Otogizōshi
Bei den Otogizōshi (jap.
Übersicht
BearbeitenIm engeren Sinne bezeichnet der Begriff Otogizōshi eine Sammlung von insgesamt 23 Geschichten, die in der Kyōho Ära (1716–1736) vom Verleger Shibukawa Seiemon (
Im weiteren Sinne bezeichnet Otogizōshi ca. 500 Kurzgeschichten, deren Entstehung sich zeitlich von der höfischen Literatur der Kamakura-Zeit bis in die frühe Edo-Zeit erstreckt. Der Verfasser[Anm. 1] und die genaue Entstehungszeit sind in der Regel nicht bekannt. Klassifikationsversuche anhand formaler Kriterien haben die Otogizōshi sowohl als chūsei shōsetsu (
Ein weiterer etymologischer Erklärungsansatz bezieht den Wortbestandteil togi auf den Begriff toki (
Kennzeichen
BearbeitenFormal zeichnen sich Otogizōshi durch einen relativen geringen Textumfang von durchschnittlich 20 bis 40 Seiten aus. Inhaltlich ist die Ereignishaftigkeit des Geschehens bedeutsamer als die detaillierte Beschreibung von Orten oder psychologischen Zuständen. Texteinschübe wie: "Alle, die diese Geschichte hören", weisen darauf hin, dass die Darbietung der Geschichte auch ihr zentraler Zweck war. Zugleich ist dies auch ein deutlicher Unterschied zur Erzählform des Monogatari, das ganzheitlicher und detailreicher erzählt und dessen Umfang daher auch deutlich größer ist. Die Tatsache, dass die Hauptpersonen aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, rückt die Otogizōshi näher an die Setsuwa Literatur, als an die Monogatari.
Die Darstellung der Ereignisse im Otogizōshi ist zudem dialogisch organisiert. Ereignisse werden sensationsartig überspitzt, um eine erzählerische Klimax mit dramatischem Effekt zu erzielen.[6] Stereotype und Wortwiederholungen machen die Geschichte erinnerbar und geben ihr einen Rhythmus. Der Wechsel von fünf und sieben Moren beispielsweise wird auch im yōkyoku (
Formen
BearbeitenIchiko Teiji hat die Formen der Otogizōshi anhand der sozialen Herkunft der Hauptperson wie folgt in sechs Haupt- und 23 Untergruppen eingeteilt.[Anm. 2]
- kuge mono (
公家 物 ) – Höfische Erzählungen - Thematisch konzentrieren sich diese Geschichten im Anschluss an die höfische Literatur der Kamakura-Zeit auf die Liebeshändel junger Adeliger. Beispiele sind etwa das Wakakusa Monogatari (
若草 物語 ) und das Shinobine Monogatari (忍音 物語 ).[7] Die Werke dieser Gruppe beziehen sich inhaltlich meist eklektisch auf Schilderungen des höfischen Lebens vorangegangener Werke, wobei die Liebesthematik bis ins Frivole gesteigert ist. Daneben zählen auch die sogenannten mamagomono (Stiefmuttergeschichten) in diese Kategorie. Das bekannteste Beispiel ist das Hachikazuki (鉢 かづき, Die Napfträgerin[Anm. 3]). - shūkyo mono (
宗教 物 ) – Religiöse Stoffe - Die Hauptperson dieser Werkgruppe ist in der Regel ein Mönch. Wenngleich sich diese Geschichten auch um die religiöse Erleuchtung drehen, so gehören auch die sogenannten chigo monogatari (
児 物語 , Novizengeschichten[8]) in diese Kategorie. Chigo bezeichnete Knaben im Alter von 12 bis 18 Jahren, die dem Umfeld der kaiserlichen Familie oder dem hohen Hofadel entstammten und die zeitweilig in einem Tempel lebten. Sie trugen farbenfrohe Kimono mit langärmeligem Furisode, langes Haar und schwärzten sich bisweilen die Zähne (Ohaguro), wodurch sie von Frauen schwer zu unterscheiden waren. Geschichten dieser Art, wie das Aki no yonaga monogatari (秋 の夜長 物語 , Erzählungen von langen Herbstnächten[Anm. 4]) erzählen von den sexuellen Ausschweifungen dieser Chigo. Die ernsthafteren Erzählungen dieser Gruppe, die honjimono (本 地物 ), dagegen berichten vom Zeitalter der Götter und dem Zusammenleben mit den Menschen (Beispiel:熊野 の本地 , Kumano no honji). Eine weitere Gruppe von Erzählungen sind die tonsei mono (遁世 物 , Weltentsagung) und sange mono (懺悔 文 ), die der exegetischen Literatur entstammen und in Form des Sündenbekenntnisses von den Gründen für die Weltflucht ins klösterliche Leben erzählen. - buke mono (
武家 物 ) – Kriegererzählungen - Die buke mono umfassen vornehmlich Heldensagen, in denen von den ruhmreichen Heldentaten der Samurai und Kämpfer berichtet wird, häufig mit Bezug oder Anspielung auf das Heike Monogatari und die Gunki Monogatari der von Kriegswirren geprägten Namboku-Zeit. Sehr beliebt war beispielsweise das Benkei Monogatari (
弁慶 物語 ), dass von der Loyalität des Kriegermönches Musashibō Benkei erzählt.[9] - shomin mono (
庶民 物 ) – Volkstümliches - Thematisch ein Novum im Vergleich zu den drei vorangegangenen Kategorien, konzentrieren sich die shomin mono auf den Aufstieg und die Karriere von Personen aus dem einfachen Volk. Hierher gehört neben Geschichten wie dem Bunsei sōshi (
