„Kapitalflucht“ – Versionsunterschied

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Als Kapitalvermögen dienen die verschiedenen Formen wie [[Geld]], [[Edelmetall]]e, [[Immobilie]]n, [[Wertpapier]]e, [[Sachwert]]e oder sonstiges [[Vermögen (Wirtschaft)|Vermögen]].
Als Kapitalvermögen dienen die verschiedenen Formen wie [[Geld]], [[Edelmetall]]e, [[Immobilie]]n, [[Wertpapier]]e, [[Sachwert]]e oder sonstiges [[Vermögen (Wirtschaft)|Vermögen]].

== Ursachen ==
== Ursachen ==
Als Hauptursachen werden angeführt:<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317; ISBN 3-409303839</ref>
Als Hauptursachen werden angeführt:<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317; ISBN 3-409303839</ref>
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* Erwartete oder fortschreitende [[Inflation]] ([[Hyperinflation]]) der Inlandswährung oder deren drohende [[Abwertung (Währung)|Abwertung]].
* Erwartete oder fortschreitende [[Inflation]] ([[Hyperinflation]]) der Inlandswährung oder deren drohende [[Abwertung (Währung)|Abwertung]].
* Kriminelle Aktivitäten wie [[Geldwäsche]] oder [[Hawala]]. Sie können eine Kapitalflucht verschleiern oder fördern.
* Kriminelle Aktivitäten wie [[Geldwäsche]] oder [[Hawala]]. Sie können eine Kapitalflucht verschleiern oder fördern.
Zur Kapitalflucht gehört auch, wenn [[Exporteur]]e ihre Exporterlöse nicht mehr ins Inland transferieren, sondern im Ausland belassen. Ziel der Kapitalflucht sind [[Hartwährungsland|Hartwährungsländer]] wie die [[Schweiz]] oder Länder ohne besondere Kapitalverkehrskontrollen, Herkunftsländer sind überwiegend [[Weichwährungsland|Weichwährungsländer]].
Zur Kapitalflucht gehört auch, wenn [[Exporteur]]e ihre Exporterlöse nicht mehr ins Inland transferieren, sondern im Ausland belassen. Ziel der Kapitalflucht sind [[Hartwährungsland|Hartwährungsländer]] wie die [[Schweiz]] oder Länder ohne besondere Kapitalverkehrskontrollen, Herkunftsländer sind überwiegend [[Weichwährungsland|Weichwährungsländer]].


Auch [[Standortfaktor]]en können zur Kapitalflucht beitragen. Dazu gehören beispielsweise die [[Verkehrsinfrastruktur]], die [[Kommunikation]]sinfrastruktur, das [[Rechtsordnung|Rechtssystem]], das [[Währungssystem]], das [[Bankensystem]], die [[Nachfrage]] potentieller Käufer von Waren ([[Wachstumsmarkt]], [[Zukunftsmarkt]]), [[Preisniveau]], [[Zinsniveau]], [[Arbeitskosten]] oder die [[Qualifikation (Personalwesen)|Qualifikation]] der [[Arbeitskraft|Arbeitskräfte]]. Auch der [[internationaler Steuerwettbewerb|internationale Steuerwettbewerb]] kann Motiv für eine Kapitalflucht sein.
Auch [[Standortfaktor]]en können zur Kapitalflucht beitragen. Dazu gehören beispielsweise die [[Verkehrsinfrastruktur]], die [[Kommunikation]]sinfrastruktur, das [[Rechtsordnung|Rechtssystem]], das [[Währungssystem]], das [[Bankensystem]], die [[Nachfrage]] potentieller Käufer von Waren ([[Wachstumsmarkt]], [[Zukunftsmarkt]]), [[Preisniveau]], [[Zinsniveau]], [[Arbeitskosten]] oder die [[Qualifikation (Personalwesen)|Qualifikation]] der [[Arbeitskraft|Arbeitskräfte]]. Auch der [[internationaler Steuerwettbewerb|internationale Steuerwettbewerb]] kann Motiv für eine Kapitalflucht sein.

