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ZOO MAGAZINE 2005 NO.8: HELLO MISS KINSKI
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ZOO MAGAZINE

2005 NO.8

HELLO MISS KINSKI


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Nastassja Kinski und ihre Mutter Ruth Brigitte: "Als ich mit meinen Kindern überstürzt aus Italian fortgezogen bin, habe ich keine Fotos mitgenommen, und seither habe ich keine Bilder mehr von meiner Mutter. Irgendwann habe ich in einer Zeitung dieses Foto von uns, das eine Nachbarin gemacht hat, gefunden, und habe es von einem Fotolabor hochziehen lassen. "


Mit neun klaute sie sich und ihrer mittellosen Mutter Lebensmittel, mit zwölf drehte sie ihren ersten Film, und noch bevor sie 20 war, hatte sie mit einigen der größten Regisseure der Filmwelt gedreht. Heute ist Nastassja Kinski in erster Linie Mutter ihrer Kinder Sonya, 21, Aljosha, 19, und Kenya, 12. Nun plant sie, ihr Leben niederzuschreiben - und Dokumentarfilme zu drehen.


Guten Appetit, Frau Kinski - Sie haben sich eben Ihre sprichwörtliche Suppe bestellt...

Ja, ich liebe Suppen. Manchmal, wenn ich sehr hungrig bin, bestelle ich mir drei verschiedene Suppen, und nichts anderes. Ich glaube, das kommt aus meiner Kindheit - wenn einem kalt war und man Hunger hatte, war eine Suppe das Beste. Das ist wie eine Art Heilung.

Ihre Kindheit war extrem - erst hatten Sie, als Tochter des Schauspielers Klaus Kinski, alles, dann, als Kinski Sie und Ihre Mutter verließ, plötzlich nichts mehr...

Es war nicht einfach. Als Kind wünscht man sich ja nicht 50 Paar Schuhe, einen Rolls Royce und ein schwieriges Verhältnis mit den Eltern - obwohl ich mit meiner Mutter sehr eng war. Natürlich habe ich die anderen Kinder angeschaut und gedacht, ich habe es vielleicht besser. Aber von dort aus ins Nichts zu rutschen, das war hart.

Haben Sie Ihren Vater vermisst?

Nein, er war ja eine furchtbare Person - ich kann mich noch als kleines Kind an ihn erinnern, er war zu Hause immer so laut, und meine Mutter hat immer geweint. Und als er ging, war das völlig okay für mich. Aber dass er sich dann überhaupt nicht um uns gekümmert hat, war schrecklich. Ich habe ihn deswegen nie wieder respektiert, und ich habe auch nichts mehr von ihm mitgekriegt. Wenn mich jemand auf meinen Vater ansprach, habe ich immer nur gelacht und gesagt: Das ist ein Witz.

Warum fühlten Sie sich nach seinem Weggang angehalten, die Mutterrolle zu übernehmen?

Meine Mutter hatte nie zuvor gearbeitet, und als mein Vater uns verließ, ging es ihr nicht gut, sie konnte nicht arbeiten. Sie war verzweifelt. Deswegen dachte ich, ich muss mich um meine Mutter kümmern. Ich wollte arbeiten, noch als Kind, um uns ein anderes Leben zu ermöglichen.

Aber Sie waren damals erst neun...

Ja, und es hat mich schockiert, dass ich nicht einfach losgehen und arbeiten konnte. Also bin ich in Geschäfte gegangen und habe mir einfach Sachen genommen. Ich habe mich nicht einmal schlecht gefühlt dabei, ich musste gewisse Dinge einfach irgendwie nach Hause bringen.

Was haben Sie mitgehen lassen?

Nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Dinge, von denen ich mich erinnerte, dass meine Mutter sie mal hatte, und die sie verkaufen musste. Ich dachte mir: Jetzt braucht sie einen Mantel oder ein Collier und so weiter - also habe ich mich möglichst clever angestellt. Und manchmal auch nicht so clever...

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Sind Sie erwischt worden?

Ja, aber ich war noch sehr jung. Ich habe eine Menge Briefe von der Polizei bekommen, aber wir haben die nie beantwortet, weil ich nicht wusste, wie man das macht.

Am Ende sind Sie dafür sogar in den Knast gegangen.

