Hintergrund : Honeckers "Gesellenstück": Der Bau der Berliner Mauer
Es wird mehr als ein Treffen in Ulbrichts Sommerfrische am Döllnsee. Erich Honecker, seit 1958 als Sekretär im Zentralkomitee der SED auch für Sicherheitsfragen zuständig, weiß, warum Ulbricht die Spitzen des Staates am 12. August 1961 zu sich bittet: Die "Operation Rose" soll wenige Stunden später starten, die totale Abriegelung der Grenze nach West-Berlin wird Honeckers "Gesellenstück".
Mehr als ein Treffen in der Sommerfrische
Sonnabend, 12. August 1961: Offiziell hat Walter Ulbricht für diesen Nachmittag zu einem "Beisammensein" geladen. Das Wetter ist prächtig, die Stimmung gut. Solche Zusammenkünfte im Gästehaus des Ministerrates am Döllnsee rund 80 Kilometer von Berlin sind nicht selten.
Ungewöhnlich ist die Liste der Eingeladenen. Die Spitzen des Staates sind versammelt: das Politbüro, viele Minister, Mitglieder des Staatsrates, der Bürgermeister von Ost-Berlin. In aller Eile sind sie zusammengerufen worden. Auch Erich Honecker, damals der für Sicherheitsfragen zuständige Sekretär im Zentralkomitee der SED, ist anwesend. Im Gegensatz zu vielen anderen Gästen weiß er, worum es gehen soll:
Der Kalte Krieg geht in seine heiße Phase
Seit Wochen steht die gesamte politische Führung um Walter Ulbricht unter enormem Druck: Immer mehr Flüchtlinge verlassen das Land, die meisten über die noch offene Sektorengrenze von Ost- nach West-Berlin. Die DDR blutet aus. Insbesondere die Wirtschaft leidet unter der ständigen Abwanderung von Arbeitskräften, viele davon gut ausgebildete junge Leute. 1960 flüchten rund 200.000 Menschen in den Westen. Allein im Juli 1961 sind es mehr als 30.000 Menschen, damit hat die Zahl der Flüchtlinge den höchsten Stand seit 1953 erreicht!
Ulbricht weiß, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Er muss eine Lösung finden. Über Monate haben Gespräche mit dem sowjetischen Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow und seinen Militärs stattgefunden. Jetzt ist die Zeit reif, den Plan zum Mauerbau in die Tat umzusetzen.
Seit Tagen schon werden rund um Berlin unauffällig Einheiten von der Volkspolizei und NVA in Stellung gebracht - für den Fall, dass es zu Aufruhr und Widerstand kommen sollte. Es steht viel auf dem Spiel, das Ziel der "Operation Rose" soll bis zuletzt geheim bleiben. Und so ruft Walter Ulbricht seine Gäste erst gegen 22.00 Uhr zu einer "kleinen Sitzung". Nun erfahren sie Gäste den wahren Grund der Zusammenkunft: Die massive Abwanderung aus der DDR soll gestoppt werden, die totale Abriegelung der Grenze nach West-Berlin steht unmittelbar bevor. Die Anwesenden sollen zustimmen, vorher dürfen sie den den Ort des Treffens nicht verlassen. Es gibt keine Gegenstimmen.
"Operation Rose"
Honecker ist zu diesem Zeitpunkt längst im Ost-Berliner Polizeipräsidium, der Einsatzzentrale für diese Nacht. Von hier aus setzt er als Einsatzleiter der Aktion Ulbrichts Befehle für die Kampfgruppen, Polizei, MfS und NVA in Kraft. Eine Woche zuvor hat er im Polizeipräsidium unweit des Alexanderplatzes bereits einen Einsatzstab mit acht Mitarbeitern platziert. In der Nacht zum 13. August, kurz nach 01.00 Uhr beginnt die "Operation Rose": Die Straßenlaternen entlang der Grenze gehen auf östlicher Seite aus, die U- und S-Bahn-Verbindungen zwischen Ost- und West-Berlin werden gekappt, Fenster in Gebäuden zugemauert ... Über 20.000 Bewaffnete sind im Einsatz, um den Übergang in den Westteil der Stadt auf einer Länge von mehr als 160 Kilometern zu versperren.
Der antikapitalistische Schutzwall hält 28 Jahre
Am 13. August, um 06.00 Uhr ist es "vollbracht": Die Berliner erwachen in einer zweigeteilten Stadt, Ost und West trennt nun eine scharf bewachte Grenze. Die alliierten Streitkräfte in West-Berlin sind überrumpelt, doch ihre Führer wollen keinen Dritten Weltkrieg riskieren.
Mit der perfekten Umsetzung der "Operation Rose" beeindruckt Erich Honecker seinen politischen Ziehvater Ulbricht und auch die sowjetische Führung.
Den Bau des "antikapitalistischen Schutzwalls", der 28 Jahre lang eine Stadt und ein ganzes Land teilen sollte, und viele Menschenleben fordert, verteidigt Erich Honecker bis an sein Lebensende als "notwendig".