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DIE STREITKRÄFTE DER REPUBLIK INDONESIEN
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Indonesien - der dornige Weg in die Demokratie

DIE STREITKRÄFTE DER REPUBLIK INDONESIEN

Die Nationale Armee Indonesiens, seit dem 1. April 1999 Tentara Nasional Indonesia, abgekürzt TNI, vormals ABRI, besteht aus Heer, Marine und Luftwaffe. Die bis dahin dem militärischen Oberkommando angehörende nationale Polizei ist seither dem Verteidigungsministerium unterstellt. Etwa eine halbe Million regulärer Militärangehöriger, unter ihnen geschätzte 100 000 Mann unter Waffen, zuzüglich 198 000 Mann regulärer Polizei, kontrollieren 210 Millionen Indonesier. Das ist möglich über verschachtelte Systeme der militärischen Präsenz überall im Lande.

von Ingo Wandelt

Der Gegenstand: die Nationale Armee Indonesiens

Die TNI versteht sich aus ihrer Geschichte heraus als Partner, nicht als Untergebener des Staates und seiner Führung. Ihr selbst gestellter Auftrag ist die Landesverteidigung (pertahanan) und die innere Sicherheit (keamanan). Obgleich der Staatspräsident laut Verfassung der oberste Befehlshaber der Streitkräfte ist, befehligt ein militärischer Panglima oder Streitkräftebefehlshaber die Truppen. Der Verteidigungsminister, seit Oktober 1999 ein Zivilist, hat keine Befugnisse über Truppen und Einheiten. Mit der eigenständigen Verkündung neuer Führungsparadigmen im September 1998 erneuerte die TNI ihren Anspruch auf eigene Führung in Absprache mit, aber nicht in Gehorsam zur Staatsführung. Der Anspruch der Streitkräfte auf politische Teilhabe an der Führung der Gesellschaft auf allen Ebenen ist verwirklicht über die Dwi Fungsi oder Doppelfunktion, eine Kraft der staatlichen Sicherheit und zugleich in der Gesellschaft zu sein. Die Zahl der ernannten Delegierten im Parlament ist mit 38 (von 500) zwar von einstmals 100 deutlich gesunken, übersteigt mit 7,6 % aber immer noch ihren Anteil an der Wahlbevölkerung erheblich. Jede parlamentarische Entscheidung benötigt die Stimmen der TNI-Fraktion. Die Beobachtung, Analyse und Einflussnahme auf die Streitkräfte wird durch ihre eigentümliche Struktur, die sich aus ihrer Tradition als Guerrillaarmee ergeben hat, erschwert. Die Streitkräfte wie auch die Einheiten im Heer finanzieren sich zum größten Teil selbst über vielfältige wirtschaftliche Aktivitäten. Das offizielle Staatsbudget für die Streitkräfte ist gering. Das Heer dominiert die anderen Teilstreitkräfte und die Polizei, und es hat Kommandobefugnisse über die wichtigsten operativen Nachrichtendienste. Die Kommandoeinheiten und Spezialverbände des Heeres wie Kostrad und Kopassus werden für die meisten Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Offenkundige interne Spaltungen im Heer sowohl wie unter den Einheiten machen das Heer zum größten Sicherheitsrisiko innerhalb der TNI. Ein System der territorialen Präsenz verteilt Heereskräfte über das ganze Land. Elf Wehrbereiche oder Bereichskommandos (Kodam), die sich jeweils in vier weitere Unterkommandos aufteilen, ermöglichen eine Militärpräsenz bis in die Dörfer hinein. Parallel dazu besteht ein soziales Beobachtungs- und Kontrollsystem, das aus mehreren oft gegeneinander arbeitenden Nachrichtendienstnetzen unter Heereskommando besteht. Neben der umfassenden, auch politischen Kontrolle der Bevölkerung hat das Territorialsystem das schnelle Erkennen und Niederschlagen von Unruhen zum Ziel, wozu die vorgenannten Spezialheeresverbände ihren Einsatz finden. Das allgemeine Klima der Angst ist kein momentanes Phänomen, sondern hat starke Wurzeln in der innergesellschaftlichen Kriegsführung der Streitkräfte, wie in der langen Tradition der psychologischen Kriegsführung und dem unbarmherzigen Einsatz aller Machtmittel zur Beseitigung von Protest und Dissens in der Gesellschaft. Willkür und Machtmissbrauch im Zeichen von Stabilität und Sicherheit schufen eine strukturelle Unfriedlichkeit, in der Konflikte nur noch gewaltsam ausgetragen zu werden scheinen. Wohl und Sicherheit sind zur Ware verkommen. Die Bevölkerung weiß, dass die Streitkräfte käuflich sind und dass man sie kaufen muss, will man persönliche Sicherheit gewährleisten. Unsicherheit und gekaufte Sicherheit werden eins. Die Option des innergesellschaftlichen Krieges geringer Intensität ist eine Verlockung für viele, denn nicht nur das Militär hat gelernt, diese Waffe für eigene Zwecke zu verwenden. Die indonesischen Streitkräfte werden dennoch im Allgemeinen überschätzt. Ihre Schwächen - geringe Personalstärke, mangelhafte und veraltete Ausrüstung, lose Kommandostrukturen, geringer und mangelhafter Ausbildungsstand - sind offenkundig. Aber sie haben in Indonesien keine ernsthaften Gegner. Die Historie der militärischen Gewalt begann in Indonesien nicht erst mit der Ära Suharto (1965), sondern mit der Ausrufung des militärischen Notstandes am 14. März 1957. Die damals gewonnenen Machtbefugnisse haben die Streitkräfte niemals zurückgegeben, sondern sich zu einem Staat im Staate entwickelt. In ihrem beharrlich durchgesetzten Machtanspruch liegt ihre Stärke. Die Streitkräfte sind eine ideologisch starke Armee, weil sie eine selbstgerechte, d.h. nur über sich selbst definierende Armee sind und keine Niederlage kennen. Sie haben ihre eigene Identität und Zielsetzung frei vom Staat aufgebaut und verteidigt. Ihre kollektive historische Erfahrung kennt zwar Rückschläge, aus denen sie aber immer gestärkt hervor gegangen sind. Ihr Selbstverständnis und ihr Rückhalt in der Bevölkerung sind erst seit zwei Jahren, einer historisch kurzen Zeitspanne, ernsthaft in Frage gestellt. Die Wirren der Reformasi nach dem Sturz Suhartos haben die Streitkräfte zwar zerzaust, aber weitgehend unbeschadet überstanden. Vieles deutet darauf hin, dass, trotz einiger kosmetischer Änderungen an der Oberfläche, ihre Struktur und ihre Macht im Staat stärker geworden sind.

