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www.kath.de Kirchengeschichte - Die Katholiken und das Dritte Reich
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Inhalt

  1. Katholisches Sozialmilieu und totalitärer Weltanschauungsanspruch
  2. „Nationale Erhebung“, Koexistenz und Reichskonkordat 1933
  3. Klärung der Fronten (1934-1939)
  4. Die Kriegsjahre

Die Katholiken und das Dritte Reich

1. Katholisches Sozialmilieu und totalitärer Weltanschauungsanspruch

Die Erfahrungen des Kulturkampfes prägten das Denken und Verhalten vieler Katholiken bis in die Weimarer Republik und das Dritte Reich hinein. Als von der Gemeinschaft der Nation ausgegrenzte und bekämpfte Minderheit bildeten sie innerhalb des Deutschen Reiches eine weitgehend geschlossene Sondergesellschaft. Die katholische Kirche bot mit ihrem festgefügten Werte- und Normensystem die primäre Orientierung in der Lebenspraxis. Die Gläubigen fühlten sich von einer tief verwurzelten, den Alltag umspannenden Frömmigkeit getragen; ein dichtes Geflecht katholischer Schulen, Vereine und Presseorgane prägte Zeiterfahrung und Lebensstil der Kinder und Jugendlichen ebenso wie der Erwachsenen.

Die starke Bindung der Katholiken an ihre Lebens- und Gemeinschaftsformen wirkte sich auch bei den Reichstagswahlen der Weimarer Republik aus. Bezogen auf die Wohnbevölkerung erreichten die Katholiken 1933 einen Anteil von 32,5 %. Auf die politischen Parteien der Katholiken - das Zentrum und die BVP - entfielen bei den Reichstagswahlen zusammen zwischen 18 % (1920) und 13,9 % (1933) der abgegebenen Stimmen. Das Wahlverhalten der katholischen Bevölkerung zeigt auch für die Reichstagswahlen vom März 1933, die schon unter dem Druck der neuen nationalsozialistischen Machthaber stattfanden, daß den Nationalsozialisten in den überwiegend katholischen Gebieten des Deutschen Reiches der politische Durchbruch versagt blieb - im Emsland, in Westfalen, im Rheinland, in Mainfranken, der Rhön und in Baden, in Bayern, Oberschlesien, im Eichsfeld und im Ermland. Die eindringlichen Warnungen vor dem Nationalsozialismus, die die deutschen Bischöfe seit 1930 verschiedentlich ausgesprochen hatten, wirkten hierbei als eine hilfreiche Stütze.

Im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie standen der Kampf um die Vorherrschaft der „arischen Herrenrasse“, die als antibolschewistischer Kreuzzug propagierte Eroberung von „Lebensraum“ im Osten und die Vernichtung des Judentums. Diese Ziele waren nur mit dem „neuen“, im nationalsozialistischen Geist erzogenen Menschen zu erreichen, der frei sein mußte von der „jüdischen Mitleidsmoral“ des Christentums. Für konkurrierende Ansprüche auf Weltdeutungs- und Sinngebungskompetenz - seien sie religiöser Art wie bei Christen und Juden oder weltanschaulicher Art wie bei den Kommunisten - war kein Platz. Nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 avancierte diese Ideologie zur Staatsdoktrin. Trotz des für das nationalsozialistische Herrschaftssystem kennzeichnenden Machtdualismus zwischen Partei und Staat sowie regionaler Unterschiede in der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis haben Hitler und seine Gefolgsleute nie einen Zweifel daran gelassen, den totalitären Weltanschauungsanspruch auch machtpolitisch durchzusetzen.

