Die Tendai-shū (japanisch
Geschichte
BearbeitenNara-Zeit
BearbeitenLehren der Tiantai zong wurden bereits in der Nara-Zeit in Japan eingeführt. Dies geschah hauptsächlich durch frühe Vertreter der Risshū, wie z. B. den chinesischen Vinaya-Mönch Jianzhen (688–763), der Mitte des 8. Jahrhunderts wichtige Schriften des Tiantai-Begründers Zhiyi (538–597; chinesisch
Ein weiter Vorläufer war Gyōga (
Heian-Zeit
BearbeitenGründung durch Saichō
BearbeitenDie Gründung einer eigenen Schule geht zurück auf den japanischen Mönch Saichō (767–822), der erstmals während seines Aufenthalts in einer Einsiedelei auf dem Hiei-zan in Kontakt mit Tiantai-Schriften kam. Nachdem Saichō im Jahr 802 im Takaosan-ji (später: Jingo-ji) in Heian-kyō bei einem vom Kammu-tennō ausgerichteten Treffen hoher buddhistischer Würdenträger eine Rede über das Lotos-Sutra gehalten hatte, wurde ihm vom Kaiserhof des Tennō eine Reise in das Kaiserreich China der Tang-Zeit versprochen, die er im siebten Monat des Jahres 804 vom Hafen von Matsuura in der Provinz Hizen antrat. Auf einem der anderen drei Schiffe befand sich Saichō Zeitgenosse und späterer Rivale Kūkai (späterer Gründer der Shingon-shū), dessen Schiff am zehnten Tag des achten Monats in der Provinz Fujian einlief. Saichōs Schiff traf später, am ersten Tag des neunten Monats in Ningbo ein.
Während Kūkai ohne Umwege zum Kaiserhof in Chang’an reiste, machte sich Saichō auf den Weg zum Berg Tiantai (chinesisch
Von Xiuran (
Während Saichō auf das Schiff zur Abreise wartete, traf er Shunxiao (
Mit derart synkretistischen Einflüssen und mehreren hundert Schriften kehrte Saichō schließlich nach neuneinhalb Monaten im Jahr 805 nach Japan zurück. Dort wurde er zum kaiserlichen Palast geladen, wo der Kammu-tennō schwer krank war. Saichō hielt einen Bußritus (悔過, keka), weswegen die Tendai-shū im folgenden Jahr zwei jährliche Priester (
In den folgenden Jahren baute Saichō die Stellung der Tendai-shū kontinuierlich aus. Durch die Eigenheiten seiner Übertragung der Lehren entstanden dabei früh einige wesentliche Unterschiede zur chinesischen Tiantai zong.
Dazu gehörte zunächst der Eklektizismus seiner Lehren. Dieser wurde später auch Enmitsuzenkai (
Des Weiteren konzipierte er entgegen den universalistischen Tendenzen der Tiantai zong seine Lehre als auf das Heil des Landes, d. h. Japan, bezogen. Das Singen der Sutras sollte der Verteidigung und Stärkung Japans als Buddhaland dienen. Ein Grund hierfür mag auch darin liegen, dass Saichōs neue Schule mit den bereits etablierten Schulen des Nara-Buddhismus konkurrieren musste, die sich wichtiger Unterstützung vom Ritsuryō-Adel erfreuen konnten.
Berühmt wurde Saichōs im Jahr 817 schriftlich geführter Disput mit dem Hossō-Gelehrten Tokuitsu (
Im fünften Monat des Jahres 818 ersuchte Saichō die kaiserliche Erlaubnis, eine eigene Mahāyāna-Ordinationsplattform (
Unsicher darüber, wie mit Saichōs Gesuch umzugehen sei, wandte sich der Hof an das von den Mönchen in Nara kontrollierte Sōgō (
Als Saichō am vierten Tag des sechsten Monats im Jahr 822 im Chūdō-in auf dem Hiei-zan verstarb, hatte der Hof immer noch keine abschließende Entscheidung gefällt. Sieben Tage später entschied man sich jedoch dafür, Saichōs Bitte stattzugeben. So fand am 26. Tag des ersten Monats im Jahr 823 die erste Tendai-Ordination im Haupttempel des Hiei-zan statt, der zugleich offiziell den Namen Enryaku-ji erhielt.
