„Lügenpresse“ – Versionsunterschied

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Der Begriff wurde zum „Unwort des Jahres 2014“ von der „Sprachkritischen Aktion“ gewählt, weil er ein „… besonders perfide[s] Mittel derjenigen [sei], die ihn gezielt einsetzen“,<ref name="Sprachkritik">[http://www.unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/download/pressemitteilung_unwort2014.pdf Pressemitteilung: Wahl des 24. „Unworts des Jahres“ vom 13. Januar 2015]</ref> denn – so die Jury – den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen dürfte wohl nicht bewusst sein, dass dieser Begriff bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kampfbegriff und zur Diffamierung diente.
Der Begriff wurde zum „Unwort des Jahres 2014“ von der „Sprachkritischen Aktion“ gewählt, weil er ein „… besonders perfide[s] Mittel derjenigen [sei], die ihn gezielt einsetzen“,<ref name="Sprachkritik">[http://www.unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/download/pressemitteilung_unwort2014.pdf Pressemitteilung: Wahl des 24. „Unworts des Jahres“ vom 13. Januar 2015]</ref> denn – so die Jury – den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen dürfte wohl nicht bewusst sein, dass dieser Begriff bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kampfbegriff und zur Diffamierung diente.


Die Kritik des Begriffes sei aber nicht daran festgemacht – so die Jury –, dass die Medien niemals fehlgehen würden: „Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel“,<ref name="Sprachkritik" /> sondern daran, dass damit die Medien pauschal diffamiert werden, die sich mehrheitlich bemühen würden, einer „… gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen ‚Islamisierung des Abendlandes‘“ sachlich zu begegnen, indem sie gesellschaftspolitische Themen differenziert darstellten.
Die Kritik des Begriffes sei aber nicht daran festgemacht – so die Jury –, dass die Medien niemals fehlgehen würden: „Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel“,<ref name="Sprachkritik" /> sondern daran, dass damit die Medien pauschal diffamiert werden, die sich mehrheitlich bemühen würden, einer „… gezielt geschürten Angst vor einer (aus Sicht vieler Politiker und Medienvertreter nur) vermeintlichen ‚Islamisierung des Abendlandes‘“ sachlich zu begegnen, indem sie gesellschaftspolitische Themen differenziert darstellten.


Die Pressemitteilung der „Sprachkritischen Aktion“ schließt mit dem Satz: „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“<ref name="Sprachkritik"/>
Die Pressemitteilung der „Sprachkritischen Aktion“ schließt mit dem Satz: „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“<ref name="Sprachkritik"/>

Version vom 14. Januar 2015, 14:27 Uhr

Lügenpresse ist ein polemisch gebrauchter und diffamierend gemeinter Begriff für mediale Erzeugnisse, der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen lässt. Zunächst in religiösen Kontexten genannt, verschob sich die Verwendung des Wortes mit der Entstehung eines deutschen Nationalstaats im 19. Jahrhundert auf die politischen Gegnerstaaten. Damit begann seine Verwendung im nationalistischen Sinne.

In der Zeit des Nationalsozialismus diente der Begriff unter anderem zur Denunziation der Kritiker des Nationalsozialismus als Kommunisten und Juden und der Behauptung einer Steuerung der Presse durch das „Weltjudentum“. Das Wort wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 im Kalten Krieg zur Diffamierung der jeweiligen Gegenseite benutzt.

Das Wort erlangte im 21. Jahrhundert eine Renaissance, als es als Schlagwort der Protestbewegung Pegida in Dresden ab Mitte Oktober des Jahres 2014 von den Demonstranten in Sprechchören skandiert wurde und durch die Berichterstattung der Medien über die Proteste überregionale Bekanntheit erfuhr.

Am 13. Januar 2015 wurde der Begriff von der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres” zum „Unwort des Jahres 2014” gewählt.[1]

Verwendung im 19., 20. und 21. Jahrhundert

Zunächst trat der Begriff in religiösen Zusammenhängen auf: so beispielsweise von katholischer Seite zur Polemik gegen antiklerikale Zeitungen[2] oder beim Jesuitenpater Viktor Kolb, Initiator des Pius-Vereins zur Förderung der katholischen Presse in Österreich, der ihn in seinen Reden mehrfach verwendete.[3] Im Jahr 1869 verwendete ihn Woldemar von Bock, um Berichte der russischen Presse über die Unterdrückung der Letten und Esten durch die Deutsch-Balten als Propaganda darzustellen.[4]

In der propagandistischen Auseinandersetzung Deutschlands mit seinen Kriegsgegnern im Ersten Weltkrieg[5] wurde der internationalen „Lügenpresse“ eine Mitschuld am Kriegsausbruch gegeben.[6] So erschien 1914 das Buch Der Lügenfeldzug unserer Feinde: Die Lügenpresse von Reinhold Anton mit einer „Gegenüberstellung deutscher, englischer, französischer und russischer Nachrichten“.[7][8] Der Rittmeister a.D. Oskar Michel aus dem Kriegspresseamt veröffentlichte 1918 in der Serie Schützengraben-Bücher für das deutsche Volk ebenfalls einen Band mit dem Titel Die Lügenpresse unserer Feinde.[9]

