Freies Mandat

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Freies Mandat bedeutet, dass abgeordnete Repräsentanten ihr Mandat ausüben, ohne an Weisungen oder Aufträge gebunden zu sein,[1] insbesondere nicht an Aufträge ihrer Wähler, ihrer Partei oder ihrer Fraktion;[2] In Deutschland sind sie „nur ihrem Gewissen unterworfen“,[3] in der Schweiz müssen sie „ihre Interessenbindungen offen“ darlegen.[4] In der Praxis unterliegen über Parteien gewählte Abgeordnete der Fraktionsdisziplin ihrer Partei, denn nur mit Unterstützung der Partei ist eine Wiederwahl wahrscheinlich.[5]

Im Gegensatz hierzu steht das Imperative Mandat.

Philosophische Grundlegung

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Als geistiger Vater des freien Mandats gilt der konservative britische Politiker und Staatsphilosoph Edmund Burke, der in seiner Rede an die Wähler von Bristol (1774) erklärte:[6]

„Euer Vertreter schuldet euch nicht nur seine Tatkraft, sondern auch seine Urteilskraft; und er verrät euch, anstatt euch zu dienen, wenn er seine Urteilskraft eurer Meinung opfert [...] Regierung und Gesetzgebung sind Angelegenheiten der Vernunft und der Urteilskraft, und nicht der Neigung, und welche Art von Vernunft ist es, in der die Festlegung der Diskussion vorausgeht, in der eine Gruppe von Menschen berät, und eine andere entscheidet, und wo diejenigen, die die Schlussfolgerungen ziehen, vielleicht dreihundert Meilen entfernt sind von jenen, die die Argumente hören. Eine Meinung zu äußern ist das Recht aller Menschen; die Meinung eines Wählers ist eine gewichtige und respektable Meinung, die ein Vertreter immer mit Freuden hören sollte und die er immer ernsthaft bedenken sollte. Aber maßgebliche Instruktionen, feste Mandate, denen das Parlamentsmitglied blind gehorchen muss, obwohl es der klaren Überzeugung seiner Urteilskraft und seines Gewissens widerspricht; so etwas ist den Gesetzen unseres Landes völlig unbekannt.“

Hintergrund dieser Rede war, dass Burke sich im Parlament für die Aufhebung der Penal Laws einsetzte, die unter anderem den Export irischer Waren beschränkten. In der englischen Handelsstadt Bristol lehnten die politisch und wirtschaftlich maßgeblichen Kreise eine stärkere Konkurrenz durch freien Handel mit Irland allerdings ab. Mit seiner Rede gab Burke seinen Wählern zu verstehen, dass er Wirtschaftswachstum und Wohlstand im gesamten Königreich für wichtiger ansah als Interessen der lokalen Wählerschaft.[7]

Freies Mandat und Abgeordnetenbestechung

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Es besteht ein Spannungsfeld zwischen dem freien Mandat und dem Tatbestand der Abgeordnetenbestechung. Zur Freiheit des Mandats gehörte nach traditioneller Auffassung, dass die Motive für ein Abstimmungsverhalten keiner Kontrolle unterliegen dürften. Diese Auffassung hat sich im Zeitablauf gewandelt. Heute wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass zur Vermeidung von Korruption das freie Mandat zurückzustehen habe. Nachdem das Misstrauensvotum gegen die Regierung Willy Brandt 1972 durch Abgeordnetenbestechung gescheitert war, gab sich der Deutsche Bundestag eine Ehrenordnung, in der Abgeordnetenbestechung untersagt wurde. Seit dem Jahr 1994 ist Abgeordnetenbestechung in Deutschland Straftatbestand nach § 108e StGB.

Das freie Mandat der Mitglieder des Deutschen Bundestages ist bundesverfassungsrechtlich durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verankert: „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Dies spricht den Abgeordneten des Bundestages von einer Bindung an Aufträge und Weisungen (etwa der eigenen Partei oder einer anderen Gruppe, zum Beispiel der Wähler in seinem Wahlkreis) bei seiner Entscheidungsfindung frei.

Der Abgeordnete ist bei der Entscheidungsfindung demnach nur seinem Gewissen unterworfen. Der im Zusammenhang mit den genannten Gesetzgebungsorganen oft diskutierte so genannte Fraktionszwang existiert also de jure nicht. Allerdings wird das freie Mandat in der Realität durch eine Fraktionsdisziplin eingeschränkt. Dies bedeutet, dass die bei fraktionsinternen Abstimmungen unterlegene Minderheit bei der Abstimmung im Parlament sich der fraktionsinternen Mehrheit beugt und ebenso wie diese abstimmt. Die in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG festgeschriebene innerparteiliche Demokratie ermöglicht es außerdem der Partei, durch möglichen Ausschluss oder beispielsweise die Verweigerung der Wiederaufstellung des Abgeordneten Einfluss auf seine Entscheidungsfindung zu nehmen. Dieses Druckmittel rechtfertigen manche damit, dass dem Abgeordneten die Wahl meist nur durch die Partei – sei es im Wege der Aufstellung als Direktkandidat in einem Wahlkreis, sei es im Wege der Wahl auf eine Landesliste – ermöglicht wurde.

Im Bundesrat gibt es dagegen kein freies Mandat. Die Mitglieder des Bundesrates sind im Innenverhältnis an Weisungen ihrer Landesregierung gebunden.

