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Dokumente/Documents - Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog
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Rezensionen 3/2007

  • Frankreich-Diskurse bei Heinrich und Klaus Mann
  • Christian Feit: Fußnoten zu unserer Geschichte 1920-2001
  • Martin Schieder: Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945-1959
  • Annette Kliewer: Unterricht entgrenzen - Interregionale Ansätze in Pfalz und Elsass

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    Frankreich-Diskurse bei Heinrich und Klaus Mann
    Chantal Simonin: Heinrich Mann et la France. Une biographie intellectuelle. Presses Universitaires du Sepentrion, Villeneuve d’Asque 2005, 423 S., 21,50 Euro

    Fredric Kroll / Klaus Täubert: Klaus-Mann- Schriftenreihe. Herausgegeben von Fredric Kroll. Band 4: 1933–1937. Repräsentant des Exils. Teilband II: 1935–1937. Zeichen der Volksfront. Hamburg, Männerschwarm Verlag 2006, 695 S., 72 Euro

    Veit Johannes Schmidinger: Klaus Mann und Frankreich. Eine Untersuchung dieser Beziehung. Tectum Verlag, Marburg 2005, 315 S., 29,90 Euro Ders.: „Wo freilich ich ganz daheim sein werde ...“. Klaus Mann und Frankreich. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2006, 237 S., 19 Euro


    Die Auseinandersetzung mit Frankreich nimmt im Leben und Werk von Heinrich Mann (1871– 1950), seinem Bruder Thomas Mann (1875– 1955) und dessen – wie ihr Vater und ihr Onkel ebenfalls schriftstellerisch und publizistisch tätigen – Söhnen Klaus Mann (1906–1949) und Golo Mann (1909–1994) breiten Raum ein. Insbesondere für Heinrich und für Klaus Mann sind ihre lebenslangen Diskurse mit Frankreich von großer Bedeutung für ihre Biographien und ihre Schriften.

    Als „biographie intellectuelle“ bezeichnet die französische Germanistin Chantal Simonin ihre Untersuchung über „Heinrich Mann et la France“, die erste umfangreichere monographische französischsprachige Studie zu diesem Thema, das vor allem deutsche Germanisten und Heinrich- Mann-Forscher schon mehrmals ausführlich behandelt haben. Im Zentrum dieser älteren Studien standen entweder die vielfältigen persönlichen Beziehungen Heinrich Manns zu französischen Autoren (zum Beispiel sein umfangreicher Briefwechsel mit dem französischen Germanisten Felix Bertaux), seine Exiljahre in Frankreich, seine zahlreichen Essays zur französischen Literatur, seine „Henri IV.“-Romane oder ganz allgemein sein Frankreichbild. Simonin, die an der Universität Lille Germanistik doziert, hat sich bereits durch mehrere einschlägige Publikationen als Heinrich- Mann-Spezialistin ausgewiesen, im Jahr 2002 gab sie unter dem Titel „L’écrivain dans son temps. Essais sur la littérature française (1780–1930)“ eine französische Übersetzung von Essays Heinrich Manns zur französischen Literatur heraus.

    In ihrer erstmals auch Heinrich Manns persönliche Bibliothek französischer Autoren und Bücher zu französichen Themen mit einbeziehenden Untersuchung beschäftigt sich Chantal Simonin nun aus mehreren Blickwinkeln mit seinem Frankreich- Diskurs. Sie weist zum einen in positivistischer Manier durch einschlägige Lektüren und durch persönliche Kontakte bedingte Einflüsse französischer Autoren auf Heinrich Manns intellektuelle Entwicklung und auf sein publizistisches und schriftstellerisches Schaffen nach. Zum anderen widmet sie sich ausführlich mehreren Fällen, die ihr für seinen produktiven, das heißt in Veröffentlichungen Ausdruck findenden Frankreich-Diskurs paradigmatisch scheinen. So zum Beispiel Manns großer Zola-Essay von 1915, der den Anlass für das Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Bruder Thomas bildete. Thomas Mann beschimpfte seinen Bruder Heinrich, der sich nicht nur in seinem Zola-Essay für die Ideale der Aufklärung, der französischen Revolution und ein gleichermaßen von Rationalität und Humanität bestimmtes Verhältnis zwischen den vermeintlichen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich aussprach, in seinen deutschnationalen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ (1918) und mehreren anderen Texten verächtlich als Beispiel eines „Zivilisationsliteraten“, der die „deutsche Kultur“ verrate. Das nicht zuletzt den unterschiedlichen Frankreichbildern geschuldete Zerwürfnis zwischen den Brüdern wurde erst gekittet, als Thomas Mann sich nach einem Umdenkprozess ostentativ zur Weimarer Republik bekannte und sich seinem mit der SPD und der KPD liebäugelnden Bruder politisch annäherte.