Taimitsu: Enchō, Ennin und Annen
BearbeitenNach Saichō übernahm Gishin (
So wurde Enshū auf kaiserlichen Beschluss noch 833, im Jahr seines Amtsantritts, von seinem Posten entfernt und stattdessen Enchō (
Enchō zeichnete sich besonders dadurch aus, dass er innerhalb der Tendai-shū verstärkt den beim Adel beliebten Mikkyō starkmachte, weswegen er im Jahr 831 sogar eine Petition und 26 Mönche zu Kūkai schickte, um im Tantrismus unterrichtet zu werden.
Gegenüber der in diesem Bereich dominanten Shingon-shū holte die Tendai-shū allerdings erst unter Ennin (
Schließlich konnte er im Jahr 839 doch noch bei einem wetterbedingten Zwischenstopp auf der Rückreise nach Japan in China an Land gehen und begab sich in einer mühevollen Reise in das Gebirge Wutai Shan, wo er die esoterischen Aspekte der Tiantai studieren konnte und auch mit der Meditationstechnik Changxing sanmei (
Wegen der ab 845 im Kaiserreich China grassierenden Buddhistenverfolgung unter Kaiser Wu Zong musste Ennin schließlich das Land über Silla (Korea) verlassen.
Mit all seinen neuen Kenntnissen ausgestattet kehrte er im Herbst des Jahres 848 nach Japan zurück und wurde mit den höchsten Ehren am Kaiserhof empfangen. Seinen Aktivitäten ist die Entwicklung des japanischen Tendai-Mikkyō (
Ennins Nachfolger in dieser Tradition wurde sein Rivale Enchin (
Eine abschließende Systematisierung erfuhr das Taimitsu durch Annen (
Aufstieg zur Macht und erste Spaltung
BearbeitenRyōgen (
Unter Ryōgen hatte die Tendai-shū ca. dreitausend Schüler (zu seinen direkten gehörten so bedeutende spätere Gelehrte wie Genshin (
Ryōgen, selber ein Schüler Ennins, konnte allerdings die immer mächtigeren Kriegermönche (sōhei, meist Mönche aus dem niedrigeren Dienstrang (
In der Spätphase der Heian-Zeit (Ende des 12. Jahrhunderts) war die Tendai-shū in die verschiedensten Fraktionen und Schulen zersplittert. Einer der letzten Erneuerer war Shōshin, der mit seinem Meister Jichin ein Sommer-Retreat (
Tendai-Shugendō: Honzan-ha
BearbeitenDie institutionelle Organisation des (ursprünglich nur durch Individuen und lose Gruppen gekennzeichneten) Bergasketen-Kults Shugendō unter Einfluss der Tendai-shū und der Fujiwara in die Honzan-ha (
Bedeutend für diese Entwicklung war das Jahr 1090, in dem der Shirakawa-tennō zusammen mit dem Tendai-Mönch Zōyo (
Obwohl der Sanmon-Zweig auch eine eigene Shugendō-Bewegung hatte, die von Sō-ō (
Tendai-Nembutsu: Frühe Vertreter
BearbeitenObwohl amidistische Vorstellungen und Praktiken (insbesondere das Nembutsu) schon seit der Nara-Zeit in Japan bekannt waren (damals aber fast nur in Begräbnisriten Verwendung fanden), fand die erste Popularisierung des Amida-Glaubens erstmals durch Ennin statt, der Meditation des immerwährenden Gesangs (
Nach Ennin war es allen voran Genshin, der als Autor des 985 veröffentlichten Ōjōyōshū (
Japanisches Mittelalter
BearbeitenDas japanische Mittelalter war eine Phase des langsamen, aber stetigen Abstiegs für die Tendai-shū. In religiöser Hinsicht bedeutsam hierfür war insbesondere das Erstarken der sogenannten vier neuen buddhistischen Schulen, die bereits in der Kamakura-Zeit die Grundfesten für einen volkstümlichen Buddhismus legten, aber auch von den Machthabern am kaiserlichen Hof und in den Provinzen protegiert wurden. Bezeichnend ist allerdings, dass alle Stifter bzw. Gründerfiguren dieser neuen Schulen selbst Tendai-Priester waren (Eisai, Dōgen, Hōnen, Shinran und Nichiren).
