„Kapitalflucht“ – Versionsunterschied

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Als '''Kapitalflucht''' ({{enS|capital flight}}) wird in der [[Wirtschaft]] der [[Kapitalexport]] von [[Kapitalvermögen]] in das [[Ausland]] wegen [[Politisches Risiko|politischer]] und/oder [[Finanzrisiko|wirtschaftlicher Risiken]] im [[Inland]] bezeichnet.
'''Kapitalflucht''' bezeichnet den umfangreichen und plötzlichen Transfer von [[Vermögen (Wirtschaft)|Vermögen]], Geld, [[Edelmetall]]en oder Sachwerten ins Ausland bzw. den Rückgang der [[Nachfrage]] nach [[Aktiva]] in der inländischen [[Volkswirtschaft]].


== Allgemeines ==
== Allgemeines ==
Der Kapitaltransfer beruht deshalb bei der Kapitalflucht nicht primär auf [[Rendite]]überlegungen oder [[Spekulation (Wirtschaft)|Spekulation]], sondern auf [[Sicherheit]]smotiven.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Lexikon_der_Internationalen_Wirtschaftsb/TrZhDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht+lexikon&pg=PA180&printsec=frontcover Thomas Plümper, ''Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen'', 1996, S. 180 f.]</ref> Nicht zur Kapitalflucht gehören ferner normale Kapitalbewegungen wie etwa [[ausländische Direktinvestition]]en.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Kompakt_Lexikon_Wirtschaftstheorie/9CokBAAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht+lexikon&pg=PA170&printsec=frontcover Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), ''Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie'', 2013, S. 170]</ref> Genau dies erschwert die Abgrenzung der Kapitalflucht von üblichen Kapitalexporten. Kapitalflucht setzt [[Kapitalverkehrsfreiheit]] und [[Kapitalmobilität]] voraus.
Das Ziel der Kapitalflucht ist im Falle einer [[Inflation]] die Werterhaltung oder ansonsten die Umgehung inländischer Steuern (siehe auch [[Steuerflucht]], [[Steuerhinterziehung]]). Das Phänomen Kapitalflucht steht damit regelmäßig in Zusammenhang mit staatlichem Tun und Lassen. Kapitalflucht kann oft als "Abstimmung mit den Füßen" gewertet werden, da der Produktionsfaktor [[Kapital]] aufgrund seiner hohen Mobilität schneller transferiert werden kann als andere [[Produktionsfaktor]]en. Erwarten [[Wirtschaftssubjekt]]e eine für sie ungünstige Änderung des (Steuer)Rechtssystems, reagieren sie möglicherweise mit Abzug ihres Kapitals.


Als Kapitalvermögen dienen die verschiedenen Formen wie [[Geld]], [[Edelmetall]]e, [[Immobilie]]n, [[Wertpapier]]e, [[Sachwert]]e oder sonstiges [[Vermögen (Wirtschaft)|Vermögen]].
Die in der [[Kapitalbilanz]] ausgewiesene Kapitalflucht alleine betrachtet sagt jedoch nichts über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung einer [[Volkswirtschaft]] aus, relevant ist allein die [[Zahlungsbilanz]], in der alle volkswirtschaftlichen Teilbilanzen enthalten sind. Zur Verdeutlichung am Beispiel der deutschen Wirtschaft: Die Exportstärke der deutschen Wirtschaft macht es möglich, dass sehr viele Waren exportiert werden und dafür viel Geld ins Land fließt ([[Handelsbilanzüberschuss]]). Das macht es wiederum möglich, dass für andere Dinge viel Geld ins Ausland fließt, z. B. Beiträge an die EU und die UNO (ausgewiesen in der [[Übertragungsbilanz]]), Ausgaben von deutschen Touristen im Ausland (ausgewiesen in der [[Dienstleistungsbilanz]]), Kredite an andere Länder (z.B. Entwicklungsländer) und Investitionen in ausländische Unternehmen (beides ausgewiesen in der [[Kapitalbilanz]]).
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Da sich die genannten Zahlungsvorgänge weitgehend gegenseitig aufheben, ist die Zahlungsbilanz, in der sich alle außenwirtschaftlichen Zahlungsvorgänge niederschlagen, beinahe ausgeglichen. ------ Quelle / Beleg ? ------>


