(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Zeugung – Wikisource Zum Inhalt springen

Zeugung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Kaspar Hauser
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zeugung
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. 23. Jahrgang 1927, Nummer 42, Seite 617–618.
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 18. Oktober 1927
Verlag: Verlag der Weltbühne
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. 23. Jahrgang 1927. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[617]
Zeugung

Die biochemischen Vorgänge sind bekannt.

Äußerlich sah es so aus, daß das nackte, gardinenlose Fenster erst hellgrau, dann graublau schien – schließlich wurde der Himmel weißlich. Die Frau wachte zuerst auf – in einem schmutzigen Hemd, mit zerzausten, ins Gesicht hängenden Haaren blickte sie trübe um sich her. Das Rumpeldurcheinander des Zimmers sah sie an. Durch die verklebten, zusammengekniffnen Augen erblickte sie: den Herd mit Töpfen und Papier, auf dem Tisch die leeren zwei Flaschen und eine halbvolle, ihren Unterrock auf einem Stuhl, seine Sachen über eine Stuhllehne geworfen, Stiefel, Körbe, Brocken, unabgewaschnes Geschirr, Zeitungsbogen, einen Hammer. Je weniger die Leute besitzen, desto voller sind ihre Stuben. Diese hatten nur eine: Küche, Eß- und Schlafzimmer zugleich. Darin hatten sie gestern das Kind gezeugt.

Daß es ein Sohn werden würde, wußte die Frau noch nicht. Sie sah auf den Mann; der schlief mit halboffnem Mund, schlecht rasiert, schwitzig um die Nase herum. Der Blick weckte ihn. „Koch Kaffee!“ sagte er halblaut. Sie wollte zärtlich sein, in der Fortsetzung. Er küßte sie und schob sie, nicht unfreundlich, fort. Sie stand auf. Er sah sie vom Bett aus hantieren und mit den Töpfen klappern, der Vater.

Das Zimmer sah aus, wie die Photographie einer Mordstube, wie eine Tatbestandsaufnahme. Er richtete sich hoch und langte sich das Wollunterzeug herüber. Dann schlurrte er in Pantoffeln auf den Gang, auf den Abtritt.

Die künftige Mutter legte Brotkanten, ein Messer auf eine Tischdecke, setzte zwei Kaffeetöpfe daneben. Er kehrte zurück, und sie frühstückten. Sie sprachen nicht. Es war nichts zu sagen. Er sah kauend aus dem Fenster. Da lag die Stadt.

Er sah über die Dachschornsteine, ohne sie zu sehen. Weil der Mensch nur hinter sich sehen kann und nicht vor sich, sah er nichts. Zwei Höfe weiter stand ein Pferd, ein junges Tier, das würde ihm in zwei Jahren einen Tritt gegen den Unterleib versetzen, an dem er lange Monate krank liegen würde, arbeitslos und krank. Um die Ecke saß ein Schreiber in einem Bureau, der spitzte seinen Bleistift – mit ihm würde die Frau weglaufen, einem jungen, käsig-bleichen Burschen, finnig. Hinten, weit am Horizont, wohnte der Arzt, der auch nichts für ihn tun konnte [618] – und weiter, im Westen sein Fabrikant, der ihn dann entließ. Vorläufig kaute er noch stumpf vor sich hin.

Das, was in der Mutter war, wurde ein Sohn, die weiße Flocke. Er verreckte bei Verdun[1], an demselben Tage, an dem der General Falkenhayn[2] den Orden Pour le mérite[3] bekam. Die Herren Eltern erhoben sich.

Kaspar Hauser               

Anmerkungen (Wikisource)