Zudem verursachten innere Machtkämpfe (religiöser und personeller als auch handfester Natur) eine immer stärkere Zersplitterung der Tendai-shū in eine unüberschaubare Vielzahl einzelner Unterschulen und Sekten.
Der wohl schwerste Schlag für die Stellung der Tendai-shū war allerdings die vollständige Zerstörung des Enryaku-ji durch Oda Nobunaga im Jahre 1571 gegen Ende der Sengoku-Zeit.
Periode der Kriegermönche
BearbeitenSanmon und Jimon bekämpften sich jahrhundertelang in heftigen Auseinandersetzungen, die oft mit dem Niederbrennen der Tempel und Shōen der gegnerischen Fraktion endeten (so wurde der Mii-dera im Jahre 1214 zweimal, zum fünften und zum sechsten Mal, niedergebrannt). Dabei war der Sanmon-Zweig grundsätzlich die militärisch stärkere Fraktion, der Jimon-Zweig konnte sich allerdings wegen seiner guten Kontakte zum Hof, insbesondere zu den Minamoto, und wegen zeitweiligen Allianzen mit Tōdai-ji und Kōfuku-ji immer wieder erholen. Einer der wesentlichen Streitpunkte blieb lange Zeit der bereits seit 1039 immer wieder getätigte Versuch des Jimon-Zweiges, am Mii-dera eine eigene Ordinationsplattform zu errichten (die Tendai-shū hatte weiterhin nur die eine am Hiei-zan, wo der Sanmon-Zweig seinen Hauptsitz hatte). Im Jahr 1260 erteilte die Regierung dem Jimon-Zweig die nötige Erlaubnis, zog diese aber bald wieder aufgrund massiver Proteste der Hiei-zan-Mönche zurück.
Aber nicht nur Zugehörigkeit zu Sanmon oder Jimon gaben ideologische Gründe für gewalttätige Auseinandersetzungen. Auf dem Hiei-zan bekämpften sich auch Dienstmönche (
Eine weitere Quelle interner Querelen auf dem Hiei-zan bestand in der geographischen Zugehörigkeit zu einem der drei Hauptteile des Enryaku-ji-Tempelkomplexes: östliche Pagode (Konpon Chūdō, Kaidan-in, Jōdo-in und Mudō-ji), westliche Pagode (Hōdō-in mit der Shaka-dō, der Jōgyō-dō und der Hokke-dō; sowie dem Seiryū-ji) und Yokawa (bzw. nördliche Pagode: Shuryōgon-in mit der Chūdō, der Ruridō, der Shikikōdō und der Eshindō).
Erst mit der Zerstörung der Tempelkomplexe auf dem Hiei-zan durch die Truppen von Oda Nobunaga im Jahr 1571 endeten die oft jahrhundertelang bestehenden Fehden. 25.000 Samurai unter Odas Kommando schlachteten im neunten Monat dieses Jahres nach Augenzeugenberichten ca. dreitausend Mönche ab und zerstörten alle Tempelbauten auf dem Berg. Hiernach hörten die Sōhei auf, als politisch relevante Militärmacht zu existieren, obwohl bereits kurz nach der Ermordung Oda Nobunagas im Jahr 1582 Pläne zum Wiederaufbau des Tempelkomplexes unter dem Ōgimachi-tennō und dem neuen Shōgun Toyotomi Hideyoshi sowie dem damals noch eher unbedeutenden Tokugawa Ieyasu erstellt wurden. Diese Pläne wurden allerdings erst während der Herrschaft von Tokugawa Iemitsu, also Mitte des 17. Jahrhunderts, abgeschlossen.
