Zum Nordcap
Unser Schooner lag auf geschützter Ankerstelle in der Nähe von Gjesvär, der letzten Handelsstelle auf der westlichen Seite des Nordcaps. Wir hatten den dortigen Kaufherrn, der gerade in Hammerfest zur Besorgung einiger Geschäfte anwesend war, während der Reise nach Gjesvär kennen gelernt, und er hatte sich bereitwillig
anerboten, uns gleich am Morgen nach unserer Ankunft ein
großes Segelboot mit vier Ruderern zu stellen, worunter ein Kendmand, d. h. ein mit der Gegend bekannter Mann, der uns nach dem Nordcap über Land führen könne. Wir hätten, hieß es, nicht ganz eine halbe Meile zu rudern und eine halbe Meile über das Fjeld nach dem Nordcap zu gehen. Unsere Karten schienen zwar hinsichtlich der Distancen nicht gut mit diesen Angaben zu stimmen; allein wir wollten den wahrscheinlichen Irrthum lieber auf Seiten der Geographie, als der Eingeborenen suchen. Doch wurde beschlossen,
[14] auch unser kleines Segelboot zu bemannen und sich gehörig mit Proviant zu versehen für alle Fälle. Auch durfte die Flasche Champagner, die auf dem Nordcap geleert werden sollte, nicht vergessen werden. Die Stunde der Abfahrt wurde auf 9 Uhr Morgens festgesetzt.
Vergebens erwarteten wir am andern Morgen das große Boot. Leopold von Buch klagt schon über die guten Stunden, welche er über langwierigen Vorbereitungen mit Lappen und Normännern habe verlieren müssen. Auch hier schienen dieselben Klagen ihre Stätte zu finden. Zehn Uhr vorüber und kein Schiff zeigte sich. Man glaubte an ein Mißverständniß und ruderte hinüber. Aber die Verabredung ist ganz richtig verstanden worden; nur sind die Leute spät vom Fischfang heimgekommen, haben essen müssen – und was dergleichen Gründe mehr sind. Endlich erscheint das Boot um elf Uhr an unserem Bord, mit vier Ruderern bemannt, welche ihre keinen Löffel (denn Ruder kann man die Dinger wohl nicht nennen) mit ziemlicher Geschwindigkeit handhaben. Wir wollen einsteigen – kein Sitz. Wahrscheinlich hatten sich unsere Ruderer eingebildet, wir würden nach Art der Lappen uns auf dem Breterboden, der im Hintersteven angebracht war, auf die Fersen in die Runde hocken und so die Meile zurücklegen. Es müssen noch Sitze mit Koffern und Bretern improvisirt und damit wieder eine kostbare Zeit verloren werden.
Endlich sind wir fertig. Der Capitain und Berna besteigen unser keines, mit zwei Mann besetztes Segelboot, wir Andern suchen im großen Boot uns einzurichten. Der Wind ist uns nicht günstig, wir müssen nach dem Tufjord hin kreuzen.
Anfangs gewinnt unser großes Boot scheinbar einen bedeutenden Vorsprung. Das einzige große Segel, das es besitzt, zieht gewaltig, und die vier Ruderer arbeiten aus Leibeskräften, um uns nahe an dem Winde zu halten. Bald aber zeigt es sich, daß unser Blankeneser Boot mit seinem dreieckigen Fock- und schiefen Hauptsegel sich viel näher an den Wind legen und schneller wenden kann, als das plumpe norwegische Fahrzeug. Der Capitain schießt mit seiner Nußschale zwischen Scheeren hindurch, um welche wir langsam herumluven müssen, und wie wir endlich, bei fast vollkommener Windstille, im Tufjord anlangen, sehen wir den Capitain schon gegenüber am Ufer hinkreuzen und auf eine Bucht hinsteuern, welche noch ferner als diejenige war, an der wir landen sollten. In der That langen wir auch trotz dieses Umwegs eine Viertelstunde später am Landungsplatze an, der in einer kleinen Bucht am östlichen Ende des Fjords lag.
