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Sterbehilfe: "Wir Ärzte sind fürs Leben da. Aber zum Leben gehört auch Sterben" | ZEIT ONLINE
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Sterbehilfe"Wir Ärzte sind fürs Leben da. Aber zum Leben gehört auch Sterben"

Der Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold ist Deutschlands bekanntester Sterbehelfer. Ein Gespräch über unerträgliche Leiden, tödliche Medikamente und den Zwang zum Durchhalten Interview: 

DIE ZEIT: Herr Arnold, wann wurden Sie zuletzt um Sterbehilfe gebeten?

Uwe-Christian Arnold: Heute – gerade eben.

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ZEIT: Und was war der Anlass?

Arnold: Der Patient hat eine schwere Lungenerkrankung, die zum Ersticken führt. Er wollte eigentlich schon vor Wochen tot sein, aber wir haben erst alles ausgeschöpft, was es an Palliativmedizin gibt. Heute hat der Mann angerufen: Er kann nicht mehr. – Ich fahre nachher hin und schaue, wie es ihm geht.

ZEIT: Er lebt zu Hause?

Uwe-Christian Arnold

Der Arzt Uwe-Christian Arnold, 70, assistiert todkranken Patienten beim Suizid. Soeben erschien sein Buch Letzte Hilfe (mit Michael Schmidt-Salomon, Rowohlt Verlag).

Arnold: Ja, mit seiner Frau. Sein soziales Umfeld ist wunderbar. Aber jetzt kriegt er keine Luft mehr. Ersticken ist grausam. Man könnte ihn ins Koma legen, aber das will er nicht. Und die Vorstellung, sein Zuhause zu verlassen, ist ein Horror für ihn.

ZEIT: Womit wurde er zuletzt genau behandelt?

Arnold: Mit Fentanyl-Spray, das bekämpft den Spasmus. Das Spray gibt es aber nur in einer einzigen Apotheke in Deutschland. Mithilfe eines Palliativmediziners habe ich das besorgt, allerdings mussten wir die Dosis stetig erhöhen. Und irgendwann ist die Grenze erreicht.

ZEIT: Wenn jetzt über Suizid diskutiert wird, dann klingt es oft so, als gäbe es legitime und illegitime Gründe, sich umzubringen. Als wären viele Menschen, die sich an Sterbehelfer wenden, in keiner echten Not, sondern bloß "lebensmüde". Aus welchen Gründen kommen die Sterbewilligen tatsächlich zu Ihnen?

Arnold: Die häufigsten Suizidursachen sind Depressionen und die Tatsache, dass Menschen mit ihrem Leben nicht klarkommen. Wenn die mir schreiben oder mich anrufen, kann ich nur zuhören, nicht helfen.

ZEIT: Die Gegner der Sterbehilfe sagen, man müsse nur die Palliativmedizin stärken – dann werde Sterbehilfe überflüssig.

Arnold: Nein. Das ist Unfug! Wir bekommen nicht alle Schmerzen in den Griff. Außerdem gibt es zu wenig ambulante palliativmedizinische Versorgung. Einige meiner Patienten mussten sich sagen lassen: Wir haben keine Kapazität.

Leserkommentare
  1. 1. Danke.
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  2. und selber entscheiden dürfen MÜSSEN, wann Schluß sein soll. Es reicht doch schon, dass der Mensch nicht entscheiden kann, ob er geboren werden will (was auch gut so ist!).

    Dann darf er aber doch wohl am Ende des Tages als selbstbestimmtes Wesen entscheiden dürfen, wann Schluß sein soll.

    Sterbehilfe heißt doch in keinem Fall, dass ein Mensch es tun MUSS - es würde nur denen eine legale Möglichkeiten bieten, die das wollen.

    Ärzte sind m.E. nicht für sich oder für 'irgendwas' da, sondern für den Menschen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Sicht der Medizin und der des Patienten.