== Geschichte ==
== Geschichte ==
Die hohen [[Reparationszahlung]]en [[Deutschland]]s nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] konnten durch Exportüberschüsse nicht finanziert werden.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 33; ISBN 978-3492054379</ref> Zudem war der deutsche [[Kapitalmarkt]] durch die Hyperinflation „nicht in der Lage, die Mittel bereitzustellen, die für die [[Investition]]en in der [[Industrie]] und die Modernisierung der [[Infrastruktur]] benötigt wurden.“<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 32</ref> Nach der [[Währungsreform 1923]] besaß Deutschland eine stabile Währung, bot ein hohes [[Zinsniveau]] und [[Wirtschaftswachstum]], so dass ausländische [[Kreditgeber]] sichere [[Zinsertrag|Zinsgewinne]] erwarteten konnten. Ab 1929 schürten unterschiedliche Ereignisse ausländische und deutsche [[Anleger (Finanzmarkt)|Anleger]] die Erwartung, dass Deutschland auf einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerte. Die [[Weltwirtschaftskrise]] ab Oktober 1929 hatte sich „entgegen vieler Prognosen nicht als kurzes reinigendes Gewitter“ erwiesen.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 31</ref> In Deutschland fand die Kapitalflucht während der anschließenden [[Deutsche Bankenkrise|deutschen Bankenkrise]] ab Juni 1931 in großem Umfang statt und wurde mit einer ''Kapitalfluchtsteuer'', Zahlungsmoratorium und Devisenbewirtschaftung bekämpft.<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317</ref>
Die hohen [[Reparationszahlung]]en [[Deutschland]]s nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] konnten durch Exportüberschüsse nicht finanziert werden.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 33; ISBN 978-3492054379</ref> Zudem war der deutsche [[Kapitalmarkt]] durch die Hyperinflation „nicht in der Lage, die Mittel bereitzustellen, die für die [[Investition]]en in der [[Industrie]] und die Modernisierung der [[Infrastruktur]] benötigt wurden.“<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 32</ref> Nach der [[Währungsreform 1923]] besaß Deutschland eine stabile Währung, bot ein hohes [[Zinsniveau]] und [[Wirtschaftswachstum]], so dass ausländische [[Kreditgeber]] sichere [[Zinsertrag|Zinsgewinne]] erwarteten konnten. Ab 1929 schürten unterschiedliche Ereignisse ausländische und deutsche [[Anleger (Finanzmarkt)|Anleger]] die Erwartung, dass Deutschland auf einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerte. Die [[Weltwirtschaftskrise]] ab Oktober 1929 hatte sich „entgegen vieler Prognosen nicht als kurzes reinigendes Gewitter“ erwiesen.<ref>Johannes Bähr/Bernd Rudolph, ''Finanzkrisen 1931'', 2011, S. 31</ref> In Deutschland fand die Kapitalflucht während der anschließenden [[Deutsche Bankenkrise|deutschen Bankenkrise]] ab Juni 1931 in großem Umfang statt und wurde mit einer ''Kapitalfluchtsteuer'', Zahlungsmoratorium und Devisenbewirtschaftung bekämpft.<ref>Verlag Th. Gabler (Hrsg.), ''Gabler Wirtschafts-Lexikon'', Band 3, 1984, Sp. 2317</ref>


Die Kapitalflucht aus den [[Hochverschuldete Entwicklungsländer|Schuldnerländern]] ist ein wesentlicher Faktor der [[Lateinamerikanische Schuldenkrise|lateinamerikanischen Schuldenkrise]] ab August 1980.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Internationale_W%C3%A4hrungsprobleme/wh7QBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA143&printsec=frontcover Peter Czada/Michael Tolksdorf, ''Internationale Währungsprobleme'', 1989, S. 143 f.]</ref> Die wirtschaftliche Lage (Hyperinflationsraten, negative [[Realzins]]en, Überbewertung und Abwertungsverdacht der Inlandswährung) verschlechterte sich dramatisch. Insgesamt 25 Großschuldnerländer hatten zwischen 1970 und 1983 schätzungsweise 183 Mrd. US-Dollar, also 31 % der [[Nettokreditaufnahme]], als Kapitalflucht zu verzeichnen.<ref>Dieter Duwendag, ''Kapitalflucht aus Entwicklungsländern'', in: Armin Gutowski (Hrsg.), ''Die internationale Schuldenkrise'', 1986, S. 224 f.; ISBN 978-3428059720</ref>
Die Kapitalflucht aus den [[Hochverschuldete Entwicklungsländer|Schuldnerländern]] ist ein wesentlicher Faktor der [[Lateinamerikanische Schuldenkrise|lateinamerikanischen Schuldenkrise]] ab August 1980.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Internationale_W%C3%A4hrungsprobleme/wh7QBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA143&printsec=frontcover Peter Czada/Michael Tolksdorf, ''Internationale Währungsprobleme'', 1989, S. 143 f.]</ref> Die wirtschaftliche Lage (Hyperinflationsraten, negative [[Realzins]]en, Überbewertung und Abwertungsverdacht der Inlandswährung) verschlechterte sich dramatisch. Insgesamt 25 Großschuldnerländer hatten zwischen 1970 und 1983 schätzungsweise 183 Mrd. US-Dollar, also 31 % der [[Nettokreditaufnahme]], als Kapitalflucht zu verzeichnen.<ref>Dieter Duwendag, ''Kapitalflucht aus Entwicklungsländern'', in: Armin Gutowski (Hrsg.), ''Die internationale Schuldenkrise'', 1986, S. 224 f.; ISBN 978-3428059720</ref>


