Emil
Adolf Roßmäßler (1806 - 1867)
(Naturkundemuseum Leipzig)
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Emil Adolf Roßmäßler
Zum 200. Geburtstag am 3. März 2006
Emil Adolf Roßmäßler gehört zu den bedeutenden
Persönlichkeiten der Stadt Leipzig. Sein kurzes Studium an
der Universität Leipzig vertiefte er als Autodidakt, kam an
der Königlichen Sächsischen Akademie für Forst- und
Landwirte in Tharandt als Professor für Zoologie zu akademischen
Ehren, wurde 1848 in das erste deutsche Parlament gewählt und
war als Volksschriftsteller und Pädagoge überzeugt, dass
die Freiheit aller Stände durch naturwissenschaftliche Bildung
erreicht werden könnte.
Angeregt von seinem Vater, dem Kupferstecher Johann Adolf Roßmäßler,
entwickelte der am 3. März 1806 in Leipzig als zweites Kind
geborene Emil Adolf schon im Knabenalter großes Interesse
an der Natur. Auch seine Begabung, Naturgegenstände zeichnerisch
exakt abzubilden, zeigte sich schon frühzeitig. Die gymnasialen
Lehrinhalte der Nicolai-Schule prägten bei dem jungen Roßmäßler
ein humanistisches Weltbild, das ihm zeitlebens Maßstab, Kraftquell
und auch Trostanker blieb. Seine Neigung zur Naturgeschichte fand
in einem kleinen Kreis gleichgesinnter Mitschüler vielseitige
Anregung. Besonders sein Freund Theodor Klatt, Sohn eines wohlhabenden
Kaufmannes, lieferte dazu die neueste Literatur und mit seinen Sammlungen
das notwendige Anschauungsmaterial. Das 1. Heft der "Iconographia
botanica" von Reichenbach löste bei den Jünglingen
begeisterte botanische Exkursionen, Pfeiffers 1. Band "Systematische
Anordnung und Beschreibung deutscher Land- und Wasserschnecken"
Sammelleidenschaften aus.
Nach dem Verlust der Eltern war Roßmäßler von
den finanziellen Möglichkeiten seines Oheims abhängig
und schrieb sich deshalb, sein Wunschfach Arzneikunde zurückstellend,
Ostern 1825 an der Universität Leipzig für das wesentlich
billigere Studienfach Theologie ein. Die beiden einzigen von ihm
besuchten Kollegien, Kirchengeschichte und Dogmengeschichte, hielt
er dazu angetan, die Theologie einem jungen Mann zu verleiden, der
"… zunächst zu nichts anderem Beruf und Neigung
fühlte, als selbständig zu denken und zu urtheilen, …".
Auch eine Vorlesung Philosophie hielt er für ungenießbar:
"... und nach Verlauf eines Monats war ich für mein
ganzes Leben zum letztenmale in einer philosophischen Vorlesung
gewesen." Regelmäßiger besuchte er die Vorlesungen
Medizinische Botanik und Kryptogamische Gewächse, für
die ihm Gustav Kunze die Gebühren erlassen hatte. Auch berichtet
er in seiner Selbstbiographie, dass ihm für ein Jahr der botanische
Unterricht für die Apothekerlehrlinge ganz Leipzigs übertragen
worden sei, den er als Exkursionen durchführte, der aber wenig
Erfolg brachte.
Als er nach zwei Jahren die Universität verließ und
sich 1827 um die Lehrerstelle an einer Schola collecta in dem kleinen
thüringischen Städtchen Weida bewarb und diese erhielt,
gestand er sich ein: "Freilich hatte ich hierauf schon deshalb
keinen Anspruch, weil ich seit der Abgangsprüfung [Abitur;
St.] keinerlei Universitätsprüfung gemacht, und in keinem
Fach die vorgeschriebenen, bei den Prüfungen zu belegenden
Vorlesungen vollständig gehört hatte." In dieser
Situation wurde zum ersten Mal sein etwas trotziges Pflichtgefühl
deutlich. Er begann mit Feuereifer ein Selbststudium, das bei seiner
Begabung schnell zu Erfolgen als Lehrer und auch in der wissenschaftlichen
Botanik führte.
1929 wurde Roßmäßler von der Anregung überrascht,
sich um die vakante Professur für Zoologie an der Königlichen
Sächsischen Akademie für Forst- und Landwirte zu bewerben.
Der Vorschlag kommt von Hofrat Prof. Reichenbach in Dresden, dem
er mehrfach Herbarmaterial relativ seltener Pflanzen geschickt hatte.
Sinngemäß habe ihm sein Förderer, annehmend, er
sei inzwischen promoviert, geschrieben: "…ich weiß
recht wol, dass Sie nicht Zoolog sind; wer sich aber so gründlich
und so wissenschaftlich mit der Botanik beschäftigt hat, der
arbeitet sich schnell so weit in die Zoologie hinein, als es für
den Unterricht auf der Anstalt erforderlich ist." Bei der
Vorstellung in Dresden verweigerte der zuständige Minister,
Graf Einsiedel, in Anbetracht des ausstehenden Hochschulabschlusses
und der fehlenden Promotion vorerst den Titel Professor und reduzierte
die bisherige Besoldung der Stelle erheblich. Aber Roßmäßler
nahm die Einschränkungen in Kauf, die Berufung an die Akademie
erreichte ihn kurz vor Ostern 1830 in Weida, anschließend
verlobte er sich in Leipzig mit Emilie Neubert, seiner späteren
Frau, und trat Mitte Juni 1830 sein neues Amt in Tharandt an.
Da einschlägige Fachliteratur für Studierende der Forst-
und Landwirtschaft damals fast vollständig fehlte, erarbeitete
er, gefördert von dem Gründer und ersten Direktor der
Akademie, Oberforstrat Heinrich Cotta, zunächst Lehrmaterialien
für seine Vorlesungen. Schon 1832 erschien das Lehrbuch "Systematische
Übersicht des Thierreichs" mit 12 selbstgezeichneten
Atlastafeln. 1834 folgte das Fachbuch "Forstinsekten, Naturgeschichte
derjenigen Insekten, welche den bei uns angebauten Holzarten am
meisten schädlich werden". Die Übernahme der pflanzenphysiologischen
Vorlesungen gab die Anregung für das Kompendium "Das
Wichtigste vom Bau und Leben der Gewächse, für den praktischen
Landwirt faßlich dargestellt" mit 4 Steindrucktafeln
(1843) und schließlich das forstwirtschaftlich orientierte
Buch "Charakteristik des Holzkörpers der wichtigeren
deutschen Bäume und Sträucher" (1847).
Aber all diese Publikationen berührten nicht eigentlich sein
zoologisches Haupt-interesse, die Mollusken. Erst während einer
7-wöchigen Reise nach Wien (1832), wo er die großen Conchyliensammlungen
von Ziegler und Mühlfeldt und mit Hilfe von Partsch die Bestände
des Hofnaturalienkabinetts sichten konnte und wo er neue und besonders
interessante Arten zeichnete, wurde die Begeisterung für die
Malakozoologie zur Faszination. Nun musste er seine Vision von einem
großen Tafelwerk realisieren. Das 1. Heft der "Iconographie
der Land- und Süßwasser-Mollusken, mit vorzüglicher
Berücksichtigung der europäischen, noch nicht abgebildeten
Arten" erschien im Großquart-Format im April 1835. Schon
mit der letzten Tafel des Heftes wurde deutlich, dass er seine Zeichnungen
auch selbst lithographieren will. Bei der Steinzeichnung erreichte
er schließlich eine Perfektion, die sein Werk in die Reihe
der schönsten einschlägigen Fachbücher stellt. Bis
1840 publizierte er jährlich 2 Hefte mit jeweils 5 Tafeln,
dann sporadisch die Hefte 11 - 16, und 1859 schloss
er mit den Heften 17 und 18 den 3. Band ab. In einigen Heften spiegelt
sich seine Sammeltätigkeit im Ausland wider, so z. B.
die Ausbeute der dreimonatigen Studienreise im südlichen Spanien
im 13. und 14. Heft. Nach Roßmäßler bemühten
sich W. Kobelt und viele weitere Malakologen um die Fortsetzung
des Werkes.
Der so erfolgreiche, inzwischen mit zahlreichen Gelehrten korrespondierende
Roßmäßler konnte sich aber trotz aller Erfolge
etwa ab 1840 mit den akademischen Aufgaben allein nicht mehr abfinden.
Auch mag er um diese Zeit erkannt haben, dass die wissenschaftlichen
Fortschritte in den von ihm vertretenen Disziplinen wohl im schulischen,
aber nicht mehr im akademischen Bereich von einer einzelnen Person
vermittelt werden können. In dieser Situation drängt ihn
sein Gewissen, sich in den Dienst des sozialen Fortschritts zu stellen.
Auch will er nicht mehr "… einer Kirche … äußerlich
angehören, von der er innerlich längst abgefallen war"
und schloss sich 1846 mit seiner Frau der Deutsch-katholischen Religionsgemeinschaft
an. Nach der Märzrevolution 1848 wurde er zu einer Bewerbung
um einen Sitz in der Frankfurter Nationalversammlung gedrängt
und am 15. Mai zum Abgeordneten des 22. sächsischen Wahlbezirkes
(Pirna) gewählt. Schon am 20. Mai traf er in der Frankfurter
Paulskirche ein, wurde in der 34. Sitzung des Parlaments dem Schulausschuss
zugeordnet und hielt am 18. September 1848 eine leidenschaftliche
Rede, die mit dem Aufruf endete: "Ich bitte Sie, meine Herren,
nehmen Sie sich der Volksbildung an, nehmen Sie sich der Volkslehrer
an. Wenn Sie dies nicht tun, begehen Sie einen Verrat an der Zukunft
Deutschlands."
Nach dem Zerfall der Nationalversammlung ging er mit dem Rumpfparlament
am 06.06.1849 nach Stuttgart, "… wo die Erhebung
zur Freiheit in 12 Tagen ihr trauriges Ende fand". Schon im
August kehrte er allein nach Tharandt zurück, wurde suspendiert
und des Hochverrats angeklagt. In allen Instanzen freigesprochen,
beantragte er seine Entpflichtung und verließ, mit weniger
als der Hälfte seiner Bezüge abgetan, Tharandt. Im März
1850 zog die Familie Roßmäßler nach Leipzig. Für
die Volksschriftstellerei ohne saft- und kraftlose Naturschwärmerei
hatte er sich schon vordem entschieden. 1850 bis 1867 schrieb er
15 Bücher, viele davon mehrbändig, die meisten sehr gut
illustriert; nur einige können hier erwähnt werden: "Der
Mensch im Spiegel der Natur" (1850 - 1853),
5 kleine Bände, in denen Roßmäßler seine naturphilosophischen,
pädagogischen und politischen Überzeugungen verdeutlicht;
"Das Süßwasser-Aquarium" (1857), eine relativ
kleine Publikation, die den Namen Roßmäßler bei
den Naturfreunden bis heute lebendig erhalten hat. Der dem Namen
oft nachgestellte Satz: "Vater der Aquaristik" kann
wohl für Deutschland gelten, bedingt aber auch, dass seine
großen Leistungen für die Pädagogik, die Malakologie,
den Landschafts- und Naturschutz übersehen werden. Einige weitere
Titel: "Das Wasser" (1858), ein Meisterwerk, das sich
auf seine Studien in der Schweiz stützt, 2. Auflage 1860, außerdem
Übersetzungen ins Holländische und Russische; "Der
Wald" (1862), eine noch heute interessante Monographie, in
der die botanischen und forstwirtschaftlichen Aspekte von Wald und
Forst erschöpfend behandelt werden; Nachauflagen 1870 und 1881,
ergänzt und verbessert von M. Willkomm; "Die Tiere des
Waldes" (1867), mit E. A. Brehm ediertes zweibändiges
Fachbuch, im 1. Bd. die Wirbeltiere von Brehm, im 2. Bd. die wirbellosen
Tiere von Roßmäßler; "Mein Leben und Streben
im Verkehr mit der Natur und dem Volke" (1874), posthum von
K. Ruß herausgegebene Selbstbiographie.
Ungewöhnlich vielseitig waren aber auch Roßmäßlers
Aktivitäten für Zeitschriften. In der Wochenzeitung "Die
Natur" erschienen 1852 bis 58 etwa 22 Beiträge. In seinem
eigenen, von E. A. Brehm unterstützten, vor allem auf
die Bildung der einfachen Stände orientierten Volksblatt "Aus
der Heimat" (1859 - 1866) schrieb er die meisten
Beiträge selbst. Auch für das Familienblatt "Die
Gartenlaube" lieferte er Artikel, von denen "Der See
im Glase" bis heute als Vorläufer des Buches "Das
Süßwasser-Aquarium" erwähnt wird. Insgesamt
sind Roßmäßlers populärwissenschaftliche Schriften
eine großartige pädagogische Leistung. Niemand hat dies
besser verdeutlicht als Gustav Schneider mit seiner Dissertation:
"Emil Adolf Roßmäßler als Pädagog",
eingereicht 1902 an der philosophischen Fakultät der Universität
Leipzig. Schneider stellt Roßmäßler in die Reihe
der großen deutschen Pädagogen, die bemüht waren,
die Anregung des Bildungsreformators J.H. Pestalozzi (1746 - 1827)
im deutschen Schulwesen zu verwirklichen. Roßmäßler
forderte dazu, ähnlich wie F. A. W. Diesterweg (1790 - 1866),
eine einheitliche Schulorganisation und Lehrerbildung sowie die
staatliche Fachaufsicht statt kirchlicher Schulaufsicht. Im Gegensatz
zu Diesterweg versteifte er sich jedoch auf die Vorstellung, dass
bei der Förderung der Volksbildung die naturgeschichtliche
Bildung eine Schlüsselrolle einnehmen müsse, eine Forderung,
die in seiner Zeit utopisch erscheinen musste. Aber auch dort, wo
Bereitschaft zur Unterstützung seiner Vorstellungen gegeben
war, haben seine öfter auffallend polemischen Äußerungen
und auch seine politischen Aktivitäten kritischer Distanz bis
rigoroser Ablehnung Vorschub geleistet. Noch verstehen könnte
man seine abwertenden Äußerungen über die Lehre
und Bildung an den Hochschulen, schließlich hatte er selbst
schlechte Erfahrungen gemacht, auch seine unsachlichen Bemerkungen
über die Naturphilosophie von L. Oken (1779 - 1851)
kann man überlesen, völlig unverständlich bleiben
jedoch seine abfälligen Bemerkungen über den Chemiker
Justus Freiherr von Liebig (1808 - 1873). Auch ist
kaum zu verstehen, dass er, wieder in Leipzig wohnend, kaum Kontakte
zu Fachkollegen der Universität pflegte.
Politisch war Roßmäßler ein unbeugsamer Demokrat
des linken Spektrums. Wegen Aktivitäten in bürgerlich-demokratischen
und Arbeiter-Vereinen stand er zeitweise unter polizeilicher Überwachung.
Seine Vorträge wurden in einigen Städten untersagt, er
selbst ausgewiesen. Ein ausführliches Aktenstück der Königlichen
Kreisdirektion Leipzig des Innenministeriums über seine strafbaren
Handlungen befindet sich im sächsischen Staatsarchiv. Franz
Mehring schrieb in seiner "Geschichte der Sozialdemokratie":
"Er … hatte viel echtere Begriffe von Volksbildung
als die sogenannte gebildete Bourgeoisie, war auch politisch radikaler
als das banale Fortschrittlertum, blieb aber bei alledem in bürgerlichen
Anschauungen befangen". Dem Gedankengut von Karl Marx konnte
Roßmäßler nicht folgen und äußerte sich
dazu warnend gegenüber August Bebel.
Emil Adolf Roßmäßler starb nach längerem
Nieren- und Blasenleiden am 8. April 1867 in Leipzig. Auf seinem
letzten Weg zum neuen Johannisfriedhof begleiteten ihn in Liebe,
Verehrung und Dankbarkeit hunderte Leipziger Bürger. Viele
seiner visionären Ziele sind heute Wirklichkeit, z. B.
die Emanzipation der Arbeiter und Frauen, andere noch immer Probleme
der internationalen Politik. Das nachfolgende Zitat von 1853 ist
ein Beispiel dafür:
"Die Behandlung der Waldungen schließt eine furchtbare
Verantwortlichkeit in sich. Sie kann zum allergrößten
Verbrechen an den kommenden Geschlechtern werden; denn sie kann
diesen das Leben unmöglich machen."
Prof. em. Dr. Dr. h. c. Günther H. W. Sterba
Ehemaliger Direktor des Zoologischen Instituts
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