Versuche der Einschränkung des freien Mandates

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Zahlungsverpflichtung beim Verlassen der Fraktion

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Helmut Hass wurde zu einem Präzedenzfall für die Reichweite des freien Mandates von Abgeordneten. Die NPD ließ sich vor der Landtagswahl in Niedersachsen 1967 von allen Kandidaten einen Wechsel über 30.000 DM (in heutiger Kaufkraft 67.700 Euro) unterschreiben. Dieser „Sicherungswechsel“ sollte fällig werden, wenn der Abgeordnete aus der NPD-Landtagsfraktion ausscheidet. Nach dem Austritt von Hass aus der NPD-Fraktion leitete die NPD eine Zwangsvollstreckung ein; diese wurde vom Landgericht Braunschweig aber als sittenwidrig verworfen.[8]

Rotationsprinzip

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Die Vereinbarkeit des Rotationsprinzip der Grünen in den 1980er Jahren mit dem freien Mandat war umstritten.[9]

Das freie Mandat der Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates ist durch Art. 56 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) verankert. Sie sind an keinen Auftrag gebunden.[2] Das freie Mandat der Landtagsabgeordneten wird bundesverfassungsrechtlich aus dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie abgeleitet und ist darüber hinaus in den meisten Landesverfassungen enthalten.[10]

In der Schweiz ist das freie Mandat der National- und Ständeräte durch die Verfassung gesichert. Das sogenannte „Instruktionsverbot“ des Art. 161 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV) bestimmt, dass die Parlamentarier ohne Weisung stimmen. Das gilt auch für den Ständerat, dessen Mitglieder als vom Volk gewählte Vertreter ihrer Kantone (Art. 150 BV) nicht nach Weisung ihrer Kantonsregierung stimmen, anders als die Mitglieder des Deutschen Bundesrates, die an Weisungen ihrer Landesregierung gebunden sind.

  • Ulli F. H. Rühl: Das „Freie Mandat“: Elemente einer Interpretations- und Problemgeschichte. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte. 39. Bd., 2000, S. 23–48.
  • Norbert Leser: Überlegungen zum freien Mandat. In: Hedwig Kopetz, Joseph Marko, Klaus Poier (Hrsg.): Soziokultureller Wandel im Verfassungstaat. Phänomene politischer Transformation. Festschrift für Josef Mantl zum 65. Geburtstag. Band 1. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2004, ISBN 3-205-77211-3, S. 95–102.

Einzelnachweise

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  1. Annette Zwahr: Lutt–Mim. Lexikon. In: Meyers großes Taschenlexikon in 25 Bänden. 8. Auflage. Band 14. B. I. Taschenbuchverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2001, ISBN 3-411-11148-8, Mandat, S. 93 (324 S.).
  2. a b Österreich: Bundes-Verfassungsgesetz Art. 56. Rechtsinformationssystem des Bundes, 15. September 2016, abgerufen am 21. Mai 2022: „Artikel 56. (1) Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.“
  3. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Art 38. Bundesminister der Justiz, abgerufen am 21. Mai 2022: „Art 38 – (1) […] Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
  4. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 999 (Stand am 1. Januar 2021). In: Bundeskanzlei. 1. Januar 2021, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. Juni 2021; abgerufen am 21. Mai 2022: „Art. 161 Instruktionsverbot – Die Mitglieder der Bundesversammlung stimmen ohne Weisungen. Sie legen ihre Interessenbindungen offen.“  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.fedlex.admin.ch
  5. Inga Fuchs-Goldschmidt: Konsens als normatives Prinzip der Demokratie – Zur Kritik der deliberativen Theorie der Demokratie. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16075-7, S. 199–202 (222 S., zugleich Dissertation Universität Freiburg/Breisgau, 2007): „Auch die parlamentarische Willensbildung ist nicht an eine im diskursiven Verfahren begründete Form politischer Überzeugung gebunden. Belegt wird dies eindrücklich durch die […] Diskussion um die Fraktionsdisziplin parlamentarischer Abgeordneter. […] So kommen in der Regel die Abgeordneten überhaupt nur über Parteien in die Parlamente.“
  6. Original: Your Representative owes you, not his industry only, but his judgement; and he betrays, instead of serving you, if he sacrifices it to your opinion. [...] Government and Legislation are matters of reason and judgement, and not of inclination; and, what sort of reason is that, in which the determination precedes the discussion; in which one sett of men deliberate, and another decide; and where those who form the conclusion are perhaps three hundred miles distant from those who hear the arguments? To deliver an opinion, is the right of all men; that of Constituents is a weighty and respectable opinion, which a Representative ought always to rejoice to hear; and which he ought always most seriously to consider. But authoritative instructions; Mandates issued, which the Member is bound blindly and implicitly to obey, though contrary to the clearest conviction of his judgement and conscience; these are things utterly unknown to the laws of this land. Edmund Burke: Speech to the electors of Bristol, November 3th 1774 (Memento des Originals vom 23. April 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.econlib.org
  7. Jesse Norman: Edmund Burke. The Visionary who invented modern Politics. William Collins, London 2014, ISBN 978-0-00-748964-0, S. 90f.
  8. Uwe Hoffmann: Die NPD. 1998, ISBN 3-631-35439-8, S. 403; Uwe Hoffmann bezieht sich auf Der Spiegel. 8/1970 (online) und die FAZ. vom 9. April 1970.
  9. Spiegel Nr. 14 vom 4. April 1983, S. 22 bis 25: Die Angst der Grünen vor Amt und Macht. Sind imperatives Mandat und Rotation verfassungswidrig?
  10. Theo Öhlinger: Verfassungsrecht. 6. Auflage. Wien 2005, Rz. 411.