 

2. „Nationale Erhebung“, Koexistenz und Reichskonkordat 1933

Die Berufung Adolf Hitlers in die Reichskanzlei bedeutete verfassungsrechtlich gesehen zunächst keinen Einschnitt, sondern setzte die Reihe der 1930 mit Heinrich Brüning begonnenen Präsidialkabinette fort. Erst die turbulente Entwicklung der Wochen und Monate vor und nach der Märzwahl 1933, bei der die NSDAP knapp 44 % der abgegebenen Stimmen erreichte, sollte den 30. Januar als entscheidenden politischen Einschnitt in der deutschen Geschichte erweisen. Es vollzog sich ein atemberaubender und den Normalbürger verwirrender Prozeß der nationalsozialistischen Machteroberung: revolutionäre Aktionen von unten gegen politische, vor allem kommunistische Gegner und scheinlegale, administrative Gleichschaltungsmaßnahmen griffen ineinander.

Für die Katholiken hatte sich die Ausgangslage gegenüber den Nationalsozialisten insofern verändert, als man auch der neuen Reichsregierung nach traditioneller Auffassung den staatsbürgerlichen Gehorsam schuldete (Röm. 13). Vielen Deutschen erschien der neue Reichskanzler als christlich-nationale Integrationsfigur, die für „Ruhe und Ordnung“ sorgte. Manchem Katholiken mögen über dem „lautlosen Ab- und Untergang“ (Rudolf Morsey) der Zentrumspartei und der gewaltsamen Ausschaltung der Christlichen Gewerkschaften sowie des Volksvereins für das katholische Deutschland Zweifel gekommen sein. Sie wurden von einer Woge nationalen Erneuerungswillens überrollt, die auch viele katholische Gläubige erfaßte, „in einer Mischung von Überzeugung, Verblendung und Opportunismus“ (Rudolf Lill). Ein übriges taten die Signale kirchlicher Annäherung an den neuen Staat: Die deutschen Bischöfe hatten nach Hitlers kirchenpolitischem Entgegenkommen (Regierungserklärung vom 23. März 1933) bereits am 28. März 1933 ihre allgemeinen Verbote und Warnungen vor der NSDAP zurückgezogen, gleichwohl aber an der Verurteilung der nationalsozialistischen Weltanschauung festgehalten. Am 20. Juli 1933 kam es zur Unterzeichnung des Reichskonkordats zwischen der Reichsregierung und dem Heiligen Stuhl. Das nährte, gerade auch vor dem Hintergrund eines soeben euphorisch vollzogenen Zusammenschlusses der evangelischen Landeskirchen zu einer deutschen Reichskirche, auch unter den Katholiken die Hoffnung, beim Neuaufbau eines christlich-nationalen Deutschlands nicht abseits stehen zu müssen.

Die Verhandlungen über das Reichskonkordat hatte auf der Grundlage älterer Entwürfe seit April 1933 der Vizekanzler Franz von Papen mit Kardinalstaatssekretär Pacelli, dem früheren Nuntius in München und Berlin und späteren Papst Pius XII., und mit dem sich in Rom aufhaltenden Zentrumspolitiker Prälat Ludwig Kaas geführt. Zwischen der Zustimmung der Reichstagsfraktion des Zentrums zum „Ermächtigungsgesetz“ und der Aussicht auf ein Reichskonkordat bestand kein Zusammenhang. Die Verhandlungen standen wiederholt vor dem Abbruch. „Innerhalb der Kurie ist durchaus in Rechnung gestellt worden, daß die Nationalsozialisten den von der Hitler-Regierung dringlich gewünschten Vertrag - ihr 3. int. Abkommen, das ihnen Prestigegewinn verschaffte - nicht einhalten würden. Für den Abschluß gab schließlich die Überlegung den Ausschlag, mit dem Reichskonkordat einen befürchteten Kirchenkampf zwar nicht verhindern zu können, wohl aber nach dessen Beginn eine der Kirche und den deutschen Katholiken günstige völkerrechtliche Verteidigungslinie zu besitzen.“ (Rudolf Morsey) „Mit der ausdrücklichen Anerkennung der Länderkonkordate und der stillschweigenden Übernahme von Rechtspositionen, welche die Kirche in der Weimarer Verfassung eingenommen hatte, ragte ein Stück liberaler Verfassungstradition ... in das Recht des „Dritten Reiches“ hinein... Schon durch diesen rechtlichen Sachverhalt wurde das Reichskonkordat zu einem politischen Störfaktor im Regime... Der Staat war nicht nur zu bestimmten Leistungen und zur Gewährung bemessener Freiräume verpflichtet, sondern er war generell in seiner Handlungsfreiheit begrenzt, seine Selbstverwirklichung im nationalsozialistischen Sinne gehemmt.“ (Heinz Hürten)