Ja, aber erst Jahre später! Ich glaube ich hatte gerade einen Film mit Marcello Mastroianni abgedreht, und als ich nach Hause kam, holten sie mich ab und sperrten mich ein - ich glaube es waren zwei oder drei Monate. Lange genug jedenfalls, dass ich meine Freundin bat, mir Schokolade mitzubringen. Ich habe mir ein Stück in den Mund gesteckt und einfach nur die Augen geschlossen...

Was war das für eine Erfahrung?

Seltsamerweise fand ich es überhaupt nicht schrecklich - im Gegenteil, es war eine der interessantesten Erfahrungen meines Lebens, obwohl ich damals längst gearbeitet habe und eigentlich ein luxuriöses Leben gewohnt war. Schlimm war es nie. Ich wusste ja, dass ich nichts Böses gemacht hatte, ich hatte das nur getan, weil ich musste. Und ich fand es auch okay, jetzt dafür zu bezahlen. Ich habe mit den Mädchen da drin einige Freundschaften geschlossen. Wir wollten immer in Kontakt bleiben, aber wir haben uns leider aus den Augen verloren.

Dank der Filmwelt sind Sie dann von der schiefen Bahn abgekommen: Mit zwölf hat Wim Wenders Sie für seinen Film - Falsche Bewegung - engagiert. Waren Sie stolz?

Ich hatte eher das Gefühl: Es wird Zeit, dass ich das machen kann. Wir lebten damals in einer Münchner Kommune, in einem Trailer mit einem Mann, mit dem meine Mutter zusammen war. Er stellte für mich eine Vaterfigur dar, aber er hatte ebenfalls nichts. Als ich anfing zu arbeiten, konnte ich mit meiner Mutter in eine kleine, saubere Wohnung umziehen.

Aber Sie hatten nach Ihren ersten Filmen schnell den Stempel der sinnlichen kleinen Nymphe weg. Hat man Sie ausgenutzt?

Ich denke, ich hatte damals einfach nicht genügend Führung, und vielleicht auch nicht das nötige Selbstbewusstsein. Ich war auf einer Mission: Okay, hier ist Arbeit, und heute mache ich eben dies, morgen das und dann jenes. Es stimmt, der Wenders-Film und Wolfgang Petersens Tatort - Reifezeugnis - haben das sehr geformt; da gibt es Szenen, die würde ich meine zwölfjährige Tochter nie machen lassen.

Und dann kamen die nächsten, die sagten, mach mal das, zieh mal dies an und das aus. Ich fand das schon ein wenig seltsam, aber ich dachte, so wird es wohl sein, damit ich weiter arbeiten kann.

Andererseits haben Sie gleich mit den ganz Großen gearbeitet: Wenders, Polanski, Mastroianni. Sind Sie stolz darauf?

Diese Regisseure haben vermutlich etwas in mir gesehen, was für diese oder jene Rolle richtig war. Aber in meinen dunklen Momenten habe ich auch darüber nachgedacht, warum die mich jetzt nehmen, und ob ich das überhaupt kann.

Mit einigen haben Sie ja nicht nur die Arbeit, sondern auch das Leben geteilt - besonders Polanski wurde deswegen kritisiert. über ihn haben Sie allerdings gesagt, er hätte Ihnen großen Respekt entgegen gebracht.

Ja, es war ganz anders, als viele Leute denken. Er war natürlich schon wegen seines Alters eine Vaterfigur für mich, aber auch jemand, der sehr daran interessiert war, was ich denke, was ich lese, ob ich mich um mich kümmere. Er sagte mir oft, ich müsse Verantwortung übernehmen. Da war jemand, der wirklich an mich glaubte, und nicht nur auf die Fotos guckte. Es war nicht immer leicht, weil er mir viel abverlangte, aber das hat mich überhaupt nicht gestört.

Hat Sie der Klatsch gestört?

Wissen Sie, viele Leute haben damals gesagt, ich sei Polanskis "Tess" gewesen. Aber das ist nicht wahr. Ich musste endlos zu Probeaufnahmen erscheinen, monatelang, weil es ihm wahnsinnig wichtig war, dass das glaubwürdig ist. Für ihn hatte der Film große Bedeutung, weil er ihn mit seiner Frau hatte machen wollen, mit Sharon Tate, die das Buch liebte.

Polanski, aber auch Wim Wenders und Wolfgang Petersen waren die drei, die meine Kindheit in der Arbeit am stärksten geprägt und mich ins Erwachsenwerden geführt haben. Die Familie, die ich nie hatte, hatte ich dann plötzlich über die ganze Welt verteilt. Das waren die paar Leute, auf die ich mich wirklich verlassen konnte.

