„I Ging“ – Versionsunterschied

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Der Schweizer Komponist [[Alfons Karl Zwicker]] komponierte „Secretum“ (2006–2007, acht Stücke nach den Urzeichen des I&nbsp;Ging für Violoncello und Kontrabass). Nachdem [[John Cage]] das I&nbsp;Ging kennengelernt hatte, schuf er „Music of Changes“ (1951) und weitere Werke, die auf dem Zufallsverfahren, ähnlich dem [[Orakel]], basieren. Auf dem von der britischen Rockgruppe [[Pink Floyd]] 1967 veröffentlichten Album [[The Piper at the Gates of Dawn]] befindet sich ein Song mit Namen [[Chapter 24]], der Textbausteine der Übersetzungen von [[Richard Wilhelm]] (ins Englische übersetzt von Cary F. Baynes) und [[James Legge]] beinhaltet. Außerdem wird auch in der 1962 erschienenen Dystopie „''[[Das Orakel vom Berge|The Man in the High Castle]]''“<ref>deutsch: „Das Orakel vom Berge“.</ref> von [[Philip K. Dick]] Bezug auf das I&nbsp;Ging genommen.
Der Schweizer Komponist [[Alfons Karl Zwicker]] komponierte „Secretum“ (2006–2007, acht Stücke nach den Urzeichen des I&nbsp;Ging für Violoncello und Kontrabass). Nachdem [[John Cage]] das I&nbsp;Ging kennengelernt hatte, schuf er „Music of Changes“ (1951) und weitere Werke, die auf dem Zufallsverfahren, ähnlich dem [[Orakel]], basieren. Auf dem von der britischen Rockgruppe [[Pink Floyd]] 1967 veröffentlichten Album [[The Piper at the Gates of Dawn]] befindet sich ein Song mit Namen [[Chapter 24]], der Textbausteine der Übersetzungen von [[Richard Wilhelm]] (ins Englische übersetzt von Cary F. Baynes) und [[James Legge]] beinhaltet. Außerdem wird auch in der 1962 erschienenen Dystopie „''[[Das Orakel vom Berge|The Man in the High Castle]]''“<ref>deutsch: „Das Orakel vom Berge“.</ref> von [[Philip K. Dick]] Bezug auf das I&nbsp;Ging genommen.
Die hintere Umschlagseite des I Ging, Diederichs Gelbe Reihe, zeigt ein ins Deutsche übersetztes Zitat von Bob Dylan: "Du mußt unbedingt das I Ging lesen. Ich will nicht darüber reden, nur so viel: Es ist das Einzige, was phantastisch wahr ist. Du liest es, und du weißt einfach, dass es wahr ist. Es ist etwas, an das man glauben kann." I Ging, übersetzt von Richard Wilhelm Diederichs Gelbe Reihe Diederichs Verlag Sonderausgabe Heinrich Hugendubel Verlag, 2001 ISBN 3-7205-2218-0 Dies stellt eine auszugsweise Übersetzung eines Interviews dar, welches Joseph Haas führte: "Bob Dylan Talking by Joseph Haas" Published in Chicago Daily News 27 Nov 1965 https://www.interferenza.com/bcs/interw/65-nov26.htm (Q: What about religion and philosophy?), ebenfalls veröffentlicht in "Retrospective" ed. by Craig McGregorAngus & Robertson, 1980, c1972, 237p. ISBN 0207143528
Zusammenfassung: 'It's an old Chinese philosophy and religion, it really was one . . . there is a book called the "I-Ching", I'm not trying to push it, I don't want to talk about it, but it's the only thing that is amazingly true, period, not just for me.'


Der mit Richard Wilhelm freundschaftlich verbundene [[Carl Gustav Jung]], einer der Wegbereiter der modernen [[Tiefenpsychologie]] und Begründer der [[Analytische Psychologie|Analytischen Psychologie]], schätzte das I&nbsp;Ging sehr und sah darin eine Möglichkeit des Zugangs zum [[Das Unbewusste|Unbewussten]]. Jung verwendete den Begriff [[Synchronizität|synchronistisches Prinzip]] öffentlich erstmals 1930 in seinem Nachruf auf den Freund (C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 15: Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft, Auflage 2001, Walter Verlag, ISBN 978-3-530-40715-0):
Der mit Richard Wilhelm freundschaftlich verbundene [[Carl Gustav Jung]], einer der Wegbereiter der modernen [[Tiefenpsychologie]] und Begründer der [[Analytische Psychologie|Analytischen Psychologie]], schätzte das I&nbsp;Ging sehr und sah darin eine Möglichkeit des Zugangs zum [[Das Unbewusste|Unbewussten]]. Jung verwendete den Begriff [[Synchronizität|synchronistisches Prinzip]] öffentlich erstmals 1930 in seinem Nachruf auf den Freund (C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 15: Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft, Auflage 2001, Walter Verlag, ISBN 978-3-530-40715-0):

Version vom 10. September 2023, 22:16 Uhr

Das Yijing, chinesisch えきけい / えき, Pinyin Yìjīng, frühere deutsche Transkription[1]: I Ging, „Das Buch der Wandlungen“ ist im Kern ein antikes chinesisches Handbuch zur Orakelbefragung und der bekannteste der klassischen konfuzianischen Texte. Seine Entstehung führt die chinesische Legende in das 3. Jahrtausend v. Chr. zurück. Nach heutigem Kenntnisstand jedoch wurde der älteste Teil des Buchs wahrscheinlich in den letzten beiden Dekaden des 9. Jhdts. v. Chr. kompiliert,[2] weitere Teile wurden in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende ausgearbeitet und hinzugefügt.

Die Texte und Bilder des Yijing wurden im Laufe von 2800 Jahren auf vielfältige Weise interpretiert: als kosmologische Prinzipien, als Richtschnur für ethisches Verhalten, als Sinnbilder von Lebens- und Entscheidungssituationen, als universale anthropologische Erfahrungen und als Wegweiser zu psychologischen und tiefenpsychologischen Einsichten.[3] Bis heute gilt das Yijing sowohl als „die Essenz chinesischen Denkens und Wissens“[4] als auch „im Zuge seiner globalen Bedeutung … als Kulturgut zahlreicher Generationen und Gesellschaften, sodass sich vielfältige Deutungen herausgebildet haben. Es hat einen festen Platz in der Weltliteratur.“[5]

Aufbau des Yijing

Alle nachfolgende Schriftzeichen werden als Langzeichen dargestellt.