 

3. Klärung der Fronten (1934-1939)

Für eine relativ rasche Abkühlung der Konkordatseuphorie sorgten allerdings bald die zahlreichen schikanösen Maßnahmen, die Staat und Partei gegen die Stützpfeiler des katholischen Milieus einleiteten und die begleitet wurden von einem alltäglichen, oft sozial motivierten oder konfessionell überlagerten „Kleinkrieg vor Ort“. Gerade die großen Jugend- und Arbeitervereine mit ihren Hunderttausenden von Mitgliedern wurden 1934/35 immer stärker bedrängt, jede nicht rein religiöse Aktivität wurde ihnen untersagt. Die katholischen Tageszeitungen unterlagen rasch der redaktionellen und wirtschaftlichen Kontrolle, die Kirchenpresse wurde auf eine ausschließlich kirchlich-religiöse Berichterstattung beschränkt. Speziell der Ausschaltung des Klerus dienten die 1935 und 1937 mit großem propagandistischen Aufwand durchgeführten Devisen- und Sittlichkeitsprozesse, in denen Bischöfe, Priester und Ordensleute als korrupt, geldgierig und moralisch beispiellos verkommen hingestellt wurden.

Überlagert wurden die Konflikte von heftigen weltanschaulichen Auseinandersetzungen um den 1930 erschienenen 'Mythus des 20. Jahrhunderts'. Alfred Rosenberg, seit 1934 Hitlers Beauftragter für die gesamte weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP, proklamierte darin eine völkisch-rassische Blut- und Boden-Religion. In Köln wurde in diesem Zusammenhang unter Leitung des späteren Generalvikars Joseph Teusch eine „Abwehrstelle gegen die nationalsozialistische antichristliche Propaganda“ eingerichtet. Die im Oktober und Dezember 1934 in Köln gedruckten und unter Verantwortung des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, erschienenen „Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts“ widerlegten Rosenberg Satz für Satz. Die „Studien“ boten vielen Gläubigen eine wichtige Orientierung. Gleichwohl bedeutete die „fortschreitende Sakralisierung des Nationalsozialismus“ eine unaufhaltsam zunehmende „Verdrängung christlicher Gehalte aus der Öffentlichkeit“ (Heinz Hürten); im Sommer 1935 forderte der Reichsinnenminister Frick bereits die völlige „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“.

Regional gestaffelt drängten die Nationalsozialisten auch den kirchlichen Einfluß aus dem schulischen Erziehungssektor zurück; der Religionsunterricht wurde reduziert oder ganz aufgehoben, die Bekenntnisschule in die sogenannte Deutsche Gemeinschaftsschule umgewandelt, private höhere Schulen wurden abgebaut. Seit 1938/39 war die katholische Kirche ganz auf ihren innerkirchlichen Wirkungsraum beschränkt. In den letzten beiden Jahren vor dem Krieg waren die Aktionen dabei weniger von spektakulären Maßnahmen als von lautlosen SS- und Gestapo-Aktionen geprägt.

Bei Kirchenvolk und Klerus führten die Übergriffe zu einer Klärung der Fronten: Die Erkenntnis wuchs, daß der NS-Staat mit seinen Aktivitäten auf die völlige Entkirchlichung und Entchristlichung der Gesellschaft zielte.