Ob die Einführung der [[Quellensteuer]]/[[Zinsabschlagsteuer]] auf [[Kapitalertrag|Kapitalerträge]] im Januar 1993 in Deutschland als Folge einer Kapitalflucht (überwiegend nach [[Luxemburg]]) eingeordnet werden kann, ist umstritten, zumal Renditegründe das Motiv waren.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handw%C3%B6rterbuch_Arbeitsbeziehungen_in_de/R9nOBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA319&printsec=frontcover Thomas Breisig, ''Handwörterbuch Arbeitsbeziehungen in der EG'', 1993, S. 319]</ref> Die illegal unversteuert gebliebenen Kapitalerträge waren höher als die durch Zinsabschlagsteuer zu versteuernden.
Ob die Einführung der [[Quellensteuer]]/[[Zinsabschlagsteuer]] auf [[Kapitalertrag|Kapitalerträge]] im Januar 1993 in Deutschland als Folge einer Kapitalflucht (überwiegend nach [[Luxemburg]]) eingeordnet werden kann, ist umstritten, zumal Renditegründe das Motiv waren.<ref>[https://www.google.de/books/edition/Handw%C3%B6rterbuch_Arbeitsbeziehungen_in_de/R9nOBgAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=kapitalflucht&pg=PA319&printsec=frontcover Thomas Breisig, ''Handwörterbuch Arbeitsbeziehungen in der EG'', 1993, S. 319]</ref> Die illegal unversteuert gebliebenen Kapitalerträge waren höher als die durch Zinsabschlagsteuer zu versteuernden.

Die Kapitalflucht aus [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]] wurde 2008 auf bis zu 1 Mrd. US-Dollar jährlich beziffert.<ref>Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, ''Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006'', in: Global Financial Integrity, Dezember 2008, S. 1 ff.</ref> Im Vorfeld des [[Brexit]] fand seit Juni 2016 eine Kapitalflucht von schätzungsweise 2 Mrd. £ statt.<ref>Ed Conway/[[Sky News]] vom 7. Juni 2016, ''EU: Osborne Warning Over Capital Flight Cost''</ref>
Die Kapitalflucht aus [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]] wurde 2008 auf bis zu 1 Mrd. US-Dollar jährlich beziffert.<ref>Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, ''Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006'', in: Global Financial Integrity, Dezember 2008, S. 1 ff.</ref> Im Vorfeld des [[Brexit]] fand seit Juni 2016 eine Kapitalflucht von schätzungsweise 2 Mrd. £ statt.<ref>Ed Conway/[[Sky News]] vom 7. Juni 2016, ''EU: Osborne Warning Over Capital Flight Cost''</ref>


