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Mehr Kinder für den Staat
27. Sep 2005 07:57

Wahlplakat der CDU
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Foto: CDU
Die Parteien wollen die Deutschen zu mehr Kindern ermuntern. Eine Politik der Steigerung der Geburtenrate war in Deutschland aber immer Zeichen autoritärer Staatsformen.

Von Sebastian Susteck

In Verlautbarungen und Programmen zur Bundestagswahl sind Kinder ein Topthema. Alle Parteien versprechen, den Nachwuchs verstärkt zu fördern. Allgemein werden finanzielle Anreize, eine bessere Betreuung und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Kind und Beruf in Aussicht gestellt.

Blass allerdings wirken die Parteiprogramme, wenn man sie mit den Kassandra-Rufen von Experten konfrontiert, die vor einem Kollaps der Sozialsysteme und einem Verlust innovativen Potentials warnen. Auch vertrauen die Parteien offenbar weiter auf punktuelle materielle Anreize, deren Effektivität indessen völlig unklar ist.

Kindermangel als Merkmal wohlhabender Demokratien

Die Behauptung, mit finanziellen Zuschüssen und besserer Kinderbetreuung demographische Probleme lösen zu können, erscheint optimistisch, wenn man sie im europäischen Kontext betrachtet. Das Problem niedriger Geburtenraten betrifft schließlich auch europäische Staaten, die sich diesbezüglich bereits weitaus stärker engagieren. Das wirft die Frage auf, wie handlungsfähig Demokratien in Bezug auf die Beeinflussung demographischer Entwicklungen tatsächlich sind.

Radikale Kritiker fürchten, dass die Möglichkeiten staatlicher Steuerung grundlegend begrenzt seien. Ein Mangel an Kindern, mutmaßt etwa der notorisch pessimistische Sozialforscher Meinhard Miegel, sei «Ausdruck des Wesenskerns individualistischer Wohlfahrtsgesellschaften.» Sind Kinder eine Option unter vielen, sagt er, sind sie für viele Menschen unattraktiv. Zugleich lehren Soziologie und Geschichtswissenschaft, dass Zusammenhänge im Bereich der Demographie kompliziert und nur bedingt durchschaut sind.

Fortpflanzungswahn und Menschenverachtung

In Anbetracht der deutschen Geschichte lässt sich immerhin eins sagen: Politische Versuche, im Rahmen der deutschen Demokratie Geburten massiv zu fördern, sind eine Herausforderung. Pläne für eine konsequente Fortpflanzungsförderung nämlich hatten ihren Ort bisher vor allem in nicht-demokratischen Kontexten. Sie traten hier in oft menschenverachtender, besonders frauenverachtender Form auf.

Der
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Foto: Archiv
Ein bis heute nachwirkendes Beispiel ist die Politik des Nationalsozialismus, die nicht nur darauf abzielte, als «minderwertig» eingestuftes Leben zu vernichten, sondern auch die Geburten von «rassisch einwandfreien» Kindern massiv zu steigern. Debatten um die Demographie durchzogen unter wechselnden Vorzeichen jedoch bereits die vorausgehenden Jahrhunderte.

Besonders die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war durch eine radikale Fortpflanzungsideologie geprägt. Es herrschte eine merkantilistische Wirtschaftslehre, die in möglichst hohen Bevölkerungszahlen eine Garantie für den Wohlstand und die Macht des absolutistischen Staates sah. Die Erzeugung von Kindern galt hier als Untertanenpflicht.

Pläne für die Menschenzucht

Aufklärerische Denker, die das Ziel allgemeiner Glückseligkeit anstrebten, führten dabei surreal anmutende, heute fast vergessene Debatten, die der Rechtshistoriker Martin Fuhrmann erst vor wenigen Jahren in einer Studie mit dem Titel «Volksvermehrung als Staatsaufgabe?» rekonstruiert hat. Mitten in Europa verlangten sie, die Einehe aufzugeben und die Polygamie einzuführen. Aus «Schlendrian», höhnte der österreichische Hofsekretär Franz Rudolph von Großing 1784, verbiete der Staat die «Vielweiberei», die durch Natur, Vernunft und Religion geboten sei.

Johann Heinrich Gottlob von Justi forderte analog zu «Stutereyen» und «Schäfereyen» die Einrichtung von «Menschereyen». Er meinte damit Beischlafanstalten, in denen Frauen, die älter als vierundzwanzig Jahre und ohne Heiratsaussichten waren, befruchtet werden sollten, um gegen Entgelt und Unterkunft unter Staatsaufsicht Kinder auszutragen. Andere Autoren verlangten die Verehelichung sämtlicher Mädchen im Alter von fünfzehn Jahren.

