Lust

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Lust bezieht sich auf Erfahrung, die sich gut anfühlt, die den Genuss von etwas beinhaltet.[1][2] Sie steht im Gegensatz zu Schmerz oder Leiden, welche Formen des Sich-schlecht-fühlens sind.[3] Sie steht in engem Zusammenhang mit Wert, Begierde und Handlung:[4] Menschen und andere bewusste Tiere empfinden Lust als angenehm, positiv oder erstrebenswert. Eine Vielzahl von Aktivitäten wird als lustvoll erlebt, wie Essen, Sex haben, Musik hören oder spielen. Lust ist Teil verschiedener anderer mentaler Zustände wie der Ekstase, der Euphorie und dem Flow-zustand. Glück und Wohlbefinden sind eng mit Lust verwandt, aber nicht identisch mit ihr.[5][6] Es besteht keine allgemeine Einigkeit darüber, ob Lust als eine Empfindung, als eine Qualität von Erfahrungen, als eine Einstellung zu Erfahrungen oder anders zu verstehen ist.[7] Lust spielt eine zentrale Rolle in der Familie der philosophischen Theorien, die als Hedonismus bekannt ist.

Übersicht

„Lust“ (pleasure) bezieht sich auf Erfahrung, die sich gut anfühlt, die den Genuss von etwas beinhaltet.[1][2] Der Begriff wird in erster Linie in Verbindung mit Sinnesfreuden wie dem Genuss von Essen oder Sex verwendet.[7] Aber im allgemeinsten Sinne umfasst er alle Arten von positiven oder angenehmen Erlebnissen, einschließlich der Freude am Sport, am Anblick eines schönen Sonnenuntergangs oder an einer intellektuell befriedigenden Tätigkeit. Lust steht im Gegensatz zu Schmerz oder Leiden, welche Formen des Sich-schlecht-fühlens sind.[3] Sowohl Lust als auch Schmerz treten in Graden auf und werden als eine Dimension angesehen, die von positiven Graden über einen neutralen Punkt bis zu negativen Graden geht. Diese Annahme ist wichtig für die Möglichkeit, die Lustgrade verschiedener Erfahrungen zu vergleichen und zu aggregieren, um beispielsweise das utilitaristische Kalkül durchzuführen.[7]

Der Begriff der Lust ist ähnlich, aber nicht identisch mit den Begriffen des Wohlbefindens (well-being) und des Glücks (happiness).[5][8][6] Diese Begriffe werden in überlappender Weise verwendet, aber ihre Bedeutungen neigen dazu, in technischen Kontexten wie der Philosophie oder der Psychologie auseinander zu gehen. Lust bezieht sich auf eine bestimmte Art von Erfahrung, während es beim Wohlbefinden darum geht, was gut für eine Person ist.[9][6] Viele Philosophen sind sich einig, dass Lust gut für eine Person ist und daher eine Form des Wohlbefindens darstellt. Aber es kann neben oder anstelle von Lust noch andere Dinge geben, die Wohlbefinden ausmachen, wie Gesundheit, Tugend, Wissen oder die Erfüllung von Begierden.[9] In einigen Konzeptionen wird Glück mit dem „Überschuss von angenehmen zu unangenehmen Erfahrungen des Individuums“ identifiziert.[10] Theorien der Lebenszufriedenheit (life satisfaction theories) hingegen besagen, dass Glück bedeutet, die richtige Einstellung zum eigenen Leben als Ganzes zu haben. Lust mag bei dieser Einstellung eine Rolle spielen, ist aber nicht identisch mit Glück.[10]

Lust ist eng verbunden mit Wert, Begierde, Motivation und richtigem Handeln.[4] Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Lust in gewissem Sinne wertvoll ist. Axiologische Hedonisten sind der Meinung, dass Lust das Einzige ist, was einen intrinsischen Wert hat.[11] Viele Begierden haben mit Lust zu tun. Der psychologische Hedonismus ist die These, dass all unsere Handlungen darauf abzielen, die Lust zu erhöhen und Schmerzen zu vermeiden.[12] Freuds Lustprinzip verbindet Lust mit Motivation und Handlung, indem er behauptet, dass es eine starke psychologische Tendenz gibt, Lust zu suchen und Schmerz zu vermeiden.[2] Der klassische Utilitarismus verbindet Lust mit Ethik, indem er besagt, dass die Richtigkeit einer Handlung von der Lust abhängt, die sie hervorruft: Sie sollte die Gesamtsumme der Lust maximieren.[13]