Zeichen Nr. Bedeutung n. Wilhelm ちゅうぶん Pīnyīn
01 Das Schöpferische いぬい qián
02 Das Empfangende ひつじさる kūn
03 Die Anfangsschwierigkeit たむろ chún
04 Die Jugendtorheit こうむ méng
05 Das Warten
06 Der Streit sòng
07 Das Heer shī
08 Das Zusammenhalten
09 Des Kleinen Zähmungskraft しょう xiǎo chù
10 Das Auftreten くつ
11 Der Friede やすし taì
12 Die Stockung いや
13 Gemeinschaft mit Menschen 同人どうじん tóng rén
14 Der Besitz von Großem だいゆう dà yǒu
15 Die Bescheidenheit けん qiān
16 Die Begeisterung
17 Die Nachfolge ずい suí
18 Die Arbeit am Verdorbenen
19 Die Annäherung lín
20 Die Betrachtung かん guān
21 Das Durchbeißen 噬嗑 shì kè
22 Die Anmut
23 Die Zersplitterung
24 Die Wendezeit ふく
25 Unschuld wú wàng
26 Des Großen Zähmungskraft だい dà chù
27 Die Ernährung
28 Des Großen Übergewicht 大過たいか dà guò
29 Das Abgründige kǎn
30 Das Feuer はなれ
31 Die Einwirkung xián
32 Die Dauer つね héng
33 Der Rückzug dùn
34 Des Großen Macht だいたけし dà zhuàng
35 Der Fortschritt すすむ jìn
36 Die Verfinsterung des Lichts あかりえびす míng yí
37 Die Sippe 家人かじん jiā rén
38 Der Gegensatz kúi
39 Das Hemmnis あしなえ jiǎn
40 Die Befreiung かい xìe
41 Die Minderung そん sǔn
42 Die Mehrung えき
43 Der Durchbruch guài
44 Das Entgegenkommen gòu
45 Die Sammlung cùi
46 Das Empordringen ます shēng
47 Die Bedrängnis こま kùn
48 Der Brunnen jǐng
49 Die Umwälzung かわ
50 Der Tiegel かなえ dǐng
51 Das Erregende ふるえ zhèn
52 Das Stillehalten うしとら gèn
53 Die Entwicklung やや jiàn
54 Das heiratende Mädchen かえりいもうと gūi mèi
55 Die Fülle ゆたか fēng
56 Der Wanderer たび
57 Das Sanfte たつみ xùn
58 Das Heitere dùi
59 Die Auflösung きよし huàn
60 Die Beschränkung ふし jíe
61 Innere Wahrheit なかまこと zhōng fú
62 Des Kleinen Übergewicht しょう xiǎo gùo
63 Nach der Vollendung 既濟きさい jì jì
64 Vor der Vollendung 未濟みさい wèi jì

Das Buch besteht aus zwei unterschiedlich alten Textschichten.

Die ältere, aus der Zeit der Westlichen Zhou-Dynastie stammende Schicht umfasst ein numerologisch-graphisches System, d. h. eine festgelegte Abfolge von 64 Zeichen ( guà ) oder, im modernen Sprachgebrauch, Hexagrammen. Sie sind grafisch dargestellt (ぞう guà xiàng) durch sechs waagrechte, übereinander angeordnete Striche, die entweder durchgezogen (⚊) oder zweigeteilt (⚋) sind. Jedes Hexagramm trägt einen Namen (めい guà míng) und ist mit einem Spruch ( guà cí) versehen. Auch jedem der jeweils sechs Striche ist ein Spruch (爻辭 yáo cí) beigefügt. Dieser erste Teil des Buchs, auch als Zhou Yi (しゅうえき Zhōu Yì) oder "Die Wandlungen der Zhou" bezeichnet, ist der Intention nach ein Mittel zur Orakelbefragung und kann heute noch als solches benutzt werden.

Die mehrere Jahrhunderte jüngeren Textschichten sind sieben sehr unterschiedliche Interpretationen zu diesen Zeichen. Drei von ihnen sind zweigeteilt, sodass sich zehn ergeben; daher werden sie die Zehn Flügel (じゅうつばさ Shí Yì) genannt. Davon sind zwei allgemeiner, theoretischer Natur, die anderen fünf befassen sich mit den einzelnen Hexagrammen. Der Übersichtlichkeit halber sind letztere in westlichen Übersetzungen meist dem betreffenden Hexagramm zugeordnet,

Die ersten beiden Flügel heißen Überlieferung zum Urteil (彖傳 Tuan Zhuàn). Meist wird Zhuàn mit 'Kommentar' übersetzt. Dennis Schilling wählt in seiner Übertragung[6] stattdessen das Wort 'Überlieferung', um diese Texte von weiteren Kommentaren aus späteren Zeiten abzugrenzen. Hier sei seinem Sprachgebrauch gefolgt. Mit 'Urteil' sind die Sprüche zu den Hexagrammen gemeint. Der 1. Flügel bespricht die Hexagramme 1 bis 30, der 2. Flügel die von 31 bis 64, da nach der überlieferten Anordnung zwischen Hexagramm 30 und Hexagramm 31 eine Zäsur besteht.

Der 3. und 4. Flügel, die Überlieferung zu den Bildern (ぞうでん Xiàng Zhuàn), enthalten heterogene Materialien, Große Bilder und Kleine Bilder genannt. Sie sind auf die gleiche Weise zweigeteilt wie die Überlieferung zum Urteil. Die Großen Bilder leiten aus den sich aus den Zeichen ergebenden bildlichen Vorstellungen explizit ethische Normen ab, die Kleinen Bilder dagegen haben nichts mit Bildern zu tun, sondern kommentieren kurz die Sprüche zu den Strichen der Hexagramme.

Der 5. und der 6. Flügel, die in zwei Bücher geteilte Große Überlieferung (だい彖 Dà Zhuàn), liefert die theoretische Basis für das Gedankengebäude des Yijing.

Der 7. Flügel, Die Worte von (König) Wen, (文言もんごん Wén Yán) enthält vier ausführlichere Besprechungen zu Hexagramm 1 und eine zu Zeichen 2. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um Aussprüche dieses Königs selbst, sondern um eine Deutung der beiden Hexagrammtexte aus späterer Sicht auf dem Hintergrund der Biografie dieses Königs.[7]

Der 8. Flügel, die Besprechung der Zeichen (せつ Shuo Guà) ist wieder ein theoretischer Text. Er befasst sich mit den acht möglichen Kombinationen von drei durchgezogenen oder durchbrochenen Strichen, die im Chinesischen ebenfalls Zeichen (guà ), im Westen aber zur besseren Unterscheidbarkeit Trigramme genannt werden. Mit verschiedenen Eigenschaften und Attributen versehen, fügen sich diese Trigramme zu kosmologischen Systemen.

Der 9. Flügel, die Reihenfolge der Zeichen (じょ Xù Guà), versucht anhand der Namen der Hexagramme ihre Abfolge nachvollziehbar zu machen.