Sie sind in Deutschland, Italien, Frankreich, Venezuela, England und Amerika aufgewachsen. Kommt man da aus dem Reisen nicht mehr heraus?

Nein, man sehnt sich nach einer Heimat.

Wo ist Ihre Heimat heute?

Ich bin in Berlin geboren, war aber wenig dort. Meine Mutter ist nach Berlin zurückgezogen, und ich habe mal versucht, das Haus zu finden, wo ich mit meiner Großmutter als kleines Kind auf den Treppen saß. Heute habe ich nicht mehr viel Familie, nur meine Mutter, aber sie ist leider so weit weg. Meine Heimat ist heute in den USA, weil meine Kinder hier sind. Zu Hause ist, wo die Familie ist, wo die Kinder sind.

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Wie hat das Mutterwerden Sie verändert?

Total. Das wichtigste steht plötzlich vor dir, and thatLs it. Muttersein ist das Schwerste, weil das Leben so kompliziert ist, aber es ist auch das Schönste auf der Welt. Ich wollte schon, als ich klein war, Kinder haben, ich habe immer eine Familie gezeichnet.

Sie sind jetzt 46. Ist das älterwerden für Sie eine schöne oder eher eine beängstigende Erfahrung?

Beides. Wenn man Kinder hat, rennt man ja den ganzen Tag mit ihnen rum. Aber wenn man spürt, dass man körperlich nicht mehr so fit ist wie früher, dann kommt die Angst, dass was passiert. Ich werde zum Beispiel beim Autofahren leicht müde. Und früher war ich so stark! Dann fange ich an, mir Sorgen zu machen: Was ist, wenn was passiert? Dann überkommt mich manchmal die Angst, und das ist vielleicht das Schwierigste, was es zu bewältigen gibt: Die Angst, diese Unsicherheit mit dem Leben und dem Tod...

Haben Sie eine Vorstellung vom Tod, oder dem Leben danach?

Ich glaube, die starke Verbindung, die man zu seiner Familie, zu seinen Kindern hat, die überdauert, das setzt sich fort.

Sie haben mal gesagt, Sie hätten kaum fünf Minuten getrauert, als Sie die Nachricht vom Tod Ihres Vaters erreichte.

Nein, das Gefühl der Trauer bezog sich eher darauf, dass ich es nie kannte, einen Vater zu haben. Dann war er plötzlich tot, und obwohl ich das ohne Probleme hinnehmen konnte, dachte ich doch: Das hätte mein Vater sein sollen. Aber er war es nicht, und wie werde ich jetzt jemals wissen, wie es ist?

Sie tragen ein diamantenbesetztes Kreuz. Sind Sie gläubig?

Ich war schon immer gläubig, aber auf meine Weise. Ich glaube, Jesus hat wirklich gelebt, und ich glaube an Engel und an Buddha und an alles, was allen Religionen gleich ist: Liebe, Gerechtigkeit, und dass wir hier sind, um das zu finden und anderen zu geben.

Welche Werte hoffen Sie Ihren Kindern zu vermitteln?

Die Bedeutung von Verantwortung, und die Freude, die es bereitet, Verantwortung zu übernehmen. Damit fühlt man sich erfüllt, glücklich, im Wachsen. Und ich möchte ihnen vermitteln, nicht aufzugeben, wenn es hart wird, egal, in welchem Bereich. Außerdem sollen sie an sich glauben, denn ich konnte das früher nicht - ich brauchte andere, die an mich glaubten. Ich war erst traurig, dann verwirrt und dann auf einer Mission, um zu überleben. Erst später habe ich Selbstvertrauen gefunden.

Wo?

Irgendwo in meinem Geist, in meinem Herzen, und in meinen Kindern. Da finde ich es, wenn ich morgens aufwache. Ich wache sehr früh auf, und dann denke ich und schreibe und halte mir die guten Dinge in meinem Leben und das, was ich erreicht habe, vor Augen - eine Art Meditation. Denn ich bin sehr selbstkritisch und frage mich oft, warum ich dies oder das gemacht habe.

Welche Person spielte in Ihrem Leben rückblickend die wichtigste Rolle bei der Suche nach sich selbst?

Vielleicht mein erster Freund, den ich hatte als ich 14 war. Ich denke oft an ihn, und ich glaube, er hat mir viel Selbstvertrauen gegeben. Sein Name ist Christian, er war eineinhalb Jahre älter als ich und gehörte zu meiner Clique damals. Ich habe versucht, ihn zu finden, aber ich erinnere mich nicht mal mehr ans seinen Nachnamen. Irgendjemand hat mir mal gesagt, er sei Anwalt geworden und habe eine Familie gegründet.

Die Beziehungen zu den Vätern Ihrer Kinder, Ibrahim Moussa und Quincy Jones, sind gescheitert. Sind Sie noch auf der Suche nach der Liebe Ihres Lebens - oder glauben Sie, dass es sie überhaupt gibt?

Ja, ich glaube daran, weil es Menschen gibt, die sie gefunden haben. Ich habe schon geglaubt, ich gehörte dazu, aber das stimmte nicht. Es war nur vorübergehend. Auch wenn die Erinnerung an diese Zeit in meinem Herzen wohnt, für immer. Und Christian. Es gibt in jedem Leben ein paar Momente, an denen man besonders hängt.

Wie muss der Mann sein, der Ihre große Liebe sein könnte?

Er muss ein guter Mensch sein. Manche Frauen finden dies und das sexy und anziehend, aber ich bin da ein bisschen anders. Für mich muss er in erster Linie ein Freund sein, der einem Gutes will, ein wirklich guter Mensch - kein fordernder, Eindruck schindender Typ, sondern eine respektvolle Person. Man muss sich erst mal darüber klar sein, dass man das verdient. Damit erhöht sich die Chance, dass man es auch bekommt.

Sie scheinen sich Hollywood weitgehend entzogen zu haben. Wie sieht Ihr Leben heutzutage aus?

Als Mutter führe ich ein ziemliches Hausfrauendasein - ich schmökere mit meinen Töchtern in den Promi-Magazinen, um zu gucken, was abgeht. Ich blättere in den Magazinen und sage: Wow, der sieht ja scharf aus! Oder: Hat die das wirklich gesagt? Auch wenn ich überhaupt nicht weiß, ob das stimmt, was dort steht. Manche dieser Leute haben es wirklich schwer. Ab und zu mal gehen wir zu einer Premiere, aber wir führen ein völlig anderes Leben als früher.

Haben Sie noch Kontakt zu Roman Polanski?

Ja, wir sehen uns manchmal. Seine Tochter ist genauso alt wie Kenya. Neulich habe ich mit meiner Tochter "The Pianist" angeschaut, und wir haben vor dem Poster am Kino Fotos von uns gemacht, und von der Riesenschlange davor, und die haben wir ihm geschickt.

Sie selbst schreiben jetzt an einem Buch.

Ja, eine Art Autobiographie. Und ich habe noch einige andere Ideen jenseits der Filmerei - sie ist ja auch Glückssache, und wenn man ein Film nach dem anderen dreht, denkt man nicht darüber nach, das fällt einem erst auf, wenn man es nicht mehr hat.

Andererseits: Ich habe es all die Jahre so vermisst, zu Hause zu sein, Essen zu kochen und meinen Kindern Geschichten vorzulesen, dass es mich fast krank gemacht hat. Und jetzt, wo ich es die letzten zwei Jahre gemacht habe, bekomme ich Angst, es wieder zu verlieren. Ich weiß nicht genau, wie ich meine Arbeit mit meinem Job als Vollzeitmutter integrieren kann.

Ich würde gern eine Dokumentationsreihe drehen. Ich arbeite derzeit an einem Muster. Es soll unter dem Titel "Close-Up" laufen. Ich würde gern Menschen porträtieren - Elizabeth Taylor zum Beispiel, aber nicht nur Promis. Ich glaube, ich arbeite an diesen Dingen auch deswegen, weil sie mir mehr Kontrolle geben. Als Schauspieler wirst du den ganzen Tag hin und hergeschickt

Wenn Sie einen Tag in den Schuhen eines anderen Menschen umherwandeln könnten, wer wäre das?

Es gibt einige, aber wenn ich wählen müsste, wäre es meine Mutter. Weil ich sie gern verstehen würde. Obwohl ich sie heute viel mehr verstehe als früher. Aber vielleicht könnte ich eine Kleinigkeit anders machen und den Dingen eine andere Richtung geben - oder ihr eine andere Kraft. Weil ich sie so sehr liebe.


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