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Otogizōshi – Wikipedia

Otogizōshi

Gattung japanischer Literatur

Bei den Otogizōshi (jap. 御伽草子おとぎぞうし, wörtlich: „Unterhaltungsbuch“, „Gesellige Bücher“) handelt es sich um volkstümliche japanische Erzählungen der Muromachi-Zeit, die durchweg anonym und ohne sichere Datierung überliefert sind. Sie werden meist als Übergang von den älteren Monogatari zu den Kanazōshi der Edo-Zeit betrachtet. Diese frühe Gattung der volkstümlichen Literatur zeichnet sich durch ihre reichhaltige Thematik aus mit einer Vielzahl von Motiven, die insbesondere auch aus der mündlichen Erzähltradition stammen.

Illustration aus einem Otogizōshi, ca. 1725

Übersicht

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Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff Otogizōshi eine Sammlung von insgesamt 23 Geschichten, die in der Kyōho Ära (1716–1736) vom Verleger Shibukawa Seiemon (渋川しぶかわきよしみぎ衛門えもん) in Ōsaka unter dem Titel „Otogibunko“ herausgegeben wurden.[1] 1801 war es Ozaki Masayoshi, der in seiner annotierten Bibliografie „Gunsho ichiran“ (ぐんしょ一覧いちらん) erstmals die Bezeichnung Otogizōshi für besagte Sammlung verwendete. 1891 erschien diese Sammlung von Geschichtenheften dann auch unter der Bezeichnung Otogizōshi bei Shibukawa.[1] Der Verleger hatte in den einleitenden Worten die Ausgabe ausschließlich für weibliches Lesepublikum vorgesehen, wodurch das Genre ungerechtfertigt in die Nähe des Märchens und der seichten Unterhaltung gerückt wurde.[2]

Im weiteren Sinne bezeichnet Otogizōshi ca. 500 Kurzgeschichten, deren Entstehung sich zeitlich von der höfischen Literatur der Kamakura-Zeit bis in die frühe Edo-Zeit erstreckt. Der Verfasser[Anm. 1] und die genaue Entstehungszeit sind in der Regel nicht bekannt. Klassifikationsversuche anhand formaler Kriterien haben die Otogizōshi sowohl als chūsei shōsetsu (中世ちゅうせい小説しょうせつ), also als mittelalterliche romanhafte Erzählliteratur, wie auch als Form der Setsuwa sehen wollen. Chigusa argumentiert dagegen etymologisch und aus der Erzähltradition heraus, dass es sich um Gesellige Geschichten handele, die zum Zwecke des geselligen Beisammenseins vorgetragen oder vorgelesen wurden. Dies deute auch der Wortstamm togi (とぎ) mit der Konnotation Gesellschaft-Leisten an.[3] Historisch institutionalisiert war diese Funktion in den Otogi shū (御伽おとぎしゅ, Begleiter eines Daimyō) in der Muromachi-Zeit.[3] Wenngleich es keinen handfesten Beleg dafür gibt, dass der Verleger, der die Bezeichnung im 18. Jahrhundert zuerst verwendete, vertraut war mit dieser mittelalterlichen Praxis, noch dass dieses Genre zu einem früheren Zeitpunkt bereits als Otogizōshi bezeichnet worden ist, so ist die Anknüpfung an die Tradition des mündlichen Erzählens, die neben der literarischen fortbestand, literaturhistorisch plausibel. In dieser Hinsicht stehen die Otogizōshi den bebilderten Nara ehon (奈良なら絵本えほん) nahe.

Ein weiterer etymologischer Erklärungsansatz bezieht den Wortbestandteil togi auf den Begriff toki (, aufklären, aufhellen). Toki wiederum wird dieser Erklärung nach in Bezug gesetzt zu einem Stand fahrender Priester, die in der späten Heian-Zeit als etoki hōshi (かい(き)法師ほうし, Bildererklärer) das Land bereisten, um mittels Bildrollen Geschichten zu erzählen. Ein prominentes Beispiel sind die Nonnen von Kumano (熊野くまの比丘尼びくに, Kumano bikuni).[4] Geschichtenerzähler wie die goze und zatō, blinde Nonnen respektive Mönche, besaßen in der Regel einen geringen gesellschaftlichen Stand. Vom Hof und Adel einmal abgesehen war Analphabetismus der gesellschaftliche Standard. Umso wichtiger war die Funktion des Geschichtenerzählers, die mit der Muromachi-Zeit allerdings verschwand. Doch ist es sicher den Erzählern zu verdanken, dass sich die bis dahin am Hofe monopolisierte Literatur zu einer Volksliteratur wandelte.[5] Das Otogizōshi ist Ausdruck dieses literaturgeschichtlichen Wandels.