Große Teile der Katholiken reagierten seit 1934 mit einer intensiveren Beteiligung am kirchlichen Leben auf die Einschränkungen und die Bedrohung ihres Glaubens und brachten dies bei öffentlichen Glaubenskundgebungen, Wallfahrten und Prozessionen demonstrativ zum Ausdruck. Überregional bekannt wurde 1936 der „Oldenburger Kreuzkampf“: Eine eindrucksvolle Massenmobilisierung zwang die nationalsozialistischen Machthaber, die verfügte Abnahme der Kreuze aus den Klassenzimmern wieder rückgängig zu machen. Und noch im Februar 1939, auf dem Höhepunkt von Hitlers Popularität, stimmten in kircheninternen Abstimmungen 85 % der erwachsenen westdeutschen Kirchenbesucher gegen die nationalsozialistische Kirchenpolitik.

Dem Klerus kam innerhalb des katholischen Milieus die Rolle eines „opinion leader“ zu. Diese soziale Stellung und die eigene Identität als Seelsorger veranlaßten zahlreiche Geistliche, sich v.a. von der Kanzel mehr oder minder offen zu den Einschränkungen des kirchlichen Wirkungsbereiches zu äußern. Die Radikalisierung des nationalsozialistischen Maßnahmestaates vergrößerte zusehends das Risiko, deshalb auch belangt zu werden. Über 12.000 Weltpriester, das sind 36 % des deutschen Gesamtklerus, gerieten zwischen 1933 und 1945 mit dem NS-Regime in Konflikt; 407 von ihnen wurden in ein Konzentrationslager verbracht, 107 kamen dort zu Tode. 63 weitere Priester wurden hingerichtet oder ermordet.

Die Schicksale Karl Leisners und Bernhard Lichtenbergs stehen stellvertretend für viele: Leisner, charismatischer Führer der Schülerjugend in der Diözese Münster und am 25. März 1939 von Bischof von Galen zum Diakon (Priesteranwärter) geweiht, wurde wegen einer Äußerung zum gescheiterten Attentat auf Hitler („Schade, daß der Führer nicht dabei war.“) denunziert und bereits tags darauf, am 9. November 1939, verhaftet. Nach Gefängnisaufenthalten in Freiburg und Mannheim wurde er am 16. März 1940 zunächst im KZ Sachsenhausen (bei Berlin), seit dem 14. Dezember 1940 dann im KZ Dachau (bei München) interniert. Die Lungentuberkulose, an der der Häftling bereits länger litt, brach infolge des strapaziösen Haftalltags von neuem auf. Dem bereits Todkranken erfüllten seine Leidensgenossen im sogenannten „Priesterblock“ seinen größten Wunsch; Leisner wurde am 17. Dezember 1944 heimlich zum Priester geweiht. Kurz nach der Befreiung des Dachauer Lagers durch die Amerikaner starb der Neupriester am 12. August 1945 an den Folgen der langjährigen Haft im Sanatorium Planegg bei München.

Der Berliner Pfarrer und Domkapitular Bernhard Lichtenberg, 1938 zum Dompropst und damit zum ranghöchsten Vertreter nach dem Berliner Bischof von Preysing gewählt, war schon vor seiner Verhaftung 1941 bei der Gestapo aktenkundig: Sein politisches Engagement in der Zentrumspartei vor 1933 und seine offene Kritik an den konkordatswidrigen und kirchenfeindlichen Maßnahmen des NS-Staates hatten zahlreiche Vernehmungen durch die Staatspolizei nach sich gezogen.

In einer im Sommer 1996 erscheinenden Untersuchung werden über 38.000 Maßnahmen (Verhör, Verwarnung, Geld- und Freiheitsstrafen, Ausweisung, KZ-Haft z.B.) gegen Priester und Ordensgeistliche und mehr als 26.000 „Vergehen“ dokumentiert. Die Masse der Konflikte ergab sich dabei aus dem seelsorglich motivierten Beharren der Geistlichen auf uneingeschränkter Verkündigung und Dienst an der Gemeinde, gelegentlich auch aus der Hilfe für Fremdarbeiter und Juden. Mehr als 40 % der „Fälle“ hatten ihren Ursprung in der regulären Ausübung der priesterlichen Tätigkeit: beim Gottesdienst, in der Seelsorge, in der Schule oder in der Vereins- und Jugendarbeit.