    Weitere Bezugspunkte Heinrich Manns zu Frankreich, die Chantal Simonin in ihrer leider nicht sehr sorgfältig lektorierten Studie, in deren Literaturverzeichnis es von Tippfehlern nur so wimmelt, untersucht, sind unter anderem die Einflüsse Paul Bourgets und Jules Michelets auf den frühen Heinrich Mann, die Dreyfus-Affäre und die im französischen Exil geschriebenen beiden Romane über den von ihm als Verkörperung der Ideale von Toleranz und Humanität portraitierten französischen König Henri IV. Eine gelungene Überblicksdarstellung ist die „Chronologie“ am Ende des Buches, in der Simonin die Biographie Heinrich Manns unter besonderer Berücksichtigung seines Frankreich-Diskurses zusammenfasst. Zeit seines Lebens im Schatten seines berühmten Onkels und seines noch berühmteren Vaters stand Klaus Mann, Thomas Manns ältester Sohn, der sich 1949 im Alter von gerade 42 Jahren im südfranzösischen Cannes das Leben nahm und dort auch seine letzte Ruhestätte fand. Klaus Mann, so bemerkte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal treffend, war ein „dreifach Geschlagener“: er war homosexuell, er war drogensüchtig, und er war der Sohn Thomas Manns.

    Nach dem Selbstmord schrieb sein Vater in einem Nachruf: „Wie viele Raschheiten und Leichtigkeiten seinem Werk abträglich sein mögen, ich glaube ernstlich, dass er zu den Begabtesten seiner Generation gehörte, vielleicht der Allerbegabteste war.“ Diesem Urteil schließt sich allmählich auch die Literaturwissenschaft an, die sich erst Jahrzehnte nach seinem Tod ernsthaft für das trotz seines kurzen Lebens sehr umfangreiche Werk des zunächst in deutscher und nach seiner Einbürgerung in die USA in englisch-amerikanischer Sprache schreibenden Kosmopoliten zu interessieren begann. Besondere Meriten erwarb sich hierbei der amerikanische Germanist Fredric Kroll, der 1976 den ersten Band einer von ihm herausgegebenen und maßgeblich mitverfassten „Klaus- Mann-Schriftenreihe“ vorlegte, deren sechster und letzter Band erst im letzten Jahr erschien und minutiös Klaus Manns Leben während der Jahre 1934 bis 1937 nachzeichnet. Jene Jahre also, als der engagierte Antifaschist und Exilant unter anderem die Romane „Symphonie Pathetique“ und „Mephisto“ schrieb und 1935 in Paris Schriftsteller aus aller Welt zu einem Kongress versammelte, um mit ihnen angesichts der Bedrohung durch den europäischen Faschismus und vor allem den deutschen Nationalsozialismus über Möglichkeiten zur „Verteidigung der Kultur“ zu diskutieren. Aus seiner Liebe zu Frankreich hat Klaus Mann nie einen Hehl gemacht. Mit der Kultur, Literatur und Sprache von Deutschlands großem Nachbarn im Westen und mit den Franzosen selbst verband Klaus Mann ein lebenslanges, sehr enges Verhältnis.

    Viele französische Landschaften und Orte, insbesondere die Metropole Paris waren Klaus Mann aus eigener Erfahrung von vielen Reisen her bekannt. Mit der französischen Sprache und mit der französischen Kultur und Literatur seiner Zeit war er bestens vertraut, zu vielen französischen Autoren hatte er engen persönlichen Kontakt und pflegte Freundschaften mit ihnen: Insbesondere zu Jean Cocteau, dessen Roman „Les Enfants terribles“ er 1930 unter dem Titel „Geschwister“ dramatisierte, oder zu René Crevel und vor allem André Gide, den Klaus Mann zutiefst bewunderte und verehrte und über den er 1943 im amerikanischen Exil das Buch „André Gide and the Crisis of Modern Thought“ schrieb.

