Biyan Lu
Das Biyan Lu (Bi-Yän-Lu, chinesisch
Das Werk, dessen Name sich vom Tempel-Zimmer Bìyán Yuàn (
Inhalt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Grundlage bilden die 100 „Beispiele“ von Begegnungsdialogen, die vom Yunmen-Mönch Xuedou Chongxian (980–1052)[2] ausgewählt und mit eigenen Versen versehen wurden[3]; Hauptquelle waren mit 82 Beispielen die Aufzeichnungen von der Übertragung der Leuchte aus der Ära Jingde (Jǐngdé Chuándēng lù).[4]
Yuanwu schuf für das Biyan Lu[5] eine neue Stufe der Chan-Literatur: Nach seinen kurzen Einführungen (chuishi,
Die Sammlung beginnt mit der legendären Begegnung des ersten Chan-Patriarchen, Bodhidharma, mit dem wichtigen Förderer des Buddhismus in China, Kaiser Wu Di von Liang (464–549), wo es u. a. heißt: „Wu-Di von Liang fragte den Großmeister Bodhidharma: Welches ist der höchste Sinn der Heiligen Wahrheit? Bodhidharma sagte: Offene Weite – nichts von heilig.“ (Übers. W. Gundert)
Von den mehr als 50 in den Gong-ans/Kōans zitierten Meistern erscheint Yunmen Wenyen am häufigsten; sein „Tag um Tag ist guter Tag“ wurde zu einem in Ostasien bis heute gebräuchlichen Sprichwort[7]. In den Kommentaren werden außerdem Bezüge z. B. zu Chan-Patriarchen wie Jianzhi Sengcan und Dajian Huineng (hier auch als „Pilger Lu“ bezeichnet) hergestellt.
Yuanwus direkter Nachfolger, Dahui Zonggao (1089–1163)[8] ließ das Werk jedoch samt Druckstöcken vernichten, um eine Schriftengläubigkeit der Mönche zu verhindern. Bei einer späteren Rekonstruktion gingen aufgrund des nur noch unvollständigen Quellenmaterials einige der Sätze Yuanwus und möglicherweise auch Passagen Xuedous verloren. Erst 1300–1317 wurde eine rekonstruierte Fassung neu herausgegeben, die ein Laie[9] zusammengestellt hatte.
Dōgen Zenji, der die Caodong-Schule (Cáodòng zōng)[10] des Chan 1227 nach als Japan brachte, führte das Werk mittels einer eigenen handschriftlichen Kopie in den von ihm begründeten Soto-Zen ein. Es wurde ab der Muromachi-Periode (1336–1573), inzwischen wieder in gedruckter Fassung, zu einem zentralen Text im japanischen Zen.[11]
Die bekannteste deutsche Übersetzung unter dem Titel Bi-Yän-Lu – Niederschrift von der Smaragdenen Felswand stammt von Wilhelm Gundert und umfasst die Kōans 1–68; sie erschien 1960–1973. Die erste vollständige Originalübertragung ins Deutsche wurde 1999 von Ernst Schwarz veröffentlicht; sie unterschied sich deutlich von der Gunderts. Beide Interpreten des subtilen chinesischen Textes lebten jahrzehntelang in Japan bzw. China, was ihnen ein vielseitiges Studium des traditionellen Buddhismus in Sprache, Literatur und Kultur ermöglichte; sie betonten trotzdem die außerordentlichen Hürden dieses Textes[12].
Schwarz erläuterte das Wesen des Werkes wie folgt: „Die ersten großen Meister des Zen-Buddhismus hielten sich im Wesentlichen an den Grundsatz, Wort und Schrift in der Weitergabe der Lehre möglichst zu vermeiden. Gebrauchten sie doch Worte im Umgang mit den Schülern, so waren es nicht Worte des alltäglichen Gesprächsstils, Sätze, wie sie täglich und überall zu hören waren, sondern Worte und Sätze, die in ihrer Ungewohntheit verwirrten, vor den Kopf stießen und damit zu aufmerksamem Nachdenken zwangen.“[13]
„Kein Schrifttum soll errichtet werden.
Gelehrt sei außerhalb der Lehre.
Trefft gradewegs des Menschen Herz.