Der Marsch ward angetreten. Die Felsen, auf denen wir mit Beschwerde landeten, die steilen Ufer ringsum bestanden aus grauschwarzem, feinkörnigem, leicht verwitterbarem Gesteine, dessen Schichtenköpfe nach Norden schauten, so daß überall im Tufjorde die Neigung der Schichten und ihr Einschießen gen Süden deutlich zu erkennen war. Ueber die mineralogische Beschaffenheit dieses Gesteines, welches das ganze Massiv von Nord-Mageroe bildet, möchte ich nicht streiten. L. von Buch behauptet mit Bestimmtheit, nördlich von Hammerfest komme kein Glimmerschiefer sondern nur Gneiß und Thonschiefer vor; allein schwer würde es werden, am Gesteine des Tufjords nachzuweisen, daß es kein Glimmerschiefer sei, und wenn Einer uns sagte, es sei glimmeriger Sandstein, so könnte man ihn auch nicht widerlegen. So zermahlen und zerrieben sind die Bestandtheile, welche diesen dunkelgrauen, geschichteten Stein bilden, daß man wohl Glimmer, Quarz, Feldspath darin unterscheiden, aber nicht deutlich sichten und erkennen kann. Außerordentlich deutlich ist aber überall die Schichtung und die Einlagerung von Schichten fleischrothen, massiven Granites, die der Wand des Tufjordes aus einiger Ferne das Ansehen geben, als wäre es eine Wand von Liasschiefer mit Einlagerung von derbem Liaskalke. Und das ist ja wohl eine merkwürdige Erscheinung! Ist es doch, als ob die Natur mit deutlichen Zügen in die nördlichsten Blätter des europäischen Steinbuches die Metamorphose der Gesteine hätte eingraben wollen. Freilich enthalten diese bis zur gänzlichen Zerstörung ihres ursprünglichen Gefüges umkrystallisirten Gesteine keine Versteinerungen, welche uns über ihr Alter und ihre Einreihung in die Zeitalter der Erde belehren könnten; – aber daß diese krystallisirten Schiefer einst versteinerungshaltige Mergel oder Thonschiefer, die granitischen eingelagerten Schichten einst derbe Kalke waren, das wird unmittelbar Jedem klar werden, der die Wand von einer Entfernung aus betrachtet, wo ihm die Existenz von Versteinerungen doch entgehen mußte. Ganz gewiß aber wird Angesichts einer solchen Einlagerung continuirlicher Granitschichten in Schiefermassive kein vernünftiger Mensch behaupten können, daß der Granit ein eruptives Gestein sei, das, aus den Tiefen der Erde emporgeworfen, die Schichten der Erde in die Höhe gehoben habe. Nein! hier ist gewiß der Granit an Ort und Stelle gebildet, durch langsame, allmähliche Umwandlung, Metamorphose der ursprünglichen Schichten, die sich aus dem Wasser abgesetzt hatten.
Wir stiegen langsam einen steilen, aus großen Blöcken zusammengehäuften Schuttkegel hinan, neben welchem ein Bach durch den steilen Thalriß in die Bucht niederrauschte. Von einer alten Strandlinie, wie wir deren so viele bisher gesehen hatten, fand sich keine Spur; auch gestattete die üppige Vegetation, welche den Kegel deckte, nicht zu untersuchen, ob wir uns etwa auf einer Gletschermoräne befänden, die das Thal beinahe sperrte. Es war eine Art nordischer Maienwand, die wir mühsam hinankletterten. Der steile, gen Süden gerichtete, gut bewässerte Abhang, auf dem die Verwitterung des Gesteines eine vortreffliche Dammerde erzeugt hatte, war reich überwuchert von kriechenden Weiden, Zwergbirken, Heidelbeeren und ähnlichem an dem Boden hinschleichenden Gesträuche, zwischen dem blaue Wicken, rothe Feuernelken, weiße Kopfnelken in anmuthigem Wechsel blühten. Die Engelwurz (Angelica), welche den Lappen so werth ist, daß jeder von der Rennthierhut heimkehrende Bräutigam, Gatte und Vater der Familie einige Blumenstengel zum Kauen und Aussaugen mitbringt, treibt hier Stengel von mehreren Fuß Höhe. Gewiß, könnte die Birke oder ein anderer Baum in diesem Klima gedeihen, an diesem Abhange müßte er stehen. Aber nichts der Art zeigte sich. Was mehrjähriges Holz hat, schleicht am Boden hin und drückt sich in die Spalten zwischen den Felsblöcken, und nur die krautigen Stengel, die innerhalb der kurzen Sommerfrist aufschießen und verdorren, wagen ihr Haupt über die feste Fläche in die Luft zu erheben.