Theorien der Lust

Lust tritt in verschiedenen Formen auf, zum Beispiel beim Genießen von Essen, Sex oder Sport, beim Anblick eines schönen Sonnenuntergangs oder bei einer intellektuell befriedigenden Aktivität.[7] Theorien der Lust versuchen zu bestimmen, was all diese lustvollen Erfahrungen gemeinsam haben, was an ihnen wesentlich ist.[1] Sie werden traditionell in Qualitätstheorien (quality theories) und Einstellungstheorien (attitude theories) unterteilt.[14] Eine alternative Terminologie bezeichnet diese Theorien als Phänomenalismus (phenomenalism) und Intentionalismus (intentionalism).[15] Qualitätstheorien gehen davon aus, dass Lust eine Qualität lustvoller Erfahrungen selbst ist, während Einstellungstheorien besagen, dass Lust in gewissem Sinne außerhalb der Erfahrung liegt, da sie von der Einstellung des Subjekts zur Erfahrung abhängt.[1][14] In jüngerer Zeit wurden Dispositionstheorien (dispositional theories) vorgeschlagen, die Elemente beider traditioneller Ansätze enthalten.[7][1]

Qualitätstheorien

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff „Lust“ hauptsächlich mit sinnlichen Freuden wie dem Genuss von Essen oder Sex in Verbindung gebracht.[7] Eine traditionell wichtige Qualitätstheorie folgt dieser Assoziation genau, indem sie behauptet, dass Lust eine Empfindung ist. Laut der einfachsten Version der Empfindungstheorie wird jedes Lusterlebnis von einer charakteristischen Lustempfindung begleitet.[7][3] Eine angenehme Erfahrung beim Essen von Schokolade beinhaltet also eine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zusammen mit einer Lustempfindung. Ein offensichtliches Manko dieser Theorie ist, dass viele Eindrücke gleichzeitig vorhanden sein können.[7] Zum Beispiel kann auch eine Juckreizempfindung beim Essen der Schokolade vorhanden sein. Aber diese Darstellung kann nicht erklären, warum die Lust mit dem Geschmack der Schokolade und nicht mit dem Juckreiz verbunden ist.[7] Ein weiteres Problem ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Empfindungen normalerweise als irgendwo im Körper lokalisiert angesehen werden. Aber im Bezug auf die Lust bei der Betrachtung eines schönen Sonnenuntergangs scheint es keine bestimmte Region im Körper zu geben, in der wir diese Lust erleben.[7][16]

Diese Probleme können durch Theorien der gefühlten Qualitäten (felt-quality-theories) umgangen werden, welche die Lust nicht als eine Empfindung, sondern als einen Aspekt ansehen, der Empfindungen oder andere mentale Phänomene charakterisiert.[7][1][17] Als Aspekt hängt die Lust von dem mentalen Phänomen ab, das sie charakterisiert, sie kann nicht allein vorhanden sein.[7] Da die Verbindung zum genossenen Phänomen bereits in die Lust eingebaut ist, löst sich das Problem, mit dem Empfindungstheorien konfrontiert sind, zu erklären, wie diese Verbindung zustande kommt.[7] Es wird auch die Intuition erfasst, dass Lust normalerweise Lust an etwas ist: Freude am Trinken eines Milchshakes oder am Schachspielen, aber nicht nur eine reine oder objektlose Freude. Nach diesem Ansatz unterscheiden sich lustvolle Erfahrungen im Inhalt (einen Milchshake trinken, Schach spielen), stimmen aber im Gefühl oder im hedonischen Ton (hedonic tone) überein. Lust kann lokalisiert sein, aber nur in dem Maße, wie der Eindruck, den sie charakterisiert, lokalisiert ist.[7]

