„Wirkungsquerschnitt“ – Versionsunterschied
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In der Physik der Kernreaktoren wird neben dem oben definierten ''mikroskopischen'' (d. h. auf 1 Targetteilchen, meist 1 Atom bezogenen) Wirkungsquerschnitt auch der ''makroskopische'', auf 1 cm |
In der Physik der Kernreaktoren wird neben dem oben definierten ''mikroskopischen'' (d. h. auf 1 Targetteilchen, meist 1 Atom bezogenen) Wirkungsquerschnitt auch der ''makroskopische'', auf 1 cm<sup>3</sup> Material bezogene Wirkungsquerschnitt mit dem Formelzeichen <math>\Sigma</math> (großes Sigma) verwendet. Er ergibt sich aus dem mikroskopischen Wirkungsquerschnitt durch Multiplikation mit der [[Teilchendichte|Atomzahldichte]], also der Zahl der jeweiligen Atome pro cm<sup>3</sup>. Die übliche Einheit des makroskopischen Wirkungsquerschnitt ist cm<sup>2</sup>/cm<sup>3</sup> = 1/cm. |
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== Wirkungsquerschnitt und Fermis Goldene Regel == |
== Wirkungsquerschnitt und Fermis Goldene Regel == |
Version vom 15. Februar 2013, 14:51 Uhr
Der Wirkungsquerschnitt (sigma) ist in der Molekül-, Atom-, Kern- und Teilchenphysik ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen einer einfallenden Wellenstrahlung oder einem einfallenden Teilchen („Projektil“) und einem anderen Teilchen (Streukörper oder Target) eine bestimmte Wechselwirkung wie z. B. Absorption, Streuung oder eine Reaktion stattfindet.
Der Wirkungsquerschnitt hat die Dimension Fläche. Er wird meist in folgenden Einheiten angegeben:
- in der Kern- und Teilchenphysik in Barn (1 b = 10–28 m2 = 10–4 pm2 = 100 fm2)
- in der Atom- und Molekülphysik in 10–22 m2 = 1 Mb = 10–4 nm2 = 100 pm2.
Die Vorstellung vom Wirkungsquerschnitt als einer jedem Targetteilchen zugeordneten Trefferfläche bietet ein anschauliches Maß für die „Stärke“ des jeweils betrachteten Vorgangs: Einem häufig eintretenden Vorgang entspricht ein großer Wirkungsquerschnitt, einem selten eintretenden ein kleiner Wirkungsquerschnitt. Mit anschaulichen Vorstellungen über Größe, Form und Lage des Targetteilchens stimmt diese Trefferfläche allerdings im Allgemeinen nicht überein.
Der Wirkungsquerschnitt hängt ab von dem jeweils interessierenden Vorgang, von Art und kinetischer Energie des einfallenden Teilchens oder Quants und von der Art des getroffenen Teilchens (z. B. Atoms, Atomkerns). Die letztgenannte Abhängigkeit bedeutet, dass die Wirkungsquerschnitte Materialeigenschaften sind. Beispielsweise sind zur Berechnung von Kernreaktoren oder Kernfusionsreaktoren umfangreiche Kerndatenbibliotheken erforderlich, die die Wirkungsquerschnitte der verschiedenen Materialien für einfallende Neutronen verschiedener Energien für verschiedene mögliche Streuprozesse und Kernreaktionen enthalten.
Insbesondere bei Kernreaktionen wird der Wirkungsquerschnitt, betrachtet als Funktion der Energie des einfallenden Teilchens/Quants, manchmal auch als Anregungsfunktion bezeichnet.