    Klaus Mann veröffentlichte außerdem unzählige Zeitungsartikel und Essays zu französischen Themen. Und auch in seinen vielfach autobiographisch gefärbten Romanen, Erzählungen und Dramen sowie erst recht in seinen autobiographischen Schriften sind Erfahrungen mit Frankreich beziehungsweise mit Franzosen oft entweder direkt greifbar oder spielen zumindest als Subtext eine Rolle, wie der junge Germanist Veit Johannes Schmidinger jetzt in gleich zwei Büchern schlüssig nachweist. 2005 legte der 1972 geborene Schmidinger unter dem Titel „Klaus Mann und Frankreich. Eine Untersuchung dieser Beziehung“ beim Tectum Verlag die Buchfassung seiner an der Universität München eingereichten Dissertation vor. Im Herbst 2006 veröffentlichte er beim auf homosexuelle Literatur spezialisierten Männerschwarm Verlag mit dem umfangreichen Essay „Wo freilich ich ganz daheim sein werde …".

    Klaus Mann und Frankreich eine populärwissenschaftliche, vor allem auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat verzichtende Bearbeitung seiner Dissertation. Das Thema „Klaus Mann und Frankreich“ dürfte mit Schmidingers auch bislang unveröffentlichte Archiv-Materialien berücksichtigenden beiden Büchern erschöpfend behandelt sein. Zumal der Autor, der seine Untersuchungen ausdrücklich auch als Beitrag zur homosexuellen Literatur- und Kulturwissenschaft verstanden wissen will, nicht nur Klaus Manns Frankreich-Diskurs unter die Lupe nimmt, sondern sich auch mit der Rezeption des Autors in Frankreich beschäftigt. Es wäre sicher eine lohnenswerte Aufgabe für die Germanistik, die Zeitgeschichtsforschung und die deutsch-französische Komparatistik, die Frankreich-Diskurse von Heinrich, Thomas, Klaus und Golo Mann einmal ausführlich miteinander zu vergleichen. Einzelstudien zum Verhältnis von Thomas, Heinrich und Klaus Mann zu Frankreich, zu ihrem Frankreichbild und zu ihrer Rezeption in Frankreich liegen bereits vor, für Golo Mann und seine historischen, publizistischen und autobiographischen Schriften mit Frankreichbezug stehen solche Untersuchungen noch aus.

    Signalwirkung für weitere Forschungen könnten die vorgestellten Neuerscheinungen und ein längst überfälliges wissenschaftliches Kolloquium über „Die Familie Mann und Frankreich“ haben. Interessierte Teilnehmer und Beiträger für ein solches Kolloquium gäbe es gewiss zu Genüge.

    Horst Schmidt


     
    Ein Blick hinter die Kulisse
    Christian Feit: Fußnoten zu unserer Geschichte 1920–2001 – Ein etwas anderes Buch. Books on Demand 2006, 247 Seiten, 28,80 Euro

    Diese Aufzeichnungen über ein sich über drei Jahrzehnte hinziehendes Diplomatenleben enthalten keine mehr oder weniger sensationellen Enthüllungen. Der Verfasser will, wie schon sein Buchtitel andeutet, nur einen Beitrag zum besseren Verständnis des diplomatischen Alltags leisten. Im Mittelpunkt steht seine Tätigkeit als Leiter der politischen Abteilung der Deutschen Botschaft in Paris während einer der Schlüsselperioden der deutsch-französischen Zusammenarbeit von 1969 bis 1974. Er erlebte dabei nicht nur Höhenflüge, sondern auch allerlei Reibungen, meistens bedingt durch menschliche Empfindlichkeiten und Kleingeist.