Die deutschen Bischöfe, denen nach der Selbstauflösung der Zentrumspartei eine besondere Führungsposition zukam, waren im Sommer 1933 erstmals zu einer gesamtdeutschen Konferenz in Fulda zusammengekommen. Im deutlichen Unterschied zu heute war die Fuldaer Bischofskonferenz allerdings keine formell organisierte Institution; gemeinsam handeln konnte das Gremium nur, insofern alle Bischöfe das gleiche dachten und tun wollten.

Von Ausnahmen wie dem zunächst optimistischen Freiburger Erzbischof Gröber abgesehen, waren sich die Bischöfe in der kritischen Einschätzung der nationalsozialistischen Kirchenpolitik rasch einig. Allen voran war der Münchener Kardinal Michael Faulhaber bereits in seinen Adventspredigten vom Dezember 1933 für die religiösen, sittlichen und sozialen Werte des Alten Testaments eingetreten.

Unterschiedliche Vorstellungen bestanden allerdings über die Art und Weise der angemessenen Gegenwehr. Der Breslauer Konferenzvorsitzende Adolf Kardinal Bertram war persönlich durch die Erinnerung an die seelsorgliche Notsituation der Kulturkampfjahre geprägt und vertrat in seinen theologischen und kirchenpolitischen Grundüberzeugungen eine „Eingabenpolitik“, die öffentliches Aufsehen tunlichst zu vermeiden suchte. In zahllosen, diplomatisch geschliffenen Eingaben an die Reichsregierung protestierte Bertram unermüdlich gegen die staatlichen Eingriffe in kirchliche Belange.

Der Berliner Oberhirte Konrad von Preysing verfocht einen anderen Kurs. Der juristisch und diplomatisch geschulte Bischof wollte die nationalsozialistische Kirchenpolitik durch eine konsequente Verbindung von internen bischöflichen Forderungen und Protesten mit einem Appell an die Öffentlichkeit bekämpfen. Unterstützt von seinem Cousin, dem münsterischen Bischof Clemens August Graf von Galen, drängte von Preysing auf einen offensiveren Kurs des deutschen Episkopats. Rückhalt fand von Preysing bei Papst Pius XI. Der nationalsozialistische Kampf gegen die Kirchen hatte den deutschen Episkopat 1936 veranlaßt, den Papst um ein freimütiges Wort des Protestes zu bitten. Die deutschsprachige (!) Enzyklika „Mit brennender Sorge“, heimlich verbreitet, wurde am 21. März 1937 im ganzen Deutschen Reich von der Kanzel verlesen. Der Papst rechnete darin nicht nur mit der Kirchenpolitik des NS-Staates ab, sondern auch mit dessen ideologischen Grundlagen: „Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform (...) vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene (...) Ordnung der Dinge.“

Die Enzyklika bildete den Höhepunkt der weltanschaulichen Konfrontation zwischen dem NS-Regime und der katholischen Kirche. Da das Papstwort jedoch nicht nur katholische, sondern christliche Grundpositionen formulierte, die für nicht wenige evangelische Christen ebenso unverrückbar wie für Katholiken waren, wurde es unversehens zu einem ökumenischen Ereignis. Der Text der Enzyklika war weit über die Konfessionsgrenzen hinaus verbreitet worden und bestärkte auch ökumenische Initiativen wie die „Bruderschaft Una Sancta“, die der Freiburger Diözesanpriester und Gründer des Friedensbundes deutscher Katholiken, Max Josef Metzger, 1938 ins Leben rief. Die gemeinsame Erfahrung ideologischer und gewalttätiger Bedrängnis wurde zur Brücke, die tiefe konfessionelle Gräben überwinden half.

Pius XI. starb am 10. Februar 1939; sein Nachfolger wurde Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der die Verhältnisse in Deutschland aus seiner Zeit als Apostolischer Nuntius beim Deutschen Reich und als päpstlicher Verhandlungsführer beim Abschluß des badischen (1932) und österreichischen (1933) sowie des Reichskonkordats (1933) bestens kannte.

