Die Beschäftigten müssen weiter zittern: Noch sagen die Banken nicht, ob es eine Zukunft für Quelle gibt. Bayern verspricht zwar eine Bürgschaft, aber in Berlin bremst Wirtschaftsminister Guttenberg.
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München. Die Beschäftigten von Quelle müssen weiter zittern. Noch haben die Banken sich nicht darüber geäußert, ob es eine Zukunft für das insolvente Versandhaus gibt. Die Nürnberger brauchen dringend 20 bis 25 Millionen Euro, um ihren neuen Winterkatalog zu drucken. Er ist die Grundlage fürs weitere Geschäft - und muss angeblich bis spätestens Anfang nächster Woche unter Dach und Fach sein.
Die Banken hatten während eines nächtlichen Krisentreffens in der bayerischen Staatskanzlei versprochen, bis heute eine Lösung auszuarbeiten, die dem Versandhaus die dringend nötigen frischen Kredite sichert.
Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnt.
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Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnt.
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Die Zeichen aus der Politik sind widersprüchlich. Zunächst schien es, als seien die Chancen gestiegen. Denn die bayerische Landesregierung hatte in einer Sondersitzung beschlossen, sich mit 21 Millionen Euro an einer staatlichen Bürgschaft über 50 Millionen Euro zu beteiligen.
Doch nun kommen andere Signale aus Berlin. Die Hilfe des Bundes ist noch in der Schwebe. Der Bürgschaftsausschuss prüfe die von Quelle beantragte Absicherung eines Kredits derzeit "sehr intensiv", sagte ein Sprecher von Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Insbesondere müsse das Risiko der Verbürgung sorgsam abgewogen werden.
Karstadt/Quelle - der Kampf ums Überleben
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Karstadt/Quelle - der Kampf ums Überleben
2004: Der Essener Handels und Touristikkonzern Karstadt-Quelle rutscht aufgrund der Flaute im Einzelhandel ins Minus. Mit einem Verlust von 1,6 Milliarden Euro steht der Konzern kurz vor der Pleite. Um der Krise zu begegnen, kündigt die Gesellschaft im Herbst an, 8500 Stellen zu kappen und 77 kleinere der 181 Warenhäuser zu schließen.
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2005: Der frühere Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Middelhoff übernimmt den Vorstandsvorsitz. Er kündigt ein Programm zur Konzernsanierung an. Unter Middelhoffs Regie trennt sich Karstadt-Quelle von Auslandsimmobilien und gibt Beteiligungen am Sportsender DSF, an der Plattform Sport1 und am Einkaufssender HSE ab. Zudem verkauft das Unternehmen kleinere Warenhäuser, die unter dem Namen Hertie geführt werden, sowie die Modehäuser Sinn Leffers und Wehmeyer. Alle drei Ketten melden später Insolvenz an.
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2006: Der Konzern kann wieder Gewinne einfahren - vor allem durch den Verkauf seiner Immobilien. Kurz vor Weihnachten übernimmt Karstadt-Quelle den 50-prozentigen Anteil der Lufthansa an der gemeinsamen Touristiktochter Thomas Cook.
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2007: Thomas Cook fusioniert mit dem europäischen Reiseanbieter MyTravel. Die Touristik wird damit zum größten Umsatzbringer des Unternehmens. Mitte 2007 wird der Konzern in Arcandor umbenannt. Der Name bleibt auf die Dachgesellschaft beschränkt: Die Warenhäuser firmieren weiter unter Karstadt, der Versandhandel unter Quelle und die Touristiksparte unter Thomas Cook.
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2008: Das Geschäftsjahr 2007/2008 beendet Arcandor tief in den roten Zahlen. Der Nettoverlust beläuft sich auf 746 Millionen Euro, die Schulden auf fast eine Milliarde Euro. Größtes Sorgenkind des Unternehmens ist die Warenhaustochter Karstadt. Middelhoff räumt unverblümt ein, dass die Krise um die Warenhäuser "leider ganz klar hausgemacht" sei. Im September steigt die Privatbank Sal. Oppenheim in großem Stil bei Arcandor ein. Mit 29,5 Prozent liegen die Kölner auf Augenhöhe mit Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz, die ihre Mehrheit verliert.
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2009: Im Februar nimmt Middelhoff die Prognose für das laufende Jahr zurück. Noch im Herbst hatte er für das Geschäftsjahr 2008/2009 ein operatives Ergebnis von mehr als 1,1 Milliarde Euro angekündigt. Eine neue Prognose bleibt Arcandor schuldig.