Das erste Ansteigen war mühsam und beschwerlich. Der Fuß rutschte in die Spalten und Klüfte, welche zwischen den Steinen von Moos und Kraut versteckt sich hinzogen, und oft mar man genöthigt, kletternd mit den Händen eine Stufe zu erklimmen. Voran schritten die beiden Führer, schwer bepackt mit Speise und Trank; ihnen nach eiferten die Jäger, Berna, Herzen und der Capitain mit dem Maler um dem Vorrang, der vergebens seine Zeichenmappe schleppte. Den Nachtrab machten Greßly und Vogt, eben so sehr durch die Untersuchung der Gesteine und Gewächse, als durch die Schwere des Körpers und die beginnende Steifigkeit des alternden Gebeines zurückgehalten.
Nach einer schweren Stunde mühsamen Aufkimmens hatten wir die Höhe des Fjeldes erreicht und schritten nun, leichter athmend, über ödes Steingeklipp rüstig vorwärts. Die Flächen dehnten sich fast unabsehbar nach allen Seiten hin als Plateau aus, das nur geringe wellenförmige Modulationen zeigte. Die zu kuchenförmigen Stücken verwitterten Gesteine lagen fast wie Pflaster eines Provinzialstädtchens neben einander, und nur in den Fugen keimte mühselig, wie in einem mittelalterlichen, verlassenen Schloßhofe, kümmerliches Gras und spärliches Moos. Nur hie und da zeigten sich riffähnliche Rücken, in welchen die schroff gebrochenen Schichtenköpfe zu Tage traten, oder blendend weiße Massen und Flecke, die man für Schnee oder Eisklumpen hätte halten können, wenn nicht die genau begrenzte, scharfeckige Gestalt über die härtere Natur belehrt und die warme Temperatur die Unmöglichkeit der Erhaltung solcher Winterreste gezeigt hätte. Es waren Massen krystallisirten Quarzes, die bald in Nestern, bald in Gängen sich vorfanden, der Verwitterung besseren Widerstand leisteten, als das weiche Schiefergestein, und so über die Flächen hervorragten als redende Zeugen der Abtragung, die diese erlitten. Wir überschritten einzelne dieser Quarzgänge, die in gerader Richtung, so weit das Auge reichte, wie Mauern über das Fjeld hinliefen und einige Fuß über die allgemeine Bodenfläche emporzuragen schienen.
Wenn auch in vieler Beziehung ähnlich den Fjelden, die wir auf Dovre zwischen Jerkind und dem Sneehättan überschritten hatten, so zeigte sich doch mancher Unterschied. Dort deckte Rennthiermoos und isländisches Moos fußhoch die öden Flächen und überzog sie mit hell schwefelgelben und weißen Farben, zwischen denen die dunkeln Gesteine und Moortümpel mit ihren braunen und schwarzen Tinten hervorstachen, wie Flecken auf dem Felle des Panthers; hier war Alles grau in grau, denn die spärliche Vegetation konnte gegen die allgemeine Wirkung des nackten Gesteins nicht aufkommen. Dort konnte man sich zuweilen in die Nähe eines Vulcanes versetzt [15] glauben, dessen flache Lavaströme mit ausgewittertem Schwefel und Salzen überdeckt seien; hier konnte keine Täuschung obwalten über den grauenvollen Kampf, in welchem der Schrecken eines durch seine Länge entsetzlichen Winters Sieger geworden über die unterliegende Vegetation. Schnee zeigte sich freilich nirgends mehr auf unserem Wege; nur in der Runse einer seitlichen Schlucht hatte sich noch ein Ueberrest erhalten; aber viele ausgetrocknete Tümpel und kleine mit Wasser gefüllte Teiche zeigten deutlich, daß sie kaum erst durch Schmelzen des Schnees entstanden und vielleicht nur dem heuer außerordentlich günstigen warmen Wetter ihren Ursprung verdankten.