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Kapitalflucht <math>Kf</math> wird anhand [[volkswirtschaftliche Kennzahl|volkswirtschaftlicher Kennzahlen]] definiert als die Summe der Bruttokapitalimporte <math>KI_b</math> und des [[Leistungsbilanzdefizit]]s <math>LBD</math>, abzüglich der Zunahme der [[Währungsreserve]]n <math>W_R</math>:<ref>[[JPMorgan Chase|Morgan Guaranty Trust Company of New York]] (Hrsg.), ''World Financial Markets'', März 1986, S. 13 ff.</ref>
Kapitalflucht <math>Kf</math> wird anhand [[volkswirtschaftliche Kennzahl|volkswirtschaftlicher Kennzahlen]] definiert als die Summe der Bruttokapitalimporte <math>KI_b</math> und des [[Leistungsbilanzdefizit]]s <math>LBD</math>, abzüglich der Zunahme der [[Währungsreserve]]n <math>W_R</math>:<ref>[[JPMorgan Chase|Morgan Guaranty Trust Company of New York]] (Hrsg.), ''World Financial Markets'', März 1986, S. 13 ff.</ref>
:<math>Kf = KI_b + LBD-W_R</math>.
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Dabei ist <math>KI_b</math> definiert als Veränderungen der staatlichen und privaten Bruttoauslandsschulden zuzüglich der Netto-Direktinvestitionen des Auslands.
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== Wirtschaftliche Aspekte ==
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Häufige Auslöser der Kapitalflucht waren [[Bankenkrise]]n, [[Finanzkrise]]n oder [[Wirtschaftskrise]]n.
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Kapitalflucht führt zu allokativen und distributiven Verzerrungen im Staat, der unter Kapitalflucht leidet.<ref>Thomas Plümper, ''Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen'', 1996, S. 180</ref> Erstere äußern sich in höheren [[Volatilität]]en der [[Wechselkurs]]e und [[Geldmangel|Kapitalmangel]], letztere können sich in einer Verringerung der [[Steueraufkommen|Steuerbasis]] zeigen. Die Währungsreserven sinken im Kapitalfluchtland, wenn das fliehende Kapital in [[Fremdwährung]] getauscht wird. Das fliehende Kapital führt zu inländischem Kapitalmangel, so dass [[Investition]]en nicht mehr stattfinden können. Langfristig verschlechtert sich die [[Staatsverschuldung]] des von der Kapitalflucht betroffenen Landes; mit anderen Worten: die staatliche [[Neuverschuldung]] dient hauptsächlich der [[Finanzierung]] der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht wird durch [[Globalisierung]] und [[organisierte Kriminalität]] begünstigt.<ref>Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), ''Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie'', 2013, S. 170</ref>
Kapitalflucht führt zu allokativen und distributiven Verzerrungen im Staat, der unter Kapitalflucht leidet.<ref>Thomas Plümper, ''Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen'', 1996, S. 180</ref> Erstere äußern sich in höheren [[Volatilität]]en der [[Wechselkurs]]e und [[Geldmangel|Kapitalmangel]], letztere können sich in einer Verringerung der [[Steueraufkommen|Steuerbasis]] zeigen. Die Währungsreserven sinken im Kapitalfluchtland, wenn das fliehende Kapital in [[Fremdwährung]] getauscht wird. Das fliehende Kapital führt zu inländischem Kapitalmangel, so dass [[Investition]]en nicht mehr stattfinden können. Langfristig verschlechtert sich die [[Staatsverschuldung]] des von der Kapitalflucht betroffenen Landes; mit anderen Worten: die staatliche [[Neuverschuldung]] dient hauptsächlich der [[Finanzierung]] der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht wird durch [[Globalisierung]] und [[organisierte Kriminalität]] begünstigt.<ref>Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), ''Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie'', 2013, S. 170</ref>


== Abgrenzung ==
== Abgrenzung ==
Als „[[Hot money]]“ ({{deS|„heißes Geld“}}) wird [[Kapital]] bezeichnet, das aus Spekulationsgründen auf den [[Geldmarkt|Geld-]] oder [[Devisenmarkt|Devisenmärkten]] kurzfristig aus einem Land in ein anderes verlagert wird. Volkswirtschaftliche Bedeutung erzielen diese Gelder vor allem, wenn sie ebenso kurzfristig abgezogen werden und krisenverstärkend wirken können.<ref>[http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS22921.pdf Michael F. Martin/Wayne M. Morrison, ''China’s „Hot Money“ Problems'', in: 'CRS Report for Congress, 21. Juli 2008', S. 1 f.]</ref> Das dem „Hot Money“ innewohnende [[John Maynard Keynes#Nachfrage nach liquiden Mitteln (Kassenhaltung)|Spekulationsmotiv]] schließt eine Einordnung als Kapitalflucht aus.
Als „[[Hot money]]“ ({{deS|„heißes Geld“}}) wird [[Kapital]] bezeichnet, das aus Spekulationsgründen auf den [[Geldmarkt|Geld-]] oder [[Devisenmarkt|Devisenmärkten]] kurzfristig aus einem Land in ein anderes verlagert wird. Volkswirtschaftliche Bedeutung erzielen diese Gelder vor allem, wenn sie ebenso kurzfristig abgezogen werden und krisenverstärkend wirken können.<ref>[https://sgp.fas.org/crs/row/RS22921.pdf Michael F. Martin/Wayne M. Morrison, ''China’s „Hot Money“ Problems'', in: 'CRS Report for Congress, 21. Juli 2008', S. 1 f.]</ref> Das dem „Hot Money“ innewohnende [[John Maynard Keynes#Nachfrage nach liquiden Mitteln (Kassenhaltung)|Spekulationsmotiv]] schließt eine Einordnung als Kapitalflucht aus.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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[[Kategorie:Finanzmarkt]]
[[Kategorie:Finanzmarkt]]