== Ursachen ==
Als Hauptursachen werden angeführt:<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317; ISBN 3-409303839</ref>
* Allgemeine politische [[Unsicherheit]] und fehlendes [[Vertrauen]] in die [[Wirtschaftspolitik]] (drohende [[Enteignung]]/[[Verstaatlichung]], drohendes [[Moratorium (Wirtschaft)|Moratorium]], drohender [[Transferstopp]]).
* [[Besteuerung]] (drohende Besteuerung oder Steuererhöhung, hohe [[Steuerlast]]). Dann ist Kapitalflucht gleichzeitig als Form der [[Steuerabwehr]] eine [[Steuerflucht]], wenn ein Steuergefälle durch [[Hochsteuerland]] und [[Niedrigsteuerland]] ([[Steueroase]]) besteht.
* Einschränkung der [[Konvertibilität]] der [[Inlandswährung]] ([[Devisenbewirtschaftung]], [[Exportverbot]]e, [[Kapitalverkehrskontrolle]]n).
* Erwartete oder fortschreitende [[Inflation]] ([[Hyperinflation]]) der Inlandswährung oder deren drohende [[Abwertung (Währung)|Abwertung]].
* Kriminelle Aktivitäten wie [[Geldwäsche]] oder [[Hawala]]. Sie können eine Kapitalflucht verschleiern oder fördern.
Zur Kapitalflucht gehört auch, wenn [[Exporteur]]e ihre Exporterlöse nicht mehr ins Inland transferieren, sondern im Ausland belassen. Ziel der Kapitalflucht sind [[Hartwährungsland|Hartwährungsländer]] wie die [[Schweiz]] oder Länder ohne besondere Kapitalverkehrskontrollen, Herkunftsländer sind überwiegend [[Weichwährungsland|Weichwährungsländer]].


Auch [[Standortfaktor]]en können zur Kapitalflucht beitragen. Dazu gehören beispielsweise die [[Verkehrsinfrastruktur]], die [[Kommunikation]]sinfrastruktur, das [[Rechtsordnung|Rechtssystem]], das [[Währungssystem]], das [[Bankensystem]], die [[Nachfrage]] potentieller Käufer von Waren ([[Wachstumsmarkt]], [[Zukunftsmarkt]]), [[Preisniveau]], [[Zinsniveau]], [[Arbeitskosten]] oder die [[Qualifikation (Personalwesen)|Qualifikation]] der [[Arbeitskraft|Arbeitskräfte]]. Auch der [[internationaler Steuerwettbewerb|internationale Steuerwettbewerb]] kann Motiv für eine Kapitalflucht sein.


== Geschichte ==
Die Entscheidung, in welchem Land ein Unternehmen investiert oder in welchem Land ein Mensch sich niederlässt, kann von allen [[Standortfaktor]]en beeinflusst werden. Dazu gehören beispielsweise die Verkehrs[[infrastruktur]], die Kommunikationsinfrastruktur, das [[Rechtsordnung|Rechtssystem]], das [[Währungssystem]], das [[Bankensystem]], die [[Nachfrage]] potentieller Käufer von Waren, die Qualifikation der Arbeitskräfte, die Anzahl ihrer Krankheits- und Streiktage etc. Das Hauptziel von Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen ist häufig die Erschließung neuer Märkte. Häufig geht die Produktion dorthin, wo Waren abgesetzt werden können.
Die hohen [[Reparationszahlung]]en [[Deutschland]]s nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] konnten durch Exportüberschüsse nicht finanziert werden.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 33; ISBN 978-3492054379</ref> Zudem war der deutsche [[Kapitalmarkt]] durch die Hyperinflation „nicht in der Lage, die Mittel bereitzustellen, die für die [[Investition]]en in der [[Industrie]] und die Modernisierung der [[Infrastruktur]] benötigt wurden.“<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 32</ref> Nach der [[Währungsreform 1923]] besaß Deutschland eine stabile Währung, bot ein hohes [[Zinsniveau]] und [[Wirtschaftswachstum]], so dass ausländische [[Kreditgeber]] sichere [[Zinsertrag|Zinsgewinne]] erwarteten konnten. Ab 1929 schürten unterschiedliche Ereignisse ausländische und deutsche [[Anleger (Finanzmarkt)|Anleger]] die Erwartung, dass Deutschland auf einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerte. Die [[Weltwirtschaftskrise]] ab Oktober 1929 hatte sich „entgegen vieler Prognosen nicht als kurzes reinigendes Gewitter“ erwiesen.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 31</ref> In Deutschland fand die Kapitalflucht während der anschließenden [[Deutsche Bankenkrise|deutschen Bankenkrise]] ab Juni 1931 in großem Umfang statt und wurde mit einer ''Kapitalfluchtsteuer'', Zahlungsmoratorium und Devisenbewirtschaftung bekämpft.<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317</ref>