Spezielle Bezeichnungen
Je nach Art des betrachteten Vorgangs werden verschiedene Bezeichnungen für den Wirkungsquerschnitt verwendet:
- Absorptionsquerschnitt für jede Absorption des einfallenden Teilchens
- Einfangquerschnitt für eine bestimmte Absorption, nämlich den Neutroneneinfang (die (n,)-Kernreaktion)
- Reaktionsquerschnitt für die chemische Reaktion, die durch den Stoß zweier Atome oder Moleküle ausgelöst wird
- Streuquerschnitt für Streuung, also Ablenkung des einfallenden Teilchens
- Elastischer Wirkungsquerschnitt (oft auch nur „elastischer Querschnitt“) für elastischen Stoß, also einen Stoß, bei dem die gesamte kinetische Energie erhalten bleibt
- Inelastischer Wirkungsquerschnitt („inelastischer Querschnitt“) für inelastischen Stoß, also einen Stoß, bei dem die kinetische Energie in andere Energieformen übergeht, z. B. wird ein Teilchen angeregt (d. h. in einen Zustand höherer Energie versetzt) oder es werden neue Teilchen erzeugt
- Ionisationsquerschnitt für die Ionisation des getroffenen Atoms
- Spaltquerschnitt für die induzierte Kernspaltung.
Definition
Bei einem Experiment mit gleichmäßiger Bestrahlung des Targets wird dem Zielteilchen (Targetteilchen) eine Fläche
Die Wahrscheinlichkeit , dass ein einfallendes Teilchen mit einem Targetteilchen wechselwirkt, errechnet sich aus
Darin ist
- die bestrahlte Targetfläche und
- die Anzahl der darin enthaltenen Targetteilchen;
auch wird vorausgesetzt, weil sich die Targetteilchen sonst gegenseitig abschatten.
Wenn insgesamt Projektilteilchen einlaufen und jedes von ihnen mit der Wahrscheinlichkeit eine Reaktion verursacht, dann ist die Gesamtzahl der Reaktionen gegeben durch:
Zusammen:
Zur experimentellen Bestimmung eines Wirkungsquerschnitt wird durch geeignete Detektoren gemessen, während , und aus Aufbau und Durchführung bekannt sind.
In der theoretischen Herleitung (z.B. in der quantenmechanischen Streutheorie) wird die Formel häufig noch durch die Zeit dividiert, also die Reaktionsrate gebildet:
mit
- der Stromdichte der Projektilteilchen und
- der Luminosität des Teilchenstrahls.
Abschwächung des einfallenden Teilchenstrahls im dicken Target
Für eine infinitesimal dünne Targetschicht der Dicke erhält man aus der obigen Gleichung, wenn man „Teilchen pro Fläche“ durch „Teilchendichte mal Dicke " ersetzt:
- .
Hierbei ist die Teilchendichte des Targetmaterials, also die Anzahl der Targetteilchen pro Volumeneinheit:
mit
- der Avogadrokonstante
- der Massendichte und
- der Molaren Masse.
Löst man obige Gleichung nach auf und setzt dies gleich , erhält man die Differentialgleichung
Die Lösung hierfür ist
Interpretation: die wechselwirkenden Projektilteilchen sind nicht mehr Teil des einfallenden Strahls mit der Teilchenanzahl , da sie (bei Reaktion) absorbiert oder (bei Streuung) aus ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt worden sind. D. h., nach dem Durchlaufen einer Targetschicht der Dicke x sind nur noch Teilchen im Strahl vorhanden.
Betrachtet man die Wechselwirkungen in einem bestimmten Volumen, so ist , wenn die Länge dieses Volumens ist. Setzt man dieses ein, kann man zur Berechnung des Wirkungsquerschnitt die Gleichung umstellen:
Offenbar gilt auch
wobei die mittlere freie Weglänge ist, nach der die Intensität des einfallenden Strahls auf ihres ursprünglichen Wertes abgefallen ist.
Sofern mehr als eine Art von Vorgang möglich ist, bezieht sich in dieser Gleichung auf alle zusammen, ist also der totale Wirkungsquerschnitt (siehe unten).
Totaler Wirkungsquerschnitt
Die Bezeichnung „totaler Wirkungsquerschnitt“ wird in zwei Bedeutungen verwendet:
- Manchmal ist damit der Wirkungsquerschnitt für das Eintreten irgendeines von mehreren möglichen, einander ausschließenden Vorgängen gemeint, z. B. Absorption oder Streuung des einfallenden Teilchens. Dieser totale Wirkungsquerschnitt ist die Summe der Einzel-Wirkungsquerschnitte. Er wird beispielsweise dann benötigt, wenn es nur um die Abschwächung des einfallenden Teilchenstroms geht.