Ein Einwand sowohl gegen die Empfindungstheorie als auch gegen die Theorie der gefühlten Qualitäten ist, dass es keine einzige Qualität gibt, die von allen Lusterlebnissen geteilt wird.[14][1][17] Die Stärke dieses Einwands beruht auf der Intuition, dass die Vielfalt der Lusterlebnisse einfach zu groß ist, um auf eine gemeinsame Qualität hinzuweisen, beispielsweise die Qualität, die sowohl der Freude an einem Milchshake als auch und der Freude an einer Schachpartie zukommt. Eine Möglichkeit für Qualitätstheoretiker, auf diesen Einwand zu reagieren, besteht darin, darauf hinzuweisen, dass der hedonische Ton von Lusterlebnissen keine reguläre Qualität ist, sondern eine Qualität höherer Ordnung.[7][1] Analog dazu teilen ein leuchtend grünes Ding und ein leuchtend rotes Ding keine reguläre Farbeigenschaft, aber sie teilen das „Leuchtend-sein“ als eine Eigenschaft höherer Ordnung.[1]

Einstellungstheorien

Einstellungstheorien schlagen vor, Lust im Hinblick auf Einstellungen zu Erfahrungen zu analysieren.[17][3] Um den Geschmack von Schokolade zu genießen, reicht es also nicht aus, die entsprechende Erfahrung des Geschmacks zu haben. Stattdessen muss das Subjekt die richtige Einstellung zu diesem Geschmack haben, damit Lust entsteht.[7] Dieser Ansatz erfasst die Intuition, dass eine zweite Person genau das gleiche Geschmackserlebnis haben kann, es aber nicht genießt, weil die entsprechende Einstellung fehlt. Es wurden verschiedene Einstellungen für die Einstellungsart vorgeschlagen, die für Lust verantwortlich ist, aber die historisch einflussreichste Version weist diese Rolle den Begierden zu.[1] Nach dieser Auffassung ist Lust mit Erfahrungen verbunden, die eine Begierde erfüllen, die der Erlebenden hat.[7][1] Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Person im obigen Beispiel besteht also darin, dass nur die erste Person eine entsprechende Begierde hat, die auf den Geschmack von Schokolade gerichtet ist.

Ein wichtiges Argument gegen diese Version ist, dass es zwar oft der Fall ist, dass wir etwas zuerst begehren und dann genießen, dass dies aber nicht immer der Fall sein kann. In der Tat scheint oft das Gegenteil der Fall zu sein: Wir müssen erst lernen, dass etwas Genuss bereitet, bevor wir anfangen, es zu begehren.[7][1] Dieser Einwand kann teilweise vermieden werden, indem man behauptet, dass es egal ist, ob die Begierde vor der Erfahrung vorhanden war, sondern dass es nur darauf ankommt, was wir begehren, während die Erfahrung stattfindet. Diese Variante, die ursprünglich von Henry Sidgwick vertreten wurde, ist kürzlich von Chris Heathwood verteidigt worden, der behauptet, dass eine Erfahrung lustvoll ist, wenn das Subjekt die Erfahrung um ihrer selbst willen wünscht, während sie stattfindet.[18][14] Diese Version steht jedoch vor einem verwandten Problem, das dem Euthyphron-Dilemma ähnelt: Es scheint, dass wir normalerweise Dinge begehren, weil sie angenehm sind, nicht umgekehrt.[17][3] Begierdetheorien würden sich also bezüglich der Richtung der Erklärung irren. Ein weiteres Argument gegen Begierdetheorien ist, dass Begierde und Lust auseinander gehen können: Wir können Dinge begehren, die nicht angenehm sind, und wir können Dinge genießen, ohne dies zu wollen.[7][1]

Dispositionstheorien

Dispositionstheorien versuchen, Lust in Bezug auf Dispositionen zu erklären, oft durch die Einbeziehung von Erkenntnissen sowohl aus Qualitätstheorien als auch aus Einstellungstheorien. Eine Möglichkeit, diese Elemente zu kombinieren, ist zu behaupten, dass Lust darin besteht, die Disposition zu haben, eine Erfahrung aufgrund ihrer Qualitäten zu begehren.[3][7][1] Einige der Probleme der regulären Begierdetheorie können auf diese Weise vermieden werden, da die Disposition nicht realisiert sein muss, damit es Lust gibt, wodurch berücksichtigt wird, dass Begierde und Lust auseinandergehen können.[7][1]

Philosophie

Außer in der Philosophie spielt der Begriff in den verschiedenen Trieb- und Bedürfnislehren (s. a. Motivation) eine bedeutende Rolle, einschließlich deren Theorien über den Vorgang der Bewertung von Erfahrungen und/oder nur Gedanken. Bereits in der antiken Philosophie wurde der Lust (und Vermeidung von Unlust) ein hoher Stellenwert beigemessen (siehe u. a. Platons Symposion und Epikurs Garten).