Der 10. Flügel, die Gemischten Zeichen (ざつ Zà Guà), weicht von der üblichen Reihenfolge ab (daher der Titel). Er umschreibt mit knappen Worten den Namen des jeweiligen Zeichens.

Geschichte und Überlieferungen

Entstehungsgeschichte des Yijing

Nach chinesischer Tradition, wie sie teilweise schon in der Großen Überlieferung niedergelegt ist, erfand der legendäre Kaiser Fu Xi (ふくFú Xī) die acht Trigramme, die dann zu den 64 Hexagrammen kombiniert wurden. Das daraus entstandene Orakelbuch sollte dazu verhelfen, das Schildkrötenorakel durch ein mittels Schafgarbenstengeln durchgeführtes Pflanzenorakel zu ersetzen. Die Formulierung der Sprüche zu den Hexagrammen wurde dem Zhou-König Wen (しゅうぶんおう Zhōu Wénwáng, 11. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben, die der Sprüche zu den einzelnen Strichen einem seiner Söhne, Dan, dem Herzog von Zhou (しゅうこうだん Zhōu Gōngdàn). Auch galt Konfuzius noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Verfasser eines Teils der Zehn Flügel.

Archäologische Funde und philologische Vergleiche konnten nichts davon bestätigen. Beide Orakelformen gab es bereits vor der Machtübernahme der Zhou und lebten noch jahrhundertelang nebeneinander fort.[8] Das Buch der Riten erwähnt zwei weitere, verlorengegangene "Wandlungsbücher", die offenbar älter waren, das Guicang (かえりぞうえき Gūi Cáng Yì) und das Lianshan (連山れんざんえき Lián Shān Yì).[9] Durch Textvergleiche mit anderen Quellen, wie dem Buch der Lieder und Bronzeinschriften, kann der Beginn der Entstehung des Zhou Yi auf das Ende des 9. Jahrhunderts v. Chr. eingegrenzt werden, also lange nach König Wens Tod. Die Autoren des Buchs sind nirgendwo genannt, aber eigentlich kommen dafür nur Schreiber bzw. Gelehrte am Königshof der Zhou in Frage, da sie über das notwendige literarische Wissen verfügten und in die Orakelpraxis eingebunden waren.[10]

Seitdem 1899 die ersten beschrifteten Schildkrötenpanzer entdeckt wurden, die dem Orakel dienten, geht die Forschung davon aus, dass das Zhou Yi zum Teil davon inspiriert wurde. Sowohl Zahlen als auch Vorbilder für die Striche und die Textbausteine sind auf den Panzern zu finden. Weiterhin wurden historische Begebenheiten, Mythen, Liedsequenzen, astronomische Beobachtungen und Textfragmente von Bronzeinschriften in die Texte eingearbeitet.[11] Sie sind aber meist nur angedeutet und Eigennamen sind bis auf wenige Ausnahmen getilgt. Dennoch macht sich die Tendenz bemerkbar, die Herrschaft der Zhou-Dynastie ideologisch zu untermauern.[12] Vor 600 v. Chr. wurde das Zhou Yi nur am Königshof der Zhou verwendet. Parallel zu deren Machtverlust verbreitete es sich auch in anderen Fürstentümern und beim niederen Adel. Das erklärt, warum sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Versionen des Buchs und regionale Auslegungstraditionen entwickelten.[13]

Ab der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. wandten sich die Philosophen dem Zhou Yi zu und erforschten dessen Kompositionsmuster, politische Aussagen und ethische Prinzipien.[14] Daraus erwuchsen zahlreiche stilistisch und inhaltlich unterschiedliche Kommentierungen, deren Verfasser unbekannt sind. Konfuzius gehörte sicher nicht dazu, denn in seinen eigenen Lehren geht er bis auf ein kurzes Zitat nicht auf das Zhou Yi ein.[15] Möglicherweise stammen aber einige Textteile von seinen Nachfolgern.[16] Daneben finden sich aber auch Elemente anderer philosophischer Richtungen wie des Taoismus oder der Yin-Yang-Lehre. Überhaupt darf man sich diese Überlieferungen nicht als klärende Auslegungen des mehrere Jahrhunderte älteren Textes des Zhou Yi vorstellen. In dieser langen Zeit hatte sich die Sprache von einem archaischen zum klassischen Chinesisch gewandelt und die soziokulturellen Bedingungen waren stark verändert. Die Sprüche wurden stets nach zeitgenössischem Verständnis gelesen.[17] Zwar begriffen sich die Verfasser als Hüter eines literarischen Vermächtnisses,[18] aber das hinderte sie nicht daran, ihre eigenen und oft ganz anders gearteten Erkenntnisse und Spekulationen einzubringen und so darzustellen, als lägen sie schon im Text. Dabei berücksichtigten sie teilweise nicht die Ursprungsbedeutung der Wörter und den damaligen Sinn der Aussagen, sondern interpretierten sie neu.[19] Anders gesagt: Die Orakeltexte dienten nun auch als Illustration und Beleg für eigene philosophische Thesen und als Vorbild und Ratgeber in ethischen Fragen.

Überlieferungen und Textus receptus

Da damals meist auf Bambusstreifen oder Seide, also auf vergängliches Material geschrieben wurde, sind so gut wie keine Textdokumente aus dieser Periode mehr verfügbar. Für etwa 10 % des Standardtextes erhielten sich Zeugnisse auf Steinstelen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Fragmente auf Bambusstreifen kamen 1977 bei einer Ausgrabung in Shuanggudui (そういにしえうずたか) bei Fuyang (とみ) in der Provinz Anhui ans Tageslicht.[20] Seither sind durch weitere archäologische Funde noch weitere ältere oder Parallel-Versionen des Zhōu Yì aufgetaucht.[21] Dem Zerfall entgangen ist eine fast vollständige Textfassung, die 1973 in einem Grab in der Ausgrabungsstätte Mawangdui bei Changsha in der Provinz Hunan entdeckt wurde und seit der ersten Publikation im Jahr 1993 unter dem Namen Mawangdui Seidentexte (うまおううずたか帛書, Mǎwángduī Bóshū) bekannt ist. In ihr weichen die Reihenfolge der Hexagramme und ungefähr 560 Schriftzeichen (12 % des Textes) von der überlieferten Version ab.[22] Die Überlieferungen sind ebenfalls andere als die üblichen.[23]