Die Kapitalflucht aus den [[Hochverschuldete Entwicklungsländer|Schuldnerländern]] ist ein wesentlicher Faktor der [[Lateinamerikanische Schuldenkrise|lateinamerikanischen Schuldenkrise]] ab August 1980.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Internationale_W%C3%A4hrungsprobleme/wh7QBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA143&printsec=frontcover Peter Czada/Michael Tolksdorf, ''Internationale Währungsprobleme'', 1989, S. 143 f.]</ref> Die wirtschaftliche Lage (Hyperinflationsraten, negative [[Realzins]]en, Überbewertung und Abwertungsverdacht der Inlandswährung) verschlechterte sich dramatisch. Insgesamt 25 Großschuldnerländer hatten zwischen 1970 und 1983 schätzungsweise 183 Mrd. US-Dollar, also 31 % der [[Nettokreditaufnahme]], als Kapitalflucht zu verzeichnen.<ref>Dieter Duwendag, ''Kapitalflucht aus Entwicklungsländern'', in: Armin Gutowski (Hrsg.), ''Die internationale Schuldenkrise'', 1986, S. 224 f.; ISBN 978-3428059720</ref>
Früher gab es in vielen - auch westlichen - Staaten zahlreiche bürokratische Hindernisse für Kapitalflucht. Zum Beispiel gab es von etwa 1945 bis Anfang der 1970er weitgehend starre Wechselkurse zwischen den meisten westlichen Ländern (siehe [[Bretton-Woods-System]]); die Notenbanken mussten die festgelegten Währungskurse verteidigen.<ref>siehe [[Otmar Emminger]]: ''D-Mark, Dollar, Währungskrisen - ein ehemaliger Bundesbankpräsident erinnert sich.'' 1986</ref>


Ob die Einführung der [[Quellensteuer]]/[[Zinsabschlagsteuer]] auf [[Kapitalertrag|Kapitalerträge]] im Januar 1993 in Deutschland als Folge einer Kapitalflucht (überwiegend nach [[Luxemburg]]) eingeordnet werden kann, ist umstritten, zumal Renditegründe das Motiv waren.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handw%C3%B6rterbuch_Arbeitsbeziehungen_in_de/R9nOBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA319&printsec=frontcover Thomas Breisig, ''Handwörterbuch Arbeitsbeziehungen in der EG'', 1993, S. 319]</ref> Die illegal unversteuert gebliebenen Kapitalerträge waren höher als die durch Zinsabschlagsteuer zu versteuernden.
In den Medien wird eine Kapitalflucht gelegentlich dramatisiert.


Die Kapitalflucht aus [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]] wurde 2008 auf bis zu 1 Mrd. US-Dollar jährlich beziffert.<ref>Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, ''Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006'', in: Global Financial Integrity, Dezember 2008, S. 1 ff.</ref> Im Vorfeld des [[Brexit]] fand seit Juni 2016 eine Kapitalflucht von schätzungsweise 2 Mrd. £ statt.<ref>Ed Conway/[[Sky News]] vom 7. Juni 2016, ''EU: Osborne Warning Over Capital Flight Cost''</ref>
Zum Beispiel [[Luxemburg]] galt jahrzehntelang als eine Volkswirtschaft, in die viel deutsches Kapital gelangt. Wenn jährlich Milliardenbeträgen (in [[Euro]]) aus [[Deutschland]] auf luxemburgische Konten gebracht wurden, ging damit keineswegs [[Investivkapital]] verloren, wie gelegentlich behauptet wurde.