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Am 1. März 2009 übernimmt der im Dezember berufene Telekom-Finanzchef Karl-Gerhard Eick den Posten des Vorstandsvorsitzenden. Einen Monat nach seinem Amtsantritt bereitet er die Beschäftigten bereits auf einen harten Sanierungskurs vor. Im April wird bekannt, dass Arcandor die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen prüft.
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Mitte April 2009 stellt der Konzern ein Sanierungsprogramm vor, mit dem die Nobelhäuser und Karstadt-Filialen sowie Läden der Versandhandelstochter Quelle zur Disposition gestellt werden. Davon sind 12.500 Mitarbeiter betroffen. Bis Mitte Juni müssen laut Eick Kredite in Höhe von 650 Millionen Euro refinanziert werden. Bis 2014 gebe es einen zusätzlichen Bedarf von bis zu 900 Millionen Euro.
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8. Mai 2009: Arcandor verschiebt überraschend die Veröffentlichung seiner Halbjahreszahlen. Als Gründe nennt der Konzern die Neuordnung, das vorgelegte Konsolidierungsprogramm sowie die laufenden Finanzierungsverhandlungen.
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13. Mai 2009: Konkurrent Metro signalisiert, an der Lösung der Karstadt-Probleme mitwirken zu wollen. Es gehe aber nicht um eine Übernahme. Metro spricht sich gegen staatliche Hilfen für den Rivalen aus.
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15. Mai 2009: Arcandor kündigt an, binnen einer Woche einen Antrag für eine Staatsbürgschaft über 650 Millionen Euro beim Deutschlandsfonds zu stellen. Zudem bewirbt sich das Unternehmen um einen Kredit aus dem Sonderprogramm der KfW.
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28. Mai 2009: Der Arcandor-Konzern präsentiert seinen Antrag erstmals vor dem staatlichen Bürgschaftsausschuss. Im Anschluss daran äußert sich Vorstandschef Karl-Gerhard Eick zufrieden und kündigt eine Fortsetzung der Gespräche an.
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3. Juni 2009: Die EU-Kommission sieht keine Grundlage für die beantragte Bürgschaft beim Bund, weil die Probleme des Konzerns nicht erst mit der Finanzkrise begonnen hätten. Wirtschaftsminister Guttenberg sagt, aus Brüssel sei eine sehr klare Absage gekommen. Er rät Eick, auch andere Möglichkeiten zu prüfen.
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4. Juni 2009: Guttenberg und Bundeskanzlerin Angela Merkel machen deutlich, dass sie jenseits der Staatshilfe nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sehen. Sie wollen, dass Eigentümer und Banken mehr Verantwortung übernehmen. Für Arcandor steigt der Druck, mit Metro über eine Kaufhausfusion zu sprechen.
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5. Juni 2009: Arcandor beantragt zusätzlich einen Beihilferettungskredit. Die Bundesregierung berät mit Unternehmens- und Bankenvertretern über Wege zur Rettung.
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8./9. Juni 2009: Alle Bemühungen sind vergebens: Arcandor erhält weder eine Staatsbürgschaft, noch den beantragten Notkredit. Das Unternehmen verzichtet auf weiterer Staatshilfen und geht in die Insolvenz.
17. Juni 2009: Arcandor teilt mit, man habe für weitere 15 Tochter-Gesellschaften aus dem Bereich Handel Insolvenzanträge wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt.
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13. August 2009: Der vorläufige Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg kündigt den Abbau von rund 3700 der 10.500 Arbeitsplätze bei der Versandhandelssparte Primondo an. Bei Karstadt werden 19 Warenhäuser erneut auf den Prüfstand gestellt.
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15. August 2009: Die Suche nach einem Investor für den Arcandor- Konzern wird eingestellt. Jetzt geht es nur noch um die Sanierung der Töchter.
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1. September 2009: Das Essener Amtsgericht eröffnet voraussichtlich die Verfahren für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften.
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13. Oktober 2009: Insolvenzverwalter Görg schließt bei Primondo/Quelle einen weiteren Personalabbau über die angekündigten 3700 Stellen hinaus nicht aus. Berichten zufolge sollen mehrere hundert zusätzliche Stellen betroffen sein.
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Quelle kämpft - wie Karstadt und andere Töchter des Arcandor-Konzerns - ums Überleben. Die Ursachen für die aktuellen Probleme reichen weit zurück. Eine Zeittafel.
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Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bezeichnet Rettung von Quelle als "schwierig".
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Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bezeichnet Rettung von Quelle als "schwierig".
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Dass die bayerische Staatsregierung bereits Zusagen gemacht habe, binde den Bund nicht. Unterstellungen, zu Guttenberg als CSU-Mitglied und Franke könne befangen sein, nannte er abwegig.