Mittelalterliche Exoterik
BearbeitenDie Entwicklungen der Lotos- (
Diese beiden Linien unterschieden sich eher durch ihre Vertreter und ihre Wirkungsorte als durch ihre Lehren, was teilweise auch darauf zurückzuführen ist, dass sich in der Tendai-shū im japanischen Mittelalter die Mittel der (eigentlich esoterischen) mündlichen Überlieferung (
Die Danna-ryū hatte als Hauptzentrum die Östliche Pagode auf dem Hiei-zan. Sie spaltete sich in vier Unterschulen auf (Ekōbō-ryū, Bishamondō-ryū, Chikurinbō-ryū und Inokuma-ryū) und erlosch mit der Zerstörung des Hiei-zan-Tempelkomplexes.
Geschichtlich wirkungsmächtiger war die Eshin-ryū, die im Yokawa-Gebiet auf dem Hiei-zan entstand und unter den Mönchen Shinga (
Neben der orthodoxen Ansicht, dass gegenüber dem Lotos-Sutra alle anderen Sutras nur behelfsmäßigen Charakter hätten (also Upaya seien), vertrat die Eshin-ryū insbesondere die Standpunkte, dass Meditation (shikan) die beiden Teile (shakumon, i. e. Kapitel 1 bis 14, und honmon) des Lotos-Sutra transzendieren würde und von einem einzelnen Gedankenmoment des Glaubens (
Herausragende Vertreter der Eshin-ryū waren u. a. Sonshun (
Mittelalterliches Taimitsu
BearbeitenWie auch die Exoterik spaltete sich die Tendai-Esoterik im japanischen Mittelalter in eine Vielzahl von Unterschulen auf, die sich insbesondere in Hinblick auf ihre geheim-magischen Riten und Gebete unterschieden. Die meisten entstanden aus der Jikaku-daishi-ryū, die sich in ihrer Tradition auf Ennin als Begründer bezog.
Die in dieser Zeit wirkungsmächtigsten Schulen waren die sich auf Enchin als Gründergestalt beziehende Chishō-daishi-ryū bzw. Mii-ryū am Mii-dera mit Nichiin (
Außer in der praktischen Ausführung magischer Rituale für den Adel und die Kamakura-Regenten waren die Taimitsu-Schulen des Mittelalters insbesondere durch die Verschriftlichung der mündlichen Traditionen für die Entwicklung des Tendai-Shintō verantwortlich (s. u.).
Mündliche Tradition: Kuden
BearbeitenDas wichtigste Instrument, mit dem esoterische und exoterische Lehren innerhalb der Tendai-shū vermittelt wurden, war von Anfang an die mündliche Überlieferung (
Gegen Ende der Heian-Zeit hatte allerdings bereits ein Trend eingesetzt, diese mündlichen Überlieferungen von Lehrer zu Schüler in sogenannten kudensho (
Tendai-Shintō
BearbeitenBereits Saichō hatte in seinen Schriften den Begriff Sannō (
Als eigene Systematik entwickelte sich diese Strömung aber erst Ende der Kamakura-Zeit bzw. während der Süd- und Nordhof-Periode, insbesondere wegen der bis dahin um den Hiei-zan liegenden Shōen der Tendai-shū, die in dieser Zeit ihren zahlenmäßigen Höhepunkt erreichten und deren Bauern meist noch mehrheitlich den alten, indigenen Glaubensformen anhingen.
Dieser Tendai-Shintō (
Ein früher (aber erst spät prominent gewordener) Vertreter war Gyōen (
Jihen (慈遍; Lebensdaten unbekannt, aktiv im 14. Jahrhundert), der sich auch in hohem Maße mit Ise- bzw. Watarai-Shintō und dem Ryōbu-Shintō der Shingon-shū auskannte, war einer der bedeutendsten Vertreter des Sannō-Shintō.