Die umfassende Fortpflanzungsideologie führte indes auch zu Resultaten, die auf den ersten Blick human wirken und heutigen Vorstellungen durchaus nahe kommen. So enthielt das «Allgemeine preußische Landrecht», die erste große Rechtsordnung Europas von 1794, ein liberales Scheidungsrecht. Es ging auf den Gedanken zurück, durch die Mobilität der Männer die Zahl der Kinder möglichst zu erhöhen.

Die moderne Familie und der Geburtenrückgang

Der Fortpflanzungsfanatismus des späten 18. Jahrhunderts zeigt auf radikale Weise, dass es keine notwendige Verbindung einer Ideologie der stabilen «Ehe und Familie» und hohen Geburtenraten gibt, wie vor allem Konservative bis heute annehmen. Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass der Rückgang der Geburten und der Verlust ökonomischen Potentials, das Kinder darstellen, Voraussetzungen auch in der modernen Familienvorstellung fanden, die bis heute reflexartig mit Kindern verbunden wird.

Wahlplakat der SPD
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Foto: SPD
Die bürgerliche Bild der Familie entstand nämlich erst im 19. Jahrhundert. Es bildete sich gerade in dem Moment heraus, in dem feudale Modelle aufgegeben wurden, die als ersten Zweck der Ehe die Fortpflanzung sahen. Zwar wirkte ein Denken, das den Kinderreichtum der Familien forderte, im ganzen 19. Jahrhundert nach, doch war der Fortpflanzungsgedanke bereits zurückgedrängt. «Ehe und Familie» mögen seitdem der Ort von Liebe zu Kindern sein, aber sie sind nicht unbedingt der Ort vieler Kinder.

Die Familie erschien zunehmend als nach außen abgeschottete Intimgemeinschaft, in deren Inneres staatliche Regulation nicht eingreifen sollte. Kinder, legt dies nahe, sind Privat-, nicht Staatssache, aber auch: Wer Eheleute erreicht, erreicht Kinder. Das deutsche Steuersystem fördert bis heute noch immer vor allem Ehen, nicht Kinder.

Gegenüber einer ausgeprägten Fortpflanzungsideologie trat im 19. Jahrhundert das Modell der Liebe und der wechselseitigen Unterstützung der Ehepartner stärker hervor. Die Familie, erklärte der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1821, bestehe bereits in den Ehepartnern und werde durch Kinder lediglich bestätigt. Rund dreißig Jahre zuvor behauptete bereits Johann Gottlieb Fichte, die Ehe habe keinen Fortpflanzungszweck, sondern sei reine Liebe zwischen Mann und Frau.

Die antifamiliale Fortpflanzungsideologie

Ausgerechnet die Fortpflanzungsideologien des Absolutismus und Nationalsozialismus hatten demgegenüber einen klar familienfeindlichen und antiliberalen Einsatz. Insbesondere betrachteten sie Kinder als Eigentum des Staates, nicht der Eltern.

Wie im preußischen Landrecht versuchte auch der Nationalsozialismus mit liberalen Scheidungsregeln die Fortpflanzung anzukurbeln. Vom neuen Ehe- und Scheidungsgesetz von 1938 profitierten vor allem Männer. Auch der Nationalsozialismus entwickelte Pläne zur Förderung von außerehelichen Zeugungs- und Geburtspraktiken. Die nationalsozialistischen Ideologen richteten Entbindungsheime ein, die Nachbarn als «Bordelle» verspotteten, und machten sich Gedanken um Programme zur künstlichen Befruchtung.

Lehren der Geschichte

Demokratische Pläne für mehr Kinder können ausgerechnet aus den radikalsten historischen Versuchen, viele Geburten zu erreichen, nichts lernen. Im Gegenteil belastet die historische Erfahrung alle Versuche entsprechender Förderung.

Das Problem der europäischen Demokratien und ihrer Sozialsysteme sehen manche Kritiker aber ohnehin nicht primär in einem Mangel an Kinderförderung. So plädiert der Leiter des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, für eine Umkehrung der Perspektive. Das eigentliche Ziel staatlichen Handelns, schlägt er vor, sollte weniger in der Förderung von Geburten bestehen als in der Beendigung der oft indirekten Begünstigung von Kinderlosigkeit.




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