Bund und Länder teilen sich Staatsbürgschaften je zur Hälfte. Im Falle Quelle sind zwei Bundesländer mit Quelle-Standorten beteiligt - Bayern und Sachsen. Von den 25 Millionen Länderanteil würden nach Angaben aus bayerischen Regierungskreisen voraussichtlich etwa 20 Millionen auf Bayern entfallen und die restlichen fünf Millionen auf Sachsen. Den Ausschlag gibt die Zahl der Beschäftigten; die meisten der 10.000 Quelle-Angestellten arbeiten in Bayern.
Genau genommen ist die Bürgschaft für eine Bank aus dem Hause Arcandor vorgesehen: Sie soll als Sicherheit dienen, damit andere Kreditinstitute der Valovis-Bank weiter Geld geben. Quelle verkauft die Forderungen an seine Kunden, die - wie im Versand üblich - Rechnungen teils nach Wochen oder in Raten bezahlen, an die Valovis-Bank.
Mit dem Geld kann Quelle Rechnungen von Lieferanten und Dienstleistern begleichen. Zahlungen der Bank seien "kriegsentscheidend", damit Quelle den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten könne, sagte der vorläufige Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg.
20 Millionen Euro koste allein der Druck der Kataloge, eine Summe in dreistelliger Millionenhöhe sei nötig, um die Warenlieferungen zu sichern, ergänzte ein Sprecher. Die Kataloge druckt Prinovis, eine Tochter der Medienunternehmen Bertelsmann und Axel Springer.
Die Versandsparte rund um Quelle ist einer der drei Säulen des Arcandor-Konzerns, den Vorstandschef Karl-Gerhard Eick als Ganzes erhalten möchte. Dazu soll in den kommenden Wochen ein Sanierungskonzept erarbeitet werden.
Der größte Konkurrent von Quelle, der Otto-Versandhandel, ließ es sich nicht nehmen, dem strauchelnden Mitbewerber eine öffentliche Abfuhr zu erteilen: Man habe keinerlei Interesse an Quelle. Allerdings liebäugelt Otto-Chef Hans-Otto Schrader mit den Spezialversendern des Konzerns. An welchen Firmen er genau interessiert ist, wollte er nicht verraten. Es könnte sich um Hess Natur, Baby Walz, Bogner Homeshopping, Mirabeau und den TV-Kanal HSE 24 handeln.
Karstadt will ohne Hilfe auskommen
Überraschend gut geht es laut Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg den Karstadt-Häusern: Die Geschäfte laufen in diesem Jahr besser als im Vorjahr. "Wir liegen über Plan", so Görg, "die Kunden halten die Treue." Er werde keinen Massenkredit für die Warenhaussparte beantragen. Karstadt wird demnach keine Hilfe der Bundesregierung beantragen.
Schnelle Entscheidungen wie Verkäufe von Töchtern stehen offenbar nicht an. Abermals erhielt die Offerte des Metro-Konzerns einen Dämpfer: "Blitz-Verkäufe an Metro oder andere Interessenten sind kein Thema", so Görg. Die Beschäftigten setzen auf die Stammkunden.
Der Betriebsratsvorsitzende Hellmut Patzelt will sich gar "vor den Kunden verneigen". Sie hätten sich in den vergangenen Monaten solidarisch gezeigt, mehr als eine Million Mal unterschrieben und fleißig eingekauft.
Die Zahl der von der Insolvenz betroffenen Gesellschaften wird sich voraussichtlich auf 28 erhöhen, sagte ein Unternehmenssprecher in Essen. Neben der Muttergesellschaft Arcandor hatten seit dem 9. Juni unter anderem die Töchter Quelle, Karstadt und Primondo Insolvenzantrag beim Essener Amtsgericht gestellt. Der auf Elektroartikel spezialisierte Internetshop "Myby" hatte seinen Antrag beim Amtsgericht Düsseldorf vorgelegt.
Insgesamt hat Arcandor mehr als 500 Tochtergesellschaften. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei voraussichtlich zum 1. September zu rechnen, sagte Görg. Nicht betroffen von der Insolvenz ist das Tourismusunternehmen Thomas Cook. Der Arcandor-Anteil an dem Unternehmen ist jedoch zu großen Teilen an die Banken verpfändet.
Arcandor korrigierte frühere Angaben zur Zahl der von der Insolvenz betroffenen Mitarbeiter: Demnach handelt es sich um 39.310 und nicht wie zuletzt mitgeteilt um 50.000 Beschäftigte. (mit Agentur)