 

4. Die Kriegsjahre

Am 1. September 1939 begann mit dem Angriff deutscher Truppen auf Polen der Zweite Weltkrieg. Obwohl bereits 1938/39 weitgehend auf ein „Sakristeichristentum“ zurückgedrängt, sah sich die katholische Kirche bei Ausbruch des Krieges in die „nationale Pflicht“ genommen. Den verschieden akzentuierten Aufrufen der Bischöfe fehlte es nicht an Solidaritätsbekundungen, von der Kriegsbegeisterung des Jahres 1914 war man freilich weit entfernt. Nach offizieller Lesart war dem Gebot der nationalen Geschlossenheit im Krieg alles unterzuordnen. Den nationalsozialistischen Machthabern, vor allem Gestapo und SS, diente dies jedoch als Alibi, um den nach innen gerichteten Terror gegen oppositionelle Kräfte weiter zu steigern. Unter dem Vorwand „kriegsbedingter Erfordernisse“ reichten die zahllosen Beschränkungen bis tief in die innerkirchliche Sphäre hinein (z.B. Gottesdienstverbot nach nächtlichem Fliegeralarm). Vor allem nach dem Sieg über Frankreich (Sommer 1940) zeichnete sich immer deutlicher ab, daß einflußreiche Kreise in Partei, SS und Gestapo den Krieg für eine kirchenpolitische „Flurbereinigung“ nutzen wollten. Die Repressionen erreichten 1941 mit dem sogenannten „Klostersturm“ ihren Höhepunkt, als allein im Altreich 123 Klöster und kirchliche Anstalten aufgehoben wurden. In diesem Jahr wurden monatlich im Durchschnitt 9 katholische Geistliche in ein Konzentrationslager verschleppt.

Eine ungleich tiefere Zäsur als der Kriegsausbruch selbst, nämlich die „totale Enthemmung von Hitlers Machtmißbrauch“ (Ludwig Volk) entging dem durch Kriegsereignisse und Kirchenverfolgung abgelenkten Blick der Öffentlichkeit weitgehend: Unter dem Tarnnamen der „Euthanasie“ wurden 70.000 geistig und psychisch Kranke ermordet; zahllose Sinti und Roma, politische Gegner, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter fielen der politischen Verfolgung oder unmenschlichen Behandlung zum Opfer; die Eskalation der Verbrechen gipfelte in der Deportation und Vernichtung der europäischen Juden.

Der bei Kriegsbeginn bereits 80jährige Kardinal Bertram setzte seine Eingabenpolitik auch jetzt unverändert fort, obwohl die eklatanten Verstöße gegen die Konkordatsbestimmungen und vor allem die flagranten Menschenrechtsverletzungen das bisher vom deutschen Episkopat verfolgte Abwehrkonzept sehr in Frage stellten; ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit drohte auch die Identität des Bischofsamtes als „kirchliches Lehr- und Wächteramt“, letztlich das Ansehen der Kirche als Hüterin der göttlichen Ordnung zu leiden.

Die Bischöfe von Münster, Clemens August Graf von Galen, und Hildesheim, Godehard Machens, beantworteten ihre quälende Gewissensnot im Sommer 1941 auf ihre Weise mit öffentlichen Kanzelprotesten gegen die Vernichtung vermeintlich „lebensunwerten Lebens“, ein Vorgang, der die nationalsozialistische Diktatur bis in ihr Mark erschütterte. Von Galen war bereits nach dem Judenpogrom im November 1938 bereit gewesen, zugunsten der bedrängten Mitbürger auf die Kanzel zu gehen. Er nahm dann jedoch auf Bitten der örtlichen Judenschaft davon Abstand, um deren Lage - nach ihrer eigenen Einschätzung - nicht zu verschlechtern. Seine schonungslosen öffentlichen Anklagen gegen die Beschlagnahmung von Klöstern, gegen die Vertreibung von Ordensleuten und dann gegen den organisierten Mord an Altersschwachen und Geisteskranken waren unter den Bedingungen des Jahres 1941 „die wirksamste Form von Selbstbehauptung und Widerspruch“ (Morsey). Die Predigten wollten kein Aufruf zu offenem Widerstand sein, der theologisch-pastoral motivierte Protest entfaltete aber eine enorme politische Wirkung.

