Protest gegen Ölplattform: Russische Grenzschützer entern Greenpeace-Schiff
In der Arktis sind Greenpeace-Proteste gegen eine Ölplattform gewaltsam gestoppt worden. Russische Grenzschützer haben ein Schiff der Ökoaktivisten gestürmt. Zuvor waren bereits Schüsse gefallen. Der Zwischenfall hat ein diplomatisches Nachspiel.
Berlin - Eine Reise in die Petschorasee macht man nicht unbedingt zum Vergnügen. Mit rund 20 Metern ist das Polarmeer vor der russischen Küste zwar nicht allzu tief, doch dafür umso unberechenbarer. Von November bis Juni haben Kapitäne mit massiven Behinderungen durch Eis zu kämpfen. Genau hier will der Energieriese Gazprom schon bald im großen Stil Öl fördern. Die Firma vermutet unter dem Meeresboden ein Vorkommen von 72 Millionen Tonnen. Rund 6,6 Millionen Tonnen soll die riesige Plattform "Prirazlomnaya" pro Jahr ans Licht bringen.
Umweltschützer protestieren schon länger gegen die Pläne, jetzt hat sich der Streit mit Gazprom und den russischen Behörden dramatisch zugespitzt. Der russische Grenzschutz stürmte am Donnerstag das unter niederländischer Flagge fahrende Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise". Besatzungsmitglieder müssten auf dem Deck knien und würden von Grenzsoldaten mit Waffen bedroht, hieß es von Greenpeace.
Die Enteraktion ist der Höhepunkt eines seit Tagen laufenden Krimis im Nordmeer. Am Mittwoch hatte sich die "Arctic Sunrise" der Förderplattform genähert. Aktivisten hielten mit fünf Schnellbooten auf die Anlage zu und versuchten anschließend, an der steilen Außenwand hinaufzuklettern.
Der Protest wurde mit harten Methoden gestoppt. Von der Organisation veröffentlichtes Bild- und Videomaterial zeigt, wie die Kletterer zunächst mit kaltem Wasser bespritzt und anschließend mit vorgehaltenen Waffen festgesetzt werden. Für den Grenzschutz ist in Russland der Inlandsgeheimdienst FSB verantwortlich. Und der bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Novosti, dass man auch mehrere Warnschüsse aus einem AK47-Maschinengewehr abgegeben habe.
Es sei darum gegangen, die Sicherheit der Förderanlage zu gewährleisten, heißt es vom FSB. Greenpeace habe nicht auf Warnungen reagiert. Die Organisation beklagt, dass vier der Schnellboote aufgeschlitzt worden seien. Vor allem aber befänden sich zwei der Umweltschützer, eine Finnin und ein Schweizer, noch immer in Gewahrsam der Russen. "Wir machen uns ziemliche Sorgen um unsere Leute", sagte Greenpeace-Mitarbeiter Dima Litwinow, der sich an Bord des Schiffes befindet, am Donnerstagvormittag im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Am Nachmittag eskalierte die Situation. Die "Arctic Sunrise" kreiste zunächst drei Seemeilen von der Plattform entfernt im Polarmeer, unmittelbar verfolgt von einem Küstenwachschiff mit der Registrierung "058". Dann enterte der FSB mit Hilfe eines Helikopters das Schiff. Die gesamte Crew wurde festgenommen, drei Besatzungsmitglieder konnten sich zunächst im Funkraum einschließen. Die Satelliten-Telefone an Bord waren nicht mehr zu erreichen.
Weil der Protest 40 Seemeilen vor der russischen Küste stattfindet, also in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone, ist das russische Vorgehen aus Sicht der Umweltschützer nicht nur unverhältnismäßig, sondern schlichtweg illegal. Tatsächlich gelten die Hoheitsrechte des Küstenstaates so weit draußen auf dem Meer nur eingeschränkt. Russland wirft den Ökoaktivisten dagegen Terrorismus und Piraterie vor und rechtfertigt so das harte Vorgehen.
"Wir sind hier, um einen Job zu machen"
Für Moskau geht es bei dem Streit um viel: Die Arktis ist ein interessanter Platz für die Suche nach Öl und Gas - und die flachen Meere vor Russlands Nordküste sind es ganz besonders. Internationale Konzerne stehen Schlange, um seit Jahrzehnten bekannte, aber nicht ausgebeutete Vorkommen von gigantischer Größe zu erschließen: Shell, Exxon-Mobil, Statoil und Eni - sie alle wollen zusammen mit russischen Partnern bohren. Für gewöhnlich geht es allerdings um Gas, das Öl-Projekt in der Petschorasee ist eine Ausnahme.
Die Förderung in der tauenden Arktis ist entscheidend, um Russlands rohstoffgetriebene Wirtschaft auch in Zukunft am Laufen zu halten. Deswegen lockt der Staat die Unternehmen mit Steuererleichterungen und Subventionen. Außerdem stärkt Moskau seine militärische Präsenz in der Region. Auf den weit abgelegenen Neusibirischen Inseln wird gerade ein alter Stützpunkt reaktiviert und ein Kriegsschiff in die Region geschickt.
Dass die Rohstoffförderung dort alles andere als einfach ist, hat Gazprom an der "Prirazlomnaya"-Plattform schmerzlich erfahren. Das Projekt hängt mehrere Jahre hinter dem Zeitplan. Möglicherweise fließt nun Anfang kommenden Jahres das erste Öl. Umweltschützer verweisen allerdings darauf, dass den Russen jegliche Erfahrung mit Offshore-Förderung fehlt. Was passiert, wenn etwas schiefgeht? Notfall-Equipment wird rund tausend Kilometer entfernt gelagert. Und einmal im Eis, ist das Öl dort kaum mehr herauszubekommen.
Gazprom-Manager Walerij Golubew erklärte dagegen kürzlich auf einem Fachkongress, sein Unternehmen sei so gut wie kein anderes in Russland für Offshore-Projekte in der Arktis vorbereitet - von den geologischen Studien bis hin zur Inbetriebnahme von Fördereinrichtungen. Und Russlands Präsident Putin versprach beim G-20-Gipfel in St. Petersburg, man werde bei den Unternehmen auf die Einhaltung höchster Umweltstandards drängen: "Es ist nicht akzeptabel, wenn anders gehandelt wird, gerade im hohen Norden, wo die Umwelt besonders verwundbar ist."
Eine kurzfristige Gesprächsanfrage von SPIEGEL ONLINE an die Gazprom-Zentrale zu den Vorgängen rund um die "Prirazlomnaya"-Plattform blieb zunächst ohne Antwort. Das russische Außenministerium in Moskau bestellte am Donnerstag den niederländischen Botschafter ein. Die Ökoaktivisten hätten "provozierend und lebensgefährdend eine ökologische Katastrophe in Kauf genommen". Das war vor dem Sturm auf das Schiff. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch Greenpeace-Mann Litwinow noch kämpferisch gezeigt. Es gehe um das Wohl des Planeten: "Wir sind hier, um einen Job zu machen. Wir werden nicht damit aufhören."
Mit Material von dpa
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- Gazprom: Informationen zum Prirazlomnoye-Ölfeld
- RIA Novosti: Meldung zur Greenpeace-Aktion gegen Arktis-Öl
- Barents Observer: Bericht über russischen Arktis-Stützpunkt
- Kreml-Webseite: Pressekonferenz mit Putin in St.Petersburg
- UPI: Gazprom-Manager zur Förderung in der Arktis
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