Kennzeichen

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Formal zeichnen sich Otogizōshi durch einen relativen geringen Textumfang von durchschnittlich 20 bis 40 Seiten aus. Inhaltlich ist die Ereignishaftigkeit des Geschehens bedeutsamer als die detaillierte Beschreibung von Orten oder psychologischen Zuständen. Texteinschübe wie: "Alle, die diese Geschichte hören", weisen darauf hin, dass die Darbietung der Geschichte auch ihr zentraler Zweck war. Zugleich ist dies auch ein deutlicher Unterschied zur Erzählform des Monogatari, das ganzheitlicher und detailreicher erzählt und dessen Umfang daher auch deutlich größer ist. Die Tatsache, dass die Hauptpersonen aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, rückt die Otogizōshi näher an die Setsuwa Literatur, als an die Monogatari.

Die Darstellung der Ereignisse im Otogizōshi ist zudem dialogisch organisiert. Ereignisse werden sensationsartig überspitzt, um eine erzählerische Klimax mit dramatischem Effekt zu erzielen.[6] Stereotype und Wortwiederholungen machen die Geschichte erinnerbar und geben ihr einen Rhythmus. Der Wechsel von fünf und sieben Moren beispielsweise wird auch im yōkyoku (謡曲ようきょく, -Gesang) eingesetzt.

Ichiko Teiji hat die Formen der Otogizōshi anhand der sozialen Herkunft der Hauptperson wie folgt in sechs Haupt- und 23 Untergruppen eingeteilt.[Anm. 2]

kuge mono (公家くげぶつ) – Höfische Erzählungen
Thematisch konzentrieren sich diese Geschichten im Anschluss an die höfische Literatur der Kamakura-Zeit auf die Liebeshändel junger Adeliger. Beispiele sind etwa das Wakakusa Monogatari (若草わかくさ物語ものがたり) und das Shinobine Monogatari (忍音しのびね物語ものがたり).[7] Die Werke dieser Gruppe beziehen sich inhaltlich meist eklektisch auf Schilderungen des höfischen Lebens vorangegangener Werke, wobei die Liebesthematik bis ins Frivole gesteigert ist. Daneben zählen auch die sogenannten mamagomono (Stiefmuttergeschichten) in diese Kategorie. Das bekannteste Beispiel ist das Hachikazuki (はちかづき, Die Napfträgerin[Anm. 3]).
shūkyo mono (宗教しゅうきょうぶつ) – Religiöse Stoffe
Die Hauptperson dieser Werkgruppe ist in der Regel ein Mönch. Wenngleich sich diese Geschichten auch um die religiöse Erleuchtung drehen, so gehören auch die sogenannten chigo monogatari (物語ものがたり, Novizengeschichten[8]) in diese Kategorie. Chigo bezeichnete Knaben im Alter von 12 bis 18 Jahren, die dem Umfeld der kaiserlichen Familie oder dem hohen Hofadel entstammten und die zeitweilig in einem Tempel lebten. Sie trugen farbenfrohe Kimono mit langärmeligem Furisode, langes Haar und schwärzten sich bisweilen die Zähne (Ohaguro), wodurch sie von Frauen schwer zu unterscheiden waren. Geschichten dieser Art, wie das Aki no yonaga monogatari (あき夜長よなが物語ものがたり, Erzählungen von langen Herbstnächten[Anm. 4]) erzählen von den sexuellen Ausschweifungen dieser Chigo. Die ernsthafteren Erzählungen dieser Gruppe, die honjimono (ほん地物ちぶつ), dagegen berichten vom Zeitalter der Götter und dem Zusammenleben mit den Menschen (Beispiel: 熊野くまの本地ほんじ, Kumano no honji). Eine weitere Gruppe von Erzählungen sind die tonsei mono (遁世とんせいぶつ, Weltentsagung) und sange mono (懺悔ざんげぶん), die der exegetischen Literatur entstammen und in Form des Sündenbekenntnisses von den Gründen für die Weltflucht ins klösterliche Leben erzählen.
buke mono (武家ぶけぶつ) – Kriegererzählungen
 