[22] Trotz ihrer schweren Bepackung trabten unsere Führer wie Rennthiere leichtfüßig über die Flächen weg, auf denen wir erst später einige aufgerichtete Schiefertafeln entdeckten, die ihnen nebst dem Kompaß zur Richtschnur dienten. Jetzt zeigten sie sich als Silhouetten auf der Höhe eines langen Rückens, wo man sie eben noch mit den Augen entdecken konnte; dann verschwanden sie in einer Terrainfalte, die sie den Blicken entzog. Man beeilte sich, ihnen nachzusetzen; aber auf der Höhe angekommen, zeigte sich nichts als öde Fläche, ähnlich der durchschrittenen, ohne erkennbaren Anhaltspunkt für die Richtung, welche sie genommen. Nun jodelt Hasselhorst seinen Tyroler Alpenschrei, der unserem Schiffsvolk schon längst zum Signal geworden; Vogt schreit mit aller Kraft seiner Parlamentslunge, und man horcht begierig nach einer Antwort von Seiten der Führer. Ein Regenpfeifer, der sein langweiliges Tü tü ertönen läßt, täuscht wohl in dem ersten Augenblicke, dann aber bleibt es still. Nun wird das Fernrohr hervorgenommen und jeder Felsen, der einen Mann vorstellen könnte, genau untersucht – keine Spur! Man wettert, flucht sogar trotz der genossenen christlichen Erziehung, dreht sich zehn Mal herum – da sitzen unsere Lappen, stumm wie Fische, hinter einem großen Steine und wundern sich sichtlich über unsere Aufregung.
Man schreitet wieder fürbaß; Vogt mit Herzen voran im Gespräche; Berna und der Capitain seitlich auf den Flanken, begierig ein Wild zu erschauen; Greßly halb am Boden kriechend, um der gedrückten Flora ein einsames Kind zu entreißen. Hasselhorst bildet dieses Mal ausnahmsweise den Nachtrab. Das „Auge der Expedition“, wie er seit der Adlerjagd genannt wird.
Läßt verzückt die Augen schweifen,
Gleich als hätt’ er was zu greifen
Auf dem öden Felsenplan.
Aber es ist nichts zu greifen; die Mappe bleibt geschnürt bis zur Rückkehr. Fläche und flache Steine – wie könnte da der Maler ernten?
Plötzlich schauert es vor unseren Füßen auf: zehn, zwanzig Rypen[WS 1], ein ganzes Volk in unmittelbarer Nähe. Unsere Jäger tragen noch die Flinte ungespannt im Bandelier; – bis sie fertig sind, haben die Rypen sich in der nächsten Vertiefung gedeckt. Der Springinsfeld Freitag jagt hinter ihnen her, und vergeblich versucht Hasselhorst, der sich der Erziehung des verwahrlosten Hundeviehs mit mehr oder weniger Erfolg gewidmet hat, ihn mit Rufen und Steinwürfen zurückzubringen. Endlich bewirken Jugenderinnerungen, was Scheltworte vergebens bezweckten. Der Hund ist offenbar einst dazu benutzt worden, Schafe zusammen zu treiben; er betrachtete uns nun als seine Heerde, die er verpflichtet ist zu decken, und so streicht er nach einigem Klaffen hinter den Rypen her, zuerst zu dem Nachzügler Greßly und dann den beiden Lappen nach, die wieder einen unabsehbaren Vorsprung gewonnen haben. Jetzt erst läßt sich die Verfolgung der Rypen organisiren. Von drei Seiten suchte man ihnen beizukommen; aber sie halten nicht weiter, und nur aus großer Ferne kann ihnen ein vergeblicher Schuß nachgejagt werden.