Mit Oda Nobunagas Zerstörung des Hiei-zan-Tempelkomplexes wurde die Tradition des Tendai-Shintō fast komplett vernichtet und erholte sich in den nachfolgenden Jahren nur langsam. Erst in der Edo-Zeit konnte er in größerem Maße wiederbelebt werden, wurde aber nie so populär wie der Ryōbu-Shintō oder der Yoshida-Shintō. Eine seiner wenigen Vermächtnisse war das Konzept der sanjūbanshin (
Tendai-Nembutsu: Shinzei-ha
BearbeitenErste eigene japanische Schulen des Amidismus (Yūzū Nembutsu-shū, Jōdo-shū, Jōdo-Shinshū, Ji-shū) entwickelten sich weitestgehend außerhalb der Tendai-shū, wenn auch alle ihre Stifter und Gründer frühere Tendai-Mönche gewesen waren.
Unter dem Druck der Popularität des Amidismus im japanischen Mittelalter wurde allerdings auch innerhalb der Tendai-shū eine eigene Schulrichtung des Amidismus begründet, die Shinzei-ha (
Shinzei (
Im Jahr 1486 restaurierte Shinzei den von Ryōgen erbauten Saikyō-ji (
Shinzeis Nembutsu-Bewegung wurde relativ erfolgreich, so gewann er die Unterstützung des Ashikaga-Shōguns Yoshimasa und verlieh die endonkai im Jahr 1492 an den Go-Tsuchimikado-tennō und weitere Adlige. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Shinzei um die fünfhundert Schüler.
Edo-Zeit
BearbeitenDie Edo-Zeit bedeutete für Japan eine ungewöhnlich lange Zeit des inneren Friedens. Das Tokugawa-bakufu erreichte dies in Hinblick auf die buddhistischen Gemeinschaften – bis dahin unberechenbare Unruheherde –, indem es diese einer strengen staatlichen Kontrolle unterwarf. Dies hatte zur Folge, dass es in der Edo-Zeit zu vergleichsweise wenigen Neuerungen innerhalb des japanischen Buddhismus kam. Die zentrale Militärregierung gab nun die sozialen und damit auch wesentlichen religiösen Funktionen vor. Dies galt auch für die Tendai-shū, wiewohl sie seit der Zeit der Zerstörung des Hiei-zan durch Oda Nobunaga den weltlichen Gewalten nicht mehr gefährlich geworden war.
Eine der wenigen herausragenden Tendai-Persönlichkeiten im Tokugawa-Japan war der Mönch Tenkai (
1625 begründete Tenkai den Kan’ei-ji (
Eine ebenfalls erwähnenswerte Erscheinung der Tendai-shū in der Edo-Zeit ist die Anraku-ryū (
Moderne
BearbeitenDie Meiji-Zeit und die von der neuen Regierung von Anfang an betriebene Politik der Trennung von Shintō und Buddhismus (Shinbutsu-Bunri) war verheerend für die größtenteils auf synkretistischen Praktiken beruhenden Taimitsu-Schulen. Von den über einem Dutzend Schulen auf dem Höhepunkt des Taimitsu existieren nunmehr gegenwärtig nur noch drei: die Sammai-ryū (Gründergestalt: Ryōyū (
Im Jahr 1872 begann die Meiji-Regierung einen Versuch, Shinzei-ha und Jimon-ha unter dem Amt des Hiei-zan-Vorstehers zu vereinigen, was aber scheiterte und 1878 schließlich aufgegeben wurde. Beide Zweige wurden daraufhin unabhängig. Die Shinzei-ha ist gegenwärtig die drittgrößte Tendai-Schule, ihr gehören über vierhundert Tempel in der Umgebung der ehemaligen Provinzen Ōmi, Ise und Echizen an. Der Saikyō-ji ist ihr Haupttempel.
Mit ca. 2.500 Tempeln ist die Tendai-shū auch gegenwärtig noch eine der größeren Schulen des japanischen Buddhismus. Außerhalb ihrer Heimat ist sie jedoch weitgehend unbekannt. Ihr erster Zweigtempel außerhalb Japans wurde erst 1973 (auf Hawaii) gegründet.