Ein im November 1941 ausgearbeitetes Hirtenwort, das in der Frage der Menschenrechte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, wurde im Dezember zusammen mit der evangelischen Bekennenden Kirche als gemeinsame Denkschrift dem Reichskanzler zugestellt. Als sie unbeantwortet blieb, gingen zahlreiche west- und süddeutsche Diözesen im März 1942 dazu über, eine gekürzte Fassung von den Kanzeln der Pfarrkirchen verlesen zu lassen: „Jeder Mensch“, hieß es darin, „hat das natürliche Recht auf Leben und auf die zum Leben notwendigen Güter“, und die Bischöfe fügten hinzu: „Wir Bischöfe werden nicht unterlassen, gegen die Tötung Unschuldiger Verwahrung einzulegen. Niemand ist seines Lebens sicher, wenn nicht unangetastet dasteht: Du sollst nicht töten!“

Zu diesem Zeitpunkt besaßen die deutschen Bischöfen und auch die päpstliche Kurie gesicherte Nachrichten, daß die Deportationen der Juden in den Osten keine Umsiedlung, sondern die Vorbereitung für ihre physische Ausrottung bedeuteten. Die Informationen stammten aus dem 1938 eingerichteten „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“, wo sich namentlich Dr. Margarethe Sommer, Dompropst Bernhard Lichtenberg und Heinrich Krone für die Auswanderung verfolgter Menschen, vornehmlich katholischer Juden, bemühten. Im selben Sinne arbeiteten in Berlin die evangelische „Hilfsstelle für christliche Juden“ unter Leitung von Pfarrer Heinrich Grüber, in Freiburg Dr. Gertrud Luckner sowie der St. Raphaels-Verein für katholische Auswanderer im Rahmen des katholischen Deutschen Caritasverbandes, in Breslau Gabriele Gräfin Magnis und in Wien P. Ludger Born (SJ) und Kardinal Innitzer.

Der Protest des Gesamtepiskopats, den der Münchener Kardinal Michael Faulhaber nachdrücklich beim Konferenzvorsitzenden Bertram eingefordert hatte, wurde am 12. September 1943 in einem Hirtenwort über die christlichen „Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“ von der Kanzel verlesen. Darin hieß es mit unüberhörbarer Deutlichkeit: „Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: An schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung. Auch die Obrigkeit kann und darf nur wirklich todeswürdige Verbrechen mit dem Tode bestrafen.“

Unter den Bedingungen der totalitären Diktatur und Terrorherrschaft der Kriegsjahre blieb es der Entscheidung des Einzelnen vorbehalten, Konsequenzen aus diesen Mahnungen zu ziehen. Bernhard Lichtenberg, der wegen seines „staatsfeindlichen“ Engagements für die Juden verhaftet worden war, gab am 25. Oktober 1941 gegenüber den Gestapo-Beamten freimütig zu Protokoll: „Meine Einstellung zu dem heute bestehenden nationalsozialistischen Staat richtet sich nach der Einstellung des Apostels Paulus, wie sie im Römerbrief Kapitel 13 zum Ausdruck kommt. (...) Damit will ich gesagt haben, daß ich den Staat als solchen anerkenne. Ich kann aber als katholischer Priester nicht von vornherein zu jeder Verfügung und Maßnahme, die von der Regierung getroffen wird, ja und amen sagen. (...) Wenn sich die Tendenz derartiger Regierungsverfügungen und Maßnahmen gegen die geoffenbarte Lehre des Christentums und damit gegen mein priesterliches Gewissen richten, werde ich meinem Gewissen folgen und alle Konsequenzen mit in Kauf nehmen, die sich daraus für mich persönlich ergeben. Das ergibt sich auch daraus, daß ich die Evakuierung [der 'Nichtarier'] mit all ihren Begleiterscheinungen innerlich ablehne, weil sie gegen das Hauptgebot des Christentums gerichtet sind: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst', und ich erkenne auch im Juden meinen Nächsten, der eine unsterbliche, nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffene Seele besitzt“.

