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Das Thomas Evangelium und der Film Stigmata


Das Thomas Evangelium

und der Film Stigmata




Filmbesprechung aus: "Theophil-online", einer ökumenischen Online-Zeitschrift für ReligionspädagogInnen:


'Stigmata' (USA 1999; Regie: RUPERT WAINWRIGHT)

Auf ein real existierendes 'fünftes Evangelium', das die eigentliche Wahrheit über jenen Jesus von Nazareth enthalte, nämlich das 1945 aufgefundene 'Thomasevangelium', wird in dem 1999 in die Kinos gebrachten Film des Werbefilmers RUPERT WAINWRIGHT Bezug genommen: 'Stigmata'.

Der Film dreht sich um die 23jährige Friseuse FRANKIE PAIGE (gespielt von PATRICIA ARQUETTE), der aus heiterem Himmel schrittweise in überfallartigen Attacken die sog. 'Stigmata', d.h. die Wundmale Christi, zugefügt werden. Als der Vatikan auf diesen Fall aufmerksam wird, stellt Pater ANDREW KIERNAN (gespielt von GABRIEL BYRNE) zu seinem Erstaunen fest, dass Franke vorher religiös völlig uninteressiert war, während die belegten Stigmatisationsfälle stets Zeichen einer gläubigen Identifikation mit dem leidenden Christus waren. Doch nicht dieser theologisch in der Tat nicht ganz akzeptable Aspekt des Films soll hier verhandelt werden, sondern der Umstand, dass Frankie in mehreren Trance-Zuständen Texte in aramäischer Sprache - der Sprache, die JESUS selbst gesprochen hat - zitiert oder eine Wand in ihrem Appartement mit aramäischen Buchstabenfolgen füllt.
Pater KIERNAN stellt schließlich fest, dass es sich Textfragmente eines apokryphen Evangeliums handelt.

Wie sich herausstellt, hatte KIERNANs Vorgesetzter im Vatikan, Kardinal DANIEL HOUSEMAN, eine vatikanische Evangelienkommission eingerichtet, in der drei Patres die Aufgabe hatten, vor Jahren gefundene Schriftstücke mit aramäischen Texten zu übersetzen. Doch als HOUSEMAN erkannte, dass diese aramäischen Texte ursprüngliche Worte Jesu wiedergaben, durch welche der Institution Kirche die Legitimation Jesu entzogen würde, löste er die Übersetzungskommission auf und hintertrieb fortan jedwede Veröffentlichung jenes aramäischen Evangeliums. Im Abspann des Films kann man schließlich folgende Sätze lesen: "1946 wurde in Nag Hamadi eine Schriftrolle gefunden. Man bezeichnet sie als 'Die geheimen Worte Jesu' oder auch als 'Thomas-Evangelium'. Dieses Evangelium wurde von Gelehrten in aller Welt als die genaueste Aufzeichnung der Worte Jesu anerkannt. Der Vatikan hat das Thomas-Evangelium bis heute nicht in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen. Eine vom Vatikan abweichende Meinung bezeichnet man als Häresie".

Das sog. 'Thomasevangelium', auf das in WAINWRIGHTs Film Bezug genommen wird, wurde bereits von dem Kirchenvater HIPPOLYT (gest. 235) als das 'Evangelium nach Thomas' erwähnt und dann um 1945 tatsächlich unter den gegenüber von Nag Hammadi (Oberägypten) gefundenen Papyrusrollen (wieder-) entdeckt. Dabei handelt es sich um einen in koptischer Sprache verfassten Text, der aus dem Griechischen übersetzt ist. Dieses 'Thomasevangelium' enthält 114 Jesusworte, in denen auffälligerweise sowohl christologische Titel als auch Hinweise auf Jesu Tod und Auferstehung fehlen. Entgegen traditionellen Meinungen, die allgemein den apokryphen Texten gegenüber skeptisch eingestellt sind und die speziell die Entstehung des Thomasevangeliums erst spät in das 2. Jahrhundert datieren, tendiert die neuere Forschung dahin, zum einen im Hinblick auf die wissenschaftliche Frage nach dem historischen Jesus eine prinzipielle Gleichwertigkeit der neutestamentlich-kanonischen und der außerkanonischen Quellen anzunehmen und zum anderen die Entstehung des ThEv um 70 bis 90 n. Chr. anzusetzen. "Das ThEv ist von allen außer-kanonischen Evangelien dasjenige, das am wahrscheinlichsten autonome (von den kanonischen Evangelien unabhängige) und alte Traditionen bewahrt hat. Doch einen Forschungskonsens darüber gibt es nicht".