Joseph Goebbels’ Propaganda verwendete den Begriff neben anderen für ihre Kritik an Amerika[10] und um Kritiker der Nationalsozialisten in den Medien als Kommunisten zu denunzieren: „Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch …“ Alfred Rosenberg, Autor von Der Mythus des 20. Jahrhunderts, einem ideologischen Grundlagenwerk der Nationalsozialisten, propagierte 1923 „die alte deutsche Auffassung vom Wesen und Wert der Arbeit“. Als Gegensatz zum „Volk“ und seinem „Willen“ konstruierte er die „Lügenpresse“: „Das Volk wird seine großen Künstler, Feldherren und Staatsmänner nicht mehr als ein ihm Entgegengesetztes empfinden – als welches eine Lügenpresse sie uns darstellen möchte –, sondern, umgekehrt, als den höchsten Ausdruck seines oft dunklen, noch unbestimmten Wollens.“ Der Begriff wurde selbst in Büttenreden gleichgeschalteter Karnevalsveranstaltungen benutzt.[11]

Manfred Pechau spricht in seiner Dissertation Nationalsozialismus und deutsche Sprache (Greifswald 1935) von der „jüdisch-marxistischen Lügenpresse“, für die er weitere Kampfbegriffe wie „jüdische Journaille“ anführt.[12]

Nachdem im Spanischen Bürgerkrieg die nationalsozialistische Legion Condor die Stadt Guernica bombardiert hatte und dies in der Weltöffentlichkeit zu entsetzten Reaktionen führte, bezichtigte General Francos Propaganda die „jüdische Lügenpresse“: Das sei ein Pressemanöver der Bolschewisten gewesen, welche die Stadt selbst niedergebrannt hätten.[13] Auf die Falschmeldung vom Tod Max Schmelings reagierte die NS-Propaganda mit einem Angriff auf die „ausländische Lügenpresse“.[14]

Als Reaktion auf einen propagandistisch verfälschenden Beitrag in der Zeitschrift Kolonie und Heimat im September 1938 verfasste Maximilian Scheer in der Neuen Weltbühne eine Umdeutung des Begriffs, den er gegen den Nationalsozialismus wendete, unter dem Titel Die Lügenpresse.[15]

Nach 1945 wurde der Begriff im Rahmen des Kalten Krieges für die Diffamierung der jeweiligen Gegenseite eingesetzt. So benutzte ihn Otto Grotewohl im Zusammenhang mit der Spaltung Nachkriegsdeutschlands.[16] In den Anfängen der Wende in der DDR wurde das Neue Deutschland als Lügenpresse tituliert.[17]

Insbesondere wird der Begriff „Lügenpresse“ in der Gegenwart von neonazistischen Gruppen verwendet.[18] So wurde im Mai 2012 der Spruch „Lügenpresse halt die Fresse!“ von Neonazis an die Fenster der Lausitzer Rundschau geschmiert, die über Neonazi-Aktivitäten in Brandenburg berichtet hatte.[19] Die Rechtsrock-Band Frei.Wild verbreitete 2013 auf der „Gold Edition“ ihres Albums Feinde deiner Feinde den Slogan „Lügen-Presse – auf die Fresse! Lügenpresse – auf die Fresse!“[20]

Anlässlich der Pegida-Demonstrationen des Jahres 2014 wurde das gegenüber Medienvertretern geäußerte und später regelmäßig skandierte Schlagwort „Lügenpresse“ vielfach in den Medien zitiert und fand wieder Eingang in den aktuellen Sprachgebrauch. Nach Aussage des politischen Fernsehmagazins Panorama wohl zunächst im ursprünglichen Sinne des Kompositums: „… der Schlachtruf ‚Lügenpresse‘ ist in Dresden immer wieder zu hören. Die Medien würden die Aussagen der Teilnehmer ohnehin nur manipulieren, verdrehen oder gar nicht erst senden.“[21]

Als Synonym wird dabei regelmäßig auch "Mainstream-Medien" verwendet.[22]

Auch Anhänger von Verschwörungstheorien diffamieren die ihren Thesen gegenüber meist kritisch eingestellten etablierten Medien als „Lügenpresse“ und sehen sie als Teil der von ihnen behaupteten Verschwörung an.[23]

„Unwort des Jahres 2014“

Der Begriff wurde zum „Unwort des Jahres 2014“ von der „Sprachkritischen Aktion“ gewählt, weil er ein „… besonders perfide[s] Mittel derjenigen [sei], die ihn gezielt einsetzen“,[24] denn – so die Jury – den Teilnehmern der Pegida-Demonstrationen dürfte wohl nicht bewusst sein, dass dieser Begriff bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kampfbegriff und zur Diffamierung diente.