Im 2. Jahrhundert v. Chr., zu Beginn der Han-Zeit, erstellten Gelehrte den Kanon der konfuzianischen Klassiker. An erster Stelle stand dabei eine standardisierte Version der Orakeltexte einschließlich der Zehn Flügel, die ab dann den Titel Yijing wörtlich: 'Kettfaden der Wandlungen' oder 'Leitfaden der Wandlungen' trug.[24] Das älteste Zeugnis dieser mit einigen Abänderungen auf uns gekommenen Fassung des Yijing ist eine beschriftete Steinstele vor der Palasthochschule in Luoyang aus dem Jahr 171 n. Chr.[25] Eine weitere Textredaktion des Yijing fand im 7. Jahrhundert n. Chr. unter Leitung von Kong Yingda statt und wurde unter dem Titel Zhouyi zhengyi (しゅうえき正義まさよし, Zhōuyì zhèngyì) publiziert; diese Ausgabe war jahrhundertelang der maßgebliche Text. Seine Kenntnis war Voraussetzung für eine Beamtenlaufbahn.[26]

Die 64 Hexagramme

Bestandteile und deren Bedeutung

Das I Ging enthält 64 verschiedene Figuren (Hexagramme). Ein Hexagramm besteht aus sechs Linien, die jeweils in zwei verschiedenen Arten vorkommen können: Als durchgezogene waagerechte Linie (hart) und als in der Mitte unterbrochene waagerechte Linie (weich). Aus diesen beiden Linienarten werden alle 64 Hexagramme gebildet.

Die Zeichen werden aus 2 × 3 Linien, also aus zwei „Trigrammen“, hergeleitet. Die durchgehenden Linien gelten als die festen und lichten, die unterbrochenen Linien gelten als die weichen und dunklen. Die Linien haben nach ihrem Platz innerhalb des Hexagramms (von unten nach oben gesehen) unterschiedlichen Rang und Bedeutung. Die betonten Linien des unteren Halbzeichens treten in das Zeichen ein, sind „kommend“, die betonten Linien im oberen Halbzeichen sind „gehend“. Die unterste und die oberste Linie eines Zeichens stehen immer in Verbindung zu anderen Zeichen und gehören nicht zu den Kernzeichen.

Die 64 Bilder oder Grundzeichen (identisch mit dem Ausdruck Hexagramm) beschreiben Kräfte (1 + 2), Situationen oder Aufgaben (3 + 5 + 6 + 10 …), Familie (31 + 37 + 54), persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten (4 + 8 + 9 + 14…), konkrete Tätigkeiten (Wanderer, 56), politische Phasen (11 + 12 + 18 + 21…) – meist enthalten sie abstrakte Begriffe mit mehreren Deutungsmöglichkeiten.

Alle 64 Bilder können jeweils 6 Zusatzhinweise haben, je nachdem, ob bei der Ermittlung des Zeichens (je nach der Form des Orakels) eine Linie als wandelnd („dynamisch“) oder nicht („stabil“) identifiziert wurde. Die 64 Bilder beschreiben also schon 384 Situationen oder geben entsprechende Verhaltensratschläge. Da jedes der 64 Zeichen durch Wandel einer oder mehrerer Linien in alle anderen übergehen kann, gibt es 64 × 64 = 4.096 verschiedene implizite Übergänge oder Möglichkeiten des Umschlagens einer Situation. Diese große Anzahl von verschiedenen möglichen Kombinationen veranlasste die Autoren des I Ging anzunehmen, die möglichen Kombinationen von Symbolen könnten alle Möglichkeiten der Veränderungen und Wandlungen in der Welt darstellen. Die beim Erheben der Zahlenwerte notwendigen umfangreichen Rechenoperationen wurden daher Grundlage einer sich auf dem I Ging aufbauenden Zahlensymbolik.

Die zwei Linien

Historisch ist das I Ging viel älter als die Yin-Yang-Lehre (陰陽いんよう, Yīn Yáng), folgende Zuordnungen für die zwei „Linien“ (りょう, Liǎng Yí) sind jedoch mit der Zeit üblich geworden:

  • Die durchgezogene Linie steht für das yáng (): Ausdehnung, maskuliner Aspekt, Licht, Leben, ungerade Zahlen, Durchdringung, Berge; in Indien der Lingam. Symbol ist der Drache.
  • Die unterbrochene Linie steht für das yīn (かげ): Zusammenziehung, femininer Aspekt, Dunkelheit, Nacht, Tod, gerade Zahlen, Widerstand, Wasserläufe; in Indien die Yoni. Symbol ist der Tiger.

Unterschiedliche Sichtweisen (I):

0 1 00 01 10 11 000 001 010 011 100 101 110 111

Die beiden Linien können als Elemente eines Dualsystems gesehen werden. Bei der (in der unteren Zeile gezeigten) Repräsentierung der Symbole in Unicode entspricht allerdings der durchgezogenen Linie die Binärzahl 0 und der unterbrochenen Linie die Binärzahl 1, komplementär zur eben erwähnten Zuordnung zur Parität.

In seinem erstmals 1925 veröffentlichten Kommentar 'Die Lehren des Laotse' beschreibt Richard Wilhelm den philosophischen Hintergrund wie folgt, wobei mit dem Ausdruck 'Urzeichen' die Trigramme gemeint sind (Richard Wilhelm, 'Laotse. Tao te king. Das Buch vom Weg des Lebens', Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 2. Auflage: Januar 2003; Orig. Eugen Diederichs Verlag, 1910):

„Die Welt ist in stetem Wechsel und Wandel begriffen. Alles was ist, ist eben deshalb dem Tode verfallen: denn Geburt und Tod sind zwar Gegensätze, aber sie sind notwendig aneinander geknüpft. Aber indem alles vergeht, was gewesen ist, ist dennoch kein Grund da zu sagen: »es ist alles ganz eitel«; denn dasselbe Buch der Wandlungen zeigt auch, daß alle Wandlungen nach festen Gesetzen sich vollziehen. Das Buch der Wandlungen enthält die Anschauung, daß die ganze Welt der Erscheinungen auf einem polaren Gegensatz von Kräften beruht; das Schöpferische und das Empfangende, die Eins und die Zwei, das Licht und der Schatten, das Positive und das Negative, das Männliche und das Weibliche, alles sind Erscheinungen der polaren Kräfte, die allen Wechsel und Wandel hervorbringen. Denn diese Kräfte darf man sich nicht als ruhende Urprinzipien vorstellen. Die Anschauung des Buchs der Wandlungen ist weit entfernt von jedem kosmischen Dualismus. Vielmehr sind diese Kräfte selbst in dauerndem Wandel begriffen. Das Eine trennt sich und wird Zwei, die Zwei schließt sich zusammen und wird Eins. Das Schöpferische und das Empfangende vereinigen sich und erzeugen die Welt. So sagt auch Laotse, daß die Eins die Zwei erzeugt, die Zwei erzeugt die Drei, und die Drei erzeugt alle Dinge. Im Buch der Wandlungen ist das dadurch dargestellt, daß die ungeteilte Linie des Schöpferischen und die geteilte Linie des Empfangenden zusammentreten zu den dreistufigen acht Urzeichen, aus deren Kombinationen die ganze Welt der möglichen Zeitkonstellationen sich aufbaut.“

