Eine langweilige Geschichte
Eine langweilige Geschichte (russisch Скучная история, Skutschnaja istorija) ist eine Erzählung des russischen Schriftstellers Anton Tschechow, die 1889 entstand und im selben Jahr in der russischen Monatszeitschrift Sewerny Westnik in Sankt Petersburg erschien.
Ein todkranker Mediziner resümiert kurz vor seinem Lebensende: Alle Gelehrsamkeit nützt nichts.
Handlung
BearbeitenDer Anatom Nikolai Stepanytsch X. gibt sich noch ein halbes Jahr – höchste Zeit für den berühmten Gelehrten, im Auditorium vor seinen hundertundfünfzig Studenten die Abschiedsvorlesung zu halten. Aber der in der Rangtabelle hochdekorierte Geheimrat und verdiente Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität fesselt immer noch die Hörer in seinem Vortrag über sage und schreibe hundert Minuten.
Michail Fjodorowitsch, sein Kollege von der Philosophischen Fakultät, hat die Krankheit längst bemerkt und rät dem Kranken, nach dreißig Jahren Vorlesungstätigkeit die Arbeit endlich einzustellen. Professor Nikolai Stepanytsch denkt nicht daran. Das ist schon aus finanziellen Gründen unmöglich. Seine Frau Warja schilt ihn, weil er seine ärztliche Praxis aufgegeben hat und keine Lehrbücher mehr schreibt. Der Sohn, der in Warschau als Offizier dient, muss monatlich mit fünfzig Rubel unterstützt werden. Die 22-jährige Tochter Lisa absolviert ein kostspieliges Studium auf dem Konservatorium. Dem Diener Jegor ist der Professor die zehn Rubel Lohn bereits für fünf Monate schuldig.
Nikolai Stepanytsch hatte seine Warja, als sie noch jung, schön und klug gewesen war, geliebt. In den Jahren haben sich die beiden längst auseinandergelebt. Eigentlich ist der 62-jährige kranke Mann nur noch seiner 25-jährigen Adoptivtochter Katja zugetan. Vor achtzehn Jahren hatte der Professor die Waise, Tochter eines verwitweten Augenarztes, in seine Familie aufgenommen. Katjas Vater hatte seiner Tochter ein beachtliches Vermögen hinterlassen. Katja hatte sich zur Schauspielerin berufen gefühlt und einen Teil ihres Vermögens in ihre Theaterkarriere investiert. Wie ihre Stiefschwester Lisa musste Katja schließlich einsehen, ihr fehlt das Talent zur Künstlerin. Katja war aus der Fremde in den Wohnort des Professors heimgekehrt, nachdem ihr uneheliches Kleinkind gestorben war. Während Warja und Lisa die gescheiterte Schauspielerin Katja verurteilen, hält der Professor zu ihr. Warja versteht ihren Ehemann nicht. Wie kann ein Verheirateter sich täglich bei so einer Ledigen stundenlang aufhalten?
Katja bandelt mit dem Philosophen Michail Fjodorowitsch an. Die Beziehung geht in die Brüche.
Lisa hat einen Bräutigam. Der kaum 30-jährige Aleksandr Adolfowitsch Gnecker ist Klavierhändler und etablierter Musikkritiker. Zudem besitzt er nach eigenen Angaben ein Gut in Charkow.
Professor Nikolai Stepanytsch hat seine Lehrtätigkeit aufgeben müssen und gibt endlich Warjas Drängen nach: Er reist nach Charkow und zieht Erkundigungen über Gnecker, den Schwiegersohn in spe, ein. Die erste Nachforschung vor Ort ergibt, eine vermögende Familie Gnecker ist in Charkow nicht bekannt. Weitere Recherchen erübrigen sich. Lisa hat Gnecker heimlich geheiratet. Der Professor könnte also die Rückreise antreten.
Katja hat aus der Tageszeitung den aktuellen Aufenthaltsort des Adoptivvaters erfahren. Nach der Enttäuschung mit Michail Fjodorowitsch erhofft sie Abwechslung auf einer Reise in den Kaukasus und kommt ratsuchend bei dem Professor im Charkower Hotel vorbei. Sie kann so nicht weiter leben. Doch Nikolai Stepanytsch kann ihr nichts sagen. Er resümiert: "Ich habe die Abwesenheit dessen, was meine Kollegen Philosophen, eine allgemeine Idee nennen, erst jetzt am Ende meiner Lebenstage bemerkt, ... " Katja reist ab. Der Professor bedauert, dass sein Liebling zu seinem Begräbnis abwesend sein wird.