Schriften
BearbeitenSutras
BearbeitenZentrale Schrift der Tendai-shū ist das Lotos-Sutra (jap. Hokkekyō bzw. Myōhōrengekyō), das in der Schule gemeinhin als Verkündung der absoluten buddhistischen Wahrheit gilt. Es wird die von Kumārajīva (chinesisch
An zweiter Stelle der Sutras steht das Dainichikyō (
Weitere, in der Tendai-shū wichtige Sutras, sind das Nirvana-Sutra (japanisch
Kommentare
BearbeitenTrotz Saichōs Diktum, dass Sutras grundsätzlich wichtiger als Kommentare (śāstra) seien, existiert dennoch eine riesige Anzahl an kommentierenden Schriften, die ebenfalls für die Tendai-shū relevant sind, weil sie ein besseres Verständnis des Lotos-Sutras ermöglichen sollen.
Die Grundlage der Erläuterungen des Lotos-Sutras bildet die sogenannte „Große Trilogie“ (
- Gengi:
法華 玄 義 , Fǎhuā xuányì; jap. Hokke gengi - Mongu:
法華 文句 , Fǎhuā wénjù; jap. Hokke mongu - Shikan:
摩 訶止觀 , Móhē zhǐguān, jap. Maha shikan
Daneben sind in philosophischer Hinsicht insbesondere Nagarjunas Madhyamaka-śāstra (
Lehre
BearbeitenDas herausragendste Merkmal der Tendai-Lehre ist das bereits von Saichō propagierte Ideal des Ichidai Engyō Ichijō („Ekayana der einen großen, vollkommenen Lehre“), d. h. die Integration aller möglichen buddhistischen Lehren (die hierbei fast immer nur als Upaya, geschickte aber nur behelfsmäßige Mittel, verstanden werden) unter dem Primat der mahāyānaistischen Lotos-Lehren der Tiantai zong. Dies erklärt einerseits die starken synkretistischen Tendenzen in den Tendai-Lehren, die zu sehr komplexen Theorien führten, andererseits allerdings auch, warum die Tendai-shū Ausgangspunkt so vieler, unterschiedlicher Entwicklungen werden konnte, die in der Kamakura-Zeit zu eigenständigen Schulen wuchsen.
Von höchster theoretischer Bedeutsamkeit in der Tendai-shū sind verschiedene, aus der Tiantai zong übernommene Konzepte:
- Dreifache Wahrheit (
三 諦 , santai); die Lehre, dass Śūnyatā (japanisch空 , kū; „Leere“ bzw. „Substanzlosigkeit“), Prajñapti (假 , ke; „Konventionalität“ bzw. „Impernanenz“) und Madhya (中 , chū; „Mitte“) identisch seien. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Übernahme aus dem Chūron (Strophe XXIV:18) der Madhyamaka, auch wenn dies in der Tendai-shū als Essenz der Lotos-Lehren aufgefasst wird. - Zehn Aspekte des Seienden (
十 如是 , jū nyo ze); eine Lehre, die wesentlich auf das zweite Kapitel des Lotos-Sutra in Kumārajīvas (in dieser Hinsicht irreführende!) Übersetzung aus dem Sanskrit ins Chinesische zurückgeht. Ihrer Explikation im Hokke gengi zufolge führt sie zehn Aspekte (dharma) der Soheit (skt. tathatā; jap. shinnyo) alles Seienden auf. - Dreitausend Welten (
三 千 , sanzen bzw.三 千 世 , sansense); ein von Zhiyi entwickeltes Konzept, das aus folgender zahlenspielererischer Multiplikation (10*10*10*3) entsteht: die Zehn Daseinsbereiche bzw. Bewusstseinstufen (十 界 , jikkai; dies sind die traditionellen Sechs Daseinsbereiche plus vier aus dem Mahāyāna, dies sind Śrāvaka, Pratyekabuddha, Bodhisattva und Buddha) aus dem Kegon-kyō werden mit sich selbst multipliziert (da sie alle einander enthalten sollen:十 界 互具, jikkai goku) und ergeben so die Hundert Welten (百 界 , hyakkai), diese werden wiederum multipliziert mit den Zehn Aspekten des Seienden (s. o.) sowie den drei Unterteilungen (三 世 間 , sanseken bzw. sanzeken) in die Welt der empfindungsfähigen Wesen, die Welt der nicht empfindungsfähigen Wesen und die Skandhas (五蘊 , goun). Das Konzept der Dreitausend Welten ist auch Grundlage der mystischen Formel „Ein Gedankenmoment ist gleich den Dreitausend Welten“ (一念 三 千 , ichinen sanzen). - Universale Buddha-Natur (
