreme Court Security Funding Act of 2022. Congress.gov, 9. August 2022, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ European Chips Act. European Commission, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ Joachim Kroll: Halbleiterfertigung: Masterplan gefordert. Elektronik (Zeitschrift) (Weka Group), 10. November 2021, abgerufen am 30. November 2022 (deutsch).
- ↑ Jakob Jung: EU Chips Act: Halbleiterindustrie in Deutschland stärken. Zdnet, 8. November 2022, abgerufen am 17. November 2022 (deutsch).
- ↑ Heinz Arnold: TSMC kürzt Investitionen um 10 Prozent: Zu wenig Bedarf – und zu wenig Equipment. Elektronik (Zeitschrift) (Weka Group), 17. Oktober 2022, abgerufen am 30. November 2022 (deutsch).
- ↑ Stefani Munoz: ASML Warns Chip Shortages to Continue Over Next Two Years. In: EE Times. 25. März 2022, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ Barbara Jorgensen: Chip Equipment Becomes Trade War’s Latest Battlefield. In: EE Times. 27. Mai 2020, abgerufen am 17. November 2022.
- ↑ Eric Chang (Taiwan News): Taiwan's TSMC seeks domestic neon production due to supply chain concerns | Taiwan News | 2022-11-11 15:28:00. Taiwan News, 11. November 2022, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ Alexandra Alper: Exclusive: Russia's attack on Ukraine halts half of world's neon output for chips. In: Reuters. 11. März 2022 (englisch, reuters.com [abgerufen am 19. November 2022]).
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- ↑ tagesschau.de: Foxconn: Erneut Unruhen in weltgrößter iPhone-Fabrik. Tagesschau (ARD), 23. November 2022, abgerufen am 30. November 2022.
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- ↑ Global 300 mm Semiconductor Fab Capacity Projected To Reach New High in 2025, SEMI Reports | SEMI. Semiconductor Equipment and Materials International, abgerufen am 17. November 2022 (englisch).
- ↑ tagesschau.de: Habeck will Chipindustrie zurückholen. Tagesschau (ARD), 20. Dezember 2021, abgerufen am 3. Dezember 2022.
- ↑ Michael Eckstein: Teurer Traum: TSMC-Gründer warnt vor Alleingängen bei Chip-Fertigung. Elektronikpraxis (Vogel Communications Group), abgerufen am 30. November 2022.
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- ↑ Henrik Bork: Drohen ab 2023 Chip-Überkapazitäten? Elektronikpraxis (Vogel Communications Group), 22. November 2021, abgerufen am 30. November 2022.