== Volkswirtschaftslehre ==
In dem kleinen Staat Luxemburg könen solche Milliardenbeträge in der Realwirtschaft nicht zinsträchtig angelegt werden (wohl aber auf dem luxemburgischen [[Kapitalmarkt]]); teilweise fließt das Geld - direkt oder indirekt - wieder nach Deutschland (siehe auch [[Wirtschaftskreislauf]]).
Kapitalflucht <math>Kf</math> wird anhand [[volkswirtschaftliche Kennzahl|volkswirtschaftlicher Kennzahlen]] definiert als die Summe der Bruttokapitalimporte <math>KI_b</math> und des [[Leistungsbilanzdefizit]]s <math>LBD</math>, abzüglich der Zunahme der [[Währungsreserve]]n <math>W_R</math>:<ref>[[JPMorgan Chase|Morgan Guaranty Trust Company of New York]] (Hrsg.), ''World Financial Markets'', März 1986, S. 13 ff.</ref>
:<math>Kf = KI_b + LBD-W_R</math>.
Dabei ist <math>KI_b</math> definiert als Veränderungen der staatlichen und privaten Bruttoauslandsschulden zuzüglich der Netto-Direktinvestitionen des Auslands.


== Wirtschaftliche Aspekte ==
In Luxemburg sind einige [[Unternehmenssteuer]]n geringer; luxemburgische Banken haben (oder hatten) dadurch einen [[Wettbewerbsvorteil]] verglichen mit deutschen Banken.
Kapitalflucht steht nicht im Zusammenhang mit dem durch [[Außenhandel]] ausgelösten internationalen Kapitalverkehr<ref>[https://www.google.de/books/edition/Bank_Lexikon/hpOeBwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht+lexikon&pg=PA1088&printsec=frontcover Josef Löffelholz/Gerhard Müller, ''Bank-Lexikon: Handwörterbuch für das Bank- und Sparkassenwesen'', 1983, Sp. 1088 f.]</ref>, vielmehr wird Kapital – unabhängig von [[Zins]]- und [[Börsenkurs|Kursüberlegungen]] – in ein anderes Land transferiert ohne die Absicht, es später wieder zurück zu transferieren.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handw%C3%B6rterbuch_der_Wirtschaftswissensch/vnxLGdmmLF4C?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA394&printsec=frontcover Jürgen Schröder, ''Kapitalbewegungen/Theorie und Politik'', in: Anton Zottmann/Willi Albers (Hrsg.), ''Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW)'', Band 4, 1978, S. 394]</ref>
Häufige Auslöser der Kapitalflucht waren [[Bankenkrise]]n, [[Finanzkrise]]n oder [[Wirtschaftskrise]]n.


Kapitalflucht führt zu allokativen und distributiven Verzerrungen im Staat, der unter Kapitalflucht leidet.<ref>Thomas Plümper, ''Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen'', 1996, S. 180</ref> Erstere äußern sich in höheren [[Volatilität]]en der [[Wechselkurs]]e und [[Geldmangel|Kapitalmangel]], letztere können sich in einer Verringerung der [[Steueraufkommen|Steuerbasis]] zeigen. Die Währungsreserven sinken im Kapitalfluchtland, wenn das fliehende Kapital in [[Fremdwährung]] getauscht wird. Das fliehende Kapital führt zu inländischem Kapitalmangel, so dass [[Investition]]en nicht mehr stattfinden können. Langfristig verschlechtert sich die [[Staatsverschuldung]] des von der Kapitalflucht betroffenen Landes; mit anderen Worten: die staatliche [[Neuverschuldung]] dient hauptsächlich der [[Finanzierung]] der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht wird durch [[Globalisierung]] und [[organisierte Kriminalität]] begünstigt.<ref>Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), ''Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie'', 2013, S. 170</ref>
Die EU war und ist bestrebt, durch Maßnahmen zur [[Steuerharmonisierung]] ihre [[Steuersystem (Steuerrecht)|Steuersysteme]] einander anzugleichen, um damit die Schaffung eines Binnenmarktes zu erleichtern und/oder einen [[Steuerwettbewerb]] zu vermeiden. Sie behandelt auch seit Jahren mit dem Nicht-EU-Land Schweiz und dem Mini-Staat Liechenstein, um diese sogenannten [[Steueroase]]n "auszutrocknen".