- Manchmal wird „Totaler Wirkungsquerschnitt“ auch nur im Sinne des oben definierten Wirkungsquerschnitt für einen bestimmten Vorgang verwendet, um ihn vom differenziellen Wirkungsquerschnitt (s. unten) zu unterscheiden; eine bessere Bezeichnung ist in diesem Fall „Integraler Wirkungsquerschnitt“.
Differenzieller Wirkungsquerschnitt
Wenn durch die Reaktion zwischen der einfallenden Primärstrahlung und dem Target eine Sekundärstrahlung entsteht (gestreute Primärstrahlung oder eine andere Art von Strahlung), wird deren Intensitätsverteilung über die Raumrichtungen beschrieben durch den differenziellen Wirkungsquerschnitt
Darin ist
- die Stromdichte der in Richtung
Ω auslaufenden Sekundärstrahlung bei Anwesenheit eines einzigen Targetteilchens (, vgl. Definition) in Teilchen pro Raumwinkel-Einheit und Zeit - die Stromdichte der (parallel einlaufenden) Primärstrahlung in Teilchen pro Flächen-Einheit und Zeit.
Daher hat die Dimension Fläche pro Raumwinkel und als Maßeinheit z. B. Millibarn pro Steradiant. (Mathematisch gesehen ist der Raumwinkel dimensionslos und der differenzielle Wirkungsquerschnitt daher von derselben Dimension Fläche wie der Wirkungsquerschnitt selbst.)
Um die richtige Trefferfläche für die Erzeugung der Sekundärstrahlung in Richtung zu erhalten, betrachtet man die gesamte Sekundärstrahlung in ein kleines Raumwinkelelement hinein. Sie ist in erster Näherung gegeben durch
Der Ausdruck auf der linken Seite entspricht genau der Reaktionsrate wie oben erwähnt (bei NT = 1), man denke sich etwa ein Experiment mit einem Detektor von genau der Größe , der auf jedes ankommende Sekundärteilchen anspricht. Daher steht auf der rechten Seite vor der einlaufenden Stromdichte mit dem Faktor
genau die Trefferfläche (richtig mit Dimension Fläche), die zu den in diesem Experiment beobachteten Reaktionen gehört.
Das Integral dieses differenziellen Wirkungsquerschnitt über alle Richtungen ist der (im Sinne von integrale) totale Wirkungsquerschnitt für den beobachteten Typ der Reaktion.
Der differenzielle Wirkungsquerschnitt hängt ab
- wie der Wirkungsquerschnitt selbst: von der Art der Reaktion (Art des Targets, Art und Energie der Teilchen der Primär- und der Sekundärstahlung)
- zusätzlich von der Richtung , die durch zwei Winkel angegeben werden kann, von denen meist nur der Ablenkwinkel relativ zur Richtung des Primärstrahls interessiert; wird nur diese Abhängigkeit betrachtet, heißt der differenzielle Wirkungsquerschnitt auch kurz Winkelverteilung.
Mit der Bezeichnung „Differenzieller Wirkungsquerschnitt “ ohne weiteren Zusatz ist fast immer gemeint. Weitere differenzielle Wirkungsquerschnitt sind:
Sekundärenergieverteilung
Seltener benötigt wird der nach der Energie des Sekundärteilchens, also des gestreuten Teilchens oder Reaktionsproduktes, abgeleitete Wirkungsquerschnitt , der die Energieverteilung der Sekundärteilchen beschreibt. Er hängt ab von der Primär- und der Sekundärenergie.
Doppelt differenzieller Wirkungsquerschnitt
Bei komplexen Vorgängen wie etwa dem Eindringen (Transport) schneller Neutronen in dicke Materieschichten, wo ein Neutron an verschiedenen Streuprozessen und Kernreaktionen nacheinander teilnehmen kann, wird auch der doppelt differenzielle Wirkungsquerschnitt betrachtet, da er die detaillierteste physikalische Beschreibung erlaubt.