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  3. "Zum Leben gehört das Sterben" - ich denke, dieser Satz bringt es auf den Punkt. Ich habe selber grade vorigen Monat meine Mutter durch einen Hirntumor verloren. Sterbehilfe ist für sie als gläubige Christin nicht in Betracht gekommen, aber ihr beim Sterben zuzusehen hat mich in meiner Ansicht bestärkt, Sterbehilfe ermöglicht ein würdenvollen Übergang in den Tod.

    Sie war zum Schluss hin immer stärker von der Krankheit gezeichnet, verwirrt, stammelte, wirbelte mit den Armen und bekam im Endstadium kaum noch Luft - vermutlich, da die entsprechenden Hirnfunktionen zu stark geschädigt waren. Ich kann mir kaum vorstellen das jemand einen solch qualvollen Tod freiwillig sterben möchte. Ich will es jedenfalls nicht und hätte in gleicher Situation gerne Sterbehilfe in Anspruch genommen. Mich hat diese persönliche Erfahrung nochmals in meiner Meinung "pro Sterbehilfe" bestärkt.

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    • illyst
    • 07. Dezember 2014 21:22 Uhr

    Bei meiner Mutter war es der Lungenkrebs. Als ich vor ein paar Monaten Atmungsprobleme hatte schoss mir eine furchtbare Panik durch den Geist auch so langsam und qualvoll zu ersticken.
    Wie es mir dann erst ergehen würde sollte mir tatsächlich das selbe Schicksaal wiederfahren...

    Mich vor diesem Martyriums zu bewahren wäre kein Mord wie manche behaupten, das wäre ein Akt der Nächstenliebe mir diese Folter zu ersparen.

    • arista
    • 07. Dezember 2014 21:23 Uhr

    Zunächst einmal: Mein herzliches Beileid.

    Mein Vater ist im November verstorben, an einem gutartigen Hirntumor gepaart mit einem mehrwöchigen Delirium, aus dem er nicht mehr erwacht ist. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass kein Mensch einen solchen Tod verdient hat. Er hat übermäßig viel und qualvoll leiden müssen. Trotzdem habe ich es nicht über das Herz gebracht dem Vorschlag der Ärzte zu verfolgen, alle lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen, denn er hat keine Patientenverfügung gehabt. Letztlich wäre es auf ein Verhungern und Verdursten hinausgelaufen, obgleich er noch geäußert hat, dass er Hunger verspürt.

    Wäre eine entsprechende Verfügung da gewesen, so hätte ich einer aktiven Sterbehilfe schweren Herzens zugestimmt, niemals aber dem angedachten, kontrolliertem Verreckenlassen. Nach wie vor bin ich eher entsetzt darüber, wie oft und eindringlich ich auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, wie ich eher meinen Entschluß rechtfertigen mußte, ihn auf eine Instensivstation zur Rettung verlegen zu lassen, auch wenn er dort schließlich verstorben ist. Obwohl sich niemand äußern wollte, ob er nicht doch wieder aus dem Dlir aufwachen könne... Anscheinend lag dies im Bereich des Möglichen.

    Für mich bin ich sehr froh, nicht die Entscheidung über seinen Tod verantworten zu müssen, bin sehr froh, dass alles versucht wurde. Ich habe mir nicht vorzuwerfen einen Menschen in den Tod geschickt zu haben.

    Aktive, gewünschte Sterbehilfe? Ja. Passiv durch Nichtstun? Nein!

  4. die Front musste nach Westen verschoben werden und nicht alle konnten mit,
    da wurde 1/3 der Schwerstverwundeten "abgespritzt???"

    Grossartig dieses Beispiel, geradezu vorbildlich wie das damals gelaufen ist und perfekt organisiert wurde,

    wie so vieles andere in dem angesprochenen Zeitraum...