仏性 , busshō), Ursprüngliche Erleuchtung (本 覺 , hongaku), Soheit (skt. tathatā; japanisch眞如 , shinnyo) und Dharma-Körper (skt. Dharma-kāya; jap.法 身 , hosshin) sind nach der Lehre Huisis (514/5–577;慧 思 , Huìsī, Hui-ssu; jap. Eshi) miteinander identisch. Inhaltlich besagt dies, dass allem Seiendem die Disposition zur Buddhaschaft bzw. Erleuchtung zukomme und dass diese Disposition auch hinreiche, die Potenz tatsächlich zu realisieren. Einzelne dieser Komponenten wurden Grundlagen der religiösen Lehren der Kamakura-Schulen (so für Zen und des Nichiren-Buddhismus). - Fünf Perioden und Acht Doktrinen (
五 時 八 教 goji hakkyō); das Konzept der fünf Perioden geht auf Huiguan (慧 觀 , Huìguān, Hui-kuan) zurück, Zhiyi modifizierte diese Systematik für die Tiantai zong und fügte ihr das Konzept von den Acht Doktrinen hinzu. Es handelt sich dabei um eine Einteilung buddhistischer Lehren nach geschichtlicher Evolution einerseits und theoretischer Vollkommenheit nach Methode und Inhalt andererseits, die in der Preisung des Lotos-Sutra als absolute Wahrheit des Ekayāna gipfelt. Saichō bezog sich sowohl auf dieses Konzept als auch auf das der Drei Zeitalter, wenn er in mehreren Schriften davon sprach, Japan und die Japaner seien reif dafür, ein reines Mahāyāna-Land im Sinne des Lotos-Ekayāna zu werden.
- Fünf Perioden
- Periode des Blumenschmucks, in der der Buddha direkt nach seiner Erleuchtung in 21 Tagen das Avatamsaka-Sutra predigte. Dies war allerdings eine Lehre für Bodhisattvas, daher zu anspruchsvoll für seine unmittelbaren Schüler.
- Periode des Wildparks, in der der Buddha im Wildpark bei Varanasi zwölf Jahre lang die Nikayas predigte, um seine Schüler für das Mahāyāna vorzubereiten.
- Periode der Vapulya (elementares Mahāyāna), in der der Buddha acht Jahre lang die Sutras predigte, mit denen die Hīnayānaisten zu Mahāyānaisten konvertiert wurden (dies sind u. a. Vimalakīrtinirdeśa, Laṅkāvatāra-sūtra und Śrīmālādevī-sūtra).
- Periode der Prajñāpāramitā, in der Buddha 22 Jahre lang die Prajñāpāramitā-sūtras predigt, um die Doktrin des Śūnyatā zu verdeutlichen.
- Periode des Lotos und des Nirvana, in der der Buddha Lotos-Sutra und Nirvana-Sutra predigt, die drei Fahrzeuge (yāna) des Hīnayāna (Śrāvaka, Pratyeka-Buddha und Bodhisattva) mit dem des Mahāyāna zum Ekayana vereint und die Gegenwart der Buddha-Natur in allem Seienden bestätigt.
- Acht Doktrinen
- Vier Inhaltsweisen der Predigt (
化 法 四 教 , kehokyū)- Plötzliche Doktrin (
頓 教 , tongyō), der Buddha predigt, ohne seine Lehre den Rezipienten anzupassen (Avatamsaka-Sutra). - Graduelle Doktrin (
漸 教 , zengyō), der Buddha verwendet diverse „geschickte Mittel“ (Upaya; Nikayas, Vaipulas und Prajñāpāramitā), um seine Lehre angemessen zu vermitteln. - Esoterische Doktrin (
祕密 教 , himitsukyō), die Schüler glauben, dass sie einzeln und für sich lernen und verstehen. - Unbestimmte Doktrin (
不定 教 , fujōkyō), alle Schüler lernen die Lehre gemeinsam und verstehen sie jeder für sich.