Benkei kämpft gegen Minamoto no Yoshitsune
Die buke mono umfassen vornehmlich Heldensagen, in denen von den ruhmreichen Heldentaten der Samurai und Kämpfer berichtet wird, häufig mit Bezug oder Anspielung auf das Heike Monogatari und die Gunki Monogatari der von Kriegswirren geprägten Namboku-Zeit. Sehr beliebt war beispielsweise das Benkei Monogatari (弁慶べんけい物語ものがたり), dass von der Loyalität des Kriegermönches Musashibō Benkei erzählt.[9]
shomin mono (庶民しょみんぶつ) – Volkstümliches
Thematisch ein Novum im Vergleich zu den drei vorangegangenen Kategorien, konzentrieren sich die shomin mono auf den Aufstieg und die Karriere von Personen aus dem einfachen Volk. Hierher gehört neben Geschichten wie dem Bunsei sōshi (文正ふみまさ草子ぞうし)[10] auch die noch heute bekannten und beliebten Geschichten von Urashima Tarō (浦島うらしま太郎たろう) und die Geschichte vom Bonzen Däumling (一寸法師いっすんぼうし, isshun bōshi). In manchen Geschichten wird das Wort glückverheißend so häufig verwendet, dass man diese Erzählungen auch als Glückwunsch-Bücher (祝儀しゅうぎぶつ, shūgi mono)[11] bezeichnet.
ikoku/ikyō mono (異国いこく異郷いきょうぶつ) – in Übersee
Die Geschichten, deren Handlungsort im Ausland liegt, nehmen Stoffe aus dem chinesischen und indischen Kulturraum auf. Beispiele für Otogizōshi, die chinesische Erzählstoffe aufnehmen sind das Genjōraku Monogatari (かえしろらく物語ものがたり) bzw. das Hōmyō Dōji (ほうみょう童子どうじ, Geschichte vom Knaben Hōmyō) für die indische Tradition.
irui mono (異類いるいぶつ) – die andere Welt
In der letzten Gruppe der Otogizōshi finden sich vor allem Fabelerzählungen, in deren Mittelpunkt entweder Tiere oder anthropomorphisierte Gegenstände aus der Natur stehen. Hierzu zählt etwa die Geschichte des Kampfes gegen die zwölf Tierarten der Himmelszweige (じゅうるい合戦かっせん物語ものがたり, Jūnirui kassen monogatari). Zu dieser Hauptgruppe gehört zudem eine große Zahl von Gespenstergeschichten. So erzählt das Tsukumogami Monogatari (づけ喪神そうしん絵詞えことば) von alten Haushaltsgegenständen, die weggeworfen worden waren, beseelt zurückkehren und als Kobolde ihren ehemaligen Besitzer malträtieren. Diese Geschichte geht auf den Aberglauben zurück, dass Gegenstände, die ein Alter von 100 Jahren erreichen, belebt werden können, um als Tsukumogami die Menschenwelt heimzusuchen.

Literatur

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Anmerkungen

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  1. Eine Ausnahme stellt das von Ishii Yasunaga verfasste Tempitsu wakō rakuchi fuku kai emman hitsuketsu no monogatari (てん和合わごうらくぶくみな?まん畢結の物語ものがたり) dar, das die Geschichte einer Dachsfamilie erzählt. (Bsp. nach Chigusa, 1974, S. 27)
  2. Die Auflistung folgt Chigusa, S. 34–35, die Übersetzung der Hauptkategorien stammt von Jesse, S. 22, die hier nicht vollständige Auflistung der Untergruppen nach Shibata, Universität Kyoto.
  3. Deutsche Übertragung des Titels nach Florenz, S. 357.
  4. Florenz übersetzt: Monogatari in langer herbstlicher Nacht. S. 361.

Einzelnachweise

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  1. a b Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Seite 21 bietet eine Auflistung aller 23 Geschichten.).
  2. Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 6 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
  3. a b Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 7–8 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
  4. Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 15–16 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
  5. Karl Florenz: Geschichte der japanischen Litteratur. 1906, S. 355 (Online).
  6. Steven Chigusa: "Hachikazuki", a Companion. 1974, S. 23 (PDF [abgerufen am 30. November 2012]).
  7. 御伽草子おとぎぞうし. In: Britannica Japan Co. Ltd. (Hrsg.): ブリタニカ国際こくさいだい百科ひゃっか事典じてん しょう項目こうもく電子でんし辞典じてんしょばん. 2011.
  8. Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. S. 23 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Shibata Yoshinara: 京都きょうと大学だいがく所蔵しょぞう伽草子とぎぞうし目録もくろく解題かいだいづけ (Kyōto Daigaku Otogizōshi Mokuroku (Kaidaitsuki)). Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. August 2012; abgerufen am 30. November 2012.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/edb.kulib.kyoto-u.ac.jp
  10. 文正ふみまさ草子ぞうし. In: デジタルばん 日本人にっぽんじんめいだい辞典じてん+Plus bei kotobank.jp. Abgerufen am 30. November 2012 (japanisch).
  11. Bernd Jesse: Die Vorgeschichte der Götter von Kumano. S. 25 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).