    Die in historischer Perspektive schließlich erzielten Fortschritte sind in nicht geringem Maße das Ergebnis der nicht immer leichten und nicht unbedingt befriedigenden Kleinarbeit der diplomatischen Handwerker. Christian Feit liefert in diesem Sinne einen nützlichen Beitrag zur Geschichte unserer Zeit und insbesondere der deutsch-französischen Beziehungen. Er widmet sich dieser Aufgabe bescheiden, ohne seine Person ins Rampenlicht zu rücken. Während seiner gesamten Karriere bewahrt er inneren Abstand gegenüber jeglichem Kastengeist und dem noch in vielen Ländern anzutreffenden diplomatischen Dünkel. Gewiss, seine „Fußnoten“ sind von dem verständlichen Wunsch inspiriert, seinen notwendigerweise bescheidenen Beitrag zur europäischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für das große Buch der Zeitgeschichte festzuhalten, aber er präsentiert sich selbst wohl bewusst viel mehr als Beobachter und Chronist, denn als Akteur.

    Es handelt sich um ein sehr persönliches Buch. Der Autor vermittelt ein Bild der Welt gewissermaßen durch seine eigene Brille. Er berichtet über seine persönlichen Eindrücke, mehr oder weniger aus subjektiver Sicht, und verspricht kein abwägendes Urteil des Historikers. Sein ungnädig hartes Urteil über den früheren Außenminister Hans- Dietrich Genscher verdient daher, mit etwas Skepsis registriert zu werden, ebenso wie seine sehr positiven Worte über Sigismund von Braun, den langjährigen deutschen Botschafter in Paris, dessen Taktlosigkeiten wiederholt ein gewisses Ärgernis ausgelöst hatten. Man hätte auch gerne etwas erfahren über das Nichtverhältnis zwischen Willy Brandt als Außenminister und Bundeskanzler und dem französischen Staatschef Georges Pompidou, der intern über die geistige Armut seiner Gespräche mit dem deutschen Institutionen/Partner klagte. Etwas weniger diplomatische Diskretion hätte dem Bericht Christian Feits gutgetan. Man kann ihm aber nicht übelnehmen, dass es ihm offenbar schwer gefallen ist, über die Schranken seines stets um Vertraulichkeit bemühten Charakters zu springen.

    Alfred Frisch


    Paradigmenwechsel im Kultur- und Kunsttransfer
    Martin Schieder: Im Blick des Anderen. Die deutsch-französischen Kunstbeziehungen 1945– 1959. Deutsch-französische Kunstbeziehungen. Kritik und Vermittlung, Band 12. Passagen / Passages, Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre Allemand d’Histoire de l’Art. Akademie Verlag, Berlin 2005, 499 S., 49,80 Euro

    „Und ich sah zum ersten Mal Galerien mit zeitgenössischer Kunst, von Malern, die nur wenig älter waren als ich. Ich lief durch die Straßen wie ein Kind, das zum ersten Mal in der Spielzeugabteilung eines großen Warenhauses sich befindet und aus dem Staunen nicht herauskommt über all das Wunderbare, das es da zu sehen gibt“ (S. 241) erinnert sich der Maler Winfried Gaul anlässlich seines „Bilderrausches“ in Paris, das von den meisten deutschen Künstlern nach dem Ende des zweiten Weltkrieges als Mekka der internationalen Avantgarde wahrgenommen, aber auch idealisiert wurde. Mehr als 50 Jahre später mögen diese Blickwinkel in Zeiten des internationalisierten, ökonomisierten und unter dem „Guggenheim“- Effekt stehenden Kunst(metropolen)-Marktes verwundern, da sich die europäischen Grenzen zumindest hier längst verwischt haben und gerade auch französische Kunstinstitutionen wie der Louvre und das Centre Pompidou jüngst und nicht unumstritten mit außereuropäischen Expansionsstrategien liebäugeln, um ihr „Label“ ästhetisierend und gewinnbringend auf dem Weltmarkt zu platzieren. Staatliche Kunstinstitutionen, Galerien und Künstler bewegen sich dementsprechend längst wie Nomaden grenzenlos durch die Welt, um sich an den wechselnden Standorten mit unterschiedlichen Strategien in Szene zu setzen.

    Umso interessanter erscheint Schieders im Rahmen des deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris entstandene Studie, in der er den Leser zu deutschen und französischen Schauplätzen zurückführt, um den Neubeginn der Kunstbeziehungen beider Länder fast jenseits ökonomischer Fragen detailliert zu vermessen.