- Plötzliche Doktrin (
- Vier Methoden der Predigt (
化 儀 四 教 , kegishikyō)- Doktrin der Drei Piṭakas (
三藏 教 , sanzōkyō), dies sind die Lehren der Hīnayāna-Schriften des Pali-Kanon („Dreikorb“) und die „primitive“ Śūnyatā-Lehre des Satyasiddhi-śāstra - Allgemeine Doktrin (
通 教 , tsūgyō), dies sind die Lehren von Faxiang zong und Sanlun zong. - Ausgeprägte Doktrin (
別 教 , bekkyō), dies ist das reine Mahāyāna, wie es in der Lehre der Huayan zong zu finden ist. - Runde Doktrin (
圓 教 , engyō), die perfekte Lehre des Ekayāna (d. h. die der Tiantai zong).
- Doktrin der Drei Piṭakas (
- Vier Inhaltsweisen der Predigt (
Literatur
Bearbeiten- Margareta von Borsig (Übs.): Lotos-Sutra – Das große Erleuchtungsbuch des Buddhismus. Verlag Herder, Neuausgabe 2009. ISBN 978-3-451-30156-8
- Chappell, David W. (1987). Is Tendai Buddhism Relevant to the Modern World?' in Japanese Journal of Religious Studies 14/2–3, pp. 247–266, 1987.
- Covell, Stephen. "Living Temple Buddhism in Contemporary Japan: The Tendai Sect Today" (2001). Comparative Religion Publications. Paper 1. (Dissertation, Western Michigan University)
- Daigan Lee Matsunaga und Alicia Orloff Matsunaga: Foundation of Japanese Buddhism; Vol. I; The aristocratic age. Buddhist Books International, Los Angeles und Tokio 1974. ISBN 0-914910-25-6.
- Daigan Lee Matsunaga und Alicia Orloff Matsunaga: Foundation of Japanese Buddhism; Vol. II; The mass movement (Kamakura & Muromachi periods). Buddhist Books International, Los Angeles und Tokio 1976. ISBN 0-914910-27-2.
- Gregor Paul: Philosophie in Japan: von den Anfängen bis zur Heian-Zeit; eine kritische Untersuchung. Iudicium, München 1993. ISBN 3-89129-426-3.
- Paul L. Swanson (Hrsg.): Japanese Journal of Religious Studies. June–September 1987, 14/2–3.
- Bruno Petzold: Die Quintessenz der Tendai-Lehre (Hrsg. Horst Hammitzsch). Harrassowitz, Wiesbaden 1982. ISBN 3-447-02161-6.
- Giebel, Rolf, transl. (2006), The Vairocanābhisaṃbodhi Sutra, Numata Center for Buddhist Translation and Research, Berkeley, ISBN 978-1-886439-32-0 PDF
- Kubo Tsugunari, Yuyama Akira (tr.) The Lotus Sutra. Revised 2nd ed. Berkeley, Numata Center for Buddhist Translation and Research, 2007. ISBN 978-1-886439-39-9 PDF
- Tsugunari Kubo, Joseph Logan (transl.), Tiantai Lotus Texts, Berkeley, Numata Center for Buddhist Translation and Research, 2013. ISBN 978-1-886439-45-0
- Stone Jacqueline Original Enlightenment and the Transformation of Medieval Japanese Buddhism, University of Hawaii Press, Honolulu, HI, 1999, ISBN 0-8248-2026-6.
Weblinks
Bearbeiten- Offizielle Website – Japanisch
- Linkkatalog zum Thema Tendai-shū bei curlie.org (ehemals DMOZ)
- Buddhism of T'ien-T'ai
- Tendai-shu open teachings