Die Lage: Handlangerkrieg und Milizen

Seit den frühen neunziger Jahren sieht Indonesien eine Zunahme der organisierten Gewalt in den urbanen Zentren des Landes. Die Idee, Konzept und Ausführung des Prinzips, anstelle der regulären Streitkräfte so genannte proxy forces, Handlangerkräfte in Gestalt von irregulären, paramilitärischen Verbänden und Milizen, die schmutzige Arbeit gegen unliebsame Gruppen tun zu lassen, geht bei den Streitkräften auf die frühen sechziger Jahre zurück. In Ost-Timor wurde ab 1989 die heutige Struktur der paramilitärischen Milizen herausgebildet und in die urbanen Zentren exportiert. Die organisierte Kriminalität ist heute ein Bestandteil der Streitkräfte und ihr Reservoir für die Rekrutierung von Schlägerbanden und paramilitärischen Gruppen für ihre Zwecke. Das vorläufige Endstadium der organisierten paramilitärischen Gewalt erlangte nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Ost-Timor weltweite Publizität. Diese quasi-regulären und scheineigenständigen Milizen sind in die Kommandostruktur der regulären territorialen und operativen Militäreinheiten eingebunden und werden von ihnen organisiert, ausgerüstet, unterhalten und kommandiert. Ihre lang vorgetäuschte Eigenständigkeit gilt mittlerweile als widerlegt. Sie sind eine Extension der TNI und eine neue Form ihrer Kriegsführung. Mittlerweile können die Streitkräfte landesweit Unruhen recht beliebig, chirurgisch-präzise, örtlich begrenzt und zielgerichtet gegen bestimmte Zielgruppen entfachen und wieder beenden, ohne dabei selbst allzu auffällig in Erscheinung zu treten. Unruhen treten niemals zufällig auf, sondern haben stets erkennbare 'Provokateure' im Hintergrund. Form, Ablauf und Ende der Unruhen vollziehen sich nach ähnlichen Mustern und brennen mit ihren angezündeten Zielobjekten aus, weil die Bevölkerung sie mehrheitlich ablehnt und von sich aus nicht weiter anheizt.

Das Problem: Vertrauen und Verlässlichkeit

Die TNI ist eine unkontrollierte Kraft. Der Staat besitzt keine entscheidende Macht über sie. Die Streitkräfte sind das größte Sicherheitsrisiko Indonesiens, weil sie in der Lage sind, die beginnende Demokratisierung zu stören oder zu verhindern. Einheiten der Streitkräfte, besonders des Heeres, schüren die vielfältigen ethnischen und religiösen Spannungen und geben sich zugleich als Wahrer von Sicherheit, Ordnung und territorialer Einheit des Landes. Auf das Konto der Streitkräfte gehen die Zerstörung großer Teile Jakartas und anderer Städte auf Java und Sumatra im Mai 1998. Ihre Gräuel und Menschenrechtsverletzungen sind permanente Begleiterscheinungen der neueren Geschichte Indonesiens. Die Zahl der von ihnen direkt oder durch sie veranlasst zu Tode gekommener Menschen ist nur in Tausenden, vielleicht sogar in Millionen zu schätzen. Die Streitkräfte Indonesiens gehören zu den größten Menschenrechtsverletzern im 20. Jahrhundert. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit, dass dieses Faktum immer noch recht unbekannt, weitverbreitet geleugnet oder klein geredet wird. Die TNI hält einen sozialen Sprengsatz in der Hand, mit dem sie nicht nur Indonesien, sondern die gesamte Region Südostasien als Geisel hält. Ihre auch offen ausgesprochene Drohung heißt, "wendet Euch gegen uns, und wir lassen Indonesien explodieren; dann ist unser Problem auch Euer Problem!" Die Lösung des regionalen Sicherheitsrisikos Tentara Nasional Indonesia ist dringlich für die künftige Sicherheitsarchitektur Südostasiens. November 1999 Dr. Ingo Wandelt, Ethnologe, ist Experte für das indonesische Militär.

 
 
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