06. Okt 2005 10:59
Die Weltbevölkerung verbraucht heute mehr Ressourcen, als die Erde bereitstellen kann. Kann man Millionen von Chinesen aber davon abhalten, sich westlichen Lebensstil zu gönnen? Die Netzeitung sprach darüber mit Tilman Santarius.
Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie schlägt Alarm: Wir leben über unsere Verhältnisse. Laut der soeben erschienen Studie «Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit» verbrauchen wir derzeit mehr Ressourcen, als wir sollten: Der Verbrauch an Trinkwasser, sauberer Luft oder bewaldeter Fläche ist laut Schätzungen um den Faktor 1,2 größer als die Regenerationsfähigkeit der Erde. Die Industrieländer, aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen daher in Zukunft vor allem verzichten. Die Netzeitung sprach darüber mit Tilman Santarius, einem der Autoren der Studie und dem Projektleiter der Forschungsgruppe «Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik» des Wuppertal Instituts.
Netzeitung: Die Ressourcen sind begrenzt, der weltweite Energieverbrauch steigt weiter an, die globale Erwärmung nimmt zu. Welche Probleme entstehen aus diesem Missverhältnis und wie sind sie zu lösen?
Tilman Santarius: Eines der wesentlichen Probleme ist, dass der Ressourcenhunger der Länder des Südens, aber auch des Nordens, auf ganz bestimmte Produktions- und Konsumstile zurückzuführen ist. Unsere Lebensstile gehen mit einem sehr hohen Verbrauch an Ressourcen einher – das gilt für Elektrogeräte, über Autos, hin zu Urlaubsreisen.
Diese Produktions- und Konsummuster breiten sich mit der Globalisierung über den Erdball aus. Das heißt: Wir müssen Wohlstandsstile, wir müssen Produktions- und Konsumstile so umgestalten, dass es sehr wohl für ärmere Regionen einen Wohlstandszuwachs gibt, der aber nicht zu Lasten der Biosphäre, der Tragfähigkeit des Planeten geht.
Netzeitung: Eine zentrale Forderung Ihres Reports dürfte sehr unbeliebt sein: Verzicht. Aber wenn wir Deutschland als Beispiel nehmen, das Exportweltmeister und auch einer der größten Autoproduzenten ist: Wäre hier ein Verzicht volkswirtschaftlich tragbar und politisch überhaupt durchsetzbar?
Die EU exportiert im wesentlichen weiterverarbeitete Güter und importiert dafür vor allem Rohstoffe und Agrarprodukte. Unsere Importe gerade aus den Ländern des Südens tragen aber enorme ökologische Rucksäcke: das heißt unsere Importe haben einen riesigen Materialaufwand zu verantworten.Netzeitung: Wie sind vor diesem Hintergrund Subventionen in alternative Energieträger wie beispielsweise die Windkraft zu bewerten?
Santarius: Es gibt zwei Wege, wie man Anreizpolitik betreiben kann. Entweder werden «gute» Praktiken gefördert, oder «schlechte“ Praktiken belastet. Das sind zwei Seiten derselben Medaille: Entweder die Windkraft wird unterstützt oder die Elektrizitätserzeugung aus fossilen Brennstoffen oder aus Atomenergie wird reduziert. Beides muss sich ergänzen.
Es ist sicherlich richtig und gut, dass erneuerbare Energien gefördert werden, etwa im Sinne einer Preisstützung, um sich auf dem Markt durchzusetzen. Gleichzeitig reicht das nicht aus, wenn nicht auch dafür Sorge getragen wird, dass klimaerwärmende Treibhausgasemissionen aus der Nutzung von fossilen Brennstoffen zurückgefahren werden.
Netzeitung: Gerade die Schwellenländer setzen in der Regel auf die Nutzung von fossilen Energieträgern. Sie sagen in Ihrer Studie aber, dass das Wohlstandsmodell des Nordens nicht auf die Länder des Südens zu übertragen sei. Was dürfen diese Länder also – und was dürfen sie nicht?
Santarius: Wir kommen natürlich in eine schwierige Situation, wenn wir aus dem Norden gute Vorschläge machen, was im Süden passieren soll, während wir es gleichzeitig noch nicht geschafft haben, von umweltintensiven Praktiken loszulassen. Insofern ist es nicht an uns zu entscheiden, was Länder im Süden »dürfen« oder nicht. Es gilt stattdessen aufzuzeigen, inwiefern es im Selbstinteresse dieser Länder ist, nicht solche Investitionen in Infrastrukturen zu wiederholen, die sich als ziemlich anfällig und empfindlich zeigen. Zum einen in ökologischer Hinsicht – wenn der Klimawandel fortschreitet, wird es auch diesen Ländern schaden, werden auch diese Länder die ökonomischen Einbußen treffen.