文正 草子 )[10] auch die noch heute bekannten und beliebten Geschichten von Urashima Tarō (浦島 太郎 ) und die Geschichte vom Bonzen Däumling (一寸法師 , isshun bōshi). In manchen Geschichten wird das Wort glückverheißend so häufig verwendet, dass man diese Erzählungen auch als Glückwunsch-Bücher (祝儀 物 , shūgi mono)[11] bezeichnet. - ikoku/ikyō mono (
異国 ・異郷 物 ) – in Übersee - Die Geschichten, deren Handlungsort im Ausland liegt, nehmen Stoffe aus dem chinesischen und indischen Kulturraum auf. Beispiele für Otogizōshi, die chinesische Erzählstoffe aufnehmen sind das Genjōraku Monogatari (
還 城 楽 物語 ) bzw. das Hōmyō Dōji (法 妙 童子 , Geschichte vom Knaben Hōmyō) für die indische Tradition. - irui mono (
異類 物 ) – die andere Welt - In der letzten Gruppe der Otogizōshi finden sich vor allem Fabelerzählungen, in deren Mittelpunkt entweder Tiere oder anthropomorphisierte Gegenstände aus der Natur stehen. Hierzu zählt etwa die Geschichte des Kampfes gegen die zwölf Tierarten der Himmelszweige (
十 二 類 合戦 物語 , Jūnirui kassen monogatari). Zu dieser Hauptgruppe gehört zudem eine große Zahl von Gespenstergeschichten. So erzählt das Tsukumogami Monogatari (付 喪神 絵詞 ) von alten Haushaltsgegenständen, die weggeworfen worden waren, beseelt zurückkehren und als Kobolde ihren ehemaligen Besitzer malträtieren. Diese Geschichte geht auf den Aberglauben zurück, dass Gegenstände, die ein Alter von 100 Jahren erreichen, belebt werden können, um als Tsukumogami die Menschenwelt heimzusuchen.
Literatur
Bearbeiten御伽草子 . In: Britannica Japan Co. Ltd. (Hrsg.): ブリタニカ国際 大 百科 事典 小 項目 電子 辞典 書 版 . 2011 (japanisch).- Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. Hrsg.: University of British Columbia. September 1974 (englisch, PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
- Teiji Ichiko:
中世 小説 の研究 (Studie zum mittelalterlichen Roman). Hrsg.: Tokyo Daigaku Shuppankai. Tokyo 1962 (japanisch). - Karl Florenz: Geschichte der japanischen Litteratur. In: Die Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen. Zehnter Band. C.F. Amelangs Verlag, Leipzig 1906 (Online beim Internet Archive).
- Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. In: Bunken. Band 5. Otto Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 1997, ISBN 3-447-03772-5, S. 22 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – zugleich Diss. an der Universität Frankfurt).
- Shibata Yoshinara (
柴田 芳 成 ):京都 大学 所蔵 お伽草子 目録 (解題 付 (Kyōto Daigaku Otogizōshi Mokuroku (Kaidaitsuki)). Kyoto University, abgerufen am 30. November 2012 (japanisch).
Weblinks
Bearbeiten- Roberta Strippoli, Michael Watson: Otogizôshi: Texts, Translations and Studies with additional information about Muromachi tales. 12. Juli 2006, abgerufen am 30. November 2012 (englisch).
- Bebilderte Zusammenfassungen von 13 Otogizōshi (japanisch),
- engl. Übersetzung
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Eine Ausnahme stellt das von Ishii Yasunaga verfasste Tempitsu wakō rakuchi fuku kai emman hitsuketsu no monogatari (
天 畢和合 楽 地 福 皆 ?満 畢結の物語 ) dar, das die Geschichte einer Dachsfamilie erzählt. (Bsp. nach Chigusa, 1974, S. 27) - ↑ Die Auflistung folgt Chigusa, S. 34–35, die Übersetzung der Hauptkategorien stammt von Jesse, S. 22, die hier nicht vollständige Auflistung der Untergruppen nach Shibata, Universität Kyoto.
- ↑ Deutsche Übertragung des Titels nach Florenz, S. 357.
- ↑ Florenz übersetzt: Monogatari in langer herbstlicher Nacht. S. 361.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Seite 21 bietet eine Auflistung aller 23 Geschichten.).
- ↑ Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 6 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
- ↑ a b Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 7–8 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
- ↑ Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 15–16 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
- ↑ Karl Florenz: Geschichte der japanischen Litteratur. 1906, S. 355 (Online).
- ↑ Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 23 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
- ↑
御伽草子 . In: Britannica Japan Co. Ltd. (Hrsg.): ブリタニカ国際 大 百科 事典 小 項目 電子 辞典 書 版 . 2011. - ↑ Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. S. 23 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Shibata Yoshinara:
京都 大学 所蔵 お伽草子 目録 (解題 付 (Kyōto Daigaku Otogizōshi Mokuroku (Kaidaitsuki)). Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 1. August 2012; abgerufen am 30. November 2012. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. - ↑
文正 草子 . In: デジタル版 日本人 名 大 辞典 +Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 30. November 2012 (japanisch). - ↑ Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. S. 25 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).