Richard Wilhelm: Laotse Tao te king

Die vier Bilder

Aus den zwei Linien lassen sich vier verschiedene „Bilder“ („Die vier Xiàng“, よんぞう, Sì Xiàng) zusammensetzen. Luft (bzw. Himmel) und Erde sind oben (altes Yang) und unten (altes Yin). Feuer und Wasser befinden sich dazwischen. Feuer hat das Bestreben nach oben zu lodern, deshalb wird es „junges Yang“ genannt. Wasser fließt dagegen nach unten und wird als „junges Yin“ bezeichnet. Die Wandlung erfolgt in einem ewigen Kreislauf: Vom alten Yang (oben) zum jungen Yin (nach unten), zum alten Yin (unten), zum jungen Yang (nach oben), wieder zum alten Yang (oben) und so weiter: →:/:

(U+268C) Luft altes Yang (太陽たいよう, tài yáng)
(U+268D) Feuer junges Yang (しょう, shào yáng)  siehe „Unterschiedliche Sichtweisen“
(U+268E) Wasser  junges Yin (しょうかげ, shào yīn) -"-
(U+268F) Erde altes Yin (太陰たいいん, tài yīn)

Unterschiedliche Sichtweisen (II):

Bild R. Wilhelm M. Granet Unicode Zhu Xi
junges Yang kleines Yin lesser yin しょうかげ
junges Yin kleines Yang lesser yang しょう

Während die Digramme aus zweimal dem gleichen Strich, die als alt, gereift, groß, hart, stark, stabil bezeichnet werden, eindeutig dem Yang bzw. Yin zugeordnet sind, bieten die Quellen keine einheitlichen Bezeichnungen für die beiden Digramme aus zwei verschiedenen Strichen. Im Gegensatz zu den hier zitierten Ansichten aus dem Buch I Ging (Seite 295) von Richard Wilhelm werden sowohl von Unicode, als auch in den Büchern Das chinesische Denken (Seite 141) von Marcel Granet und Zhouyi zhengyi (しゅうえき正義まさよし, Zhōuyì zhèngyì) von Zhu Xi (しゅ, Zhū Xī) die Bezeichnungen konträr zugeordnet. Ebenso sind die Symbolzuordnungen für Feuer und Wasser getauscht.

Die acht Trigramme

Die acht Trigramme
Die acht Trigramme

Durch Hinzufügen jeweils eines Yáng oder Yīn entstehen aus den vier Xiàng acht Trigramme oder „Orakelzeichen“ (八卦はっけ, Bā Guà). Diese geben allerdings nur ein statisches Bild. Erst die Erweiterung zu den 64 Hexagrammen erlaubt es, ein dynamisches Geschehen darzustellen, da hier die Trigramme in Wechselwirkung zueinander stehen. Die Hexagramme werden also jeweils aus zwei Trigrammen zusammengesetzt aufgefasst. Die acht Trigramme sind:

Kraft (いぬい, qián) = Himmel (てん, tiān) Vater
Offen (, duì) = Sumpf (さわ, ) Jüngste Tochter
Strahlung (はなれ, ) = Feuer (, huǒ) Mittlere Tochter
Beben (ふるえ, zhèn) = Donner (かみなり, léi) Ältester Sohn
Boden (たつみ, xùn) = Wind (ふう, fēng) Älteste Tochter
Schlucht (, kǎn) = Wasser (みず, shuǐ) Mittlerer Sohn
Bund (うしとら, gèn) = Berg (やま, shān) Jüngster Sohn
Feld (ひつじさる, kūn) = Erde (, ) Mutter

Das erste oder untere Trigramm eines Hexagramms wird als der innere Aspekt der ablaufenden Veränderung angesehen; das zweite oder obere Trigramm heißt der äußere Aspekt.

Der beschriebene Wechsel verbindet somit den inneren Aspekt (Person) mit der äußeren Situation.

Jedem Trigramm ist, entsprechend den männlichen (durchgezogenen) bzw. weiblichen (unterbrochenen) Linien, eine Position in der Familie zugeordnet. Der Strich, der nur einmal im Trigramm enthalten ist, ist maßgeblich für die Geschlechtszuordnung, die Zuordnung zum Alter erfolgt von unten nach oben. Himmel (Vater) und Erde (Mutter) haben eine Sonderstellung.

Gelesen werden die Hexagramme von unten nach oben, wobei jeweils die sog. Ränge 1–4, 2–5, 3–6 der beiden Trigramme in Verbindung gesehen werden müssen.

Historische Reihenfolgen

1. Gruppe:
2. Gruppe:
3. Gruppe:
4. Gruppe:
5. Gruppe:
6. Gruppe:
7. Gruppe:
8. Gruppe:

Historisch sind mehrere Reihenfolgen der Zeichen aufgetreten. Die älteste Reihenfolge ist die „König Wen-“ oder die „konventionelle“ Reihenfolge, die auf König Wen zurückgeführt wird. Eine andere Reihenfolge wird nach dem mythischen Helden Fu Xi (ふく羲, Fú Xī) benannt, geht aber auf Shao Yong (aus der Zeit der Song-Dynastie) zurück; sie ist so geordnet, dass sich die Zeichen als eine Folge binärer Zahlen ansehen lassen.

Eine dritte Anordnung ist die des Mawangdui-Textes: Es fehlt die Paarbildung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Hexagrammen, außerdem ist die Reihenfolge der Hexagramme völlig anders. Sie sind im Mawangdui I-Ging systematisch geordnet:

In den Hexagrammen jeder Gruppe sind alle acht Trigramme vertreten. Jeweils ein Hexagramm, das aus zwei gleichen Trigrammen besteht – ein sogenanntes Doppelzeichen – führt eine Achtergruppe von Hexagrammen an, wobei das obere Trigramm innerhalb einer Gruppe das gleiche bleibt und das untere Trigramm nach einer bestimmten Abfolge wechselt. Die Abfolge der unteren Trigramme bleibt in allen acht Gruppen bestehen, ist aber von jener der oberen Trigramme verschieden:

  • Reihenfolge der oberen Trigramme (die Anführer der 8 Hexagramm-Gruppen):
    Himmel, Berg, Wasser, Donner, Erde, See, Feuer, Wind
  • Reihenfolge der unteren Trigramme (zyklisch versetzter Beginn):
    Himmel, Erde, Berg, See, Wasser, Feuer, Donner, Wind

Das ergibt als Abfolge:

  • Gruppe: 1. Himmel/Himmel, 2. Erde/Himmel, 3. Berg/Himmel usw.;
  • Gruppe: 9. Berg/Berg; 10. See/Berg, und so fort.