Wie mischen sich nun in 'Stigmata' fiction-Elemente mit Tatsachen? Zunächst einmal wird im Film als zentraler Inhalt dieses aramäischen Evangeliums mehrfach folgende Textpassage zitiert:

"Jesus sprach: Das Reich Gottes ist in dir und um dich herum, nicht in (prachtvollen) Gebäuden aus Holz und Stein. Spalte ein Stück Holz und ich bin da. Hebe einen Stein auf und du wirst mich finden".

Hierbei handelt es sich um weitgehend authentische Zitate aus dem Thomasevangelium, lediglich die kursiv gesetzte Passage ist frei erfunden. Zweitens ist das reale Thomasevangelium nicht in aramäischer Sprache - der Sprache Jesu - verfasst, sondern stellt eine koptische Übersetzung aus dem Griechischen dar. Schließlich ist drittens die Behauptung, der Vatikan hielte die Texte des Thomasevangeliums geheim, frei erfunden. Tatsache ist selbstverständlich, dass sie seit ihrer Entdeckung 1945 frei zugänglich sind.

Wer sich an solchen fiktiven Elementen stört, scheint mir allerdings etwas überzogen zu reagieren. Es handelt sich um einen Film aus der Traumfabrik Hollywoods und "[m]an muß 'Stigmata' als das sehen, was es ist: als Unterhaltungskino der drastischen Art. [...] Und als solcher, das muss man anerkennen, funktioniert er gut. [...] Spannend ist das Ganze durchaus - und ein unorthodoxer Augenkitzel obendrein. [...] [N]atürlich ist auch das in diesem Film Ehrensache: Der Vatikan ist ein Hort der Intrigen, echte Wunder werden geheim gehalten, Hauptsache, die Schäfchen mucken nicht auf und das Geld fließt. Noch ein Klischee. Und wieder etwas, worüber man sich nicht aufregen kann, weil es die Wirklichkeit in Comic-Strip-Form presst. Mag sein, dass der Klerus vor Enthüllungen irgendwelcher Journalisten Angst hat - die Traumfabrik und ihre bunten Abziehbilder der Wirklichkeit braucht er wirklich nicht zu fürchten".

Trotz dieser unbezweifelbaren Genre-Klischees, die sich in 'Stigmata' finden lassen, ist der Film doch geeignet, wenigstens bei theologisch Interessierten die Neugierde nach den apokryphen Quellen der Jesusforschung zu wecken sowie für die "prinzipielle Gleichwertigkeit kanonischer und außerkanonischer Quellen" im Rahmen der wissenschaftlichen Frage nach dem historischen JESUS zu sensibilisieren: "Schon ein erster Blick auf die so hinzugewonnenen [Anm.: außerkanonischen] Texte zeigt, daß der Reichtum der frühchristlichen Schriften noch ungleich größer ist, als er sich ohnehin schon dem bietet, der wirklich alle kanonischen Schriften ernsthaft gelten läßt. [...] [A]m Anfang steht nicht ein einheitliches Glaubensbekenntnis, sondern sehr früh eine große Vielzahl theologischer Ansätze. Die beiden ersten Jahrhunderte gehören im wesentlichen noch in die Phase des Auseinanderstrebens verschiedenartiger Entwürfe. Diesen Reichtum gilt es zur Kenntnis zu nehmen, und entsprechend sollte man sich vor inhaltlichen Festlegungen des 'Kerygmas' hüten. Eine mögliche Bedeutung für die Gegenwart besteht dann darin, daß eine gewisse Pluralität in der Lehre zumindest ausgehalten, wenn nicht gar bejaht werden sollte. Denn die frühchristliche Explosion [...] könnte darin begründet sein, daß man sehr frei war, auf die jeweils 'vor Ort' gegebene Situation einzugehen".



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