Indessen ist nun der Jagdeifer geweckt, und so geht es zum Theil auf Umwegen vorwärts. Rypen und Regenpfeifer locken bald nach rechts, bald nach links, und theils auf dem Hinwege, theils während der Rückkehr fallen in der That einige schmackhafte Braten in die Taschen der Jäger. Wunderbar scheint es manchmal, welch zähes Leben diese nordischen Vögel besitzen. Nicht zu sprechen von den Wasservögeln, welche unmittelbar in den Kopf oder Hals tödtlich getroffen sein müssen, sollen sie nicht in dem nassen Elemente aus Nimmerwiedersehen verschwinden – auch die Rypen fallen nur im Todeskampfe, und selbst dann noch wissen sie sich unter Steinen so gut zu verbergen, daß ohne Hund es unmöglich ist, sie aufzufinden. So schoß Berna auf ein paar Rypen, [23] die stolzen Fluges von dannen strichen. Wir glaubten sie gefehlt – hundert Schritte von dem Orte, wo sie eingefallen, lag die eine, unter dem Flügel in die Brust geschossen, todt hinter einem bergenden Steine. Es gelang auch, ein Nestküchlein zu fangen, dessen Mutter geschossen worden; die andern – denn es waren ihrer ohne Zweifel mehrere – entgingen jeder Nachforschung, obgleich man hätte glauben sollen, daß ein Versteck auf dem platten Boden gar nicht zu finden sei.
Kaum dürfte indessen die Jagdstreiferei auf die Schnelligkeit unseres Vorrückens einigen Einfluß geäußert haben; denn Drei von den Sechs waren unbewehrt, und je weiter der Weg sich spannte, desto mehr hielten die Nichtjäger darauf, den forteilenden Lappen zu folgen und dem Ziele sich zu nähern. Vielleicht mag auch zu diesem Eifer für die gerade Linie die Betrachtung, daß der Proviant den Lappen anvertraut war, das Seinige beigetragen haben. Zschokke’s kleine Erzählung in welcher die Compagnie nicht dem gegen die Feinde stürmenden Hauptmann, sondern dem Proviantwagen und dem Branntweinfäßchen der Marketenderin folgt, hat gewiß ihre menschlich berechtigte Grundlage.
Die halbe Meile aber spinnt sich endlos. Drei Stunden marschiren wir schon in ziemlicher Sonnenhitze; der Horizont des Meeres steigt immer höher; bei jeder Schwellung des Bodens glauben wir die letzte Höhe zu sehen; aber immer wieder kommt eine neue Senkung und eine neue Schwellung gegenüber, kaum höher als die erklommene. Deutschland kennt bis jetzt die Meilen, welche der Fuchs maß, indem er den Schwanz zugab; aber der Begriff der Lappenmeile scheint uns für den gewöhnlichen Hausmannsverstand fast ebenso unfaßlich, als diejenige einer Himmelsmeile. Zehnmal wurden die Lappen gefragt: Nordcap? und zehnmal kommt die Antwort zurück: Ikke![WS 2]
Endlich langen wir auf einer kleinen Höhe an und sehen vor uns ein kleines Querthal, über welches sich eine breite Kuppe erhebt, die mit entsetzlich steilen Wänden zu beiden Seiten gegen das Meer hinabfällt. Links und rechts dieselben senkrechten Abstürze, von welchen Risse ausgehen, die tief in den Hals des Vorgebirges einschneiden. Weit unten in der Tiefe, dem Spiele einer schäumenden Brandung ausgesetzt, eine kleine Bucht, in welcher Skansveg, die nächste Handelsstelle auf der Ostseite des Nordcaps, liegen soll. In der Ferne eine vorspringende Zunge, die in langem Zuge über den Ocean hinkriecht und ebenfalls mit steilen Wänden in die See fällt. Das ist Nordkyn, die vorspringendste, nördliche Spitze des Festlandes, während das Nordcap, auf dem wir stehen, nicht dem festen Lande, sondern der Insel Mageroe zugehört und auch hier, den Geographen zufolge, seinen Namen mit Unrecht trägt, da die nächste Kuppe zur westlichen Seite, Knioskjerodden, um etwas Weniges mehr nach Norden vorspringt. Es geht also dem Nordcap, wie vielen menschlichen Reputationen; es ist weder die nördlichste Spitze der Insel Mageroe, noch die nördlichste Spitze des Festlandes, und nichts destoweniger steht die Signalstange dort mit den Namen, die darauf eingeschnitten sind – und wer in Norwegen gewesen und das Nordcap nicht bestiegen hat, ist in Rom gewesen und hat den Papst nicht gesehen.