Ethik

Die Lust hängt nicht nur damit zusammen, wie wir tatsächlich handeln, sondern auch damit, wie wir handeln sollen, was zum Bereich der Ethik gehört. Der ethische Hedonismus nimmt die stärkste Position zu dieser Beziehung ein, indem er behauptet, dass Überlegungen zur Steigerung der Lust und zur Verringerung des Schmerzes vollständig bestimmen, was wir tun sollen oder welche Handlung richtig ist.[19] Ethisch-hedonistische Theorien können in Bezug darauf klassifiziert werden, wessen Lust gesteigert werden sollte. Nach der egoistischen Version soll jeder Handelnde nur darauf abzielen, die eigene Lust zu maximieren. Diese Position wird normalerweise nicht sehr geschätzt.[20][19] Der Utilitarismus hingegen ist eine Familie von altruistischen Theorien, die in der philosophischen Gemeinschaft mehr Ansehen genießen. Innerhalb dieser Familie stellt der klassische Utilitarismus die engste Verbindung zwischen Lust und richtigem Handeln her, indem er behauptet, dass der Handelnde die Gesamtsumme des Glücks aller maximieren sollte.[21][19] Diese Gesamtsumme beinhaltet auch die Lust des Handelnden, aber nur als einen Faktor unter vielen.

Wert

Lust ist eng mit Wert als etwas verbunden, das begehrenswert oder erstrebenswert ist. Nach dem axiologischen Hedonismus ist sie das Einzige, was einen intrinsischen Wert hat oder an sich gut ist.[22] Diese Position beinhaltet, dass andere Dinge als Lust, wie Wissen, Tugend oder Geld, nur einen instrumentellen Wert haben: Sie sind wertvoll, weil oder in dem Maße, wie sie Lust produzieren, aber ansonsten wertlos.[19] Im Rahmen des axiologischen Hedonismus gibt es zwei konkurrierende Theorien über die genaue Beziehung zwischen Lust und Wert: den quantitativen Hedonismus (quantitative hedonism) und den qualitativen Hedonismus (qualitative hedonism). Quantitative Hedonisten, die Jeremy Bentham folgen, vertreten die Ansicht, dass der spezifische Inhalt oder die Qualität einer Lusterfahrung für dessen Wert nicht relevant ist, da er nur von ihren quantitativen Merkmalen abhängt: Intensität und Dauer.[23][24] In dieser Hinsicht ist eine Erfahrung intensiver Lust beim Essen und Sex mehr wert als eine Erfahrung subtiler Lust beim Betrachten schöner Kunst oder bei einer anregenden intellektuellen Unterhaltung. Qualitative Hedonisten, die John Stuart Mill folgen, wenden sich gegen diese Version mit der Begründung, dass sie den axiologischen Hedonismus in eine „Philosophie der Schweine“ zu verwandeln droht.[19] Stattdessen argumentieren sie, dass die Qualität ein weiterer Faktor ist, der für den Wert einer Lusterfahrung relevant ist, zum Beispiel, dass die niederen Lüste des Körpers weniger wertvoll sind als die höheren Lüste des Geistes.[25]

