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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Irakkrieg
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Irakkrieg

Hintergrund:
Stramm Rechte und Linke reisten kurz vor dem Ausbruch des Irakkriegs nach Bagdad und fanden sich so zu einer merkwürdigen Koalition zusammen.

 

Die Koalition der Zukunftsangst

von Dirk Maxeiner

Eine Reise nach Bagdad gilt derzeit als besonders couragiertes Zeichen für Friedensliebe. Es ist eine erstaunlich gemischte Reisegruppe, die sich da in letzter Zeit zur irakischen Hauptstadt aufmacht. Neben den so genannten menschlichen Schutzschilden fühlen sich auch Prominente aus Politik und Showgeschäft angezogen. Jörg Haider war schon zweimal da, auch Konstantin Wecker brach zu den Ufern des Tigris auf. Jetzt möchte auch Peter Gauweiler in Bagdad ein Zeichen setzen und für den Frieden beten. Die vatikanische Glaubenskongregation übermittelte dem CSU-Politiker eine entsprechende Einladung irakischer Christen. Konstantin Wecker und Peter Gauweiler, mittendrin die Friedensbewegung und der Vatikan: Es sind schon ziemlich ungewöhnliche Koalitionen, die sich da in Sachen Irak zusammen finden.

Worin besteht der politische Kit zwischen Menschen, die als stramme Linke und stramme Rechte bislang kein gutes Wort am jeweils anderen ließen? Und was verbindet jene, die über Bagdad-Tourismus á la Gauweiler nur den Kopf schütteln können? Die lassen sich nämlich auch nicht mehr entlang des gewohnten politischen rechts-links Schemas arrangieren. Der Dichter Wolf Biermann und der ungarische Schriftsteller György Konrád, Präsident der Akademie der schönen Künste in Berlin, finden sich plötzlich an der Seite von George Bush. Das hätte auch niemand so vorausgesehen.

Wie ein Katalysator beschleunigt die Auseinandersetzung um den Irak die Auflösung der traditionellen Lager und die neue Frontlinie entsteht im Kulturkampf um die Wertmaßstäbe des Westens. Es ist wohl kein Zufall, dass diejenigen, die noch bis vor nicht allzu langer Zeit unter Diktaturen leben mussten, besonders häufig und deutlich für Amerika und die westlichen Werte Partei ergreifen. Es geht vordergründig um den Frieden und den Irak, im Kern aber um den Stellenwert von Freiheit, Individualismus, Aufklärung und Fortschritt. Die Verständigung wird schwieriger, Missverständnisse häufiger, die Unsicherheit größer. Viele spüren, dass sich etwas in der geistigen Landschaft verändert hat, aber sie können diese Veränderung nicht festmachen. Irgendwie verschieben sich die politischen Pole, aber man kann es nicht erklären. Begriffen von gestern versagen ihren Dienst.

Sogar beim Lesen der Bildzeitung weiß man nicht mehr, wo rechts und links ist. Bild engagierte mit Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine zwei Kolumnisten, um sie als politische Kontrahenten aufeinander zu hetzen. Doch etwas Überraschendes geschah: Die beiden sind oftmals ein Herz und eine Seele. Wenn Lafontaine sich mit Globalisierungsgegnern solidarisiert ("Sie kämpfen für eine gerechtere, eine bessere Welt. Die wollen wir doch auch") pflichtet Gauweiler bei: "Ich bin auch gegen Globalisierung", und warnt vor einer "Entzauberung der Welt" und dem "Schlussverkauf der Menschheit." Gemeinsam beklagen beide den Verfall der Werte. Lafontaine: "Beliebigkeit gilt als modern. Traditionelle Werte gelten als altmodisch. Wir brauchen wieder mehr Gemeinsinn." Und Gauweiler erregt sich in einem Aufwasch über Sex im Fernsehen, Abtreibungen, Tiertransporte und Kriminalität. Die deutsche Gesellschaft sei "grenzenlos und hemmungslos" geworden. Wer hätte dieses politische Duett vor ein paar Jahren für möglich gehalten?

Neue Koalitionen haben Konjunktur. In der Bioethik-Debatte unterwerfen sich Feministinnen und Grüne der katholischen Lehrmeinung. Die Stammzellenforschung wird von Kardinal Ratzinger und dem ökosozialen SPD-Politiker Michael Müller unisono verdammt. Linke Gewerkschafter und protektionistische Nationalisten protestieren gemeinsam gegen die Globalisierung. Anti-Globlisierungs-Polemiken von Attac und NPD tönen zuweilen nahezu wortgleich. Anfang 2002 mobilisierte Jörg Haider in Österreich gegen Atomkraft. Als sei er ein Stück der Anti-AKW-Bewegung propagierte Haider "Ja zum Leben. Nein zu Temelin!". In einem Aufwasch verknüpfte er Ängste vor der Osterweiterung der EU, die Furcht vor dem Reaktor Temelin und Ressentiments gegen tschechische Zuwanderer.

Solche Parolen zielen auf Menschen, die die Zukunft in erster Linie als Bedrohung empfinden und wollen das alles so bleibt wie es ist. Freiheit münde in kulturellem Niedergang, warnen die Antiwestler, ökonomischer Wandel zerstöre Wurzeln der Gemeinschaft, wachsender Wohlstand schädige die Umwelt, Technik versklave die Menschheit. Die Zukunft sei außer Rand und Band und steuere direkt in den Abgrund. Nur im Schutz von Verboten, Beschränkungen, staatlicher Fürsorge und niedriger Erwartung könne die Welt dieser bedrohlichen Zukunft entkommen.

Diese grundsätzliche Angst vor Veränderung gibt auch den Befürchtungen vor einer "Destabilisierung" des nahen Ostens so viel Auftrieb. Unter dem Strich wird somit die gegenwärtige Friedhofsruhe einer (möglicherweise bescheidenen) Chance für eine freiere und gerechtere Entwicklung der Region vorgezogen. Doch hätte es mit einer solchen Einstellung beispielsweise niemals zum Fall der Mauer kommen dürfen, einem besonders eklatanten Fall von Destabilisierung einer Region. Erst vor dieser Folie wird erklärbar, dass viele Menschen George Bush für eine größere Bedrohung halten als Saddam Hussein. Wer Angst vor einer offenen Zukunft hat, reist dann lieber zum Beten nach Bagdad.

 

Erschienen in Die Welt vom 15.03.03