Also frisch hinauf nach der letzten Kuppe! Eine Rype, welche wie flügellahm vor uns her wackelt und uns offenbar von ihren Küchlein ablenken will, einige Goldregenpfeifer, die zur Verfolgung zu verleiten suchen, halten uns nur wenig auf. Um 5 Uhr ist die Höhe erreicht, die Signalstange begrüßt, ein Blick rundum auf die Aussicht geworfen, der Proviantsack aufgeschnallt und dann eine Runde zum fröhlichen Mahle gebildet, zu welchem Deutschland das solide, Norwegen und Frankreich das flüssige Element liefern. Schinken und Mettwurst, Bier und Champagner und ein durch vierstündigen Klettermarsch auf eine schwindelnde Höhe aufgestachelter Appetit – was kann der Mensch mehr verlangen?
Die Aussicht, welche wir von dem Cap aus umspannen, ist großartig durch die scheinbar unendliche Ausdehnung der Flächen, welche wir beherrschen. Ueber die Hälfte des Horizontes streckt sich die See, deren Bewegung, von solcher Höhe aus gesehen, fast gänzlich der Beobachtung sich entzieht, so daß nur die Brandung an den Küstenklippen, die wie ein ferner Sturm herauftönt, uns von dem hohen Seegange Kunde bringt. Zwei Schooner, die von Archangel aus gen Hammerfest zu segeln scheinen, liegen wie Punkte auf windstiller Fläche. Die See zeigt Streifen, wo das Wasser vom Winde gekräuselt ist, und unregelmäßige Flächen, welche, glatt wie ein Spiegel, das Bild der Wolken wiedergeben, die am Himmelsgewölbe fest zu stehen scheinen. Kaum wagt man, an den Rand der schauderhaften Abstürze vorzugehen, welche auf den Seiten in die Tiefe gähnen. Spitze Schieferplatten, nach dem Inneren des Landes zu einschießend, strecken ihre scharfen Kanten in die Luft hinaus, und unmöglich scheint es, daß ein Weg von unten her über diese überhängenden Klippen und Risse nach der Höhe führen könne. Die Fläche des Caps selbst ist so breit und so abgerundet, daß man links und rechts nur wenig von den ähnlichen Vorgebirgen sieht, die ihm nahe stehen, sobald man sich nur so weit von dem Stande entfernt, als nöthig, um einen sichern Standpunkt zu gewinnen. So bildet denn nördlich das weite Meer, südlich die weite Steinöde des Fjelds das trostlose Panorama, über das sich ein nebliger Himmel spannt.