Schönheit

Ein sehr häufiges Element in vielen Auffassungen von Schönheit ist ihre Beziehung zur Lust.[26][27] Der ästhetische Hedonismus macht diese Beziehung zu einem Teil der Definition von Schönheit, indem er behauptet, dass eine notwendige Verbindung zwischen Lust und Schönheit besteht, z. B. dass ein Objekt nur dann schön ist, wenn es Lust verursacht, oder dass die Erfahrung von Schönheit immer von Lust begleitet wird.[28][29][30] Die Lust aufgrund von Schönheit muss nicht rein sein, d. h. alle unangenehmen Elemente ausschließen.[31] Stattdessen kann Schönheit gemischte Lust beinhalten, zum Beispiel im Fall einer schönen tragischen Geschichte.[26] Wir erfreuen uns an vielen Dingen, die nicht schön sind, weshalb Schönheit normalerweise als eine besondere Art von Lust definiert wird: Als ästhetische Lust oder als interesseloses Wohlgefallen.[32][33][34] Wohlgefallen ist interesselos, wenn es gleichgültig gegenüber der Existenz des schönen Objekts ist.[35][26] Zum Beispiel wäre die Lust am Betrachten einer schönen Landschaft auch dann noch wertvoll, wenn sich herausstellen würde, dass diese Erfahrung eine Illusion war, was nicht der Fall wäre, wenn diese Lust darauf zurückzuführen wäre, die Landschaft als wertvolle Immobiliengelegenheit anzusehen.[32] Gegner des ästhetischen Hedonismus haben darauf hingewiesen, dass es trotz des häufigen gemeinsamen Auftretens auch Fälle von Schönheit ohne Lust gibt.[28] Zum Beispiel kann eine kalte, abgestumpfte Kritikerin aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung immer noch ein gutes Urteil über die Schönheit fällen, auch wenn ihr die Lust fehlt, die ihre Arbeit anfangs begleitete.[26] Eine weitere Frage für Hedonisten ist, wie die Beziehung zwischen Schönheit und Lust zu erklären ist. Dieses Problem ähnelt dem Euthyphron-Dilemma: Ist etwas schön, weil wir es genießen, oder genießen wir es, weil es schön ist?[27] Identitätstheoretiker (identity theorists) lösen dieses Problem, indem sie leugnen, dass es einen Unterschied zwischen Schönheit und Lust gibt: Sie identifizieren Schönheit, oder das Erscheinen von ihr, mit der Erfahrung von ästhetischer Lust.[26]

Psychologie

Motivation und Verhalten

Lustsuchendes Verhalten ist ein weit verbreitetes Phänomen und kann tatsächlich zeitweise unser Verhalten dominieren. Die These des psychologischen Hedonismus verallgemeinert diese Einsicht, indem sie behauptet, dass alle unsere Handlungen darauf abzielen, Lust zu steigern und Schmerz zu vermeiden.[36][12] Dies wird üblicherweise in Kombination mit dem Egoismus verstanden, d. h. dass jede Person nur auf ihr eigenes Glück abzielt.[11] Unser Handeln stützt sich auf Glaubenshaltungen darüber, was Lust bereitet. Falsche Glaubenshaltungen können uns in die Irre führen, sodass unsere Handlungen scheitern, Lust zu verursachen, aber selbst gescheiterte Handlungen sind laut dem psychologischen Hedonismus durch Erwägungen zur Lust motiviert.[23] Das Paradox des Hedonismus besagt, dass lustsuchendes Verhalten häufig auch auf andere Weise scheitert. Es behauptet, dass lustmotiviertes Verhalten insofern kontraproduktiv ist, als es zu weniger tatsächlicher Lust führt, als wenn man anderen Motiven folgt.[23][37]

Sigmund Freud formulierte sein Lustprinzip, um den Einfluss von Lust auf unser Verhalten zu erklären. Es besagt, dass es eine starke, angeborene Tendenz in unserem geistigen Leben gibt, sofortige Befriedigung zu suchen, wann immer sich eine Gelegenheit bietet.[2] Dieser Tendenz steht das Realitätsprinzip gegenüber, das eine erlernte Fähigkeit darstellt, die unmittelbare Befriedigung zu verzögern, um die tatsächlichen Konsequenzen unseres Handelns zu berücksichtigen.[38][39] Freud beschrieb das Lustprinzip auch als einen positiven Rückkopplungsmechanismus, der den Organismus dazu motiviert, die Situation, die er gerade als angenehm empfunden hat, wieder herzustellen und vergangene Situationen zu vermeiden, die Schmerzen verursachten.[40]

Kognitive Verzerrungen

Eine kognitive Verzerrung ist eine systematische Tendenz, in einer Weise zu denken und zu urteilen, die von einem normativen Kriterium abweicht, insbesondere von den Anforderungen der Rationalität.[41] Zu den kognitiven Verzerrungen in Bezug auf die Lust gehören die Peak-End-Regel (peak-end rule), die Fokussierungsillusion (focusing illusion), die Nahheitsverzerrung (nearness bias) und die Zukunftsverzerrung (future bias).