Am 22. Mai 1942 wurde Lichtenberg zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, nach seiner Entlassung erneut von der Gestapo verhaftet und in das KZ Dachau „überstellt“. Auf dem Transport dorthin verstarb der Berliner Dompropst am 5. November 1943 in Hof. Seine schon länger angegriffene Gesundheit hatte den physischen und psychischen Strapazen von Gefängnishaft und Transport nicht mehr standgehalten.

Mit seinem mutigen Bekenntnis gegen das Unrecht des Hitler-Regimes stand Lichtenberg nicht allein. Wie er trafen viele andere Katholiken die persönliche Gewissensentscheidung, aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu leisten. Stärker als der institutionelle kirchliche Rahmen sicherten dann die vielfältigen persönlichen Kontakte untereinander und zu anderen oppositionellen Gruppen ihren Zusammenhalt. So bildeten die Jesuitenpatres Augustin Rösch und Lothar König gemeinsam mit dem Justitiar des Ordensausschusses der Fuldaer Bischofskonferenz, Georg Angermaier, seit 1941 einen Kreis von Geistlichen, der die Bischöfe zu einer deutlicheren Verurteilung der nationalsozialistischen Politik zu bewegen suchte. Ihr größter Erfolg war die Verlesung des Hirtenbriefes über die Zehn Gebote im September 1943, an dessen Zustandekommen sie maßgeblichen Anteil hatten. Rösch war es auch, der an den Umsturz- und Neuordnungsplanungen des Kreisauer Kreises von Anfang an beteiligt war und der sowohl König als auch den Jesuitenpater Alfred Delp in den Widerstandskreis einführte. Der bedeutende Einfluß, den die katholische Soziallehre auf die Vorstellungen der Kreisauer von der Neugestaltung Deutschlands und Europas nach dem Kriege ausübte, ging in beträchtlichem Umfang auf Delp zurück. Zu Delp stand wiederum der Kreis um das Kölner „Kettelerhaus“, die Verbandszentrale der Katholischen Arbeiterbewegung, in Verbindung. Deren Generalpräses Otto Müller und andere katholische Arbeiterführer wie Jakob Kaiser, Bernhard Letterhaus und Nikolaus Groß hatten sich seit 1933 gegen die Zerstörung der christlichen Gewerkschaften und der katholischen Arbeiter- und Gesellenvereine zur Wehr gesetzt und gleichfalls an gesellschaftlichen und politischen Neuordnungsplänen gearbeitet. Über Delp und den Berliner Rechtsanwalt Josef Wirmer hielt der Kölner Kreis schließlich auch Kontakt zur Widerstandsgruppe um Carl Goerdeler, der in enger Zusammenarbeit mit den Verschwörern des 20. Juli 1944 die Listen der Angehörigen einer künftigen Regierung aufgestellt hatte, zu der Wirmer als Justizminister und Letterhaus als Minister für Wiederaufbau gehören sollten. Das Scheitern des Attentats auf Hitler löste dann jedoch eine Verfolgungswelle aus, der mit den meisten führenden Persönlichkeiten der Widerstandsbewegung auch ihre katholischen Vertreter zum Opfer fielen.

Der aktive politische Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der eine individuelle Glaubens- und Gewissensentscheidung erforderte, blieb letztlich die Sache einer Minderheit von Katholiken. Festzuhalten ist jedoch die weitgehende Resistenz der Katholiken gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und ihren Totalitätsanspruch. Das verteidigte Werte- und Normensystem war eine der zentralen Voraussetzungen für den Aufbau der demokratischen Nachkriegsordnung in der Bundesrepublik Deutschland.

 

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