Die Stunde, welche wir dem Gipfel widmen konnten, war bald in fröhlicher Weise vollbracht. So einfach das Gelage war, so trefflich mundete es; denn glücklich genug hatten unsere Lappen nur einige Bierflaschen zerbrochen, die Flaschen edlen Getränks aber verschont, das Moët und Chandon uns geliefert. Zum Schlusse nahmen wir die Stange, welche die Inschriften der Namen trägt, von ihrem Steinpostamente herab, schnitzten sie oben so zu, daß eine Champagnerflasche mit ihrem Halse wohl darauf befestigt werden konnte, und bargen in der Flasche einen Papierstreifen mit unseren Namen und Adressen und folgendem schlechten Verse, dem das Album des Brockenwirthshauses oder der Grimsel zur Entschuldigung dienen mögen:
Wer diesen Zettel uns wird bringen,
Dem sollen volle Gläser klingen,
Und kömmt er gar zur Mittagszeit,
Steht ein Couvert für ihn bereit.
Um sechs Uhr wurde der Rückmarsch angetreten. Die Lappen, deren Bürde trotz der Erinnerungssteine, womit wir den Proviant theilweise ersetzt hatten, wesentlich erleichtert war, verdufteten wieder in ungesehener Ferne vor uns her, während wir uns nach ihnen, den aufgerichteten Schieferplatten und der gewonnenen Kenntniß des Fjeldes leicht zu orientiren wußten. Zum letzten Herabsteigen wählten wir nicht den steilen Schuttkegel, den wir am Morgen erklommen hatten, sondern bogen etwas südlich in den Thalriß des Baches selbst ein, dem wir so gut als möglich auf meist üppig bewachsenen Schuttflächen folgten. Obgleich aber unser Weg bergab führte, gewannen wir doch nicht viel Zeit; denn auf der Hochfläche des Fjeldes ist es fast gleichgültig, in welcher Richtung man geht, und die Abhänge sind so steil, daß sie durch diese Steilheit großentheils wieder den Vortheil aufheben, welchen ihre Senkung für den Marsch gewährt.
Die Boote waren um halb 10 Uhr erreicht. Wir hofften jetzt günstigen Wind zu haben, da wir am Morgen gegen den Wind hatten aufkreuzen müssen; allein der Wind hatte sich gedreht, unserem gewöhnlichen Schicksale zufolge, das nach dem Ausspruche eines unserer Matrosen darin besteht, daß der Wind immer daher kommt, wohin wir wollen. Das keine Boot konnte noch aufkreuzen; unser „Grundsegler“ aber mußte bald sein Segel fallen lassen und einzig mit den Rudern die Rückfahrt vollbringen.
Das war gerade kein Vergnügen! Der Himmel hatte sich bedeckt, die wärmende Sonne war verschwunden, eine kalte Brise schnob aus Westen her feucht und neblig uns entgegen. Wir waren erhitzt, ja selbst in Schweiß gebadet von dem anstrengenden Marsche, der uns um so mehr ermüden mußte, als wir länger schon auf dem Schiffe nicht große Bewegung uns hatten geben können. So griff am Ende doch die Kälte durch trotz des Pelzwerkes, das wir vorsichtig in’s Boot genommen hatten. Wir saßen oder lagen still auf unseren Plätzen, Cigarren schmauchend und den Tag in Gedanken an uns vorüberziehen lassend.
Da rauscht etwas zur Seite an den Klippen des Tu-Fjordes in der Nähe der rothen Granitschichten, deren ich oben erwähnte und die bei heller Beleuchtung selbst vom Schiffe aus noch zu erkennen sind. Wir sehen auf, wenden die Blicke dorthin, da rieselt, strömt, springt und rast es herab von einer vorspringenden Klippe, ein wüthender Strom von Blöcken! Hoch auf spritzt das Meer, an hundert Stellen zugleich von den herabsausenden Felsmassen getroffen! Eine ungeheuere Staubwolke wälzt sich am Grunde der Klippe hervor, wirbelt nach oben, hüllt mehr und mehr mit weitem faltigem Mantel die ganze Erscheinung ein und breitet sich langsam über den Fjord aus. Nun bricht auch ein rollender Donner hervor und hallt tausendfältig in Klippen und [24] Klüften wieder. Eine gewaltige Masse verwitterter Felsen hat sich von der Spitze losgelöst und ist theils in den Fjord hinabgestürzt, theils am Wasserrande liegen geblieben.