== Abgrenzung ==
== Gründe für Kapitalflucht ==
Als „[[Hot money]]“ ({{deS|„heißes Geld“}}) wird [[Kapital]] bezeichnet, das aus Spekulationsgründen auf den [[Geldmarkt|Geld-]] oder [[Devisenmarkt|Devisenmärkten]] kurzfristig aus einem Land in ein anderes verlagert wird. Volkswirtschaftliche Bedeutung erzielen diese Gelder vor allem, wenn sie ebenso kurzfristig abgezogen werden und krisenverstärkend wirken können.<ref>[https://sgp.fas.org/crs/row/RS22921.pdf Michael F. Martin/Wayne M. Morrison, ''China’s „Hot Money“ Problems'', in: 'CRS Report for Congress, 21. Juli 2008', S. 1 f.]</ref> Das dem „Hot Money“ innewohnende [[John Maynard Keynes#Nachfrage nach liquiden Mitteln (Kassenhaltung)|Spekulationsmotiv]] schließt eine Einordnung als Kapitalflucht aus.


== Einzelnachweise ==
* Angst vor Diebstahl
<references />
* Angst vor Entdeckung krimineller Aktivitäten
* Angst vor [[Enteignung]] durch den Staat
* mangelnde Eigentumsgarantie (z. B. hohe [[Vermögensteuer]])
* mangelnde Steuergerechtigkeit
* [[Doppelbesteuerung]] z.B. bei Kursgewinnen
* Unzufriedenheit mit der Politik

== Potentielle Kapitalflüchtlinge ==

* Flüchtlinge (Kriege, Naturkatastrophen, staatliche Verfolgung)
* Kriminelle Personen (Diebstahl, Drogenhandel, illegaler [[Waffenhandel]])
* Minderheiten (Religion, Hautfarbe)
* Notenbanken ([[Devisenmarktintervention]]en)
* Oppositionelle
* Regierungsnahe Personen (in Erwartung eines politischen Exils)
* Reiche Personen ([[Steuerhinterziehung]])
* Sparer ([[Diversifikation]] des Vermögens auf mehrere Länder, Banken und sonstige Schuldner)

== Bekannte Beispiele ==
Viele Griechen haben seit dem Beitritt Griechenlands zur [[Euro-Zone]] Euro-Beträge bei Banken im Ausland angelegt. Erleichtert wird dies durch Online-Banking. Sie haben wenig Vertrauenin griechische Banken, die in höherem Maße als andere Banken griechische Staatsanleihen gekauft haben. Die Dramatik der griechischen Staatsverschuldung ist seit etwa Herbst 2009 öffentlich allgemein bekannt; im Mai 2010 entkam Griechenland nur durch einen unbesicherten 80-Milliarden-Euro-Kredit anderer EU-Länder einer Staatspleite (siehe [[Griechische Finanzkrise]]).


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[[Kategorie:Finanzmarkt]]
[[Kategorie:Finanzwissenschaft]]
[[Kategorie:Marktpsychologie]]
[[Kategorie:Steuern und Abgaben]]
[[Kategorie:Volkswirtschaftslehre]]
[[Kategorie:Volkswirtschaftslehre]]
[[Kategorie:Steuern und Abgaben]]
[[Kategorie:Steuerbetrug]]

[[en:Capital flight]]
[[fr:Fuite des capitaux]]
[[pl:Ucieczka kapitału]]
[[uk:Відплив капіталу]]

Aktuelle Version vom 22. November 2023, 18:57 Uhr

Als Kapitalflucht (englisch capital flight) wird in der Wirtschaft der Kapitalexport von Kapitalvermögen in das Ausland wegen politischer und/oder wirtschaftlicher Risiken im Inland bezeichnet.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kapitaltransfer beruht deshalb bei der Kapitalflucht nicht primär auf Renditeüberlegungen oder Spekulation, sondern auf Sicherheitsmotiven.[1] Nicht zur Kapitalflucht gehören ferner normale Kapitalbewegungen wie etwa ausländische Direktinvestitionen.[2] Genau dies erschwert die Abgrenzung der Kapitalflucht von üblichen Kapitalexporten. Kapitalflucht setzt Kapitalverkehrsfreiheit und Kapitalmobilität voraus.