Die Peak-End-Regel beeinflusst, wie wir uns an die Angenehmheit oder Unangenehmheit von Erfahrungen erinnern. Sie besagt, dass unser Gesamteindruck von vergangenen Ereignissen größtenteils nicht von der Gesamtheit der darin enthaltenen Lust und Leiden bestimmt wird, sondern davon, wie sie sich an ihren Höhepunkten und an ihrem Ende anfühlten.[42] Zum Beispiel wird die Erinnerung an eine schmerzhafte Darmspiegelung verbessert, wenn die Untersuchung um drei Minuten verlängert wird, in denen sich das Endoskop zwar noch im Inneren befindet, aber nicht mehr bewegt wird, was zu einem mäßig unangenehmen Gefühl führt. Diese verlängerte Darmspiegelung ist zwar insgesamt mit mehr Schmerzen verbunden, bleibt aber aufgrund der geringeren Schmerzen am Ende weniger negativ in Erinnerung. Dies erhöht sogar die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient zu nachfolgenden Eingriffen zurückkehrt.[43] Daniel Kahneman erklärt diese Verzerrung anhand des Unterschieds zwischen zwei Selbsten: dem erlebenden Selbst (experiencing self), das sich der Lust und des Schmerzes bewusst ist, während sie geschehen, und dem sich erinnernden Selbst (remembering self), das die Gesamtheit von Lust und Schmerz über einen längeren Zeitraum aufzeigt. Die Verzerrungen aufgrund der Peak-End-Regel treten auf der Ebene des sich erinnernden Selbsts auf. Unsere Tendenz, uns auf das sich erinnernde Selbst zu verlassen, kann uns oft dazu bringen, Handlungsweisen zu verfolgen, die nicht in unserem besten Eigeninteresse liegen.[44][45]

Eine eng verwandte Verzerrung ist die Fokussierungsillusion. Die „Illusion“ tritt auf, wenn Menschen den Einfluss eines bestimmten Faktors auf ihr gesamtes Glück betrachten. Sie neigen dazu, die Bedeutung dieses Faktors stark zu überschätzen, während sie die zahlreichen anderen Faktoren übersehen, die in den meisten Fällen einen größeren Einfluss haben würden.[46]

Die Nahheitsverzerrung und die Zukunftsverzerrung sind zwei verschiedene Formen der Verletzung des Prinzips der zeitlichen Neutralität. Dieses Prinzip besagt, dass der zeitliche Ort eines Nutzens oder Schadens für seine normative Bedeutung nicht wichtig ist: Ein rationaler Handelnder sollte sich um alle Teile seines Lebens in gleichem Maße sorgen.[47][48] Die Nahheitsverzerrung, die auch unter den Bezeichnungen „Gegenwärtigkeitsverzerrung“ (present bias) oder „zeitliche Diskontierung“ (temporal discounting) diskutiert wird, bezieht sich auf unsere Tendenz, die zeitliche Neutralität in Bezug auf die zeitliche Distanz zur Gegenwart zu verletzen. Auf der positiven Seite bevorzugen wir angenehme Erlebnisse, die in der Nähe statt in der Ferne liegen. Auf der negativen Seite bevorzugen wir schmerzhafte Erfahrungen, die in der Ferne statt in der Nähe liegen.[49][50][47] Die Zukunftsverzerrung bezieht sich auf unsere Tendenz, die zeitliche Neutralität in Bezug auf die Richtung der Zeit zu verletzen. Auf der positiven Seite bevorzugen wir angenehme Erfahrungen, die in der Zukunft statt in der Vergangenheit liegen. Auf der negativen Seite bevorzugen wir schmerzhafte Erfahrungen, die in der Vergangenheit statt in der Zukunft liegen.[49][50]

Theorie von Freud

In der Psychoanalyse Sigmund Freuds wird Lust auf eine einzige Urkraft zurückgeführt, die Libido, die eine(n) universale(n), biologische(n) Energie/ Trieb darstelle, deren Verwirklichung grundsätzlich Lust verschaffe und der für das instinktive, angeborene Streben nach Bedürfnisbefriedigung bei gleichzeitiger Meidung von Unlust immanent sei (siehe Lustprinzip). Die Bedürfnisse versuchte Freud als Mediziner auf dem Wege der Traumdeutung allein in der Natur und ihren Gesetzen zu verankern und ihrer jeweiligen Funktion sowie Bestimmung nach zu unterscheiden. So stehe die lustvolle Neugierbefriedigung grundsätzlich im Dienste der Selbst- und Umwelterkenntnis und ihrer zwei Aspekte: Suche nach Lebensbedrohlichem zwecks dessen Meidung und Suche nach den Quellen der Befriedung jeglichen Grundbedürfnisses, wie u. a. des Dranges nach Energie/Ernährung und angenehmem Klima.