Zum anderen aber, da genügt derzeit ein Blick in die täglichen Nachrichten, sehen wir ja, wie verwundbar eine Ökonomie ist, die in ganz extremer Abhängigkeit zu fossilen Rohstoffen, namentlich Öl steht. Denn in den USA konnte man nach den Stürmen Katrina und Rita beobachten, dass ganze Verkehrssysteme zusammen brechen, wenn es an den Tankstellen kein Öl mehr gibt, oder weil in Houston Raffinerien lahm liegen. Es liegt also durchaus im Selbstinteresse dieser Länder, unsere Fehler nicht zu wiederholen.
Netzeitung: Dahinter könnte man dennoch einen Paternalismus des Nordens entdecken: Wir sagen den armen Ländern – mal wieder – was zu tun oder zu lassen ist.
Santarius: Ich glaube nicht, dass das ein Paternalismus des Nordens ist. Man muss den Ländern des Südens schmackhaft machen, dass sie, indem sie in ressourcenleichte Wirtschaftsstrukturen investieren, die Chance haben, die Industrieländer zu überholen. Denn die Industrieländer sind ja in der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen gefangen. Und die Länder des Südens, die diese Infrastruktur noch nicht aufgestellt haben, haben die Chance, es von vornherein anders und intelligenter zu machen.
Netzeitung: China war früher das Land der Radfahrer, heute sind viele Städte bereits mit Autos verstopft. Haben die Chinesen nicht das Recht, im Streben nach Wohlstand und Mobilität unsere Fehler zu wiederholen?
Santarius: Wir sind heute an einem Punkt, wo wir die Regenerationsfähigkeit der Erde überlasten – und das geht nicht nur auf das Konto der Industriestaaten, sondern auch auf das Konto von Ländern im Süden wie China, das nach den USA bereits der zweitgrößte CO2-Emitent ist. Es ist an allen zu handeln. Da müssen die Industrieländer vorangehen, aber der Zug liegt genauso bei den Ländern des Südens.
Es geht also nicht so sehr darum, ob man nun Fehler wiederholen darf, sondern eher darum, dass alle vor die selben Konsequenzen und Auswirkungen gestellt sind. Der Klimawandel findet bereits statt. Und ein Land kann sich entscheiden, ob es auf Teufel komm raus ressourcenintensives Wirtschaftswachstum haben möchte – und damit in Kauf nimmt, dass Treibhausgasemissionen wachsen und der Klimawandel forciert wird, dessen Schäden dann auch mitverantwortet werden müssen.
Netzeitung: Ein wesentlicher Teil Ihrer Studie beschäftigt sich mit der Anerkennung von Rechten – was den Zugriff auf und die Verteilung von Ressourcen angeht. Die Frage aber ist: Wer soll diese Rechte anerkennen und diese Anerkennung auch garantieren?
Santarius: Die nationalstaatlichen Auflösungstendenzen, die mit der Globalisierung einher gehen, machen das zunehmend schwieriger. Vor ein paar Jahrzehnten noch konnte man an die nationalen Regierungen appellieren: es ist eure Pflicht, die Einhaltung von Existenzrechten zu garantieren. Mit der Globalisierung treten andere und mächtige Akteure auf den Plan, die sich der Kontrolle der Staaten weitgehend entziehen können. Das sind zum einen internationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank.
Solche Institutionen müssen sich eben auch für die Einhaltung und Umsetzung globaler Standards, wie beispielsweise den Menschenrechtsschutz verpflichten. Andererseits sind es transnationale Unternehmen, die heute als riesige und entsprechend mächtige Wirtschaftseinheiten auftreten, und daher auch rechenschaftspflichtig gemacht werden müssen.
Netzeitung: Institutionen wie IWF oder Weltbank sind eher den Industriestaaten, transnationale Unternehmen eher dem Shareholder-Value verpflichtet als der Weltgesellschaft. Eine »allen übergeordnete Zwangsgewalt« fehlt also.
Santarius: Es gibt keine Weltregierung. Ich glaube, wir sollten auch keine Weltregierung haben. Eine zentralistische Form der politischen Steuerung kann angesichts der Komplexität der Welt auch enorme Risiken mit sich bringen. Ich glaube, dass es statt dessen von Nöten sein wird, gute Allianzen zu schließen. Auf Weltebene kommt es eben darauf an, dass sich einzelne Akteure, das können Staaten aber auch Unternehmen oder Organisationen der Zivilgesellschaft sein, zusammen tun, um gemeinsam bestimmte Interessen durchzusetzen.
Das Kyoto-Protokoll beispielsweise wäre nicht möglich gewesen ohne die Allianz von internationalen Umweltschutzgruppen mit der EU, die gemeinsam eine Führungsposition eingenommen haben. Ich glaube, dass es genau solche Allianzen braucht, wenn wir eine faire Zukunft anstreben möchten.
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie: Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit, München 2005, 278 Seiten, 19,90 Euro.
Mit Tilman Santarius sprach Andreas Bock .