Thesen über Feuerbach: Unterschied zwischen den Versionen

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|TITEL=THESEN ÜBER FEUERBACH
|TITEL=Thesen über Feuerbach
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|HERKUNFT=Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie von Friedrich Engels. - Mit Anhang: Karl Marx über Feuerbach vom Jahre 1845.
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|VERLAG=J. H. W. Dietz.

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|QUELLE=[[commons:File:Thesen feuerbach 1888 01.jpg|Scans auf Commons]]
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|KURZBESCHREIBUNG=Thesen über [[Ludwig Feuerbach]] und seine Philosophie
|QUELLE= <small>Engels-Fassung: K.MARX und F.ENGELS AUSGEWÄHLTE WERKE - VERLAG PROGRESS Moskau 1971 Seite 26 bis einschließlich Seite 28
|SONSTIGES=
Marx-Fassung: Nach der Veröffentlichung des Marx-Engels-Lenin-Instituts, Moskau, 1932. Marx-Engels Werke, Band 3, Seite 5ff. Dietz Verlag Berlin, 1969.</small>
|KURZBESCHREIBUNG=
|SONSTIGES=__TOC__<small>Geschrieben Frühjahr 1845. Erstmalig (von Engels redigiert) veröffentlicht in Friedrich Engels: LUDWIG FEUERBACH UND DER AUSGANG DER KLASSISCHEN DEUTSCHEN PHILOSOPHIE. Nach der Ausgabe von 1888, verglichen mit der Handschrift von Karl Marx</small>
|WIKIPEDIA=Thesen über Feuerbach
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{{Seite|69||Thesen feuerbach 1888 02.jpg}}


{{center|<big>'''Anhang.'''</big>}}
=<div style="font-family: Gill Sans, Futura, sans-serif; font-variant: small-caps;" align="center">'''Thesen über Feuerbach'''</div>=
==<div align="center">Überarbeitete und geläufige Fassung von Friedrich Engels (1888)</div>==
'''<div align="center">1.These</div>'''


:Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus – den Feuerbachschen mit eingerechnet – ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des ''Objekts'' oder der ''Anschauung'' gefaßt wird; nicht aber als ''menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis,'' nicht subjektiv. Daher geschah es, daß die ''tätige'' Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde – aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt. Feuerbach will sinnliche, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte; aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als ''gegenständliche'' Tätigkeit. Er betrachtet daher im „Wesen des Christentums“ nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der „revolutionären“, der „praktisch-kritischen“ Tätigkeit.


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'''<div align="center">2.These</div>'''


{{center|(niedergeschrieben in Brüssel im Frühjahr 1845).}}
:Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine ''praktische'' Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, das heißt die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isoliert, ist eine rein ''scholastische'' Frage.
<div align="center">{{Seite|1}}</div>




{{center|'''1.'''}}
'''<div align="center">3.These</div>'''


:Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus – den Feuerbach’schen mit eingerechnet - ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des {{SperrSchrift|Objekts}} oder der {{SperrSchrift|Anschauung}} gefasst wird; nicht aber als {{SperrSchrift|menschliche sinnliche Thätigkeit, Praxis}}, nicht subjektiv. Daher geschah es, dass die {{SperrSchrift|thätige}} Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Thätigkeit als solche nicht kennt. Feuerbach will sinnliche, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte; aber er fasst die menschliche Thätigkeit selbst nicht als {{SperrSchrift|gegenständliche}} Thätigkeit. Er betrachtet daher im „Wesen des Christenthums“ nur das theoretische Verhalten als das ächt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefasst und fixirt wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der „revolutionären“, der praktisch-kritischen Thätigkeit.
:Die materialistische Lehre, daß die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergißt, daß die Umstände eben von den Menschen verändert werden und daß der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie kommt daher mit Notwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z. B. bei Robert Owen.)
:Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als ''umwälzende Praxis'' gefaßt und rationell verstanden werden.


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{{center|'''2.'''}}
'''<div align="center">4.These</div>'''


:Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isolirt, ist eine rein scholastische Frage.
:Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse, vorgestellte und eine wirkliche Welt. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Er übersieht, daß nach Vollbringung dieser Arbeit die Hauptsache noch zu tun bleibt. Die Tatsache nämlich, daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutioniert werden. Also z.B., nachdem die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch kritisiert und praktisch umgewälzt werden.




{{center|'''3.'''}}
'''<div align="center">5.These</div>'''


:Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden, und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie kommt daher mit Nothwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Theile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z.B. bei Robert Owen.)
:Feuerbach, mit dem ''abstrakten Denken'' nicht zufrieden, appelliert an die ''sinnliche Anschauung''; aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als praktische ''menschlich-sinnliche'' Tätigkeit.
:Das Zusammenfallen des Aenderns der Umstände und der menschlichen Thätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefasst und rationell verstanden werden.