    In Form von direkten Werkvergleichen lenkt er immer wieder das Interesse auf die Frage, wo das „Fremde wirkt und das Eigene beginnt“ und unterstreicht die Forderung nach spezifischen Einzelanalysen, welche die ästhetischen Schnitträume der deutschen und französischen Kunstgeschichte aufgrund der Internationalisierung und des Formenpluralismus noch stärker gewichten. Grundsätzlich plädiert er aber auch für eine Fokussierung der Träger des interkulturellen Austausches, der, so ein weiteres Ergebnis, vor allem auch von privaten Vermittlern geleistet wurde, die somit als das „eigentliche Gerüst“ beziehungsweise als „Unterbau der transnationalen Kulturkontakte“ (S. 91) zu verstehen sind und deren Engagement und Einfluss bis heute zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Hierzu zählt Schieder neben (privaten) Ausstellungsmachern insbesondere auch Kunsthistoriker, -kritiker und Sammler, die sich in ehrgeizigen und idealistischen Projekten für den deutsch-französischen Kunsttransfer einsetzten, nach 1945 zuerst überraschend schnell für eine Kontinuität der kulturellen und künstlerischen Beziehungen durch Anknüpfungen an die Zeit vor 1933 sorgten, um schließlich gemeinsam die im Zeichen der Freiheit stehende und den Nationalismus endgültig überwindende abstrakte klassische Moderne ästhetisch voranzutreiben.

    Die Lektüre fällt aufgrund der oftmals springenden zahlreichen Schauplätze und der Vielzahl der Protagonisten, die grenzüberschreitende Netzwerke knüpfen, nicht immer leicht aus. Sie fasziniert jedoch in dem Sinne, dass es dem Autor gelingt, in verdichteten Spiegelungen glückliche sowie tragische Schicksale der einzelnen „Grenzgänger“ zu analysieren, die in der „Fremde“ fremd bleiben oder dort Fuß fassen, die sich in beiden Ländern künstlerisch durchsetzen können (Hans Hartung) oder wie Francis Bott bei dem Versuch, in die alte Heimat als „Allemand de l’Extérieur“ zurückzukehren künstlerisch „draußen vor der Türe“ bleiben, damit zwischen zwei Ländern stehen und unter ästhetisch divergierende Bewertungsmaßstäbe fallen.

    Der Kunstkritiker Will Grohmann, der als Auslandskorrespondent für die von Christian Zervos 1926 gegründete und damals einflussreichste Kunstzeitschrift Cahiers d’Art arbeitet, unterstreicht in einem Brief an Willi Baumeister das wieder gestiegene Bewusstsein der Verständigungsnotwendigkeit: „Alle diese Publikationen haben nur einen Sinn, wenn sie gleichzeitig das Ausland interessieren“ (S. 134). Die für die Exilund Transferforschung höchst interessante deutschjüdische Kunsthistorikerin und -kritikerin Herta Wescher (1899–1971), die 1957 zu den Gründungsmitgliedern des Freien Deutschen Künstlerbundes gehört, schafft dagegen mit der von ihr ab 1955 ins Leben gerufenen Avantgarde-Zeitschrift Cimaires eine deutsch-französische Plattform für informelle abstrakte Ausdruckformen und versteht sich damit speziell als „Anwältin“ der emigrierten Künstler, deren eigene Kultur sie für die fremde Kultur empfänglich machen möchte. Auf französischer Seite hebt Schieder vor allem den kosmopolitischen surrealistischen Dichter, Maler und Kunstschriftsteller Edouard Jaguer hervor, der nicht nur als Redakteur für CoBrA schreibt, sondern auch zu einer wahren französisch- deutschen Künstleranlaufstelle in Paris wird und die Rixes- beziehungsweise Phases-Gruppe mitbegründet. Zur etwa gleichen Zeit konzipiert der durch die erste französische Übersetzung von Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“ bekannt gewordene Kunsthändler René Drouin (1905–1979) im Cercle Volney die Ausstellung „Peintures et sculptures non-figuratives en Allemagne d’aujourd’hui“, welche Schieder als eine der Schlüsselereignisse in der Geschichte der deutsch-französischen Kunstbeziehungen im 20. Jahrhundert bewertet und damit im Gegensatz zu Werner Haftmann, der im selben Jahr die erste documenta in Kassel leitete, wirklich zeitgenössische Kunstformen aus beiden Ländern miteinander konfrontierte.