Geometrischer Wirkungsquerschnitt
In der klassischen Mechanik fliegen alle Teilchen auf wohldefinierten Trajektorien. Für Reaktionen, die eine Berührung von Projektil- und Targetteilchen voraussetzen, wird der Begriff geometrischer Wirkungsquerschnitt benutzt, denn hier haben nicht nur die Größe des Wirkungsquerschnitt als Trefferfläche, sondern auch deren Form und Lage (relativ zum Targetteilchen) eine einfache geometrische Bedeutung: alle Teilchen, die auf ihrer Trajektorie durch diese Fläche fliegen, lösen die betrachtete Reaktion aus, alle anderen nicht.
- Beispiel Stoß zweier Kugeln (Radien und ): Diese Reaktion findet für ein Projektil genau dann statt, wenn es mit der Trajektorie seines Mittelpunktes den Mittelpunkt des Targetteilchens nicht weiter verfehlen würde als die Summe ihrer beider Radien. Die Trefferfläche (für den Mittelpunkt der bewegten Kugel) ist also eine Kreisscheibe um den Mittelpunkt der ruhenden Kugel mit Radius , und der (totale) Wirkungsquerschnitt ist die Fläche dieses Kreises:
- Beispiel Fußball (Radius ) und Torwand (Radius des Lochs ), Flugrichtung senkrecht zur Wand. Gefragt sei der geometrische Wirkungsquerschnitt für die (Zuschauer-)Reaktion TOOR!!, also für freies Hindurchfliegen: Falls gilt, ist . Im Fall passt der Ball zwar hindurch, doch darf die Trajektorie des Ballmittelpunkts den Lochmittelpunkt höchstens um den Abstand verfehlen. Die Trefferfläche (für den Mittelpunkt des Balls) liegt als Kreisscheibe mit Radius um den Mittelpunkt des Lochs. Der geometrische Wirkungsquerschnitt ist
- .
Beide Beispiele zeigen, dass man nicht einmal den geometrischen Wirkungsquerschnitt mit der Größe eines der beteiligten Körper identifizieren darf (außer wenn das Projektil einschließlich der Reichweite der Kraft als punktförmig angesehen wird). Das zweite zeigt zudem, wie groß der Anwendungsbereich des Begriffs Wirkungsquerschnitt sein kann.
Bei Wellenphänomenen ist die geometrische Interpretation nicht möglich. Auch in der Quantenmechanik können prinzipiell keine deterministischen Aussagen über einzelne Projektil- oder Targetteilchen gemacht werden.
Makroskopischer Wirkungsquerschnitt
In der Physik der Kernreaktoren wird neben dem oben definierten mikroskopischen (d. h. auf 1 Targetteilchen, meist 1 Atom bezogenen) Wirkungsquerschnitt auch der makroskopische, auf 1 cm3 Material bezogene Wirkungsquerschnitt mit dem Formelzeichen (großes Sigma) verwendet. Er ergibt sich aus dem mikroskopischen Wirkungsquerschnitt durch Multiplikation mit der Atomzahldichte, also der Zahl der jeweiligen Atome pro cm3. Die übliche Einheit des makroskopischen Wirkungsquerschnitt ist cm2/cm3 = 1/cm.
Wirkungsquerschnitt und Fermis Goldene Regel
Fermis Goldene Regel besagt, dass für die Reaktionsrate (Anzahl von Reaktionen pro Zeit) gilt:
mit
- dem reduzierten Planckschen Wirkungsquantum
- dem Übergangsmatrixelement bzw. der Wahrscheinlichkeitsamplitude (in der Bornschen Näherung gegeben durch den Formfaktor des Potentials der Wechselwirkung)
- dem Phasenraumfaktor.
Da die Reaktionsrate außerdem direkt proportional zum (differentiellen) Wirkungsquerschnitt ist
- (vgl. oben: als Luminosität des Teilchenstrahls),
gilt folglich: