Zum Tod des bedeutenden Musikwissenschaftlers Reinhold Brinkmann

Reinhold Brinkmann war unter den deutschen Musikwissenschaftlern der älteren Generation eine ganz und gar ungewöhnliche Erscheinung. Das begann schon mit seiner Promotion über Arnold Schönbergs Klavierstücke op. 11. Ende der sechziger Jahre war das ein Thema (über den Neutöner, den Emigranten, den Juden Schönberg), das eine wissenschaftliche Karriere üblichen Zuschnitts gerade in diesem Fach verhindern konnte, in dem das Beschweigen einer unrühmlichen Vergangenheit länger anhielt als andernorts.

Brinkmann schlug es dennoch zum Guten aus, denn er kam damit zur rechten Zeit, als sich die akademische Verdrängung Schönbergs und seines Kreises auch wissenschaftlich nicht mehr aufrecht erhalten ließ - mutig war diese Themenwahl dennoch, denn das war nicht klar vorauszusehen. Er machte also doch Karriere, die ihn über Berlins Freie Universität, Marburg und erneut Berlin Mitte der achtziger Jahre nach Harvard führte.

Die ihn prägenden Gestalten waren Theodor W. Adorno, Rudolf Stephan, Hans Heinrich Eggebrecht und Carl Dahlhaus. Brinkmanns Interessen waren weit gespannt und beschränkten sich nicht auf die Musik des 20.Jahrhunderts, für deren Erkenntnis er allerdings Wegweisendes geleistet hat. Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms hat er luzide Aufsätze und Monographien gewidmet, die nicht durch den äußeren Umfang, sondern durch Subtilität und weitblickende Verknüpfung mit Fragen der Geistes-, Sozial- und Politikgeschichte ihren Rang behalten werden. Auch um Richard Wagner machte er keinen Bogen. Gleichzeitig suchte und fand er den Zugang zu bedeutenden Komponisten der Gegenwart. Mit Stockhausen, Nono und Boulez stand er im Austausch, mit Dieter Schnebel, Luciano Berio und Wolfgang Rihm war er befreundet (ein tieflotendes Gespräch mit Rihm ist als Buch publiziert). Der Siemens-Musikpreis 2001 dokumentierte den Respekt, den er genoss. In den letzten Jahren seiner amerikanischen Tätigkeit widmete er sich besonders der musikalischen Emigration aus Nazi-Deutschland nach den USA. Das hatte auch damit zu tun, daß die Musikwissenschaft in den USA recht eigentlich ein Aufbauwerk europäischer, vor allem deutscher Emigranten gewesen ist. Mit den Nachkriegskarrieren fleißiger und wendiger NS-Musikwissenschaftler hat sich Brinkmann ohne Beschönigung auseinandergesetzt.

Sein letztes großes Arbeitsvorhaben, dem er sich nach der Rückkehr nach Berlin verstärkt zuwandte, war unter dem Arbeitstitel 'Das verzerrte Sublime' eine Analyse des Umgangs mit der großen musikalischen Überlieferung im 'Dritten Reich' - er konnte dieses Vorhaben nicht mehr abschließen. Als Wolfgang Rihm ihn fragte, was denn eigentlich ein Musikwissenschaftler mache, antwortete Brinkmann: 'Er denkt über Musik nach, er denkt der Musik nach. Ein Musikwissenschaftler muss Musiker sein: das heißt, dass er argumentiert aus engster Nähe zur Musik, einem fast körperhaften Kontakt mit Musik, und mit diesem Kontakt unternimmt er seine Interpretationen, seine Kontextstudien. Und ich glaube, das macht den guten Musikwissenschaftler aus'. In diesem und anderem Sinne war Reinhold Brinkmann ein guter Musikwissenschaftler. Am Sonntag ist er 76-jährig in Eckernförde gestorben.JENS MALTE FISCHER