Eine große Rolle spielt in Sigmund Freuds Lehre die Sexualität, die nach seiner Interpretation der Darwinschen Evolutionstheorie im Dienste des natürlichen Zuchtwahlgesetzes steht. Dabei unterscheidet er zwei Aspekte, die er – seiner Vorliebe für die antiken Naturphilosophen Tribut zollend – nach zwei griechischen Gottheiten benannte:

  • den Eros (als Anziehung von Gegensätzen: Synthese; Leben; Begehren; Schöpfung; Innen; Verbinden; 'Weiblich') und
  • den Thanatos (als Abstoßung von Gleichen: Analyse; Tod; Ablehnung; Vernichtung; Außen; Trennen; 'Männlich'). (Vgl. auch "Die Ánima & Der Ánimus" in C.G. Jungs Archetypen-Lehre.)

Im universalharmonisch „fließenden“ Ringen dieser zwei komplementären Aspekte derselben Ur-Energie „Libido“ sah Freud – wie Heraklit und Epikur vor ihm – nichts Destruktives, vielmehr umgekehrt die konstruktive, daseinskämpferische Ursache.

Ungeklärt bis zum Ende seines Lebens blieb die Herkunft des krankhaften Narzissmus. Auch seine Triebtheorie ist bis heute umstritten. Diese Sachverhalte vermochte Freud beim damaligen Stand der Wissenschaft nicht zu klären. Jedoch stellt auch eines seiner gesellschaftskritischen Werke, Das Unbehagen in der Kultur, einen Aspekt des Phänomens „Lust“ dar, und zwar einen unmissverständlich negativen.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Lust – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Lust – Zitate

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o Daniel Pallies: An Honest Look at Hybrid Theories of Pleasure. In: Philosophical Studies. 178. Jahrgang, Nr. 3, 2021, S. 887–907, doi:10.1007/s11098-020-01464-5 (philpapers.org).
  2. a b c d Shane J. Lopez: The Encyclopedia of Positive Psychology. Wiley-Blackwell, Pleasure (philpapers.org).
  3. a b c d e f Leonard D. Katz: Pleasure. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2016, abgerufen am 29. Januar 2021.
  4. a b Edward Craig: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, 1996, Pleasure (philpapers.org).
  5. a b Edward Craig: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, 1996, Happiness (philpapers.org).
  6. a b c Roger Crisp: Well-Being. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2017, abgerufen am 29. Januar 2021.
  7. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u Donald Borchert: Macmillan Encyclopedia of Philosophy, 2nd Edition. Macmillan, 2006, Pleasure (philpapers.org).
  8. Dan Haybron: Happiness. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2020, abgerufen am 29. Januar 2021.
  9. a b Valerie Tiberius: The Oxford Handbook of Value Theory. Oxford University Press USA, Prudential value (philpapers.org).
  10. a b Dan Haybron: Happiness: 2.1 The chief candidates. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2020;.
  11. a b Psychological hedonism. In: Encyclopedia Britannica. Abgerufen am 29. Januar 2021 (englisch).
  12. a b Donald Borchert: Macmillan Encyclopedia of Philosophy, 2nd Edition. Macmillan, 2006, Hedonism (philpapers.org).
  13. Julia Driver: The History of Utilitarianism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2014;.
  14. a b c d Ben Bramble: The Distinctive Feeling Theory of Pleasure. In: Philosophical Studies. 162. Jahrgang, Nr. 2, 2013, S. 201–217, doi:10.1007/s11098-011-9755-9 (philpapers.org).
  15. Andrew Moore: Hedonism: 2.1 Ethical Hedonism and the Nature of Pleasure. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2019, abgerufen am 1. Februar 2021.
  16. Gerald E. Myers: Ryle on Pleasure. In: Journal of Philosophy. 54. Jahrgang, March, 1957, S. 181–187, doi:10.2307/2022655 (philpapers.org).
  17. a b c d Aaron Smuts: The Feels Good Theory of Pleasure. In: Philosophical Studies. 155. Jahrgang, Nr. 2, 2011, S. 241–265, doi:10.1007/s11098-010-9566-4 (philpapers.org).
  18. Chris Heathwood: The Reduction of Sensory Pleasure to Desire. In: Philosophical Studies. 133. Jahrgang, Nr. 1, 2007, S. 23–44, doi:10.1007/s11098-006-9004-9 (philpapers.org).
  19. a b c d e Dan Weijers: Hedonism. In: Internet Encyclopedia of Philosophy. Abgerufen am 29. Januar 2021.
  20. Robert Shaver: Egoism: 2. Ethical Egoism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2019, abgerufen am 2. Februar 2021.
  21. Julia Driver: The History of Utilitarianism: 2. The Classical Approach. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2014, abgerufen am 2. Februar 2021.
  22. Daniel M. Haybron: The Pursuit of Unhappiness: The Elusive Psychology of Well-Being. Oxford University Press, S. 62 (philpapers.org).
  23. a b c Andrew Moore: Hedonism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 2019, abgerufen am 29. Januar 2021.
  24. William Sweet: Jeremy Bentham: 4. Moral Philosophy. In: Internet Encyclopedia of Philosophy. Abgerufen am 3. Februar 2021.
  25. Colin Heydt: John Stuart Mill: ii. Basic Argument. In: Internet Encyclopedia of Philosophy. Abgerufen am 3. Februar 2021.
  26. a b c d e Rafael De Clercq: Aesthetic Pleasure Explained. In: Journal of Aesthetics and Art Criticism. 77. Jahrgang, Nr. 2, 2019, S. 121–132, doi:10.1111/jaac.12636 (philpapers.org).
  27. a b Beauty and Ugliness. In: www.encyclopedia.com. Abgerufen am 9. Februar 2021.
  28. a b Keren Gorodeisky: On Liking Aesthetic Value. In: Philosophy and Phenomenological Research. 2019, ISSN 1933-1592, doi:10.1111/phpr.12641 (englisch, wiley.com).
  29. Servaas Van der Berg: Aesthetic Hedonism and Its Critics. In: Philosophy Compass. 15. Jahrgang, Nr. 1, 2020, S. e12645, doi:10.1111/phc3.12645 (philpapers.org).
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  33. Aesthetics. In: Encyclopedia Britannica. Abgerufen am 9. Februar 2021 (englisch).
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  35. Edward Craig: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, 1996, Beauty (philpapers.org).
  36. Edward Craig: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, 1996, Hedonism (philpapers.org).
  37. Alexander Dietz: Explaining the Paradox of Hedonism. In: Australasian Journal of Philosophy. 97. Jahrgang, Nr. 3, 2019, S. 497–510, doi:10.1080/00048402.2018.1483409 (philpapers.org).
  38. Alain De Mijolla: International Dictionary of Psychoanalysis. Macmillan Reference USA, 2005, pleasure/unpleasure principle.
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  43. Donald A. Redelmeier, Joel Katz, Daniel Kahneman: Memories of colonoscopy: a randomized trial. In: Pain. 104. Jahrgang, Nr. 1–2, 2003, ISSN 0304-3959, S. 187–194, doi:10.1016/s0304-3959(03)00003-4 (nih.gov).
  44. Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar, Straus & Giroux, 2011, 35. Two Selves (philpapers.org).
  45. Katarzyna de Lazari-Radek, Peter Singer: The Point of View of the Universe: Sidgwick and Contemporary Ethics. Oxford University Press, 2014, S. 276 (philpapers.org).
  46. David A. Schkade, Daniel Kahneman: Does Living in California Make People Happy? A Focusing Illusion in Judgments of Life Satisfaction:. In: Psychological Science. 6. Mai 2016, ISSN 1467-9280, doi:10.1111/1467-9280.00066 (englisch, mit.edu [PDF]).
  47. a b Dale Dorsey: A Near-Term Bias Reconsidered. In: Philosophy and Phenomenological Research. 99. Jahrgang, Nr. 2, 2019, S. 461–477, doi:10.1111/phpr.12496 (philpapers.org).
  48. David O. Brink: The Oxford Handbook of Philosophy of Time. Oxford University Press, Prospects for Temporal Neutrality (philpapers.org).
  49. a b Preston Greene, Meghan Sullivan: Against Time Bias. In: Ethics. 125. Jahrgang, Nr. 4, 2015, S. 947–970, doi:10.1086/680910 (philpapers.org).
  50. a b Preston Greene, Alex Holcombe, Andrew James Latham, Kristie Miller, James Norton: The Rationality of Near Bias Toward Both Future and Past Events. In: Review of Philosophy and Psychology. 2021, S. 1–18, doi:10.1007/s13164-020-00518-1 (philpapers.org).