Aktuelle Version vom 22. November 2023, 18:57 Uhr

Als Kapitalflucht (englisch capital flight) wird in der Wirtschaft der Kapitalexport von Kapitalvermögen in das Ausland wegen politischer und/oder wirtschaftlicher Risiken im Inland bezeichnet.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Kapitaltransfer beruht deshalb bei der Kapitalflucht nicht primär auf Renditeüberlegungen oder Spekulation, sondern auf Sicherheitsmotiven.[1] Nicht zur Kapitalflucht gehören ferner normale Kapitalbewegungen wie etwa ausländische Direktinvestitionen.[2] Genau dies erschwert die Abgrenzung der Kapitalflucht von üblichen Kapitalexporten. Kapitalflucht setzt Kapitalverkehrsfreiheit und Kapitalmobilität voraus.

Als Kapitalvermögen dienen die verschiedenen Formen wie Geld, Edelmetalle, Immobilien, Wertpapiere, Sachwerte oder sonstiges Vermögen.

Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Hauptursachen werden angeführt:[3]

Zur Kapitalflucht gehört auch, wenn Exporteure ihre Exporterlöse nicht mehr ins Inland transferieren, sondern im Ausland belassen. Ziel der Kapitalflucht sind Hartwährungsländer wie die Schweiz oder Länder ohne besondere Kapitalverkehrskontrollen, Herkunftsländer sind überwiegend Weichwährungsländer.

Auch Standortfaktoren können zur Kapitalflucht beitragen. Dazu gehören beispielsweise die Verkehrsinfrastruktur, die Kommunikationsinfrastruktur, das Rechtssystem, das Währungssystem, das Bankensystem, die Nachfrage potentieller Käufer von Waren (Wachstumsmarkt, Zukunftsmarkt), Preisniveau, Zinsniveau, Arbeitskosten oder die Qualifikation der Arbeitskräfte. Auch der internationale Steuerwettbewerb kann Motiv für eine Kapitalflucht sein.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die hohen Reparationszahlungen Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg konnten durch Exportüberschüsse nicht finanziert werden.[4] Zudem war der deutsche Kapitalmarkt durch die Hyperinflation „nicht in der Lage, die Mittel bereitzustellen, die für die Investitionen in der Industrie und die Modernisierung der Infrastruktur benötigt wurden.“[5] Nach der Währungsreform 1923 besaß Deutschland eine stabile Währung, bot ein hohes Zinsniveau und Wirtschaftswachstum, so dass ausländische Kreditgeber sichere Zinsgewinne erwarteten konnten. Ab 1929 schürten unterschiedliche Ereignisse ausländische und deutsche Anleger die Erwartung, dass Deutschland auf einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerte. Die Weltwirtschaftskrise ab Oktober 1929 hatte sich „entgegen vieler Prognosen nicht als kurzes reinigendes Gewitter“ erwiesen.[6] In Deutschland fand die Kapitalflucht während der anschließenden deutschen Bankenkrise ab Juni 1931 in großem Umfang statt und wurde mit einer Kapitalfluchtsteuer, Zahlungsmoratorium und Devisenbewirtschaftung bekämpft.[7]

Die Kapitalflucht aus den Schuldnerländern ist ein wesentlicher Faktor der lateinamerikanischen Schuldenkrise ab August 1980.[8] Die wirtschaftliche Lage (Hyperinflationsraten, negative Realzinsen, Überbewertung und Abwertungsverdacht der Inlandswährung) verschlechterte sich dramatisch. Insgesamt 25 Großschuldnerländer hatten zwischen 1970 und 1983 schätzungsweise 183 Mrd. US-Dollar, also 31 % der Nettokreditaufnahme, als Kapitalflucht zu verzeichnen.[9]

Ob die Einführung der Quellensteuer/Zinsabschlagsteuer auf Kapitalerträge im Januar 1993 in Deutschland als Folge einer Kapitalflucht (überwiegend nach Luxemburg) eingeordnet werden kann, ist umstritten, zumal Renditegründe das Motiv waren.[10] Die illegal unversteuert gebliebenen Kapitalerträge waren höher als die durch Zinsabschlagsteuer zu versteuernden.