Zum Buddha wird, wer so sein Wesen fand.“
(Übers. E. Schwarz)[14]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Zen. Der lebendige Buddhismus in Japan. Ausgewählte Stücke der Zen-Texte übers. u. eingel. v. Schuej Ohasama, hrsg. v. August Faust, Geleitwort v. Rudolf Otto. F. A. Perthes, Gotha – Stuttgart 1925. (reprogr. Nachdruck: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968)
- Bi-Yän-Lu: Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand, verfasst auf dem Djia-schan bei Li in Hunan zwischen 1111 und 1115, in Druck erschienen in Sïtschuan um 1300, verdeutscht und erläutert von Wilhelm Gundert. Hanser, München – Wien 1960, 1967, 1973. 3 Bde. (Nachdruck: Marix, Wiesbaden 2005, 3 Bde. in 1 Bd., ISBN 3-86539-031-5)
- Bi-Yän-Lu, Aufzeichnungen des Meisters vom Blauen Fels, a. d. Chinesischen übers., komment. u. hrsg. v. Ernst Schwarz. Kösel, München 1999, ISBN 3-466-20443-7
- Hekigan-Roku – Die blaugrüne Felswand – Fall 1–100, a. d. Chinesischen übers. u. mit Zen-Teisho pro Fall v. Brigitte D’Ortschy Koun-An, Hrsg. v. Monica Maurer. Wolkenverlag, Grünwald 2001–2003.
- Kôun Yamada Roshi: Hekiganroku – Die Niederschrift vom blauen Fels. Die klassische Koansammlung mit neuen Teishos, ins Dt. übertr. u. hrsg. v. Peter Lengsfeld. Kösel, München 2002. 2 Bde., ISBN 3-466-36593-7
- Bi-Yan-Lu, Aufzeichnungen vor smaragdener Felswand – Die 100 Kôan des Hekiganroku, a. d. Chinesischen übers. und komment. von Dietrich Roloff. Windpferd, Oberstdorf 2013, ISBN 978-3-86410-045-1
- Heinrich Dumoulin: Geschichte des Zen-Buddhismus. Band I: Indien, China und Korea. 2. durchgesehene u. erweiterte Auflage. Narr Francke Attempo, Tübingen 2019.
- Daoyuan: Records of the Transmission of the Lamp, Vol. 1–8. Translated by Randolph S. Whitfield. Books on Demand, Norderstedt 2015–2020.
- Albert Welter, Steven Heine & Jin Y. Park: Approaches to Chan, Son, and Zen Studies – Chinese Chan Buddhism and its spread throughout East Asia. State University Press of New York, 2022.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gong-an/Kōan als die im Chan- bzw. Rinzai-Buddhismus wichtigen lehrhaften Handlungen oder Aussagen von Zen-Meister.
- Buddhistische Literatur zu den religiösen Schriften des Buddhismus.
- Das Zen-Glossar beschreibt bekannte Ausdrücke aus dem Zen sowie dem Chan und erläutert die, für das Verständnis der Zen–Philosophie wichtige, wechselseitige Abhängigkeit der Begriffe.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Biyan Lu im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ 圜悟
克 勤 , W.-G. Yuan-wu K'e-ch'in, jap. (Rōmaji) Engo Kokugon. - ↑ Auch Xuedou Zhongxian,
雪 竇重顯 , W.-G. Hsueh-tou Ch'ung-hsien, jap. Setchō Jūken. - ↑ Xuedou songgu ji,
雪 竇頌古 集 , auch bekannt als Baize songgu,百 則 頌古. - ↑ Die umfangreichen Aufzeichnungen von der Übertragung der Leuchte aus der Ära Jingde (
景 德 傳燈 錄 , Jǐngdé Chuándēng lù, W.-G. Ching-te Ch'uan-teng lu, jap. Denkō-roku) entstanden in der Regierungsperiode Jingde (景 德 ; 1004–1007) von Kaiser Zhenzong (968–1022); sie wurden in 30 Faszikeln zusammengestellt von Shi Daoyuan (釋 道原 ; W.-G. Shih Tao-yüen; 10./11. Jh.) und 1008–1011 publiziert. Laut Randolph Whitfield, der die erste vollständige Übersetzung ins Englische schuf, wurden hier 981 Chan-Meister und ca. 700 weitere Personen aufgeführt. - ↑ Vollständiger Titel einschl. des Autors: Foguo Yuanwu Keqin Chanshi biyan lu (
佛果 圜悟克 勤 禪師 碧 巖 錄 ). Auf einer Vortragsreihe Yuanwus beruhend, dann als gedruckte Sammlung 1128 herausgegeben. - ↑ Heinrich Dumoulin: „Hsüeh-tou erweist sich in den Gesängen als begnadeter Dichter. Die scharfen, oft bitter ironischen, immer ins Schwarze treffenden Zwischenbemerkungen Yüan-wus lassen aufhorchen.“ (Bd. I, S. 252). – Das „ins Schwarze treffen“ erfolgt mit Hilfe einer paradox wirkenden Sprache, vgl. Chung-ying Cheng: On Zen (Ch’an) Language and Zen Paradoxes, in: Journal of Chinese Philosophy, Vol. 1 (1973), S. 77–102. Siehe auch Steven Heine: Chan Rhetoric of Uncertainty in the Blue Cilff Record. Sharpening a Sword at the Dragon Gate, Oxford University Press, 2016.