{{center|'''4.'''}}
'''<div align="center">6.These</div>'''


:Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse, vorgestellte, und eine wirkliche Welt. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Er übersieht, dass nach Vollbringung dieser Arbeit die Hauptsache noch zu thun bleibt. Die Thatsache nämlich, dass die weltliche Grundlage sich von sich selbst {{Seite|71||Thesen feuerbach 1888 04.jpg}} abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixirt, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muss also erstens in ihrem Widerspruch verstanden, und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutionirt werden. Also z. B., nachdem die irdische Familie als das Geheimniss der heiligen Familie entdeckt ist, muss nun erstere selbst theoretisch kritisirt und praktisch umgewälzt werden.
:Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das ''menschliche'' Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
:Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
<div align="center">{{Seite|2}}</div>
:# von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu fixieren und ein abstrakt – ''isoliert'' – menschliches Individuum vorauszusetzen;
:# kann bei ihm daher das menschliche Wesen nur als ''„Gattung“'', als innere, stumme, die vielen Individuen bloß ''natürlich'' verbindende Allgemeinheit gefaßt werden.




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'''<div align="center">7.These</div>'''


:Feuerbach, mit dem {{SperrSchrift|abstrakten Denken}} nicht zufrieden, appellirt an die {{SperrSchrift|sinnliche Anschauung}}; aber er fasst die Sinnlichkeit nicht als praktische, menschlich-sinnliche Thätigkeit.
:Feuerbach sieht daher nicht, daß das „religiöse Gemüt“ selbst ein ''gesellschaftliches Produkt'' ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.




{{center|'''6.'''}}
'''<div align="center">8.These</div>'''

:Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich ''praktisch''. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.


'''<div align="center">9.These</div>'''

:Das Höchste, wozu der ''anschauende'' Materialismus es bringt, d.h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen in der „bürgerlichen Gesellschaft“.


'''<div align="center">10.These</div>'''

:Der Standpunkt des alten Materialismus ist die ''„bürgerliche“'' Gesellschaft; der Standpunkt des neuen die ''menschliche'' Gesellschaft, oder die vergesellschaftete Menschheit.


'''<div align="center">11.These</div>'''

:Die Philosophen haben die Welt nur verschieden ''interpretiert''; es kommt aber darauf an, sie zu ''verändern''.
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==<div align="center">Urfassung von Karl Marx (1845)</div>==

'''<div align="center">1.These</div>'''

:Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des ''Objekts oder der Anschauung'' gefaßt wird; nicht aber als ''sinnlich menschliche Tätigkeit'', Praxis; nicht subjektiv. Daher die ''tätige'' Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus vom dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt. Feuerbach will sinnliche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedne Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als ''gegenständliche'' Tätigkeit. Er betrachtet daher im "Wesen des Christenthums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der "revolutionären", der "praktisch-kritischen" Tätigkeit.


'''<div align="center">2.These</div>'''

:Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein ''scholastische'' Frage.


'''<div align="center">3.These</div>'''

:Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr erhaben ist - sondieren.

:Das Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als ''revolutionäre'' Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.


'''<div align="center">4.These</div>'''

:Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse und eine weltliche Welt. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Aber daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist nur aus der Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also in isch selbst sowohl in ihrem Widerspruch verstanden als praktisch revolutioniert werden. Also nachdem z.B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet werden.


'''<div align="center">5.These</div>'''

:Feuerbach, mit dem ''abstrakten Denken'' nicht zufrieden, will die ''Anschauung''; aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als ''praktische'' menschlich-sinnliche Tätigkeit.


'''<div align="center">6.These</div>'''

:Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.


:Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein, dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
:Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
:Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
:1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahiren und das religiöse Gemüth für sich zu fixiren und ein abstrakt – {{SperrSchrift|isolirt}} – menschliches Individuum vorauszusetzen;
:2. kann bei ihm daher das menschliche Wesen nur als „Gattung“, als innere, stumme, die vielen Individuen blos {{SperrSchrift|natürlich}} verbindende Allgemeinheit gefasst werden.


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:#1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahieren und das religiöse Gemüt für sich zu fixieren, und ein abstrakt - ''isoliert'' - menschliches Individuum vorauszusetzen;


{{center|'''7.'''}}
:#2. Das Wesen kann daher nur als "Gattung", als innere, stumme, die vielen Individuen ''natürlich'' verbindende Allgemeinheit gefaßt werden.


:Feuerbach sieht daher nicht, daß das „religiöse Gemüth“ selbst ein {{SperrSchrift|gesellschaftliches Produkt}} ist, und dass das abstrakte Individuum, das er analysirt, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.


'''<div align="center">7.These</div>'''


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:Feuerbach sieht daher nicht, daß das "religiöse Gemüt" selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.


:Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich {{SperrSchrift|praktisch}}. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mysticismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.


'''<div align="center">8.These</div>'''


{{center|'''9.'''}}
:Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich ''praktisch''. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizism[us] veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.


:Das Höchste, wozu der {{SperrSchrift|anschauende}} Materialismus es bringt, d. h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Thätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen in der „bürgerlichen Gesellschaft“.


'''<div align="center">9.These</div>'''


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:Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus kommt, d.h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen und der bürgerlichen Gesellschaft.


:Der Standpunkt des alten Materialismus ist die „{{SperrSchrift|bürgerliche}}“ Gesellschaft; der Standpunkt des neuen, die {{SperrSchrift|menschliche}} Gesellschaft, oder die vergesellschaftete Menschheit.


'''<div align="center">10.These</div>'''


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:Der Standpunkt des alten Materialismus ist die bürgerliche Gesellschaft; der Standpunkt des neuen die menschliche Gesellschaft, oder die gesellschaftliche Menschheit.


:Die Philosophen haben die Welt nur verschieden {{SperrSchrift|interpretirt}}; es kommt aber darauf an, sie zu {{SperrSchrift|verändern}}.


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:Die Philosophen haben die Welt nur verschieden ''interpretiert''; es kömmt drauf an, sie zu ''verändern''.
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Aktuelle Version vom 14. Mai 2021, 23:12 Uhr

Textdaten
Autor: Karl Marx
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Titel: Thesen über Feuerbach
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aus: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie von Friedrich Engels. - Mit Anhang: Karl Marx über Feuerbach vom Jahre 1845.
Herausgeber:
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Entstehungsdatum: Frühjahr 1845
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: J. H. W. Dietz.
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Thesen über Ludwig Feuerbach und seine Philosophie
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[69]

Anhang.


Marx über Feuerbach


(niedergeschrieben in Brüssel im Frühjahr 1845).


1.
Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus – den Feuerbach’schen mit eingerechnet - ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird; nicht aber als menschliche sinnliche Thätigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher geschah es, dass die thätige Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Thätigkeit als solche nicht kennt. Feuerbach will sinnliche, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte; aber er fasst die menschliche Thätigkeit selbst nicht als gegenständliche Thätigkeit. Er betrachtet daher im „Wesen des Christenthums“ nur das theoretische Verhalten als das ächt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefasst und fixirt wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der „revolutionären“, der praktisch-kritischen Thätigkeit.

[70]

2.
Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isolirt, ist eine rein scholastische Frage.


3.
Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden, und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie kommt daher mit Nothwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Theile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z.B. bei Robert Owen.)
Das Zusammenfallen des Aenderns der Umstände und der menschlichen Thätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefasst und rationell verstanden werden.


4.
Feuerbach geht aus von dem Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse, vorgestellte, und eine wirkliche Welt. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Er übersieht, dass nach Vollbringung dieser Arbeit die Hauptsache noch zu thun bleibt. Die Thatsache nämlich, dass die weltliche Grundlage sich von sich selbst [71] abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixirt, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muss also erstens in ihrem Widerspruch verstanden, und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutionirt werden. Also z. B., nachdem die irdische Familie als das Geheimniss der heiligen Familie entdeckt ist, muss nun erstere selbst theoretisch kritisirt und praktisch umgewälzt werden.


5.
Feuerbach, mit dem abstrakten Denken nicht zufrieden, appellirt an die sinnliche Anschauung; aber er fasst die Sinnlichkeit nicht als praktische, menschlich-sinnliche Thätigkeit.


6.
Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein, dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Feuerbach, der auf die Kritik dieses wirklichen Wesens nicht eingeht, ist daher gezwungen:
1. von dem geschichtlichen Verlauf zu abstrahiren und das religiöse Gemüth für sich zu fixiren und ein abstrakt – isolirt – menschliches Individuum vorauszusetzen;
2. kann bei ihm daher das menschliche Wesen nur als „Gattung“, als innere, stumme, die vielen Individuen blos natürlich verbindende Allgemeinheit gefasst werden.

[72]

7.
Feuerbach sieht daher nicht, daß das „religiöse Gemüth“ selbst ein gesellschaftliches Produkt ist, und dass das abstrakte Individuum, das er analysirt, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.


8.
Das gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mysticismus verleiten, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis.


9.
Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus es bringt, d. h. der Materialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Thätigkeit begreift, ist die Anschauung der einzelnen Individuen in der „bürgerlichen Gesellschaft“.


10.
Der Standpunkt des alten Materialismus ist die „bürgerliche“ Gesellschaft; der Standpunkt des neuen, die menschliche Gesellschaft, oder die vergesellschaftete Menschheit.


11.
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretirt; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.



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