    Der Weg stellte sich jedoch trotz der schnell aufgetretenen Kontinuität im deutsch-französischen Kunsttransfer wiederholt als steinig dar, was Schieder im ersten Teil („Kunst und Politik“) de- tailreich illustriert. Entgegen bisherigen Ansätzen verlegt er die „Stunde Null“ in den Beginn der 1950er Jahre und skizziert das geistige Klima unmittelbar nach Kriegsende in Deutschland: „Kulturpolitik und ästhetischer Diskurs kreisten um sich selbst oder um die Rehabilitierung der in der Zeit des Nationalsozialismus verfemten Moderne. Eine emotional und ideologisch ausgerichtete Debatte über den angeblichen Verlust der Mitte, über die Gegenständlichkeit und Abstraktion sowie über das Menschenbild der Zeit lähmte Kreativität und Innovation“ (S. 238). Kunst, so Schieder weiter, spielte als „Instrument der moralischen Reorientierung“ und zum „Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft“ im französischen Sektor eine außergewöhnliche Rolle, wobei ein Paradigmenwechsel und damit die künstlerische „Stunde Null“ zunächst auf sich warten ließ. Herrschte nach 1945 aus der Sicht der „grande nation“ das Prinzip des „rayonnement culturel“ vor, indem Frankreich im Zuge der Entnazifizierung auf die „rééducation“, die „diffussion de la pensée française“ und die „propagation de la langue française“ setzt und damit das „Dominationsprinzip“ der „civilisation française“ gegenüber Deutschland im Vordergrund steht, so wächst schrittweise die Einsicht, dass eine wirkliche Wiederannäherung beider Länder nur über den Weg der Integration beziehungsweise eines bilateralen Kulturtransfers jenseits des Unilateralismus zu erreichen ist.

    War die deutsche Bevölkerung durch französische Ausstellungsprojekte zunächst wieder an die klassische Moderne herangeführt worden, die ganz im Zeichen französischer Künstler des Impressionismus, des Pointilismus, Fauvismus und Kubismus als Nationalkultur inszeniert wurde, erhalten nun einerseits deutsche Museen eine größere Autonomie, um im eigenen Land deutsche Künstler wie Hartung, Beckmann, Dix, Kirchner, Nay, Hofer etc. auszustellen. Andererseits kommt es im Zuge der Internationalisierung 1948 zur Aufhebung des Ausstellungsverbotes deutscher Künstler in Frankreich, wobei der erste Pariser Generalkonsul unter der Regierung Adenauer, Wilhelm Hausenstein – der zudem gelernter Kunsthistoriker war – eine zentrale Vermittlerrolle einnimmt. 1949 werden in Freiburg erstmalig wieder ein französischer und deutscher Künstler (Fernand Léger, Paul Klee) gemeinsam präsentiert. Weitere folgenreiche Schritte folgen kurz darauf gleich dreifach in Paris, wo „Les Primitifs Allemands“, „Les Chefs d’oeuvre des musées de Berlin“ und „Impressionistes et romantiques français dans les musées allemandes“ gezeigt werden, wobei insbesondere das zuletzt genannte Projekt die deutsche Wertschätzung gegenüber der französischen Kunst zum Ausdruck bringt und die Notwendigkeit unterstreichen soll, im Prozess der Verständigung gerade auch Kulturgüter der anderen Nation zu sammeln.