- ↑
日々 是 好日 stammt aus dem 6. Kōan: „Yün-men richtete bei der Unterweisung folgende Worte an seine Hörer: Nach den letzten fünfzehn Tagen frage ich euch nicht. Zu den nächsten fünfzehn Tagen kommt mir mit einem Sätzchen daher und redet. An der Stelle der Gefragten sagte er dann selbst: Tag um Tag ist guter Tag.“ (Übers. W. Gundert) In Lessing-Othmer-Gundert-Umschrift lautet der Satz „Jï-jï schï hau-jï, jap. Nichi-nichi kore kô-nichi“, s. Kalligraphie bei Gundert, Bd. 1, S. 546/547. Speziell in Japan wird dies in der Gegenwart oft auch „Nichi nichi kore kōjitsu“ oder als Alltagssprichwort „Hibi kore kōjitsu“ gelesen bzw. zitiert, was allerdings des ursprünglichen sprachlichen Witzes entbehrt. - ↑
大 慧 宗 杲, W.-G. Ta-hui Tsung-kao, jap. Daie Sōkō. - ↑ Zhang Mingyuan (
張 明 遠 , jap. Chō Mei-en, auch Chô Mujin) - ↑
曹洞宗 , Cáodòng zōng, W.–G. Ts'ao-tung-tsung, jap. Sōtō-shū, benannt nach den Meistern Dongshan Liangjie (洞山 良 价, W.–G. Tung-shan Liang-chieh; jap. Tōzan Ryōkai; 807–869) und Caoshan Benji (曹山本 寂 , W.–G. Ts'ao-shan Pen-chi, jap. Sōzan Honjaku; 840–901). - ↑ Zur Geschichte des Werkes siehe z. B. Vorbericht in Bd. 1 von Gundert oder auch Steven Heine: The Transmission oft he Blue Cliff Record to Medieval Japan – in: Welter, Heine & Park Approaches to Chan, Son, and Zen Studies, 2022.
- ↑ Wilhelm Gundert, der hauptsächlich japanische Vorlagen und Kommentare verwendete, in seinem Vorbericht von Bd. 1 (S. 28–30): „Es war freilich keine leichte Arbeit, diese Schrift von der Smaragdenen Felswand auch nur sprachlich zu verstehen, geschweige denn, an ihren Sinn heranzukommen. […] es ist, wie der Titel jener etwas späteren Beispielsammlung als unserer besagt, eine ›Grenzsperre ohne Durchgang‹, oder, wie der Übersetzer Dumoulin es nennt, ein ›Paß ohne Tor‹. […] Vielleicht war es Vermessenheit, sich diese Aufgabe auch nur zu stellen. Der Übersetzer kann es für sich selber nicht entscheiden.“ Ernst Schwarz, der sich auf chinesische Quellen stützte, in seiner Einführung (S. 49–50): „Ich gestehe, die Arbeit an diesem Buch stellte in meinem ganzen Leben die größten Anforderungen in allem: Zeit, Nachschlagen, Nachlesen, Nachdenken – ja sogar Träumen. Manche Überlegungen zu schwierigen Stellen begleiteten mich bis in die Träume hinein. […] es war die schwerste Arbeit dieser Art in meinem ganzen langen Leben.“
- ↑ Bi-Yän-Lu, Aufzeichnungen des Meisters vom Blauen Fels, Einführung, S. 36–37.
- ↑ Ernst Schwarz: Bi-Yän-Lu, Einleitung S. 14. Die vier Verse wurden gemeinsam als Strophe erstmals 1108 Bodhidharma zugeschrieben, in dem auf den Zitaten von Yunmen Wenyan, Xue Dou Chongxian und anderen Lehrern beruhenden Werk Zǔtíng Shìyuàn (
祖 庭 事 苑 , W.-G. Tsu-t'ing shih-yüan, jap. Sōtei jion) von Mu'an Zenqing (睦 庵 善 卿 , Mù'ān Shànqīng). Vgl. George A. Keyworth: How the Mount Wutai cult stimulated the development of Chinese Chan in southern China at Qingliang monasteries. – In: Studies in Chinese Religions 5 (2019) 3-4.