Die Kritik des Begriffes sei aber nicht daran festgemacht – so die Jury –, dass die Medien niemals fehlgehen würden: „Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel“,[24] sondern daran, dass damit die Medien pauschal diffamiert werden, die sich mehrheitlich bemühen würden, einer „… gezielt geschürten Angst vor einer (aus Sicht vieler Politiker und Medienvertreter nur) vermeintlichen ‚Islamisierung des Abendlandes‘“ sachlich zu begegnen, indem sie gesellschaftspolitische Themen differenziert darstellten.

Die Pressemitteilung der „Sprachkritischen Aktion“ schließt mit dem Satz: „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“[24]

Die Aktion Unwort des Jahres traf ihre Auswahl 2014 aus insgesamt 733 eingeschickten Wörtern. Für den Vorschlag Lügenpresse lagen sieben Einsendungen vor.[25] Die Jury 2014 besteht aus folgenden Personen:

Jährlich wechselndes Mitglied war im Jahr 2014 die Publizistin Christine Westermann.

Einzelnachweise

  1. Sprachkritik: "Lügenpresse" ist Unwort des Jahres Spiegel.de, abgerufen am 14.Januar 2015
  2. Wilhelm Binder (Hrsg.): Allgemeine Realencyclopädie oder Conversationslexicon für das katholische Deutschland, Band 10. Verlag von Georg Joseph Manz, 1849 (S. 1012, im Stichwort Zeitungen)
  3. Viktor Kolb: Gesammelte Pressereden. Mayer, 1920
  4. Woldemar von Bock: Livländische Beiträge zur Verbreitung grundlicher Kunde von der protestantischen Landeskirche und dem deutschen Landestaate in den Ostseeprovinzen Russlands: von ihrem guten Rechte und von ihrem Kampfe um Gewissenfreiheit ... 1.-3. Beitrag, Band 3. Stilke & van Muyden, 1869 (S. 168) Digitalisat
  5. Brigitte Schroeder-Gudehus: Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit 1914-1928: ein Beitrag zum Studium kultureller Beziehungen in politischen Krisenzeiten. Impr. Dumaret & Golay, 1966 (S. 74)
  6. Gustav von Pacher: Die Dreiverbandspresse. Ihr Anteil an der Kriegsentfachung und ein Weg zu ihrer Bekämpfung. Leipzig, 1915 (S. 19); zitiert in: Martin Schramm: Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919. Walter de Gruyter, 2007. ISBN 978-3-050-08717-7 (S. 14)
  7. Die Lügenpresse: der Lügenfeldzug unserer Feinde : noch eine Gegenüberstellung deutscher und feindlicher Nachrichten, u.a. der W.T.B., Reuter, Havas und P.T.U. Telegramme über den Weltkrieg 1914/16
  8. Die Lügenpresse: der Lügenfeldzug unserer Feinde Der lügenfeldzug unserer feinde: Die lügenpresse - Reinhold Anton - Google Books
  9. Verlag Siegismund, 1918
  10. Beate Klarsfeld: Die Geschichte des PG 2 633 930 Kiesinger. Dokumentation. Melzer, 1969 (S.32)
  11. Carl D. Dietmar, Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich. Herbig, 2010. ISBN 978-3-776-62630-8 (S. 108)
  12. Zitiert nach Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin – New York 1998, Stichwort „Journaille“, S. 321.
  13. Quelle: Deutschlandfunk, abgerufen 24. Dezember 2014.
  14. Guido Knopp: Der zweite Weltkrieg: Bilder, die wir nie vergessen. Hamburg 2014, S. 67.
  15. Jörg Armer: Die Wiener Weltbühne, Wien, 1932-1933, Die Neue Weltbühne, Prag/Paris, 1933-1939. Bibliographie einer Zeitschrift, Band 1. London, 1992. ISBN 978-3-598-11087-0 (S. 439)
  16. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.): Otto Grotewohl - Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Band 2. Dietz, 1959 (S. 56)
  17. Michael Richter: Die Friedliche Revolution: Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010. ISBN 978-3-647-36914-3 (S. 293)
  18. Christian Dornbusch, Jan Raabe: RechtsRock: Bestandsaufnahme und Gegenstrategien. Unrast, 2002. ISBN 978-3-897-71808-1 (S. 130)
  19. Neonazis attackieren Lokalzeitung: "Lügenpresse halt die Fresse", Süddeutsche Zeitung, 15. Mai 2012
  20. Filmfaktum, abgerufen 24. Dezember 2014
  21. Robert Bongen, Johannes Jolmes: Kontaktversuch: "Lügenpresse" trifft Pegida; Abruf vom 13. Januar 2015
  22. Ulrich Clauß: Wo Pegida und Islamisten der gleichen Meinung sind, Die Welt vom 13. Januar 2015
  23. Verschwörungstheorien: Was CIA, Chemtrails und die Lügenpresse verbindet, WAZ vom 4. Januar 2015
  24. a b c Pressemitteilung: Wahl des 24. „Unworts des Jahres“ vom 13. Januar 2015
  25. Pressemitteilung: Wahl des 24. „Unworts des Jahres“