    Damit leisten die aufgeführten und eine Vielzahl weiterer Ausstellungen einen entscheidenden Beitrag, die Betonung des Trennenden sowie die nationale Ausrichtung des ästhetischen Diskurses (Leitkultur) im Frankreich der Nachkriegszeit zu überwinden. Der Beginn, so das zentrale Ergebnis der Untersuchung, stand jedoch ganz im Zeichen der Kontinuität, die einen radikalen Neubeginn der deutsch-französischen Kunstbeziehungen und somit auch aus deutscher Sicht eine künstlerische „Stunde Null“ verhinderte, da jeweils zunächst „fortgesetzt wurde, was unterbrochen worden war“ und somit auf „kulturmorphologische Perzeptionsmuster und nationale Abgrenzungs- beziehungsweise Vereinnahmungsdiskurse der Zeit vor 1933/1939“ (S. 378) zurückgegriffen wurde. Auf den ersten Seiten des Buches weist Schieder auf eine bis heute folgenreiche französischdeutsche Transaktion hin: Raymond Schmittlein überreichte in einem feierlichen Akt am 20. Oktober 1948 als Chef der Division de l’Education Publique im Freiburger Institut Français der Karlsruher Kunsthalle eine Graphikensammlung mit Werken unter anderem von Chagall, Braque, Gris, Matisse, Masson, Léger und Picasso und erhielt als Gegenschenkung von deutscher Seite ein Bild von Willy Baumeister, welches für das Musée National d’Art Moderne in Paris bestimmt war. „Jour heureux“, so der kurzfristig umbenannte Titel des Werkes, verschwand jedoch alsbald im Depot des französischen Museums, in dem es bis heute auf den glücklichen Tag seiner Hängung wartet, was diesem nicht nur als symbolische Geste zu wünschen wäre.

    Stefan Tigges


    Interregionalität – nein danke?
    Annette Kliewer: Unterricht entgrenzen – Interregionale Ansätze in Pfalz und Elsass. Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft. Knecht Verlag, Landau 2005, 184 S., 14,80 Euro

    „Wenig Deutsch an Schulen im Elsass“, so titelte die Stuttgarter Zeitung vom 24. Oktober 2006 und zitierte den Bürgermeister von Ingersheim, Gérard Cronenberger: „Die Zweisprachigkeit ist auf dem Rückzug, als wäre Deutsch immer noch die Sprache des Feindes“. Auf der anderen Seite des Rheins sieht es nicht viel besser aus. „Wachsender Widerstand gegen Französisch“ (Reutlinger Generalanzeiger, 17.1.2007), „Französisch? Bitte nicht!“ (Süddeutsche Zeitung, 5.2.2007), das sind Schlagzeilen aus den letzten Wochen, die den erbitterten Widerstand der Eltern gegen Französisch als erste Fremdsprache an Gymnasien der Rheinschiene formulieren. Von „verordneter Freundschaft“ ist die Rede, denn, nachdem seit 2003 Französisch in der Grundschule Pflicht ist, soll nun auch an Gymnasien in Klasse 5 ausschließlich Französisch gelehrt werden, und dagegen wehren sich die Eltern vehement. Schon allein diese wenigen Artikel zeigen, wie prekär die Situation in der Grenzregion immer noch ist.

    In diesem Zusammenhang ist ein Buch aktuell, das sich mit grenzüberschreitender Kommunikation als Aufgabe der Schule befasst. Zentrum und Ausgangspunkt der Untersuchung von Annette Kliewer ist eine Umfrage an grenznahen Schulen in der Südpfalz und im nördlichen Elsass. Befragt wurden 158 Schüler der 10. Klasse in Deutschland und 109 Schüler der Seconde in Frankreich. Zum Vergleich wurde der Fragebogen auch 116 Erwachsenen, meist Eltern von Schülern, vorgelegt. Die Fragen bezogen sich auf die Einstellung der Jugendlichen beziehungsweise Erwachsenen zu ihrer Region, zum Nachbarn jenseits der Grenze, zu Fremdsprachenkenntnissen und zum Dialekt. Wie steht es mit der Suche nach der eigenen Identität und der Abgrenzung gegenüber dem Anderen? Hat die Öffnung der Grenzen zu einer Destabilisierung des Selbstbildes geführt, und welche Rolle spielt die europäische Einigung? Das heraus- Interessant ist die Tatsache, dass viele Befragte eine Antwort auf die Frage nach Stereotypen verweigerten. Dabei sollten sie Elsässern, Pfälzern, Franzosen und Deutschen je drei aus zehn vorgegebenen Begriffen zuordnen. Dass dieses Vorgehen problematisch ist, thematisiert die Autorin selbst. Auch hier stellt sie fest, dass bei denen, die sich doch zu einer Antwort durchgerungen hatten, in der Fremd- und Selbstbeschreibung nationale, nicht regionale Stereotypen genannt werden. Es gibt, so lautet das Fazit Kliewers, kein grenzüberschreitendes Zusammengehörigkeitsgefühl.