Die Kapitalflucht aus Entwicklungsländern wurde 2008 auf bis zu 1 Mrd. US-Dollar jährlich beziffert.[11] Im Vorfeld des Brexit fand seit Juni 2016 eine Kapitalflucht von schätzungsweise 2 Mrd. £ statt.[12]

Volkswirtschaftslehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kapitalflucht wird anhand volkswirtschaftlicher Kennzahlen definiert als die Summe der Bruttokapitalimporte und des Leistungsbilanzdefizits , abzüglich der Zunahme der Währungsreserven :[13]

.

Dabei ist definiert als Veränderungen der staatlichen und privaten Bruttoauslandsschulden zuzüglich der Netto-Direktinvestitionen des Auslands.

Wirtschaftliche Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kapitalflucht steht nicht im Zusammenhang mit dem durch Außenhandel ausgelösten internationalen Kapitalverkehr[14], vielmehr wird Kapital – unabhängig von Zins- und Kursüberlegungen – in ein anderes Land transferiert ohne die Absicht, es später wieder zurück zu transferieren.[15] Häufige Auslöser der Kapitalflucht waren Bankenkrisen, Finanzkrisen oder Wirtschaftskrisen.

Kapitalflucht führt zu allokativen und distributiven Verzerrungen im Staat, der unter Kapitalflucht leidet.[16] Erstere äußern sich in höheren Volatilitäten der Wechselkurse und Kapitalmangel, letztere können sich in einer Verringerung der Steuerbasis zeigen. Die Währungsreserven sinken im Kapitalfluchtland, wenn das fliehende Kapital in Fremdwährung getauscht wird. Das fliehende Kapital führt zu inländischem Kapitalmangel, so dass Investitionen nicht mehr stattfinden können. Langfristig verschlechtert sich die Staatsverschuldung des von der Kapitalflucht betroffenen Landes; mit anderen Worten: die staatliche Neuverschuldung dient hauptsächlich der Finanzierung der Kapitalflucht. Die Kapitalflucht wird durch Globalisierung und organisierte Kriminalität begünstigt.[17]

Abgrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als „Hot money“ (deutsch „heißes Geld“) wird Kapital bezeichnet, das aus Spekulationsgründen auf den Geld- oder Devisenmärkten kurzfristig aus einem Land in ein anderes verlagert wird. Volkswirtschaftliche Bedeutung erzielen diese Gelder vor allem, wenn sie ebenso kurzfristig abgezogen werden und krisenverstärkend wirken können.[18] Das dem „Hot Money“ innewohnende Spekulationsmotiv schließt eine Einordnung als Kapitalflucht aus.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Thomas Plümper, Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1996, S. 180 f.
  2. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie, 2013, S. 170
  3. Verlag Th. Gabler (Hrsg.), Gabler Wirtschafts-Lexikon, Band 3, 1984, Sp. 2317; ISBN 3-409303839
  4. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 33; ISBN 978-3492054379
  5. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 32
  6. Johannes Bähr/Bernd Rudolph, Finanzkrisen 1931, 2011, S. 31
  7. Verlag Th. Gabler (Hrsg.), Gabler Wirtschafts-Lexikon, Band 3, 1984, Sp. 2317
  8. Peter Czada/Michael Tolksdorf, Internationale Währungsprobleme, 1989, S. 143 f.
  9. Dieter Duwendag, Kapitalflucht aus Entwicklungsländern, in: Armin Gutowski (Hrsg.), Die internationale Schuldenkrise, 1986, S. 224 f.; ISBN 978-3428059720
  10. Thomas Breisig, Handwörterbuch Arbeitsbeziehungen in der EG, 1993, S. 319
  11. Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006, in: Global Financial Integrity, Dezember 2008, S. 1 ff.
  12. Ed Conway/Sky News vom 7. Juni 2016, EU: Osborne Warning Over Capital Flight Cost
  13. Morgan Guaranty Trust Company of New York (Hrsg.), World Financial Markets, März 1986, S. 13 ff.
  14. Josef Löffelholz/Gerhard Müller, Bank-Lexikon: Handwörterbuch für das Bank- und Sparkassenwesen, 1983, Sp. 1088 f.
  15. Jürgen Schröder, Kapitalbewegungen/Theorie und Politik, in: Anton Zottmann/Willi Albers (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Band 4, 1978, S. 394
  16. Thomas Plümper, Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1996, S. 180
  17. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie, 2013, S. 170
  18. Michael F. Martin/Wayne M. Morrison, China’s „Hot Money“ Problems, in: 'CRS Report for Congress, 21. Juli 2008', S. 1 f.