Als Kapitalvermögen dienen die verschiedenen Formen wie Geld, Edelmetalle, Immobilien, Wertpapiere, Sachwerte oder sonstiges Vermögen.

Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Hauptursachen werden angeführt:[3]

Zur Kapitalflucht gehört auch, wenn Exporteure ihre Exporterlöse nicht mehr ins Inland transferieren, sondern im Ausland belassen. Ziel der Kapitalflucht sind Hartwährungsländer wie die Schweiz oder Länder ohne besondere Kapitalverkehrskontrollen, Herkunftsländer sind überwiegend Weichwährungsländer.

Auch Standortfaktoren können zur Kapitalflucht beitragen. Dazu gehören beispielsweise die Verkehrsinfrastruktur, die Kommunikationsinfrastruktur, das Rechtssystem, das Währungssystem, das Bankensystem, die Nachfrage potentieller Käufer von Waren (Wachstumsmarkt, Zukunftsmarkt), Preisniveau, Zinsniveau, Arbeitskosten oder die Qualifikation der Arbeitskräfte. Auch der internationale Steuerwettbewerb kann Motiv für eine Kapitalflucht sein.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die hohen Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg konnten durch Exportüberschüsse nicht finanziert werden.[4] Zudem war der deutsche Kapitalmarkt durch die Hyperinflation „nicht in der Lage, die Mittel bereitzustellen, die für die Investitionen in der Industrie und die Modernisierung der Infrastruktur benötigt wurden.“[5] Nach der Währungsreform 1923 besaß Deutschland eine stabile Währung, bot ein hohes Zinsniveau und Wirtschaftswachstum, so dass ausländische Kreditgeber sichere Zinsgewinne erwarteten konnten. Ab 1929 schürten unterschiedliche Ereignisse ausländische und deutsche Anleger die Erwartung, dass Deutschland auf einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerte. Die Weltwirtschaftskrise ab Oktober 1929 hatte sich „entgegen vieler Prognosen nicht als kurzes reinigendes Gewitter“ erwiesen.[6] In Deutschland fand die Kapitalflucht während der anschließenden deutschen Bankenkrise ab Juni 1931 in großem Umfang statt und wurde mit einer Kapitalfluchtsteuer, Zahlungsmoratorium und Devisenbewirtschaftung bekämpft.[7]

Die Kapitalflucht aus den Schuldnerländern ist ein wesentlicher Faktor der lateinamerikanischen Schuldenkrise ab August 1980.[8] Die wirtschaftliche Lage (Hyperinflationsraten, negative Realzinsen, Überbewertung und Abwertungsverdacht der Inlandswährung) verschlechterte sich dramatisch. Insgesamt 25 Großschuldnerländer hatten zwischen 1970 und 1983 schätzungsweise 183 Mrd. US-Dollar, also 31 % der Nettokreditaufnahme, als Kapitalflucht zu verzeichnen.[9]

Ob die Einführung der Quellensteuer/Zinsabschlagsteuer auf Kapitalerträge im Januar 1993 in Deutschland als Folge einer Kapitalflucht (überwiegend nach Luxemburg) eingeordnet werden kann, ist umstritten, zumal Renditegründe das Motiv waren.[10] Die illegal unversteuert gebliebenen Kapitalerträge waren höher als die durch Zinsabschlagsteuer zu versteuernden.

Die Kapitalflucht aus Entwicklungsländern wurde 2008 auf bis zu 1 Mrd. US-Dollar jährlich beziffert.[11] Im Vorfeld des Brexit fand seit Juni 2016 eine Kapitalflucht von schätzungsweise 2 Mrd. £ statt.[12]

Volkswirtschaftslehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kapitalflucht wird anhand volkswirtschaftlicher Kennzahlen definiert als die Summe der Bruttokapitalimporte und des Leistungsbilanzdefizits , abzüglich der Zunahme der Währungsreserven :[13]

.