Darstellung der Hexagramme am Computer

Die 64 Hexagramme sind bereits im Unicode-Zeichensatz enthalten, müssen auf unicodefähigen Betriebssystemen (dies sind praktisch alle nach 2000 erschienen Betriebssysteme) also nicht gezeichnet, sondern können wie normaler Text eingegeben werden. Die Hexagramme besitzen die Zeichennummern 4DC0 bis 4DFF.[27]

Kommentare zum I Ging

Im 2. Jahrhundert v. Chr. wurde das I Ging von den Han-Kaisern in den literarischen Kanon aufgenommen und damit Bestandteil des Prüfungssystems für den Staatsdienst.[28] So wurde der Text zum Gegenstand einer verzweigten Kommentartradition, die sich in verschiedene Zweige spaltet.[29]

Es sind über sechzig Kommentare zum I Ging bekannt, wenn auch nicht in allen Fällen überliefert.[30] Autoren solcher Kommentare waren u. a. Zheng Xuan (ていげん, 127–200), Wang Bi (おう, 226–249), Han Kangbo (かんやすしはく, 322–380), Kong Yingda (あな穎達, 574–648), Li Dingzuo (かなえ, Zhouyi jijie しゅうえきしゅうかい), Chén Tuán (ちん, ?–989), Shi Jie (いしかい, 1005–1045), Liu Mu (りゅうまき, 1011–1064), Shao Yong (邵雍, 1011–1077), Hu Yuan (えびす, 993–1059), Ouyang Xiu (おうおさむ, 1007–1072), Zhang Zai (ちょう, 1020–1077), Wang Anshi (おうやすしせき, 1021–1086), Sima Guang (司馬しばひかり, 1019–1086), Su Shi (, 1037–1101), Cheng Yi (ほど, 1033–1107), Lü Dalin (りょだい, 1044–1091) und Zhu Xi (しゅ, 1130–1200, maßgeblicher Kommentar bis zum Jahr 1905).

Die Anzahl der Kommentare war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bis auf fast 1500 angewachsen. Der berühmteste heißt die „Große Abhandlung“ (Dazhuan). Es handelt sich dabei um einen Text wahrscheinlich aus der Han-Zeit, der die Urgeschichte Chinas und die Entwicklung der Kulturtradition beschreibt.[31]

Das I Ging hatte sowohl in der (neo-)konfuzianischen wie in der daoistischen Tradition eine bedeutende Stellung. Im heutigen China wird der Text dagegen kaum mehr in breiteren Kreisen gelesen und gilt als weithin unverständlich.[32] Als Folge der Kulturrevolution (1966–1976) stand und steht die Beschäftigung mit diesem Buch – mit Ausnahme der staatlich beauftragten Wissenschaftler – unter dem Verdacht, antikommunistische Auffassungen zu verbreiten. Mehrere Generationen von Chinesen hatte daher in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Unterschied zu tausenden Generationen früherer Zeiten, keine Berührung mehr mit dieser Literatur.[33]

Rezeption im Westen

Joachim Bouvet übermittelte die vierundsechzig Hexagramme aus China an Leibniz, 1701
Frontispiz der Erstausgabe des Zhouyi (しゅうえき aka I Ging), übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm, Verlag E. Diederichs, 1924

Schon seit dem 17. Jahrhundert war das I Ging in Europa durch die Teilübersetzung von Richard Couplet SJ (Confucius Sinarum philosophus, 1687) bekannt,[34] u. a. Leibniz schätzte es sehr: Er glaubte, seine Erfindung des binären Zahlensystems in dem Text vorweggenommen zu sehen und schloss daraus (fälschlicherweise) auf eine hochentwickelte altchinesische Mathematik.[35] Die erste vollständige lateinische Übersetzung durch den Jesuiten Jean-Baptiste Régis erschien 1834–1839. Das Verdienst, das I Ging einer breiteren Rezeption zugeführt zu haben, kommt aber vor allem dem deutschen Sinologen Richard Wilhelm zu, der seine einflussreiche Übersetzung nach eigenen Angaben mit Hilfe und unter Anleitung seines „verehrten Lehrers Lau Nai Süan“, eines „der bedeutendsten chinesischen Gelehrten der alten Schule“, 1923 vollendete (Veröffentlichung 1924 im Verlag E. Diederichs; vgl. Vorrede zur Erstausgabe von Richard Wilhelm, Peking, 1923). Nicht zuletzt durch Wilhelms Übersetzung, die ihrerseits in andere Sprachen, u. a. ins Englische, übertragen wurde, wurde das I Ging zum bekanntesten aller chinesischen Bücher, das in Millionen von Exemplaren Verbreitung fand. Für die Anfertigung seiner Übersetzung sichtete er umfangreiches Material aus westlichen und chinesischen Quellen, u. a. die Zehn Flügel. In seiner Einleitung zum I Ging (Richard Wilhelm: I Ging. Das Buch der Wandlungen. Eugen Diederichs Verlag, Jena 1924) bemerkt er dazu:

„Nachdem das Buch der Wandlungen aber seinen Ruhm als Wahrsage- und Zauberbuch unter Tsin Schï Huang bestätigt hatte, machte sich während der Tsin- und Handynastie die ganze Schule der Zauberer (Fang Schï) darüber her, und die wahrscheinlich durch Dsou Yen aufgekommene, später von Dung Dschung Schu und Liu Hin und Liu Hiang gepflegte Yin-Yang-Lehre feierte ihre Orgien bei der Erklärung des Buchs der Wandlungen. Dem großen und weisen Gelehrten Wang Bi war es vorbehalten, mit diesem Wust aufzuräumen. Er schrieb über den Sinn des Buchs der Wandlungen als Weisheitsbuch und nicht als Orakelbuch. Bald fand er Nachahmung, und anstatt der Zauberlehren der Yin-Yang-Lehrer schloß sich nun immer mehr die aufkommende Staatsphilosophie an das Buch an. In der Sungzeit wurde das Buch als Unterlage für die – wahrscheinlich nicht chinesische – Tai-Gi-Tu-Spekulation benützt, bis der ältere Tschong Dsï einen sehr guten Kommentar zu dem Buch schrieb, dessen in den «Flügeln» enthaltene alte Kommentare man unter die einzelnen Zeichen aufzuteilen sich gewöhnt hatte. So war das Buch allmählich ganz zum Lehrbuch der Staats- und Lebensweisheit geworden. Da suchte ihm Dschu Hi doch auch wieder seinen Charakter als Orakelbuch zu wahren und veröffentlichte außer einem kurzen und präzisen Kommentar auch eine Einführung in seine Studien über das Wahrsagen. Die kritische, historische Richtung während der letzten Dynastie nahm sich auch des Buchs der Wandlungen an, hatte aber in ihrer Opposition gegen die Sunggelehrten und ihrem Hervorsuchen der zeitlich der Abfassung des Buchs der Wandlungen näher stehenden Hankommentatoren weniger Glück als in ihrer Behandlung der übrigen Klassiker. Denn die Hankommentatoren waren eben doch letzten Endes Zauberer oder von Zaubereiideen beeinflußt. Eine sehr gute Ausgabe wurde unter Kanghi veranstaltet unter dem Titel: Dschou I Dsche Dschung, die Text und Flügel gesondert bringt und außerdem die besten Kommentare aller Zeiten. Diese Ausgabe ist der vorliegenden Übersetzung zugrunde gelegt.“