Rezeption
Bearbeiten- 23. März 1950, Maurois bewundert, wie Tschechow neben den unmittelbar bevorstehenden Tod des Protagonisten – also gegen das Tragische – kunstgerecht das Banale der letzten Ereignisse gestellt hat.[1]
- 3. März 2004, H.-Georg Lützenkirchen zitiert in seinem Beitrag Lebenswahrheiten in literaturkritik.de Thomas Mann: „...ein ganz und gar ausserordentliches, faszinierendes Werk, das an stiller, trauriger Merkwürdigkeit in aller Literatur nicht seinesgleichen hat“.
Adaptionen
BearbeitenVerfilmung
Bearbeiten- Im Jahr 1982 kam in Polen der gleichnamige Film[2] von Wojciech Has in die Kinos. Gustaw Holoubek spielte den Professor Nikolai Stepanytsch, Anna Milewska[3] seine Frau Warja, Hanna Mikuć[4] die Adoptivtochter Katja, Elwira Romańczuk seine Tochter Lisa und Janusz Gajos den Aleksandr Gnecker.[5]
Hörspiel
Bearbeiten1998 erstellte Christian Schuler eine knapp 84-minütige Hörspielbearbeitung für den Mitteldeutschen Rundfunk, ebenfalls unter dem Titel Eine langweilige Geschichte. Günter Bommert, der auch die Rolle des Egor sprach, übernahm die Regie. Es sprachen u. a.: Kurt Böwe (Nikolaj Stepanovic), Karin Ugowsky (Varja, seine Frau), Jaschka Lämmert (Liza, seine Tochter), Corinna Kirchhoff (Katja), Lothar Blumhagen (Michail Fedorovic) und Lutz Salzmann (Aleksandr Adolfovic Gnekker). Die Erstsendung fand am 8. Dezember 1998 beim Sender MDR Kultur statt.[6]
Sprechtheater
Bearbeiten- Bernd Surholt in Alles andere als eine langweilige Geschichte von Rudolf Höhn.
Deutschsprachige Ausgaben
BearbeitenVerwendete Ausgabe
Bearbeiten- Eine langweilige Geschichte. Aus den Aufzeichnungen eines alten Mannes. Deutsch von Reinhold Trautmann. S. 57–128 in Marga Erb (Hrsg.): Anton P. Tschechow: Aus den Notizen eines Jähzornigen. 412 Seiten (enthält noch: Der Tod des Beamten. Aus dem Tagebuch eines Buchhaltergehilfen. Unteroffizier Prischibejew. Gram. Ein Glücklicher. Wanka. Das Gewinnlos. Gussew. Rothschilds Geige. Der Student. Mein Leben. Herzchen. Die Stachelbeeren. Von der Liebe. Jonytsch. Die Dame mit dem Hündchen. Der Bischof). Reclam, Leipzig 1972, ohne ISBN
Literatur
Bearbeiten- Hans Rothe: Anton Tschechov oder Die Entartung der Kunst. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Bd. 306, 1990, S. 19–22 „Eine langweilige Geschichte“ (1889)
- Peter Urban (Hrsg.): Über Čechov. 487 Seiten. Diogenes, Zürich 1988 (Diogenes-Taschenbuch 21244). ISBN 3-257-21244-5
Weblinks
Bearbeiten- Der Text
- Скучная история (Чехов) (russisch)
- online bei author-chehov.ru (russisch)
- online in der FEB (russisch)
- online bei litmir.co (russisch)
- online in der Bibliothek Komarow (russisch)
- Tschechow-Bibliographie, Eintrag Powest Nr. 8 (russisch)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Maurois zitiert bei Urban, S. 220, 6. Z.v.o.
- ↑ poln. Nieciekawa historia
- ↑ poln. Anna Milewska
- ↑ poln. Hanna Mikuć
- ↑ Eine langweilige Geschichte in der IMDb
- ↑ ARD-Hörspieldatenbank (Eine langweilige Geschichte, MDR 1998)