Dabei ist definiert als Veränderungen der staatlichen und privaten Bruttoauslandsschulden zuzüglich der Netto-Direktinvestitionen des Auslands.

Wirtschaftliche Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kapitalflucht steht nicht im Zusammenhang mit dem durch Außenhandel ausgelösten internationalen Kapitalverkehr[14], vielmehr wird Kapital – unabhängig von Zins- und Kursüberlegungen – in ein anderes Land transferiert ohne die Absicht, es später wieder zurück zu transferieren.[15] Häufige Auslöser der Kapitalflucht waren Bankenkrisen, Finanzkrisen oder Wirtschaftskrisen.

Kapitalflucht führt zu allokativen und distributiven Verzerrungen im Staat, der unter Kapitalflucht leidet.[16] Erstere äußern sich in höheren Volatilitäten der Wechselkurse und Kapitalmangel, letztere können sich in einer Verringerung der Steuerbasis zeigen. Die Währungsreserven sinken im Kapitalfluchtland, wenn das fliehende Kapital in Fremdwährung getauscht wird. Das fliehende Kapital führt zu inländischem Kapitalmangel, so dass Investitionen nicht mehr stattfinden können. Langfristig verschlechtert sich die Staatsverschuldung des von der Kapitalflucht betroffenen Landes; mit anderen Worten: die staatliche Neuverschuldung dient hauptsächlich der Finanzierung der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht wird durch Globalisierung und organisierte Kriminalität begünstigt.[17]

Abgrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als „Hot money“ (deutsch „heißes Geld“) wird Kapital bezeichnet, das aus Spekulationsgründen auf den Geld- oder Devisenmärkten kurzfristig aus einem Land in ein anderes verlagert wird. Volkswirtschaftliche Bedeutung erzielen diese Gelder vor allem, wenn sie ebenso kurzfristig abgezogen werden und krisenverstärkend wirken können.[18] Das dem „Hot Money“ innewohnende Spekulationsmotiv schließt eine Einordnung als Kapitalflucht aus.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Thomas Plümper, Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1996, S. 180 f.
  2. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie, 2013, S. 170
  3. Verlag Th. Gabler (Hrsg.), Gabler Wirtschafts-Lexikon, Band 3, 1984, Sp. 2317; ISBN 3-409303839
  4. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 33; ISBN 978-3492054379
  5. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 32
  6. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 31
  7. Verlag Th. Gabler (Hrsg.), Gabler Wirtschafts-Lexikon, Band 3, 1984, Sp. 2317
  8. Peter Czada/Michael Tolksdorf, Internationale Währungsprobleme, 1989, S. 143 f.
  9. Dieter Duwendag, Kapitalflucht aus Entwicklungsländern, in: Armin Gutowski (Hrsg.), Die internationale Schuldenkrise, 1986, S. 224 f.; ISBN 978-3428059720
  10. Thomas Breisig, Handwörterbuch Arbeitsbeziehungen in der EG, 1993, S. 319
  11. Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006, in: Global Financial Integrity, Dezember 2008, S. 1 ff.
  12. Ed Conway/Sky News vom 7. Juni 2016, EU: Osborne Warning Over Capital Flight Cost
  13. Morgan Guaranty Trust Company of New York (Hrsg.), World Financial Markets, März 1986, S. 13 ff.
  14. Josef Löffelholz/Gerhard Müller, Bank-Lexikon: Handwörterbuch für das Bank- und Sparkassenwesen, 1983, Sp. 1088 f.
  15. Jürgen Schröder, Kapitalbewegungen/Theorie und Politik, in: Anton Zottmann/Willi Albers (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Band 4, 1978, S. 394
  16. Thomas Plümper, Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1996, S. 180
  17. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie, 2013, S. 170
  18. Michael F. Martin/Wayne M. Morrison, China’s „Hot Money“ Problems, in: 'CRS Report for Congress, 21. Juli 2008', S. 1 f.