Richard Wilhelm: I Ging

Für die westliche Rezeption außerhalb der modernen Sinologie, die sich in vielen Punkten der Auffassung des moderneren China über den Daoismus anschließt, ist bis in die neueste Zeit charakteristisch, dass sie nicht nur die jahrhundertelange chinesische Kommentartradition aufgreift, sondern unmittelbare Zugänge zum Text sucht, die oft auf von den modernen Verfassern unterstellte Eigenarten des altchinesischen Denkens rekurrieren.[36]

Nach Auffassung des Sinologen Hellmut Wilhelm, der Lehrstühle an der Peking-Universität[37] und an der University of Washington[38] innehatte, ist die im I Ging beschriebene Welt ein nach bestimmten Gesetzen ablaufendes Ganzes, dessen Formen aus der permanenten Wandlung der beiden polaren Urkräfte entstehen. Die Grundprinzipien sind das Schöpferische (Bild Nr. 1, = Himmel, Licht, Festes, yang, …) und das Empfangende (Bild Nr. 2, = Erde, Dunkel, Weiches, yin, …). Im I Ging ist „eine Zusammenordnung der Situationen des Lebens in all seinen Schichten, persönlichen sowohl wie kollektiven, und in all seiner Ausbreitung versucht.“.[39]

Der Schweizer Komponist Alfons Karl Zwicker komponierte „Secretum“ (2006–2007, acht Stücke nach den Urzeichen des I Ging für Violoncello und Kontrabass). Nachdem John Cage das I Ging kennengelernt hatte, schuf er „Music of Changes“ (1951) und weitere Werke, die auf dem Zufallsverfahren, ähnlich dem Orakel, basieren. Auf dem von der britischen Rockgruppe Pink Floyd 1967 veröffentlichten Album The Piper at the Gates of Dawn befindet sich ein Song mit Namen Chapter 24, der Textbausteine der Übersetzungen von Richard Wilhelm (ins Englische übersetzt von Cary F. Baynes) und James Legge beinhaltet. Außerdem wird auch in der 1962 erschienenen Dystopie „The Man in the High Castle[40] von Philip K. Dick Bezug auf das I Ging genommen. Die hintere Umschlagseite des I Ging, Diederichs Gelbe Reihe, zeigt ein ins Deutsche übersetztes Zitat von Bob Dylan: "Du mußt unbedingt das I Ging lesen. Ich will nicht darüber reden, nur so viel: Es ist das Einzige, was phantastisch wahr ist. Du liest es, und du weißt einfach, dass es wahr ist. Es ist etwas, an das man glauben kann." I Ging, übersetzt von Richard Wilhelm Diederichs Gelbe Reihe Diederichs Verlag Sonderausgabe Heinrich Hugendubel Verlag, 2001 ISBN 3-7205-2218-0 Dies stellt eine auszugsweise Übersetzung eines Interviews dar, welches Joseph Haas führte: "Bob Dylan Talking by Joseph Haas" Published in Chicago Daily News 27 Nov 1965 https://www.interferenza.com/bcs/interw/65-nov26.htm (Q: What about religion and philosophy?), ebenfalls veröffentlicht in "Retrospective" ed. by Craig McGregorAngus & Robertson, 1980, c1972, 237p. ISBN 0207143528 Zusammenfassung: 'It's an old Chinese philosophy and religion, it really was one . . . there is a book called the "I-Ching", I'm not trying to push it, I don't want to talk about it, but it's the only thing that is amazingly true, period, not just for me.'

Der mit Richard Wilhelm freundschaftlich verbundene Carl Gustav Jung, einer der Wegbereiter der modernen Tiefenpsychologie und Begründer der Analytischen Psychologie, schätzte das I Ging sehr und sah darin eine Möglichkeit des Zugangs zum Unbewussten. Jung verwendete den Begriff synchronistisches Prinzip öffentlich erstmals 1930 in seinem Nachruf auf den Freund (C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 15: Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft, Auflage 2001, Walter Verlag, ISBN 978-3-530-40715-0):

„Die Wissenschaft des I Ging beruht nämlich nicht auf dem Kausalprinzip, sondern auf einem bisher nicht benannten – weil bei uns nicht vorkommenden – Prinzip, das ich versuchsweise als synchronistisches Prinzip bezeichnet habe.“

Carl Gustav Jung: Nachruf auf Richard Wilhelm

In seinem Vorwort zu The I Ching, or Book of Changes in englischer Sprache (Wilhelm-Baynes, Pantheon Books, New York, 1950) bringt C.G. Jung sein tiefempfundenes Dankgefühl gegenüber R. Wilhelm zum Ausdruck, wobei er den für seine Arbeit wichtigen Zusammenhang des Unbewussten mit dem Orakel des I Ging hervorhebt:

“I am greatly indebted to Wilhelm for the light he has thrown upon the complicated problem of the I Ching, and for insight as regards its practical application as well. For more than thirty years I have interested myself in this oracle technique, or method of exploring the unconscious, for it has seemed to me of uncommon significance. I was already fairly familiar with the I Ching when I first met Wilhelm in the early nineteen twenties; he confirmed for me then what I already knew, and taught me many things more.”

„Ich stehe tief in Wilhelms Schuld, weil er auf die komplizierten Probleme des I Ching Licht geworfen hat, und auch für Einsichten im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung [des I Ching]. Mehr als dreißig Jahre habe ich mich für diese Orakeltechnik – oder auch Methode zur Erforschung des Unbewussten – interessiert, da sie mir von äußerster Bedeutung schien. Als ich Richard Wilhelm in den frühen Zwanzigerjahren zum ersten Mal traf, war ich mit dem I Ching schon ganz gut vertraut; er bestätigte mir dann, was ich schon wusste, und hat mich viele Dinge mehr gelehrt.“

Carl Gustav Jung: Foreword to the I Ching

Übersetzungen

  • John Blofeld (Hrsg.): I Ging. Das Buch der Wandlungen. Mit einem Vorwort von Lama Anagarika Govinda. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Dehne und Stephan Schumacher. Barth, München 1983.
  • James Legge: I Ching: Book of Changes. With introduction and study guide by Ch'u Chai and Winberg Chai. Citadel Press, New York 1964. Reprint of 1899 century translation.[41]
  • Dennis R. Schilling: Yijing. Das Buch der Wandlungen. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, ISBN 978-3-458-70016-6.
  • Richard Wilhelm: I Ging. Das Buch der Wandlungen. Eugen Diederichs Verlag, Jena 1924; neu herausgegeben von Ulf Diederichs. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2005, ISBN 3-424-00061-2.