    Die Zusammenarbeit beschränkt sich auf politische und wirtschaftliche Bereiche. Eine Öffnung der Grenze auf emotionaler Ebene sei, so ihre These, Aufgabe der Schulen auf beiden Seiten. Die didaktischen Konsequenzen ergeben sich fast zwangsläufig aus den aus der Umfrage gewonnenen Erkenntnissen: Förderung der Kommunikationsfähigkeit, Auseinandersetzung mit der Region in Geschichte und Gegenwart, Sensibilisierung für eine Kultur der Vielfalt, Unterstützung der Jugendlichen bei der Herausbildung ihrer regionalen und nationalen Identität, Erziehung zur Europakompetenz.

    Bevor sie sich den Unterrichtsbeispielen zuwendet, widmet die Autorin ein kurzes Kapitel den möglichen Methoden. So sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, Eigenes und Fremdes stärker wahrzunehmen, „Alphabetisierung der Sinne“ nennt sie das. Sie sollen produktorientiert arbeiten, verschiedene Medien und außerschulische Lernorte sollen berücksichtigt werden. Vor allem letzteres ist natürlich speziell im Fall der Rheinschiene sinnvoll, denn vom Kino bis zu Gedenkstätten sind die kulturellen Manifestationen des Nachbarn leicht erreichbar.

    Bei der Umsetzung ihrer Thesen in konkrete Unterrichtsvorschläge betont Kliewer, wie wichtig es ist, zu erkennen, dass nicht nur die Fremdsprachen für die Entwicklung grenzüberschreitender Kommunikation zuständig sind. An 15 mehr oder weniger ausgearbeiteten Unterrichtsvorschlägen von verschiedenen Lehrern zeigt sie, dass sich nahezu alle Schulfächer beteiligen können. Diese Beispiele machen deutlich, dass es nicht an engagierten Lehrern und interessanten Projekten fehlt. Die Schwierigkeiten liegen also offenbar nicht am guten Willen der Schulen, sondern am Widerstand der Betroffenen. Es hat an Bemühungen diesseits und jenseits des Rheins in den letzten Jahren nicht gefehlt: Einführung der Sprache des Nachbarn in der Grundschule, bilinguale Züge und bilingualer Sach-Fachunterricht. Im Elsass gibt es im Collège das Fach „Enseignement de Culture Régionale“; da es freiwillig ist, wird es jedoch kaum gewählt. Was also tun, wenn die Schüler die Angebote nicht annehmen? Die Antwort der Autorin ist klar: „Wenn didaktische Planung allein auf der Basis des Lustprinzips beruhte, dann wäre nicht nur das Thema ‘Interregionalität’ entbehrlich. Es befände sich in guter Gesellschaft mit den Themen ‘NS-Vergangenheitsbewältigung’ oder ‘Geschlechterdifferenzierung’, die SchülerInnen und auch LehrerInnen ebenso wenig vermissen.“ (S. 77). Gerade die geringe Akzeptanz, so meint sie, zeige, wie notwendig das Thema ist. Ob aber eine Festschreibung im Lehrplan die richtige Lösung ist, sei dahingestellt.

    In der Untersuchung scheint insgesamt eine gewisse Diskrepanz zu herrschen zwischen den doch als geglückt beschriebenen Unterrichtseinheiten und den schlechten Ergebnissen der Umfrage. An den Schulen scheint es demnach nicht zu liegen. Doch es handelt sich bei der Interregionalität um ein hochpolitisches Thema, das die Bevölkerung auch außerhalb der Schulen bewegt. Hier wäre zu fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass die Eltern, die angeben, die Sprache des Nachbarn zu beherrschen und Kontakte jenseits des Rheins zu pflegen, nun für ihre Kinder Französisch als erste Fremdsprache ablehnen, und wie kommt es, dass diese Kinder so wenig Interesse am Nachbarland zu haben scheinen? Warum hat sich die Situation so stark verändert? Aber das wäre Thema eines anderen Buches.

    Renate Overbeck



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