So gewaltig ist der Eindruck der ganzen Erscheinung, daß selbst unsere Ruderer einen Augenblick inne halten, ihr zu lauschen. Langsam verliert sich die Staubwolke, nachdem sie noch, mit dem erzeugten Luftstrome emporwirbelnd, die ganze Wand bis zu der wenigstens 800 Fuß hohen Spitze eingehüllt hatte. Nun sahen wir auch einen Adler, der in majestätischen Kreisen aus der Wolke sich hebt, eine Zeitlang darüber schwebt und dann aus unseren Blicken hinwegstreicht. Hatte er vielleicht sein Nest, wie sein Verwandter in Skjerroe, unter den überhängenden Klippen angelegt, so daß es mit den halbflüggen Jungen in die bodenlose Tiefe gestürzt und zerschmettert ist unter nachfolgenden Felsen?
Viele tausend Tonnenlasten sind gewiß mit der Lawine von den Felsenspitzen herabgestürzt. Aus einer Entfernung von zwei Stunden Weges in gerader Linie, können wir noch die Trümmerstätte sehen wie ein breites, silbergraues Band, das sich senkrecht von oben nach unten mit stets breiter werdenden Grenzen hinzieht; sehen noch die überhängende Spitze, unter welcher sich die Massen loslösten; sehen noch die steile Böschung, in welcher sich die Felsenblöcke am Fuße angehäuft.
So hatten wir denn zum glücklichen Ende unseres Ausfluges ein lebendiges Bild der Zerstörung, die an diesen verwitterten Felsen nagt. Die Wellen höhlen beständig die steilen Wände am Grunde aus; von oben her dringt das Wasser in die Spalten und Ritzen des Felsgemäuers, das der Ewigkeit trotzen zu können scheint, und wenn der Frost des langen Winters dem Wasser nachdringt in die Erde und das Wasser im Inneren gefriert, treibt es keilförmig die Spalten auseinander durch seine unwiderstehliche Ausdehnung, lockert das Gefüge und sprengt endlich die Blöcke ab, die wuchtig in das Meer fallen. Dort aber erwartet sie eine neue Rolle: auf ihnen setzen sich die Tange und Algen, die Korallen und Polypen an, Muschel- und Krustenthiere heften sich an den neugewonnenen Grund, während weitaus, zu neuen Sand- und Schlammschichten, die zu Staub zermahlenen Trümmer sich unter dem Einflusse der Meeresströmungen ausbreiten.
- ↑ Bruchstück aus dem demnächst erscheinenden Reisewerke, betitelt: „Nordfahrt längst der Küste Norwegens bis zum Nordcap, den Inseln Jan Meyen und Island, auf dem Schooner Joachim Hinrich, von Dr. Georg Berna in Begleitung voll C. Vogt, A. Greßly, H. Hasselhorst und A. Herzen, erzählt von Carl Vogt. Mit vielen Illustrationen in Holzschnitt und Farbendruck nach Zeichnungen von Hasselhorst.“ Ein starker Band von etwa 30 Bogen groß Octav. – Dr. Berna aus Frankfurt hatte die übrigen Theilnehmer der Reise eingeladen, ihn auf dieser Sommerfahrt um das Nordmeer, die beinahe fünf volle Monate in Anspruch nahm, zu begleiten. Ein eigenes Schiff, mit vortrefflichen Seeleuten bemannt, war in Hamburg auf das Vollständigste zum Zwecke einer wissenschaftlichen Vergnügnugsreise ausgerüstet worden. Die Kosten der ganzen Reise, sowie der Gesammtausrüstung wurden von Dr. Berna allein getragen, und wir können diese That eines begüterten Privatmannes um so mehr als ein der Nachahmung würdiges Beispiel aufstellen, als auf diesem Wege einigen Naturforschern Gelegenheit gegeben wurde, Gegenden zu bereisen, die ihnen sonst wohl in keiner Weise zugänglich geworden waren.D. Red.