Literatur

  • Youlan Feng (Fung Yu-lan): A History of Chinese Philosophy. Volume I. Princeton 1983 (1. Auflage 1934, englisch)
  • Hermann G. Bohn: Die Rezeption des Zhouyi in der chinesischen Philosophie, von den Anfängen bis zur Song-Dynastie. München 1998, ISBN 3-89675-282-0.
  • Lars Bo Christensen: The Book of Changes – The original Core of the I Ching. Amazon Create Space 2015. (Die erste Übersetzung der ursprünglichen Kerntexte mit einem vollen Glossar). ISBN 978-87-997976-1-5. (englisch)
  • Dominique Hertzer: Das Mawangdui-Yijing. Text und Deutung. Diederichs, München 1996, ISBN 3-424-01307-2.
  • Tze-Ki Hon: The Yijing and Chinese Politics. Classical Commentary and Literati Activism in the Northern Song Period, 960-1127. State University of New York Press, Albany, NY., 2005.
  • Richard A. Kunst: The Original Yijing: A Text, Phonetic Transcription, Translation, and Indexes, with Sample Glosses. Berkeley, CA. 1985 (englisch, Dissertation, University of California, Berkeley (UCB)).
  • Edward L. Shaughnessy: The Composition of the Zhou Yi. Stanford 1983, ISBN 978-0-231-16184-8 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Ph. D. Dissertation, Stanford University, California).
  • Edward L. Shaughnessy: I Ching (Chou I). In: Michael Loewe (Hrsg.): Early Chinese Texts: A Bibliographical Guide. Society for the Study of Early China, and the Institute of East Asian Studies, University of California, Berkeley 1993. (= Early China Special Monograph Series; 2.) S. 216–228. (englisch)
  • Edward L. Shaughnessy: Unearthing the Changes. Recently Discovered Manuscripts of the Yi Jing (I Ching) and Related Texts, illustrated Edition. Neue Auflage. Columbia University Press, New York 2014, ISBN 978-0-231-16184-8 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Iulian K. Shchutskii: Researches on the I Ching. Translation by William L. MacDonald Tsuyoshi Hasegawa, and Hellmut Wilhelm. Princeton Univ. Pr., Princeton, NJ, 1979. (englisch)
  • Hellmut Wilhelm: Die Wandlung. Acht Essays zum I Ging. 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-37646-2.

Weblinks

Commons: I Ging – Die Hexagramme im SVG-Format

Einzelnachweise

  1. Weitere historische Schreibweisen sind z. B. Wade-Giles: I-Ching, EFEO: Yi-King, Stange: Yi-King.
  2. Edward L. Shaughnessy, The Composition of the Zhou Yi, Ph. D. Dissertation, Stanford University, Stanford, 1983, S. 49 (englisch)
  3. Dennis Schilling, Yijjing, Das Buch der Wandlungen, Frankfurt am Main und Leipzig, 2009, S. 257
  4. vgl. Shaughnessy 1983, S. 248
  5. Dennis Schilling, Yi Jing, Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main und Leipzig, 2009, S. 256f
  6. Schilling, 2009
  7. Schilling, 2009, S. 270
  8. Shaughnessy, 1983, S. 309
  9. Shaughnessy 1983, S. 312
  10. Shaughnessy, 1983, S. 48
  11. Schilling, 2009, S. 294
  12. Schilling, 2009, S. 374
  13. Schilling, 2009, S. 254
  14. Schilling, 2009, S. 254.
  15. Schilling, 2009, S. 376 f
  16. Lutz Geldsetzer und Hong Han Ding Grundlagen der chinesischen Philosophie. Stuttgart 1998, S. 178.
  17. Schilling, 2009, S. 257
  18. Schilling, 2009, S. 254
  19. Schilling, 2009, S. 257
  20. Edward L. Shaughnessy: The Fuyang Zhou Yi and the Making of a Divination Manual [1]
  21. die Bambustexte von Chu und die Guodian-Bambustexte
  22. Edward L. Shaughnessy: I Ching. The Classic of Changes translated with an introduction and commentary. The first English translation of the newly discovered second century BC Mawangdui texts. Ballantyne Books, New York 1997. Vgl. Richard Rutt: Opening a New Field for Dragons. Edward L. Shaughnessy’s Mawangdui Yijing – a Review Article. In: The Oracle. Journal of Yijing Studies 2 (1999), S. 38–47 [2]
  23. Schilling, 2009, S. 381
  24. Shaughnessy 1983, S. 105
  25. Schilling, 2009, S. 371
  26. Schilling, 2009, S. 365f
  27. The Unicode Standard 6.0, Range 4DC0–4DFF: Yijing Hexagram Symbols. (PDF; 82 kB) In: unicode.org. Unicode-Konsortium, abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).
  28. Schilling (2009), S. 255.
  29. Bohn (1998); Hon (2005).
  30. Song shi, juan 202, 5035–5040. Vgl. Hon 2005, S. 5.
  31. Helwig Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur: von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999, S. 60.
  32. Bohn (1998), S. 1.
  33. Vgl. Robert E. Van Voorst: RELG:World. Stanford 2015, S. 162.
  34. Richard J. Smith: Jesuit Interpretations of the Yijing in Historical and Comparative Perspective (Memento vom 16. Januar 2012 im Internet Archive; PDF). In: International Journal of the Humanities 1 (2003), S. 776–801.
  35. David E. Mungello: How Central to Leibniz’s Philosophy was China? In: Das Neueste über China. G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697. Hrsg. von Wenchao Li und Hans Poser. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1999 (= Studia Leibnitiana Supplementa; 33.) S. 57–67, hier: S. 59f.
  36. Siehe Bohn (1998), Einleitung.
  37. Hellmut Wilhelm, Memories and Bibliography", Oriens Extremus 35 (Wiesbaden: Harrassowitz & Co: 1992)
  38. Archivlink (Memento vom 30. Oktober 2007 im Internet Archive)
  39. Wilhelm, Hellmut (1955): Sinn des I Ging. München. Hier S. 7.
  40. deutsch: „Das Orakel vom Berge“.
  41. James Legge: The I Ching – The Sacred Book of China – Tran slated by James Legge – Second Edition. (PDF; 18,5 MB) The I Ching – The Sacred Book of the East – translated by various Oriental scholars and edited by F. Max Muller Vol. XVI. In: biroco.com. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. Juni 2019; abgerufen am 20. Juni 2023 (englisch).