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  5. Wodurch mein zweitjüngstes Geschwister früh verstarb, konnte mir systematisch noch kein Mediziner erschöpfend erklären. Die behandelnden Ärzte geben lediglich zur Antwort, dass der von ihnen diagnostizierte Bauchspeicheldrüsenkrebs zum Tod führte. Als soziales Wesen existiert jeder Mensch indes stets mehr- und niemals eindimensional. Sich mit dem besagten Befund abzufinden, hieße somit, sich selbst zu belügen. Insofern gilt es, wie von Freud in der Vorbemerkung zur Traumdeutung verlangt, die wissenschaftsimmanente Arbeitsteilung zu beachten und zur Kenntnis zu nehmen, wie eng allen Heilberufen deren Umkreis dadurch abgezirkelt ist und ihrer Befähigung demgemäß die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Disziplinen vorausgehen. Nicht anders verhält es sich in der Frage eines Suizids. Ohne die auf diesen Gebieten einschlägig von solchen Generalisten wie beispielsweise dem französischen Soziologen Durkheim bereits vor über einhundert Jahren veröffentlichte Literatur rezipiert zu haben, überantwortet sich der Einzelne blind einem von vornherein unbestimmten Verlangen, welches beschönigend als "ärztliche Assistenz" ausgegeben wird.

    2 Leserempfehlungen
    • mailo1
    • 07. Dezember 2014 19:59 Uhr

    und solange ich einen Finger bewegen kann um den Abzug zu betätigen oder auf einem Bein aus dem Fenster hüpfen kann ist es kein Problem. Wenn ich schwere Demenz habe, ist das nicht mehr mein Problem sondern das Problem anderer. Für den Fall, das ich noch klar im Kopf bin, mich aber nicht mehr bewegen kann muss eine Lösung her !!!

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  6. "ZEIT: Die Kirchen sagen, das Leben sei gottgegeben, also unverfügbar. Deshalb dürfe der Mensch es nicht selbst beenden."

    Danach dürfte der Mensch das Leben auch nicht durch eine medizinische Behandlung verlängern, weil er auch damit Gott ins Handwerk pfuscht.

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    Das lädt ja geradezu zur Frage ein, warum die Kirchen sich nicht aktiv für die Sterbehilfe einsetzen.

    Wenn Priester durch ihre Tätigkeit und ihren festen Glauben ja sowieso näher bei Gott sind, dann würden sie ja wissen, dass Gott alle Menschen liebt. Vor allem aber die Sünder, die selbst schwach sind, und ihr geschenktes Leben aufgrund ihrer Leiden zurückgeben wollen. Wenn Gott alles weiss und versteht, so versteht er auch, warum jemand sein Leben nicht mehr er-tragen kann.

    Gott müsste ja furchtbar kleinlich und jähzornig sein, wenn er sich über den Sterbens-Entscheid eines terminalen Krebspatienten ärgert, aber gleichzeitig den zahlreichen Kriegen und Hungersnöten tatenlos zusieht.

    Sterbehilfe darf somit keine theologische Frage sein. Die Frage, welcher Tod dem Menschen würdig ist, sollte nur durch den Patienten selbst beantwortet werden. Kaum einer von uns Gesunden ist auch nur eine halbe Meile in den Schuhen Todkranker gelaufen.

  7. Es ist schon eine komische Sache von Selbstbestimmtheit zu sprechen, wenn dem Menschen zum Sterben keine Alternative bleibt. Das ist so als wenn man keine Nahrung findet und selbstbestimmt sich entschließt zu verhungern. Die eigentliche Entscheidung kann doch für mich nur sein sich dem Leben so anzuvertrauen, dass es mich durch Sterben und Tod hindurch trägt. Alles andere macht für mich keinen Sinn. Siehe Johannes 11,25

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    Vielleicht ist aber der Entscheid, zu sterben überhaupt die letzte Entscheidung, die jemand noch treffen kann.

    Ohne Möglichkeit, sich zwischen zwei oder mehr Dingen zu entscheiden, gibt es sowieso kein würdiges Leben mehr. Das ist ja, was einen Mensch von anderen Lebewesen trennt. Fühlt man sich zum Leben gezwungen, ist man längstens schon gestorben.

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